„Sind Fußballer unsere wahren Götter?“

· by predigten · in Aktuelle (de), Archiv, Beitragende, Deutsch, Klaus-Peter Weinhold, Predigten / Sermons

Predigten zur EKD-Initiative – „Sind Fußballer unsere wahren Götter?“ Anregungen für einen Gottesdienst | Klaus-Peter Weinhold |

Das Spiel ist in seiner Wurzel die Hoffnung auf ein glückliches Leben. (Hugo Rahner)

Gemeinsam feiern … Zeit für Besinnung und Bewegung

Ein Gottesdienst
im Monat der Fußballweltmeisterschaft ist ein guter Anlass, Menschen
aus den örtlichen Sportvereinen einzuladen, um mit ihnen einen
sportbezogenen Gottesdienst zu feiern und in seiner thematischen Ausrichtung
abzustimmen. So kann eventuell schon im Einladungsbrief zu einer Vorbereitungsrunde
bzw. an die Vereinsvorsitzenden darauf hingewiesen werden, dass die
evangelische Kirche mit dieser Fragestellung nach den säkularen
Göttern in unserer modernen Welt nicht fußball- oder sportfeindlich
ist, sondern gerade die Bedeutung von Spiel, Sport und Bewegung für
die Herzen und Gefühle vieler Menschen anerkennt. Fußballcafés
mit einer Großbildleinwand können zum gemeinsamen Zuschauen
einladen, Kleinfeld-Turniere für Kinder und Jugendliche können
den Hunger nach Bewegung und ‚Nachspielen‘ stillen; dabei braucht der
Fußball überhaupt nicht im Mittelpunkt stehen; vielfältige
Sportspiele mit betont kommunikativem Charakter bieten eine lohnende
Alternative, gemeinsam einen (halben) „Tag der Begegnung mit Besinnung
und Bewegung“ zu verbringen. Die Einladung an Kinder, Jugendliche
und auch Erwachsene kann schon auffordern, zu diesem Gottesdienst einmal
im Trikot, Trainingsanzug oder beliebten Sportdress aufzutauchen; zusätzlich
ist die Kirche mit Bällen, Netzen, Schlägern und anderen Sportutensilien
geschmückt.

Bausteine für einen sportbezogenen Gottesdienst

– Lieder und Musik

Die Lieder und
die Musik sollten etwas von der dritten Dimension des Betens, nämlich
des Tanzes, erzählen und dazu anstiften, in ihrem Rhythmus zu klatschen,
zu schwingen und sich zu bewegen. Spirituals und Gospelsongs wie ‚He’s
got the whole world in his hand‘ oder die ‚Halleluja‘-Lieder haben sich
in der Praxis bewährt (z. B. wechselseitiges Aufstehen bzw. Hinsetzen).
‚Gott gab uns Atem‘ oder ‚Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und
Händen‘ erzählen unmittelbar vom Geschenk unseres Körpers.
Von den modernen Liedern animiert ‚Was macht, dass ich so fröhlich
bin in meinem kleinen Reich? (Hans Dieter Hüsch) zum Hüpfen
und Drehen. Da wir nicht nur die befreiende Bewegung brauchen, sondern
auch die schöpferische und beschenkende Ruhe, haben z. B. auch
Taizè-Gesänge wie das ‚Kyrie eleison oder ‚Laudate omnes
gentes‘ ihren Platz. Ein bewegungsfreundlicher Gottesdienst lädt
zum Mitteilen und Mitmachen ein, daher sind Kanons besonders geeignet.
Auch die Ohrwürmer wie ‚Danke für diesen guten Morgen‘, ‚Die
güldene Sonne‘ oder ‚Geh aus mein Herz‘ haben in dieser offenen,
volkskirchlichen Situation nichts von ihrer Beliebtheit verloren. Glaubensbekenntnis
und Vaterunser gesungen sowie die bekannten Segenslieder wie ‚Komm Herr
segne uns‘ oder ‚Bewahre uns Gott, behüte uns Gott‘ vermitteln
wohltuend und beachtet die Verbindung von Vertrautem und Neuem.

– Biblische Texte und Lesungen

Neben den Heilungsgeschichten
des Neuen Testaments (Heilung eines Gelähmten, eines Blinden, eines
Gichtbrüchigen, eines Aussätzigen etc.), die eindrücklich
von der körperlichen Nähe Jesu berichten, gibt es auch ‚Bitten
und Ermahnungen‘ an die jungen Gemeinden, die von Freude, Herzlichkeit
und sorgsamen Umgang erzählen (Römer 12,3-8 / Mannschaft;
Philipper 3,12-14 / Zielorientierung oder Philipper 4,4 -7 / Freude;
Epheser 2,13-22 / Mitbürger statt Fremde; 1. Korinther 12,12-31
/ Leib und Glieder; Kolosser 3,9-14 / Liebe als verbindendes Band).

Für die anthropologischen
Dimensionen kann man zurückgreifen auf Genesis 1,26-28; Psalm 8;
1. Korinther 3,17 oder 2. Korinther 5,17. Einer der Klassiker der eher
spärlichen ’sportbezogenen‘ NT-Bilder/Texte aus dem 1. Korintherbrief
9,24-27 thematisiert zwar nicht das Spielen, spricht aber positiv vom
Einsatz und der Zielperspektive im Leben.

Ein ’sportbezogener‘
Gottesdienst kann sowohl sehr elementar und weit die Freude an Bewegung,
an gemeinsamem Spiel und dem Geschenk unserer Leiblichkeit zum Ausdruck
bringen, wie er ebenso das Thema Spiel mit der konkreten Situation Fußball
bzw. Weltmeisterschaft fokussieren kann.

– Gebete aus der Welt des Sports

Herr, ich freue
mich,
dass ich Sport treiben darf.
Nirgendwo sonst spüre ich
so deutlich,
dass ich nicht einen Leib habe,
sondern Leib bin;
für diese glückliche Erfahrung
danke ich Dir.

So erlebe ich mich
in Lauf und Bewegung,
in Spiel und Wettkampf,
in Übung und Leistung,
in Sieg und Niederlage.
Immer bin ich ganz beteiligt
mit Körper und Geist,
mit Leib und Seele,
mit Haut und Haaren,
mit Hand und Fuß.

Deshalb bitte ich
dich:
Halte mich in Höhen und Tiefen.
Gib mir Bereitschaft und Ausdauer.
Bewahre mir Freude und Gesundheit.
Schenke mir Zuversicht und Frieden.
Lass mich am Ende meines Lebens
den Siegespreis erringen,
den du allem fairen Mühen und Kämpfen
verheißen hast. Amen.

Zu unserem Herrn,
der uns beschenkt und begleitet, beten wir voll Vertrauen:

– für alle
Christen: dass sie durch Gottes Wort ermutigt
werden, für andere dazusein.
– für die Verantwortlichen in der Politik und in den
Medien: dass sie die Würde aller Menschen achten
und zur Verständigung der Völker beitragen.
– für alle Sportlerinnen und Sportler: dass sie gesund und verantwortungsbewusst,
zuversichtlich und hilfsbereit bleiben.
– für die Betreuerinnen und Betreuer und für alle, die in
den Sportverbänden eine Funktion übernommen haben: dass sie
fair und rücksichtsvoll miteinander umgehen und die „Sorge
um den Menschen“ zu ihrem Hauptanliegen im Sport machen.

Um all das bitten
wir dich, Herr, denn du bist der Freund der Menschen. Dich preisen wir
in Ewigkeit. Amen

Herr, du weißt,
dass ich etwas leisten will,
natürlich möchte ich, dass mir etwas gelingt.
Niemand verachtet den Erfolg.
Doch manches lässt sich nicht erzwingen,
auch nicht, wenn ich darum bitte.
Ich gebe zu, ich brauche dich,
wenn ich vor einer Leistung stehe,
wenn ich unsicher bin und nicht weiß,
ob die Sache gelingen wird.
Ist es gelungen, bist du oft schnell vergessen,
hatte ich Pech, finde ich dich auch nicht mehr.

Gib, dass ich nicht
nur auf mich sehe,
auf mein Tun, meinen Erfolg!
Hilf, dass ich anderen helfen kann,
für sie etwas leiste.
Lass mich nicht nur auf das sehen,
was mir fehlt, sondern dankbar
für das sein, was du mir gibst. Amen

Lehre mich, o Herr,
die Regeln des Spiels zu achten.
Lehre mich, o Herr, bescheiden zu sein,
wenn es schief geht, nicht traurig zu werden.
Hilf mir, dass ich unterscheiden lerne
zwischen echter Leistung und Angeben.
Gestatte mir nicht, dass ich auf billiges
Lob höre oder es austeile.
Lehre mich die hohe Kunst zu siegen,
wenn es meine Kraft mir eingibt.
Wenn ich aber nicht zu siegen vermag,
dann vor allem erhöre mein Gebet.
Lass mich die Niederlage mit Würde
und Gelassenheit ertragen.
Du, o Herr, bist mein Sieg! Amen (Aus dem Schwedischen)

Predigtgedanken

Sind Fußballer
unsere wahren Götter?
Jedes Fußballspiel ist ein Fest der Gefühle. Die runde Kugel
bewegt nicht nur die 22 Akteure auf dem grünen Rasen, Fußball
bewegt unsere Herzen auch als Zuschauer: Da werden ‚Helden in den Himmel
gehoben‘ und andere als ‚Versager verdammt‘, Rituale und Symbole werden
gepflegt, es wird viel über Gerechtigkeit, Zufall und Glück
diskutiert, Tränen der Freude oder der Enttäuschung fließen
– selbst vom Fußballgott ist die Rede. Hinter den Spruchweisheiten
wie ‚Der Ball ist rund‘ oder ‚Neues Spiel – Neues Glück‘ – steckt
eine tiefere Botschaft. Es ist der Wunsch nach Verwandlung des Alltags,
nach Unterbrechung von Arbeit und Eintönigkeit, nach Partizipation
und Großartigkeit – wenigstens für die 90 oder 120 Minuten
des Spiels. Die Begeisterung für den Fußball hat für
viele Fans fast religiöse Qualität. Schals, Mützen und
Trikot weisen die Konfession aus und die liturgischen Gesänge im
Stadion bekunden die Bewunderung für die eigenen Stars oder die
Verachtung der anderen Mannschaft.

So offen und frei,
so beweglich, dramatisch und eben nicht festgelegt wünschen wir
uns unser Leben – eben spielerisch. Das Spiel unterbricht die Zeit,
lässt uns Stress und soziale Schranken vergessen, schafft einen
eigenen Rhythmus der Woche bzw. des Jahres und bildet neue, bewegte
‚Samstags‘-Gemeinden. Selbst ein ‚Fußballmuffel‘ wird sich der
Weltmeisterschaft nicht ganz entziehen können; sie ist Thema.

Mögen die
Spiele auch Millionen Zuschauer vor den Fernsehschirm im eigenen Wohnzimmer
locken, wichtiger noch ist aktives Sporttreiben und die Einsicht: Sport
verbindet – alt und jung, über Kulturgrenzen und Sprachbarrieren
hinaus. Deshalb ist es gut, wenn in verschiedenen Gemeinden neben Gottesdiensten
auch Turniere, Cafés und Großleinwände fürs gemeinsame
Zuschauen vorbereitet sind.

Sind Fußballer
unsere wahren Götter? Wer hinter die Kulissen des Spitzensports
blickt, entdeckt Menschen „wie du und ich“: mit Stärken
und Schwächen, Hoffnungen und Befürchtungen, Erfolgen und
Niederlagen, kleinen Eitelkeiten und großen Sehnsüchten und
Träumen.

Sportidole werden
sie durch ihre Leistungen; manchmal rückt sie ihr Verdienst in
schwindelnde Höhen. Die Medien transportieren sie uns ganz nahe:
wir nehmen teil an den Stufen einer Erfolgsleiter, die anderen ein Leben
lang versperrt bleiben, wir spüren den Erwartungsdruck und ahnen
etwas von der extremen Belastung. Fußballer müssen nach bitteren
Niederlagen die Kraft zum Weitermachen finden, Sieg und Niederlage liegen
dicht beieinander. Als „Götter“ sind sie allemal überfordert.
Oliver Kahn, der Torhüter des FC Bayern und der Nationalmannschaft,
antwortete auf die Frage nach dem „Fußball-Gott“ einmal:
„Es gibt nur einen Gott“ – und er wies himmelwärts; eine
weise Geste und Haltung wie mir scheint.

Ich mag Fußball,
ich liebe dieses Spiel. Ob nun die Freude an seiner Ästhetik, an
Begeisterung und Spannung, an Aufstiegs- oder Abstiegsdramen – die Palette
der Leidenschaften ist bunt. Fußball als ‚Religion‘ zelebriert
weist in der Tiefe auf die Hoffnung der Verwandlung des Alltags, auf
die Sehnsucht nach einem Gott zum Anfassen hin. Aber die Frage „Woher
gewinne ich Orientierung für mein Leben?“ hat noch einen weiteren
Horizont.

Fußball ist
unser Leben – sang die Nationalmannschaft vor Jahren. Wo Fußball
Beruf ist, stimmt das vordergründig. Aber unser Leben ist mehr
als Fußball. Gerade wer im Spitzensport früh Erfolge feiert,
merkt bald, dass Geld und Medaillen allein noch kein erfülltes
Leben garantieren. Und wer bittere Niederlagen durchleiden muss und
dabei von der Öffentlichkeit scharf kritisiert wird, der fragt
stärker als andere nach einem festen Halt im Leben. Sport kann
einen wertvollen Beitrag zu einem zufriedenen, sinnerfüllten Leben
leisten. Aber er allein reicht nicht aus: wenn das Spiel aus ist, bleibt
die Frage nach Gott bestehen. Spitzensportler sind Vorbilder, aber eben
keine „Götter“. Mit der Frage nach den säkularen
Göttern in einer entchristlichten Gesellschaft geschieht ein Stück
‚Entdämonisierung‘ und ‚Entlastung‘: sie lässt den Zauber
des Fußballspiels unbenommen, aber die Promis sympathischer und
menschlicher werden. Wo Fußball die schönste Nebensache der
Welt bleibt, ist auch der Erfolg kein Problem, weil sich keiner über
den anderen zu erheben braucht und die ‚Kicker‘ mit ihrer himmlischen
Technik die richtige Bodenhaftung behalten. Kann die Teilhabe am einem
Sieg der eigenen Mannschaft die hundert Niederlagen des Alltags ersetzten?
Wo die großen Stars unserer Fest- und Feierkultur ‚entgöttert‘
werden, wächst die Chance, unser Berufs- und Alltagsleben in all
seiner Unvollkommenheit menschlich anzunehmen.

Lebens(t)raum Fußball in der einen Welt

Wenn ich könnte,
gäbe ich jedem Kind
eine Weltkarte …
Und wenn möglich,
einen Leuchtglobus,
in der Hoffnung,
den Blick des Kindes
aufs äußerste zu weiten
und in ihm
Interesse und Zuneigung zu wecken
für alle Völker,
alle Rassen,
alle Sprachen,
alle Religionen. (Helder Camara)

Wie unterschiedlich der „weltumschließende Ball“ das
Leben und den Alltag mit seinen Träumen und Lasten bestimmt, kann
z. B. über kurze Lebensbeschreibungen von drei gleichaltrigen Jungens
(ca. 12 Jahre) erzählt werden:

Süd- und Mittelamerika:
z. B. Pedro lebt in Kolumbien – hat keine Ausbildungschance – ernährt
sich von kleinen Handlangerdiensten – schläft in einer der Vorstädte
von Bogota – aber er spielt Fußball. Der selbstorganisierte Straßenfußball
ist sein Zuhause – ‚overcome violence‘ – Fußballspielen als erster
Schritt gegen Tritte und Gewalt – gegen Kriminalität und Drogen
– Fußball als sozialer Haltepunkt. Der Traum vom sozialen Aufstieg
ist für die allermeisten südamerikanischen Fußballer
(z. B. Brasilien) bis heute nur über den Fußball möglich
– für die Situation in den afrikanischen Ländern gilt Vergleichbares.

Pakistan/Indien/Asien:
Alim sitzt 12 Stunden an seinem kleinen Tisch und näht Fußbälle
– über 90% aller Fußbälle kommen aus seinem Land – hergestellt
in Handarbeit – für Alim selbst bleibt nur ein Hungerlohn (hier
kann von den Lebensbedingungen von Kindern und Jugendlichen in Indien
oder Asien sowie von den Projekten gegen Kinderarbeit berichtet werden).
Zum Arbeiten alt genug – zum Spielen keine Zeit – manchmal träumt
Alim davon, einer von denen zu sein, die es geschafft haben und jetzt
mit seinen Bällen spielen. (Weitere Informationen zu ‚fair‘ hergestellten
Sportartikeln über Christliche Initiative Romero, Tel.: 0251 /
89503; Fax: 0251 / 82541; e-mail: ci-romero@t-online.de). Wer ein Fußballturnier
mit Konfirmanden und Jugendlichen plant, kann auf fair gehandelte Fußbälle
(GEPA) zurückgreifen.

Deutschland/Europa:
Daniel ist 12 Jahre alt und schläft in der weißblauen Bettwäsche
seines Lieblingsvereins. Jeden Samstag geht er mit seinem Vater in die
Arena auf Schalke – dann ist die Schule und die ganze Woche vergessen
– es sind die schönsten Stunden mit seinem Vater, den er sonst
wenig sieht. Daniel lebt bei seiner Mutter allein – seine Eltern sind
getrennt. In ein paar Jahren wird er auch zu den Fans gehören,
die in der ‚weißblauen Kluft‘ Ihre Mannschaft zu jedem Auswärtsspiel
begleiten. Fußball als Identifikationsmöglichkeit – als soziale
Klammer – als Rhythmisierung der Woche etc.

Drei Jugendliche
– drei Kontinente – drei Schicksale – und sie sind alle auf ihre Weise
mit dem Fußball verbunden. Fußball ist Spiel – lässt
uns den Alltag vergessen – aber Fußball ist auch ein Millionenspiel
– und nimmt uns mitten hinein in die Realitäten der ‚einen‘ Welt.
Fußball ist eingebettet in soziale und kulturelle Zusammenhänge
– ist globaler Handels- und Medienmarkt – aber auch Thema einer Weltgesellschaft
– ist Sehnsucht nach authentischen Lebenserfahrungen – nach Einmaligkeit
und Größe.


OKR Klaus-Peter
Weinhold
Sportpfarrer der EKD