Markus 14,66-72
Einander stärken zum Guten | Drittletzter Sonntag d. Kirchenjahres | 09.11.2025 | Mk 14,66-72 | Kira Busch-Wagner |
Liebe Gemeinde, vertraut ist Ihnen, dass die biblischen Worte, denen die Predigt gilt, nicht einfach Lust und Laune der Predigenden entstammen, sondern einer großen gemeinsamen Absprache, der Perikopenordnung. Sie sieht für den Sonntag heute in der Fassung nach Markus vor, die Verleugnung des Petrus zu bedenken.
Wo soll ich anfangen? Mit der Nacht der Verleugnung selbst? Mit dem Fest- und Abendessen zuvor? Mit dem Kommen nach Jerusalem? Erinnern wir uns:
die Gruppe um Jesus war als Wallfahrer zum Pessachfest unterwegs in den Tempel. Die Stimmung in Jerusalem wird schon einigermaßen angespannt gewesen sein. Alles voller Militär. Und voller Pilger. Jesus hat einen Raum organisiert. Heute lokalisiert man den auf dem Zionsberg. Zwei aus der Gemeinschaft sind vorausgeschickt worden, sie bereiten alles zu; am Abend kommen die anderen. Jetzt können sie Pessach feiern, Fest der Befreiung aus Ägypten. Fest der Befreiung vom Tod ins Leben. Fest Gottes. Nachdenkliche Gespräche kommen in Gang. Über Vergänglichkeit und Freundschaft. Über Lebenshingabe und Treue Gottes, über Bund und nahen Tod. Nach dem Festmahl geht es hinaus aus der Stadt, sie wollen in den Gärten am Fuße des Ölbergs übernachten. Immer noch – so erzählt Markus – geht das Gespräch weiter. Jesus sinniert über Bibelverse beim Propheten Sacharja: Der Hirte geschlagen, die Schafe zerstreut. Und spricht von Auferstehung. Vielleicht will Petrus einfach einer immer gedrückteren Stimmung etwas entgegenhalten. Vielleicht will er Jesus trösten. Er wird geradezu pathetisch. Ich stehe hinter dir. Was auch geschieht.
Du?, fragt Jesus zurück, Pass auf. Das geht tschick, tschak. Es muss nicht mal Morgen werden. Der Hahn noch nicht zweimal gekräht haben. Da hast du es dreimal gemacht: mich verleugnet.
Und es geht dann – so der Evangelist Markus – tatsächlich tschick-tschack. Erst schläft Petrus ein und nimmt die Angst Jesu nicht einmal mehr wahr. Dann nehmen Bewaffnete Jesus gefangen, seine Leute fliehen, es kommt zu einer ersten gesetzeswidrigen Verhandlung, denn eigentlich ist ja Feiertag und mitten in der Nacht. Kein Wunder, dass dann auch noch falsche Zeugen aufgeboten sind. Dabei hat man sie nicht einmal besonders aufeinander abgestimmt. Jesu – politisch, nicht religiös gefährliches – Eingeständnis, er könne Gottes Messias, Gottes Gesandter und Gesalbter sein, beschreit der Verhandlungsleiter, Hoher Priester, sofort manipulierend als Gotteslästerung – was, wie er weiß, nicht stimmt. Und der Evangelist Markus geht davon aus, dass wir wissen, dass der Vorsitzende weiß, dass es nicht stimmt. Umso lauter lässt er sich bestätigen: Des Todes schuldig!!!
Zur gleichen Zeit sitzt Petrus in einem der Höfe des Palastes bei en Knechten und wärmt sich am Feuer. Beim Evangelisten heißt es dann (Markus 14, 66-72):
66 Und Petrus war unten im Hof. Da kam eine von den Mägden des Hohenpriesters; 67 und als sie Petrus sah, wie er sich wärmte, schaute sie ihn an und sprach: Und du warst auch mit dem Jesus von Nazareth. 68 Er leugnete aber und sprach: Ich weiß nicht und verstehe nicht, was du sagst. Und er ging hinaus in den Vorhof, und der Hahn krähte. 69 Und die Magd sah ihn und fing abermals an, denen zu sagen, die dabeistanden: Dieser ist einer von denen. 70 Und er leugnete abermals. Und nach einer kleinen Weile sprachen die, die dabeistanden, abermals zu Petrus: Wahrhaftig, du bist einer von denen; denn du bist auch ein Galiläer. 71 Er aber fing an, sich zu verfluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr redet. 72 Und alsbald krähte der Hahn zum zweiten Mal. Da gedachte Petrus an das Wort, das Jesus zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er fing an zu weinen.
Liebe Gemeinde, was haben wir? Einen wohlmeinenden, zugewandten, zugleich kritischen Freund. Einen begeisterten, hochgesinnten, emotional sehr bewegten, geradezu pathetischen Anhänger, Schüler und Freund. Die eigene Person leider grandios fehleinschätzend.
Wir haben Gegner von Jesus, darunter vor allem einen, hier der Hohepriester, der als Meinungsmacher und Einpeitscher auftritt, der das Fußvolk zu manipulieren versteht. Sein Urteil: es ist natürlich so falsch wie der ganze Prozess in dieser Nacht.
Dass sich der Freund Petrus distanziert von seinem Lehrer, läuft zeitlich genau parallel. Falschaussagen im hohen Gerichtssaal wiederholen sich im Hof unter den Knechten. Aber aus dem Mund dessen, der es anders machen wollte. Der von Todesgefahr sprach und jetzt von einer Magd sich verunsichern lässt: „Nein, den da kenne ich nicht.“ Ja, Petrus macht sich mit seinem falschen Zeugnis, seiner Selbstverfluchung, mit Schwur, mit dem Missbrauch der Wahrheit an Jesus ebenso schuldig wie die falschen Zeugen, vielleicht macht er sich sogar der Gotteslästerung schuldig, derer doch Jesus angeklagt wird, wenn Petrus nämlich in seinem Fluch den Namen Gottes missbraucht.
Dann kräht der Hahn – wir sind bei Markus, so dessen Version – zum zweiten Mal. Es ist vorbei. Was hätte Petrus abhalten können, wider alle Erwartung und Hoffnung zu handeln?
Liebe Gemeinde, was hören wir?
Wir hören vom Solidaritätsruf des Petrus.
Wir hören von der Mahnung Jesu zu vorsichtigerer Selbsteinschätzung.
Wer erfahren vom Schweigen, vom Schlaf, von der Flucht aller anderen.
Wir sehen einen der gewalttätigen Verleumder, der leicht zu identifizieren ist. Die Gründe, die ihn bewegen, bleiben allerdings im Dunkeln.
Wir erleben einen Petrus, der nicht nur hinter seinem eigenen Anspruch an sich selbst zurückbleibt. Sondern der vielleicht nicht ganz ohne Not, aber schon beim allerersten Stresstest den engen Freund verleugnet, allein lässt. Der flucht, Gott missbraucht für die Unwahrheit, der enttäuscht, sich unzuverlässig zeigt, in seinem Tun alle aus der Jesusgruppe, ja, die ganze Jesuslehre selbst in Misskredit bringen kann.
Soweit die Geschichte, die uns durch unsere Kirchen, durch unsere leitenden Liturgen aufgetragen ist, zum Gedenken der Novemberpogrome zu bedenken. Im Perikopenbuch steht erläuternd: „Das Evangelium (Mk 14) […] spricht […] von der Unfähigkeit, dem Bösen zu widerstehen und für Menschen in Not und Unterdrückung einzutreten.“
Das Evangelium spricht von der Unfähigkeit, dem Bösen zu widerstehen, von der Unfähigkeit, beizustehen?
Ist das die Zusammenfassung der Verleugnungsgeschichte? Ihre Moral, ihre Quintessenz?
Liebe Gemeinde, was ist das denn? Wir sind also einfach unfähig, dem Bösen zu widerstehen? Unfähig beizustehen? Da lässt sich einfach nichts machen, bei allem schlechtem Gewissen? Unangenehm, aber leider nicht zu vermeiden? Pech für den oder diejenigen, die darunter zu leiden haben? Soll das protestantische Ethik sein, ein Beispiel für Rechtfertigung von Gott her?
Soll es das sein, was ich Ihnen, in meinem Auftrag, Schrift auszulegen, weiterzugeben habe? Läuft das nicht – angewandt auf die Novemberpogrome auf ein erneutes Achselzucken hinaus: Ging eben nicht anders?
Soll das die Frohe (frohe?!) Botschaft der Kirche sein: wir sind unfähig, dem Bösen zu widerstehen? Ist das der letzte Satz dazu? Ich kann es nicht glauben.
Lassen Sie uns einen Schritt zurücktreten. Lassen Sie uns Atem holen. Noch mal hinschauen. Noch mal lesen. Und dann frage ich mich und frage uns alle: Wo sind eigentlich all die andern aus dem Kreis der Jünger? Petrus mag uns pathetisch erscheinen. Aber immerhin: Er hatte sich etwas vorgenommen, hatte versucht zu widersprechen, als Jesus gesagt hatte: Ihr werdet euch alle von mir abwenden (Mk 14,27 Einheitsübersetzung).
Alle schlafen im Garten. Alle fliehen. Niemand mehr da. Nicht nur Jesus bleibt allein. Auch Petrus, der von ferne folgte „bis hinein in den Palast“. Keiner der eigenen Leute unterstützt ihn. Keiner begleitet.
Unter dem Kreuz stehen später die Frauen. Wo sind die Männer? Den Leichnam holt dann Josef von Arimathäa, ein bis dahin Unbekannter. Niemand begleitet ihn, keiner hilft. Nur Frauen, Maria aus Migdal und Maria, die Mutter, sehen von ferne, wo Josef den Toten hinlegt. Und Frauen sind es, die nach dem Feiertag zum Grab gehen.
Wo, um Himmelswillen, sind die Zwölf, oder ohne Judas die Elf. Oder fünf oder zwei? Wo ist der Kreis derer, die sonst immer genannt sind. Wo sind sie?
Die Verleugnung des Petrus erzählt nicht nur von der Einsamkeit Jesu.
Sondern auch von der Einsamkeit des Petrus.
Den Josef von Arimathäa schützt vielleicht seine soziale Stellung. Er sei Ratsherr, heißt es in der Lutherübersetzung. Das gilt ja nicht für die Frauen. Die Frauen aber nennt das Evangelium immer in Gruppen. Unterschiedlich zusammengesetzt. Nie allein. Wenigstens zwei bleiben zusammen. So werden sie Zeuginnen von Tod, Grab und schließlich der Auferstehung.
Wo blieben die Weggefährten des Petrus? Wo waren die, die ihm zur Seite standen, als man auf ihn zeigte: „Du doch auch!“
Allein bleibt auch offenbar auch der Hohepriester. Unangefochten. Niemand fragt zurück. Niemand beschwert sich über die Uhrzeit. Niemand schaut noch mal in die Bibel oder andere Schriften, wo das denn stehen könnte mit der Gotteslästerung. Niemand hält seine Tirade auch nur um ein paar Sekunden auf, um ein paar Gedanken, um ein bisschen Zögern.
Liebe Gemeinde, meine Zusammenfassung für das Perikopenbuch würde lauten: Das Evangelium spricht von der Einsamkeit. Von der Einsamkeit der Schwachen. Und von der der gänzlichen, einsamen Unangefochtenheit der Starken. Das Evangelium ruft nach den kleinen und größeren Gruppen derer, die einander stark machen, die einander Schutz geben, um dann „denen in Not und Unterdrückung“ zu Nächsten werden.
Die Novemberpogrome 1938, kamen nicht aus heiterem Himmel. Die deutsche Gesellschaft ist über Jahre darauf zugegangen. Stück für Stück. Die Zerstörung der Synagogen in München und Nürnberg im Mai, im September waren Testballons. Es blieb ruhig. Zu wenige stellten sich neben die Betroffenen, die Geschädigten, die Verfolgten. Am Ende blieben sie allein.
In Ettlingen (nahe Karlsruhe) hat man, um jede Kommunikation, jedes persönliche Kennen abzuwehren, um unangefochten zu bleiben, fremde Westwallarbeiter in die Stadt geholt, die Synagoge zu zerstören.
Das Evangelium heute ruft nicht zu moralischen und nicht zu praktischen Heldentaten. Der Bosheit zu widerstehen beginnt damit, zusammen zu bleiben. Einander nicht allein zu lassen. Ins Gespräch miteinander zu gehen, das wilde Geschehen zu verzögern: Was haben wir da gesehen? Was ist deine Beurteilung, was seine, was ihre? Lasst uns unsere Fähigkeit, das Böse zu erkennen, miteinander schulen. Lasst uns unsere unterschiedlichen Perspektiven voreinander aussprechen und miteinander bedenken. Lasst uns einander nicht auseinanderdividieren und nicht auseinanderdriften. Vor allem nicht die, die sich auf die Schrift, auf den biblischen Gott beziehen.
Gut möglich, dass wir gefragt werden: Gehört ihr nicht auch zu denen, die mit der Bibel umgehen, so, wie die jüdischen Gemeinden? Habt ihr nicht auch mit dem Alten Testament zu tun, mit dem Gebot von Nächstenliebe? Und Erinnerung an eigene Migrationserfahrungen? Haltet ihr euch nicht auch irgendwie zum Gott der Schrift?
Sie alle kennen die historische Erfahrung. Dass Christen in den meisten Fällen gesagt haben: Mit diesen Menschen haben wir nichts zu tun? Nicht mit Juden, nicht mit dem Volk Israel.
Es ist gut, dass wir heute, am 9. November, viele sind, um anderes einzuüben. Um Jesu willen zu sagen: Es ist nicht zu verleugnen. Da gehören wir dazu. Und sie zu uns.
Darum: der Friede Gottes, höher als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
verfasst von:
Kira Busch-Wagner
Liedvorschläge (NL = Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder)
NL 105 Atme in uns.
NL 4 Aus der Tiefe
NL 14 Das Leben braucht Erkenntnis
Psalm 74 = NL 934 – kein Gloria!! Stattdessen rahmen mit EG 230: Schaffe in mir Gott …
EG 154, 1.2.4 Herr, mach uns stark …
NL 37, 1+2 Es kommt die Zeit …
NL 109 1.2.4 Behüte Herr, die ich dir anbefehle
NL 37 Es kommt die Zeit
NL 30 Durch das Dunkel hindurch
NL 17 Der Frieden gibt in den Höhn