
Predigt zu Gen. 4, 1-16a
Kain und Gott | 13. So. n. Trinitatis | 29.8.21 | Gen. 4, 1-16a | verfasst von Thomas-M. Robscheit |
Friede sei mit Euch von Gott unserem Vater, Jesus Christus unserem Bruder und dem heiligen Geist, der uns Leben schenkt.
Liebe Gemeinde!
Diese Geschichte der beiden Brüder Kain und Abel ist uns allen bekannt; manchmal erinnert man sich vielleicht nicht so genau, wer nun wen erschlagen hat, aber im Großen und Ganzen weiß man, worum es geht: ein Bruder ist auf den anderen eifersüchtig. Wer Geschwister hat, der kennt das. Solche Spannung können sich (zumindest unter Kindern) auch mal gewaltsam lösen. Es ist uns aber ganz allgemein klar, dass „Hauen doof ist“ und man schon gar nicht seinen Bruder oder andere Leute erschlagen darf. So führt die Moral dieser Erzählung schnell zu dem Satz: „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“ Und selbst wenn Kain dies als echte Frage gemeint haben könnte, im Erzählzusammenhang ist es eine rhetorische Frage. Die Antwort ist klar: Ja, Du sollst Deines Bruders und auch Deiner Schwester Hüter sein. Man könnte nun weiter darüber Nachsinnen, was es bedeutet, dieser Hüter zu sein, wie weit die Verantwortung geht und wer überhaupt Bruder oder Schwester ist. Man könnte jetzt die Not anderer Menschen aufführen, an Afghanistan erinnern, die Flüchtlinge in Ostpolen oder am Mittelmeer. Man könnte einen moralischen Spiegel hochhalten und deutlich machen, wie wenig wir bereit sind, Hüter unserer Geschwister zu sein. Könnte man. Aber unsere Geschichte ist weitaus verzwickter. Es geht hier nicht um Nächstenliebe.
Die Brüder Kain und Abel führen ein normales Leben, sie arbeiten, sie sind Gott dankbar und zeigen das auch. Jedenfalls wollen sie das. Aber aus unerfindlichen Gründen piesackt Gott den einen und bevorzugt den anderen. Anders als Kinder vielleicht das Handeln ihrer Eltern ungerecht finden, es aber von den Eltern so nicht beabsichtigt ist, bevorzugt Gott objektiv einen der Beiden und verärgert damit Kain. Wie zum Hohn fragt dann Gott auch noch nach, warum Kain denn so ergrimmt sei. Den Finger nochmal richtig in die Wunde stecken und rumdrehen. Wer mit Geschwistern aufgewachsen ist, kennt das: den Bruder ärgern und immer mehr zur Weißglut treiben, bis er explodiert. Einen logischen Grund gibt es dafür nicht. Meistens ist man sogar selbst dann von dem Wutausbruch betroffen, möglicherweise auch sehr schmerzhaft. So geht es Kain. Er wird verletzt und dann noch zusätzlich geärgert: Wenn Du fromm wärst, würde Dich das ja nicht stören…
Wie wäre die Geschichte ausgegangen, wenn Gott Kain in dieser Versuchung, in dieser seelischen Not und dem brennenden Neid auf den bevorzugten Bruder beigestanden hätte? Da gewesen wäre und liebevoll Halt gegeben hätte? Ihn im finsteren Tal seiner zerfressenen Seele Trost gegeben hätte? Hätte Abel überlebt und wäre Kain nicht zu einem unsteten Leben verurteilt worden?
Die Geschichte von Kain und Abel ist kein historischer Bericht und deswegen ist die Frage danach, was wäre wenn hier nicht weiter relevant.
Thematisiert wird der Neid unter Geschwistern, die Frage nach dem Fatalismus, mit dem man sein Leben in allen Widrigkeiten annimmt und nicht zuletzt die Frage nach Schuld, Sühne, Strafe und Lynchjustiz. In allen diesen Punkten werden universelle menschliche Erfahrungen reflektiert und Verhaltensmaßstäbe gesetzt. Aber das Gottesbild, das der Verfasser des Textes und seine mündlichen Quellen transportieren, ist fragwürdig. Und das im Wortsinn. Es muss hinterfragt werden. Bringt Gott Menschen absichtlich in Bedrängnisse, in denen sie scheitern (können)? Und wenn ja: warum?
Vielleicht, liebe Gemeinde, haben Sie in der letzten Zeit die Diskussion in unserer Kirchenzeitung „Glaube und Heimat“ mitbekommen über die „richtige“ Übersetzung, nein: Auslegung, des „Vater unser“. Wir beten: “…und führe uns nicht in Versuchung“. Es gibt die Meinung, es sollte besser heißen: „und führe uns in der Versuchung“. Der Unterschied ist gravierend. Sind Versuchungen von Gott gewollt und geschickt oder gibt es sie und wir Menschen sind dankbar wenn wir darin geführt werden, Halt und Orientierung haben. Sympathischer ist mir der zweite Gedanke. Da schwingt für mich Psalm 23 mit:
„und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich. „
Dem uns vorliegenden Text des „Vater unser“ (der auf Griechisch ist & ja bereits aus dem Aramäischen, das Jesus gesprochen hat, übersetzt wurde) wird das allerdings nicht gerecht. Da ist die Bitte ganz klar, dass Gott darauf verzichten möge, uns in Versuchung zu führen. In diesem Duktus ist auch die Geschichte von Kain und Gott. Gott legt es darauf an: Wenn Du fromm bist, kannst Du frei den Blick heben, bei aller Ungerechtigkeit, mit der ich Dich drangsaliere. Du musst der Versuchung widerstehen, die Sünde überwinden!
Kain scheitert. Er hat nicht die innere Kraft und Stärke. Führe uns nicht in Versuchung!, fleht man da zu recht!
Ist Gott so unmenschlich? Oder entstehen Zwickmühlen, Versuchungen und Entscheidungen zwischen Pest und Cholera, bei denen man sich nicht richtig entscheiden kann, einfach zwangsläufig? Weil der Mensch einen freien Willen hat? Weil Gut & Böse moralische Kategorien sind, die für Menschen relevant sind, nicht aber für die Natur? Ja, weil man oft gar nicht klar zwischen Gut und Böse unterscheiden kann?
Luther bringt den verborgenen Gott aus Jesaja 45,15 ins Spiel: Gott, den wir mit unseren menschlichen Maßstäben nicht begreifen können. Das bedeutet aber auch, dass ein Erklärungsversuch, Gott wolle Menschen wie den Kain in Versuchung führen um sie zu testen, überhebliches und allzu menschliches Denken ist. Wir können immer nur von unseren Begegnungen mit Gott sprechen. „Ich-Botschaften“ senden und weitergeben. Oft finden wir Geschichten in denen Menschen berichten, sie glauben, dass Gott Menschen in Versuchung führt und in Bedrängnis: Hiob, Abraham, der seinen Sohn opfern soll, oder eben Kain.
Meine Gotteserfahrung ist eine andere & meine Sehnsucht auch: ich vertraue darauf, dass Gott mir in den finsteren Tälern beisteht und mir Kraft geben kann in schwierigen Situationen: und ob ich schon wanderte im finsteren Tal, fürchte ich kein Unglück, denn Du bist bei mir, Dein Stecken und Stab trösten mich.
Der Friede Gottes, der größer ist als unser spärliches Denken, der bewahre Eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Übrigens: Jesus wird vom Teufel in Versuchung geführt.