Johannes 15,13

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Wie gewinnt man eigentlich Freunde? | Joh 15,13 | Reinhard Schmidt-Rost |

Liebe Gemeinde,

das sechste und letzte Plakat der Öffentlichkeitskampagne der EKD zeigt einen Kran,
wie man ihn von jeder größeren Baustelle kennt, einen hohen
Mast und einen langen Ausleger.

Auf dem blauen Himmel, der auf allen Plakaten dieser Reihe ähnlich zu finden war,
steht wieder eine Frage:

Wie gewinnt man eigentlich Freunde?

Mit den richtigen
Turnschuhen
mit Intrigen
mit dem Herzen
mit der Kreditkarte.

Lassen Sie uns gemeinsam Antworten finden:
Evangelische Kirche in Deutschland.

Liebe Gemeinde,

gestern klebte hier aber noch ein anderes Plakat
„Wohin wollen Sie eigentlich?“ hatte sie gestern gelesen,
bisher nie auf die Tafel geachtet
– und im Kreisverkehr fast die Ausfahrt verpaßt,
auf der Heimfahrt von der Arbeit,
die ihr Spaß machte, aber wenig Entwicklungsmöglichkeiten bot;
sie wollte heute noch einmal genau hinschauen,
wer solche Fragen als Werbung aufhängt –
sie hatte die Frage jedenfalls gleich auf ihre Berufspläne bezogen,

aber nun stand auf der Plakatwand: „Wie gewinnen Sie eigentlich Freunde?“
und irgend etwas Kleingedrucktes drunter,
das konnte sie im Vorbeifahren nicht lesen.

Freunde, ja sie hatte ein paar Freundinnen, aber gewonnen hatte sie die nicht.
– Ihre beste Freundin in der Firma war mit ihr in die gleiche Klasse
gegangen,
ihre gemeinsamen Interessen hatte sie erst in der Ausbildung entdeckt,
Kegeln und Radfahren
– ihre Klassenkameradin, mit der sie so viel zusammengemacht hatte,
die lebte jetzt in den USA, verheiratet, drei Kinder, ob die wohl glücklich
war?
– Sie selbst hatte einen Freund,
vielleicht das, was man Lebensabschnittpartner nennt,
vielleicht würden sie mal heiraten.
Aber gewonnen hatte sie den auch nicht, weder beim Kegeln noch beim
Lotto,
Sie hatten sich gefunden, aber doch nicht gewonnen.

Liebe Gemeinde,

Freunde gewinnt man nicht, Freunde findet man!

Mir gefällt das Plakat nicht, und je länger ich darüber nachdenke, um
so mehr ärgert es mich:

Erstens habe ich mir meine Freunde noch nie ausgesucht, sondern sie sind mir begegnet,
ich habe sie getroffen, in der Schule, im Studium, bei Tagungen, oder
sie waren schon immer in meiner Nähe und ich habe sie erst nach
und nach als Freunde erkannt. Manchmal habe ich gleich gewußt:
Das ist ein Mensch, mit dem Du gerne ganz oft zusammen sein möchtest,
aber auch den habe ich dann nicht bewußt für mich gewonnen,
es war eben Zuneigung auf den ersten Blick.

Freundschaft entwickelt sich, wie man in der Bibel nachlesen kann, – wo übrigens ganz selten
von Freundschaft die Rede ist, nur die Sache wird in einigen Geschichten
beschrieben.
David, der Hirtensohn, und Jonathan, der Königsohn, das prominenteste
Freundespaar der Bibel – selbst in ihrer Geschichte wird das Wort Freundschaft
nicht erwähnt.
Und Ruth war erst die Schwiegertochter, ehe sie Naomis Freundin wurde,
aber auch dort kein Wort von Freundschaft; ganz zu schweigen von Jesus
und seinen Jüngern. Die waren erst seine Schüler, ehe sie
seine Freunde wurden, – und ob sie sich wirklich alle Jesus freundschaftlich
verbunden fühlten? Oder waren doch nur Jesus und Johannes so richtig
ein Herz und eine Seele? Jedenfalls stellt sich nur der Evangelist Johannes
den Jüngerkreis auch als einen Freundeskreis vor. Der Evangelist
Lukas kennt zwar das Wort Freund, aber er gebraucht es für Nachbarinnen,
Arbeitskollegen und Altersgenossen (wie in den Gleichnissen vom verlorenen
Groschen und vom verlorenen Sohn nachzulesen ist.)

Mir schmeckt das Plakat aber noch aus einem anderen Grund nicht: Die Antwort ist mir
zu klar. Wenn man überhaupt von „gewinnen“ reden will,
was ich – wie gesagt – falsch finde, dann muß die richtige Antwort
natürlich lauten: Man gewinnt Freunde mit dem Herzen, alles andere
wäre unangemessen, würde die Freundschaft in den Schmutz ziehen.

Freunde mit der Scheckkarte oder mit Intrigen gewinnen, so viel weiß man doch
aus der eigenen Erziehung gerade noch: Das kann gar nicht gemeint sein!
Und die Sportsfreundschaft erscheint in dieser Zusammenstellung gegenüber
der Herzensfreundschaft auch als minderwertiger. Hier wird bürgerliche
Moral gepredigt, und zwar ziemlich unverhüllt: Sucht euch nicht
Freunde mit unmoralischen Mitteln, es wären doch nur die falschen
Freunde.

Eine solche Moralpredigt ist plump und durchsichtig. Ich will deshalb lieber darüber nachdenken,
warum es in einer mobilen Gesellschaft so schwer ist, Freundschaften
zu pflegen und zu bewahren – und ich will davon träumen, wie schön
eine Freundschaft sein kann.

Damit komme ich zu meinem dritten Anstoß: Eine Freundschaft ist kein Haus, das
ich Stein für Stein aufbaue oder in Beton gieße – mit einem
großen Kran. Freundschaft ist eher eine Pflanze, die wächst,
blüht und gedeiht, – oder eben vertrocknet, wenn sie nicht gegossen
wird, oder im Keim erstickt. Sie kann wachsen, wo niemand es vermutet
hat, wie ein Baum in einer Felsspalte, sie kann Frucht bringen, schnell
oder nach langen Zeiten der Fruchtlosigkeit … aber eine Freundschaft
aufbauen? Das kann ich mir nicht vorstellen, pflegen ja, aber aufbauen
nach Plan? Das nicht. Meine Freundschaften sind aus gemeinsamen Interessen
entstanden, sind mir im Studium und durch die Musik zugewachsen, haben
sich auf Reisen, durch Briefe – und neuerdings durch e-mails – vertieft.
Auch durch meine Gemeindearbeit habe ich ein paar sehr gute Freunde
gefunden.

Liebe Gemeinde,

die Bibel kommt nur an einer Stelle ausdrücklich und ernsthaft
auf die Beziehung unter Freunden zu sprechen. Im Johannes-Evangelium
sagt Jesus zu seinen Jüngern beim Abschied:

Es gibt keine größere
Liebe, als wenn jemand sein Leben hingibt für seine Freunde. Joh. 15,13

Das ist zunächst
ein Satz über die Liebe; sein Leben einzusetzen für andere
ist der größtmögliche Liebesbeweis. Aber es ist auch
ein Satz über die Freundschaft: Sie kann so tief verbinden, dass
ein Mensch für einen anderen sein Leben hinzugeben bereit ist.
Jesus bezeichnet mit diesem Satz seinen Einsatz für seine Jünger
und dann für alle Menschen.

Ich würde nun wiederum davon abraten, ein moralisches Vorbild aufzurichten, nach
dem Motto: „Mach es wie Jesus!“ – setzt Dein Leben ein für
Deine Freunde. Dieser Anspruch ist mir viel zu hoch; er stellt jede
gute alltägliche Freundschaft in den Schatten.
Gewiß hat dieses Edelbild von Freundschaft nicht nur den Evangelisten
Johannes, sondern auch die Tradition der deutschen Klassik auf Ihrer
Seite.

Das Loblied der Freundschaft ertönt ja immer dann, wenn sich andere soziale Ordnungen
auflösen, wenn die Nachbarschaften und Verwandtschaften weniger
Halt bieten als allgemein üblich.

Das war in der Zeitenwende nach Christi Geburt so, wie man es im Johannes-Evangelium
spüren kann, das war aber auch in der Aufklärung, in der Blütezeit
des mitteleuropäischen Bürgertums um 1800 ähnlich:

Friedrich Schiller hat der idealen Freundschaft, die das Leben für einen Freund hinzugeben
bereit ist, in einer berühmten Ballade eine packende Gestalt gegeben,
die dem Johannis-Evangelium durchaus vergleichbar ist: „Die Bürgschaft“
erzählt, wie der Plan, einen Tyrannen zu ermorden, vereitelt wird;
der bedrohte Tyrann aber großmütig dem Attentäter drei
Tage Freiheit gewährt, um eine dringende Familienangelegenheit
zu regeln, nachdem er einen Freund als Bürgen gestellt hat: „Ich
laß Dir den Freund hier als Bürgen, ihn magst du, entrinn‘
ich erwürgen.“

Ich bin so alt, dass ich dieses Gedicht noch in der Schule auswendig lernen mußte,
– und deshalb auch das Happy End der Story kenne: Der Attentäter
kehrt gerade noch rechtzeitig aus seiner Heimat zurück, wo er die
Eheschließung seiner Tochter herbeigeführt hatte, ehe er
selbst für den Tyrannen-Mordversuch sühnen und seinen Freund,
der für ihn gebürgt hat, wieder auslösen will.

Der Tyrann aber bringt jetzt wider alle Erwartung nicht etwa beide, Attentäter
und Bürgen, um, sondern zeigt sich von der Treue der Freunde derartig
überrascht und bewegt, dass er die Hinrichtung des Attentäters
aussetzt und die beiden Freunde bittet, ihn an ihrer Freundschaft teilhaben
zu lassen: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in Eurem Bunde
der Dritte“.

Dieses Hohelied auf die Freundschaft könnte man noch musikalisch ausgestalten durch
den von Beethoven komponierten Kanon: „Freundschaft ist die Quelle
wahrer Glückseligkeit.“

Das Hohelied der Freundschaft wird gesungen, seit sich die Lebensformen der Ständegesellschaft
mehr und mehr aufgelöst und die familiären Bindungen gelockert
haben. Seit der Blütezeit des Bürgertums im 18. Jh. und erst
recht in der Romantik wurde „Freundschaft“ immer mehr zu einer
bevorzugten Lebensform, auch die französische Revolution hat die
„fraternité“, die brüderliche Freundschaft, zu
einem ihrer zentralen Gedanken gewählt.

Liebe Gemeinde,

moderne Menschen werden nun fragen: Hat nicht die brüderlich-bürgerliche
Freundschaft die christliche Geschwisterlichkeit abgelöst. Und
solche, die noch moderner denken, werden um so kritischer nachlegen:
Sind nicht Geschwisterlichkeit in christlichen Gemeinden und Freundschaften
in bürgerlichen Vereinen längst aufgelöst durch die Isolierung
in einer Gesellschaft von lauter Einzelnen? Das mag so scheinen, und
ist vielleicht auch für viele Menschen so.

Die starken Klammern aller Freundschaft aber sind Grundgedanken des christlichen Glaubens:
Miteinander teilen und Vergebung.
Interessen binden und Zuneigung hält zusammen, aber auf Dauer hält
eine Freundschaft nur, wenn die Beteiligen bereit sind, ihre Erfahrungen,
ihren Besitz, ja ihr ganzes Leben miteinander zu teilen und wenn sie
nicht nachtragend sind, wenn sie sich gegenseitig vergeben können,
was sie aneinander schuldig geblieben sind. Aus der Vergebung aber erwächst
die Hoffnung, dass die Freundschaft andauern kann.

Liebe Gemeinde,
ob die Frau im Kreisverkehr noch einmal hochschaut, wenn sie in der
nächsten Woche wieder an diesem Plakat vorbeifährt? Von Vergebung
und Hoffnung wird sie da nichts lesen, auch nicht im Kleingedruckten.
Schade.

Ich hätte auf das Plakat lieber den Satz geschrieben, der bei Gottesdiensten zur
Hochzeit dem Brautpaar vorgelesen wird, obwohl er für die Christen
in einer der frühen Gemeinde zur Befestigung ihrer Freundschaft
geschrieben war, weniger anspruchsvoll als bei Johannes, Schiller oder
Beethoven, aber schwer genug:

„So zieht nun an als die von Gott Auserwählten (also als Gemeinde von Christen)
herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Ertragt
euch und vergebt einander, wenn einer Klage hat gegen den andern. Wie
der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber
zieht an die Liebe, die das ist das Band der Vollkommenheit.“

Das ist eine gute Gesprächsgrundlage mit meinen Freundinnen und Freunden über
unsere Freundschaft.

Amen.


Vielleicht kann in einem Gottesdienst das folgende Gebet gesprochen
werden; das Büchlein, dem es entnommen ist, enthält weitere
Anregungen zum Thema Freundschaft.


Gebet:
„Herr, wir wollen dir danken, dass es wahr ist: Du bist gekommen,
und du hast uns erwählt. Wir wären darauf gar nicht gekommen.
Aber du hast uns erwählt, und du willst aus uns etwas machen und
willst uns erfüllen mit deinem ewigen Ja in Ewigkeit.

Herr, du bist gekommen und hast uns dein Leben gelassen, damit auch wir fähig werden,
von unserer Freude anderen abzugeben auf vielfache Weise: durch Nachdenken,
durch Schulung, durch Übungen, aber auch durch Lachen.

Herr, so laß uns mit großer Freude zu deinem heiligen Mahl gehen und verschenke
dich uns von Neuem. Es gibt keine größere Liebe, als dass
du dich uns verschenkst. Und wo immer wir dann wieder mit Menschen zusammenkommen,
dass wir ihnen ein bißchen davon abgeben, auf vielfache Weise.
Gelobt sei dein Name. Amen.“

(aus: K. Vollmer,
Von Gott zum Freund erwählt, in: J. Cornelius-Bundschuh, R. Hempelmann,
K. Schulz, K. Vollmer, Gott als Freund? – Wesel 2000, S. 102f.)


Prof. Dr. Reinhard
Schmidt-Rost, Bonn
Professor für Praktische Theologie und Universitätsprediger

an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität
E-Mail: r.schmidt-rost@uni-bonn.de