Hiob 14, 1 – 6. 13.15 – 17

· by predigten · in 18) Hiob / Job, Aktuelle (de), Altes Testament, Beitragende, Bibel, Deutsch, Fritz Neubacher, Kapitel 14/ Chapter 14, Kasus, Predigten / Sermons, Vorl. So. des Kirchenjahres

Ein Lob der Klage! | Vorletzter So. im Kj. | 16. 11. 2025 | Hiob 14, 1 – 6. 13.15 – 17| Fritz Neubacher |

Ihr Lieben,

Wir waren heuer im Spätsommer in Sizilien, und dort auch in Catania. Beim Hineinfahren in die Stadt fällt auf: Eine Straße verläuft parallel zur Anderen, und im rechten Winkel dazu liegen die Querstraßen. Aus der Luft betrachtet sieht sie aus wie ein Schachbrett. Der Grund dafür ist – nicht die Zerstörung der alten Stadt durch den Ausbruch des Ätna, sondern ein verheerendes Erdbeben im Jahr 1669. 2 Drittel der Bevölkerung verlor dabei das Leben. Das Erdbeben brachte unsagbares Leid in die Stadt: Hunger, Seuchen, Verletzte. Dabei fragte das Beben nicht danach, wer wer war: den frommen Priester traf es genauso wie den hinterhältigen Gangster.

Auch wir erleben Erschütterungen, Erdbeben auf der Landkarte unseres Daseins: Als vor einigen Jahren ein junger, talentierter Kollege bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, hat das ordentlich am Lebensgerüst gerüttelt. Aber es müssen keine großen Unglücke sein, ein Motorradunfall oder ein Arbeitsunfall verändern plötzlich alles. Wie aus heiterem Himmel ist auf einmal nichts mehr, wie es war.

Was kann / soll man tun? Was soll man denken, wie soll man weiterleben?

Hiob treffen gleichzeitig mehrere Katastrophen: Banden überfallen seine Besitzungen, rauben das Vieh und töten die Mitarbeiter, ein gewaltiger Sturm zerstört das Hauptgebäude und all seine Kinder kommen darin um, und schließlich wird er selber von einer ekeligen, juckenden Hautkrankheit befallen. Alles, was er sich aufgebaut hatte, ist quasi dem Erdboden gleichgemacht!

Was kann er tun?

Seine Frau hat schon mal eine Idee: „Gott kannst du vergessen!“, meint sie. Der hilft nichts, kann nichts, wahrscheinlich ist er gar nicht. Das kommt für Hiob nicht in Frage. Aber was dann?

Beliebt ist, nach Katastrophen die Schuldfrage zu stellen: Wer hat Schuld an dem Unglück? Hiob hat Freunde. Die diskutieren mit ihm genau diese Frage. Und sie haben auch eine klare Antwort auf sie, nämlich: Du, Hiob musst schuld sein! Du musst irgendwas verbrochen haben, was Gott erzürnt hat, und deswegen ist all das Schlechte über dich hereingebrochen.

Wir kennen das. Es ist heute noch in manchen Spruchweisheiten vorhanden: „Die Strafe folgt auf den Fuß“, hört man manchmal, wenn jemanden etwas Schlimmes passiert.

Auch dafür ist Hiob NICHT zugänglich! Er gibt zwar zu, dass er nicht fehlerlos ist – wer wäre das schon? Aber etwas angestellt zu haben, was so eine schwere Strafe Gottes nach sich zieht – das leugnet er vehement.

Wir halten mal fest: Schuldzuweisungen sind gefährlich. Damit sollten wir äußerst vorsichtig sein. Also zu sagen: Die Bewohner Catanias im 17. Jahrhundert müssen schlechte, gottlose Menschen gewesen sein, deswegen hat Gott sie mit einem Erdbeben gestraft – das ist unzulässig, aber: die WARUM-Frage zu stellen führt manchmal in die richtige Richtung, denn: Wenn man sich so ein Unglück erklären kann, dann hilft das bei der seelischen Verarbeitung des Grauens. Am Ende des Fragens steht dann vielleicht die Einsicht: Es musste so kommen, damit alles gut werden konnte.

In diese Kategorie fällt der Bestseller „Die Hütte“ von William Young. Er hatte das Buch eigentlich als Weihnachtsgeschenk für seine Kinder geschrieben, aber Freunde haben ihn gedrängt: Das ist sooo gut, das musst du veröffentlichen. Das Buch war 70 Wochen die Nummer 1 der Bestsellerliste der New York Times. 2018 waren bereits 23 Millionen Exemplare in 51 Sprachen vertrieben worden.

In dem Buch geht es um einen Vater, der seine kleine Tochter durch einen Sexual-Täter verliert. Der Vater stürzt daraufhin in eine tiefe, lang andauernde Depression, begegnet aber Gott auf wundersame Weise in dieser Zeit. Er wird gläubig, und kann die Ereignisse schließlich verarbeiten. Er kann am Ende sogar dem Mörder seiner Tochter vergeben. Die große Traurigkeit verschwindet aus seinem Leben, tiefe Liebe prägt ihn nun.

In dieser Erzählung haben Schmerzen und Leid den Sinn, uns zum Glauben und zu einem besseren Leben zu führen. Sie haben sozusagen einen pädagogischen Zweck. Wenn man Gott ins Spiel bringt, kann man sagen: er benützt das Unglück, er lässt es geschehen, um den Menschen in eine bessere Zukunft zu führen. Der Erfolg dieses Buches suggeriert, dass uns diese Lösung gefällt! Da bekommt das Unglück plötzlich einen Sinn, wir erleben letztendlich eine Entwicklung zum Besseren hin. Das kann doch was, oder?

Hiob hatte einen weiteren Freund, Elihu, der ihm genau diese Einsicht schmackhaft machen wollte: Gott will dich etwas lehren, will dich bessern, meint es nur gut mit dir. Hiob aber weist das alles entrüstet zurück! Damit kann er gar nichts anfangen. Warum gefällt uns die pädagogische Lösung, und warum gefällt sie Hiob gar nicht? Ich glaube, uns gefällt sie, weil wir nicht betroffen sind: Solange andere durch ein ihnen passierendes Unglück erzogen werden sollen, ist das logisch und einsichtig – aber sobald wir selber durch so ein Unglück etwas gelehrt bekommen sollen, geht das gar nicht! Es ist eben ein großer Unterschied, ob ich ein Betroffener bin, oder ein Betrachter. Und die Betrachter sollten sich mit Deutungen den Betroffenen gegenüber sehr, sehr zurückhalten…

Hiob hat eine andere Art, auf das erfahrene Unglück zu reagieren! Diese andere Art des Umgangs mit Leid und Katastrophen möchte ich uns heute empfehlen. Es ist die Klage.

Wobei: Es ist nicht die Klage, die Friedrich Nietzsche vor Augen hat. Er sagt: Es gibt Menschen, die für ihr eigenes schlechtes Befinden und für ihre persönlichen Mängel stets andere verantwortlich machen. Dieser Menschen-Typus klagt über die Ungerechtigkeit der Welt, gewinnt aber der „schönen Entrüstung“ und dem Gefühl, der moralisch Bessere zu sein, soviel ab, dass dadurch das Leben doch ganz gut auszuhalten ist. 

Hiob klagt anders. Hören wir ihm nochmal zu. Er sagt zu Gott ungefähr so:

Gott, du schaffst den Menschen. Sein Leben ist kurz, vergänglich und mühsam. Er schleppt sich hindurch wie ein hart arbeitender Tagelöhner. Und als wäre das noch nicht genug, verfolgst du ihn mit deiner ständigen Kritik und deinen verurteilenden Gedanken auf Schritt und Tritt. Und wenn er mal eine Kleinigkeit falsch macht, zerrst du ihn vors Gericht, du lässt gar nichts durchgehen. Und dann platzt es aus ihm heraus: Lass mich doch in Ruhe! Lass mich wenigstens ein bisschen verschnaufen, wie der Tagelöhner am Abend nach langem Arbeiten ein bisschen Ruhe braucht, so brauche ich Ruhe von dir, Gott! Dann hat er eine Idee: Verbanne mich doch in die Totenwelt. Das war für den alttestamentlichen Menschen der Ort, der am weitesten von Gott entfernt war! Gönne mir eine Pause von dir, fleht Hiob! Lass mich in Frieden!

Allerdings sagt er auch: Stell dir einen Wecker, damit du mich nicht vergisst! Und dann, wenn dein Zorn verraucht ist, dann rufe mich wieder zurück! Denn du sehnst dich ja nach mir, deinem Geschöpf – und ich, ich will dann unter deinen Augen neu anfangen, neu durch s Leben gehen – und du wirst mir nicht mehr all meine Verfehlungen unter die Nase halten, und wirst mich segnen auf all meinen Wegen!

Diese Klage ist großartig!

Lasst mich bitte noch ein paar erklärende Ergänzungen anfügen: Zunächst: Hiob spricht nicht über diesen grausamen, verurteilenden Gott – er spricht mit ihm! Das heißt doch: Da gibt es eine Beziehung, ein Verhältnis, eine Gesprächsbasis! Er wendet sich nicht ab, und klagt sein Leid seiner Frau, oder seinen Freunden; er klagt GOTT sein Leid! Er sagt: „Du“ zu seinem Peiniger, nicht „er“, oder „es“!

Das hat ihm übrigens Jesus selber nachgemacht! Auch Jesus sagt am Kreuz, im tiefsten Moment seines irdischen Daseins nicht: „Gott hat mich verlassen!“, sondern: „mein Gott – warum hast du mich verlassen?“ Wir können uns beide als Vorbild nehmen. Wir können in unserem Leid mit Gott per „du“ reden!

Und dann: Er nimmt sich kein Blatt vor den Mund! Sein geballter Ärger, sein Frust und seine Traurigkeit dürfen aus ihm heraus. Es ist wie eine Eruption des Ätna: Hiob schimpft wie ein … wie ein schwer Gepeinigter! Das ist ziemlich genau das Gegenteil von dem, was wir üblicherweise gewohnt sind zu tun: Höhergestellten gegenüber immer höflich bleiben, niemals kritisieren – am allerwenigsten Gott, den Allmächtigen! Hiob hält davon nichts! Er lässt seine ganze Frustration raus. Und auch darin dürfen wir ihn als Vorbild nehmen.

Weiters: Ich finde seinen Lösungsvorschlag mutig, frech – und gut: Er bittet Gott allen Ernstes, ihn in Ruhe zu lassen, ja, ihn in die Totenwelt zu versetzen, damit er, Hiob eine Auszeit von Gott haben kann!

Wenn man das ernst nimmt – und es besteht kein Grund, es nicht zu tun – dann rechnet Hiob damit, dass Gott so gnädig sein kann, dass er ihm diese Bitte gewährt! Dass Gott sozusagen über seinen eigenen Schatten springt und sagt: Okay, Hiob, offenbar ist der fernste Ort von mir dein Wunsch. Er sei dir gewährt! Das heißt im Endeffekt: Hiob rechnet damit – obwohl er sich mit einem hartherzigen Gott-Monster herumstreitet – dass dieser Gott am Ende ein gnädiger sein wird! Das ist genial: Auch wenn wir gerade mal gar keinen Grund sehen, Gott für etwas Gutes zu loben und zu preisen – Am Ende daran festzuhalten, dass er ein gnädiger Gott ist: das ist ein Vertrauen, das wir uns abschauen dürfen.

Und schließlich: Der Ausblick ist ja voller Hoffnung! Dann, wenn die Auszeit abgelaufen ist, meint Hiob, dann fangen wir wieder von vorne an: Dann werde ich unter deinem Segen fröhlich weiterleben! Auch diese Hoffnung dürfen wir für uns 1:1 übernehmen! Genauso ist es ja auch gekommen: Hiob durfte neu beginnen – und sein Leben nach all dem Unglück war ein noch mehr gesegnetes als Vorher…

Catania ist übrigens eine absolut sehenswerte, wunderschöne Stadt! Sie wurde nach dem Erdbeben im barocken Baustil neu gebaut, und ist ein Juwel unter den vielen Juwelen auf Sizilien. Es hatte dieses vernichtende Erdbeben also etwas Gutes! – Aber das ist der Blick des Touristen, der fast 400 Jahre später durch die Straßen schlendert. Es ist der Blick des Betrachters, und nicht der Blick der damaligen Betroffenen. Die durften – wie Hiob – klagen!

Amen.

Rektor i.R. Fritz Neubacher

St. Georgen im Attergau, Ö

Email: Fritz.neubacher@aon.at

Fritz Neubacher, Jahrgang 1958, Pfarrer der Evang. Kirche A. B. i. Ö.; bis 8/23 Rektor des Werks für Evangelisation und Gemeindeaufbau, seither im Ruhestand.