Predigten zur EKD-Initiative

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Wohin wollen Sie eigentlich? | Predigten zur EKD-Initiative | Juli 2002 | Klaus-Dieter Kaiser |

Wohin wollen Sie
eigentlich? Eine Frage, die sich ganz selbstverständlich aufdrängt
im Gedränge der Menschen auf den Strassen und in den Bahnhöfen
in diesen Tagen. Sommerzeit ist Urlaubszeit. Eine Zeit des Unterwegsseins.
Zeit des Aufrechens zu unbekannten Ufern und in ungeahnte Höhen.
Zeit des Ausruhens, Zeit des Abschaltens. Zeit, um bei sich selbst anzukommen.

Das Juli-Plakat
der EKD-Initiative 2002 spielt mit unseren Assoziationen in diesem schönsten
Wochen des Jahres. Zwei Seilbahngondeln am Himmel. Für einen kurzen
Moment sind sie zu sehen, gleich verschwinden sie am Bildrand in ihrer
Abwärts- und Aufwärtsbewegung. Welche Richtung jede der beiden
Kabinen nimmt ist aber nicht auszumachen. Wissen Sie, wo es langgeht?
Wenn sie in einer solchen Kabine sitzen, wäre es schon gut, zu
wissen, in wohin die Reise geht. Dazu ein Himmel voller Bewegung. Ständig
verändern sich die Wolkengebilde. Alles ist im Fluss, nichts steht
mehr still. Grenzenlose Offenheit zeigt uns dieser aufgerissene Himmel.
Nicht einmal Antwortvorgaben zum Festhalten gibt es auf diesem Plakat.
Ein weiter Horizont öffnet sich hier, fixiert nur für einen
Augenblick, wie bei einem Urlaubsschnappschuss: Wohin wollen Sie eigentlich?

Möglichst
weit weg! An einen Ort ohne Handys, ohne Staus, ohne Termine. Weg von
den Sorgen des Alltags; seinen Verstrickungen, dem ständigen Entscheidungsdruck,
ja auch alles richtig zu machen und es jedem Recht zu machen. Einfach
mal Innehalten und Abstand gewinnen. Sich treiben lassen in den Wolken.
Der Blick weitet sich. Wir gewinnen dadurch einen neuen Überblick
und lassen zugleich die Seele baumeln. Sich endlich frei und ungebunden
fühlen. Ein Drahtseilakt der Balance. Für ein paar Tage den
Himmel auf Erden genießen. Denn über den Wolken, da muss
die Freiheit wohl grenzenlos sein. Und wir mittendrin: Wohin wollen
wir eigentlich? Wohin soll die Reise gehen?

Die Bibel ist voll
von solchen Aufbruchsgeschichten. Denken sie an Abraham oder an Mose.
Geschichten des Reisens. Es beginnt mit dem sich auf den Weg machen,
um in unbekannte Regionen vorzudringen. Zunächst muss der Schritt
ins Offene gewagt werden. Auf ein Wort vertrauen und sich mit den Seinen
auf den Weg machen. Davon erzählen uns die biblischen Geschichten
immer wieder. Und dann unterwegs, dann gilt es sich immer neu zu versichern,
ob man noch auf dem richtigen Weg ist oder ob man sich schon verirrt
hat. Ist es der rechte Weg, den ich eingeschlagen habe? Wohin wird die
Reise gehen? Was erwartet mich dort am Ende? Wenn dann langsam die Zweifel
kommen, ob dieser Weg zum Ziel führt, wenn der Blick dann sehnsüchtig
zurückgeht zu den vermeintlich goldenen Zeiten, weil die Unsicherheit
des Reisens doch nicht mehr auszuhalten ist, denn kriecht die Unsicherheit
langsam herauf. Ein unangenehmes Kribbeln wie wir es fühlen, wenn
mitten in der Bewegung die Seilbahn plötzlich stockt, nichts mehr
vor oder zurück geht. Und unter uns ein tiefer Abgrund, der schöne
helle Himmel mit seiner weiten Aussicht tröstet uns dann auch nicht.
Und zum Schluss das Ankommen, oft überraschend, weil man sich das
Ziel so ganz anders vorgestellt hat. Oder wie Mose, es selbst gar nicht
mehr erreicht, es nur von Ferne erahnen kann.

Solche Reisegeschichten
sind zugleich immer Geschichten des Zweifels und des Vertrauens. Geschichten,
die davon erzählen, wie Menschen das Leben wagen, weil sie sich
von Gott begleitet wissen und sich mit allem was sie haben, darauf verlassen.
Verlässlichkeit und Wagnis gehören zusammen. Davon erzählt
uns die Bibel immer wieder. Wohin wollen wir eigentlich zwischen Zweifel
und Wagnis, zwischen Vertrauen und Verlässlichkeit? Wohin mag die
Reise unseres Lebens gehen?

Immer wieder taucht
sie dann auf, diese Frage: Wohin willst Du eigentlich? Schon beim Losgehen.
Wer aufbricht, der braucht ein Ziel, eine Richtung, in der er gehen
möchte. Ist es überhaupt sinnvoll, das Vertraute zu verlassen?
Die eigene Trägheit gilt es zu überwinden, und das nicht nur
zur Ferienzeit. Denn wer aufbricht, bricht auch mit bisherigen Sicherheiten.
Da gehört schon eine ganze Portion Mut und Vertrauen dazu, mitzugehen,
einzusteigen, wenn die Reise losgeht. Abraham, Mose und auch die Jünger
um Jesus wissen um die Schwere einer solchen Entscheidung. Ihr Aufbruch
ist etwas anderes als eine Urlaubsfahrt mit Reiserücktrittsversicherung.
Wer aufbricht, und schaut ängstlich zurück, der wird wohl
nie heil ankommen. Frei hängen die Gondeln der Seilbahn am dünnen
Draht. „Aussteigen während der Fahrt verboten“ lesen
wir über der Kabinentür, als bedürfe es noch dieses Verbotes.
Wir sind ja schließlich nicht lebensmüde. Und dennoch hat
es immer wieder Menschen gegeben, die eingestiegen sind, die sich ohne
wenn und aber auf die Zusage Gottes eingelassen haben, er werde sie
auf rechter Strasse führen. Einsteigen und die gewonnene Freiheit
genießen.

Aber nur wenn wir
wirklich wissen, wohin wir wollen, werden wir diesen schwankenden Kabinenboden
betreten. Darauf vertrauend, dass nicht nur auf der Ausgangsstation
das Stahlseil fest verankert ist, sondern auch an der Zielstation. Und
dass das Seil fest genug ist, um nicht zu reißen. Damit wir sicher
ans Ziel kommen. Allein in diesem Vertrauen machen sich Menschen auf,
gehen mit Jesus. Sie lassen alles Vertraute hinter sich, lassen los,
weil sie wissen, wohin sie wollen an seiner Seite. In seiner Nähe
finden sie die Antwort auf ihre eigene Frage: Wohin will ich eigentlich?

Und dann unterwegs:
Immer wieder suchen die Augen nach Halt, wenn wir frei über dem
Abgrund schweben. Mit festem Griff umklammern wir die Haltestangen in
der Seilbahn. Vorsichtig geht unser Blick in den freien Himmel; möglichst
nicht zurück oder nach unten schauen. Da können mitten auf
unserer Reise einem schon mal die Knie weich werden. Und an der ersten
Zwischenstation überkommt uns dann doch die bange Frage: Wollen
wir eigentlich wirklich dahin? Oder ist das Risiko nicht doch zu groß?
Ein verzagtes Hin-und-Her bemächtigt sich uns. In der Geschichte
des Volkes Israels gab es immer wieder solche Augenblicke der Angst,
des Zurückblickens, der Verzagtheit. Ebenso in der Geschichte der
Kirche. Auch manche, die anfangs voller Begeisterung mit Jesus zusammen
von Ort zu Ort gezogen sind und seinen Wort begeistert gelauscht und
seine Taten bewundert haben, überkommt nun doch noch das große
Zittern und Zagen. Nun wissen sie, wohin die Reise geht; und sie geht
ihnen zu weit. Das Risiko ist ihnen zu groß. Voller Furcht steigen
sie aus, sobald sich eine dazu Gelegenheit bietet. Von da an wandten
sich viele seiner Jünger ab und gingen hinfort nicht mehr mit ihm,
heißt es im Johannesevangelium nachdem Jesus seine Weg offenbart
hat. Last exit. Jetzt steht die Entscheidungsfrage an. Und Jesus stellt
sie den Seinen in aller Offenheit und Härte: Da fragte Jesus die
Zwölf: Wollt ihr auch weggehen? Ihr wisst nun, wohin die Reise
geht, auf was ihr euch eingelassen habt. Auf einer solchen Zwischenstation,
in lichter Höhe, herrscht plötzlich Klarheit. Die Wolken haben
sich verzogen, das Ziel ist deutlich zu sehen. Die Jünger wissen
nun, woran sie sind. Klare Entscheidungen sind jetzt gefragt. Bleiben
oder gehen. Da hilft kein verstecken mehr. Da antwortete Simon Petrus:
Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast das Wort des ewigen Lebens; und
wir haben geglaubt und erkannt: Du bist der Heilige Gottes. Wer unterwegs
aussteigt, wird alles verlieren. Dann war aller Aufbruch umsonst. Glauben
und Erkennen, Vertrauen und Entscheiden, gehören zusammen. Dies
macht Petrus mit seinem Bekenntnis deutlich. Nur wer sich vorbehaltlos,
ohne Netz und doppelten Boden auf die Zusage Jesu einlässt, wird
die Weiterfahrt wagen. Einzig in der Sicherheit, das dieser Jesus ihn
nicht verlassen wird. Darauf kann er sich verlassen.

Erst mitten auf
dem Weg finden also die Jünger eine klare Antwort auf die Frage:
Wohin wollen wir eigentlich? Ohne vorherigen Aufbruch, ohne sich auf
den Weg zu machen, findet diese Frage keine Antwort, bleibt alles graue
Theorie, bloße Illusion, reine Hirngespinste. Das Lesen eines
noch so guten Reiseführers ersetzt eben nicht das wirkliche Erleben.
Erst als sich die Jünger mit diesem grenzenlosen Vertrauen auf
Jesus auf den Weg machen, gewinnen sie dann auch wieder sicheren Boden
unter ihre Füße. Sie wissen im Vollzug, was sie wollen und
wo sie es finden werden. Du hast die Worte des ewigen Lebens. Nirgendwo
anders werden wir sie finden. Keine Reise ins Nichts, kein entschweben
in den Wolken. Die Seilbahn hat eine Zielstation.

Wohin wollen wir
eigentlich? Nutzen wir die nun anbrechende Ferienzeit, das Unterbrechen
des Alltagstrotts, um mitten in aller schönen Entdeckerfreude,
Momente der Ruhe zu finden. Zeit zu finden, um in der Spannung zwischen
Angst und Vertrauen, zwischen Wagnis und Verlässlichkeit Haltepunkte
für unser einmaliges, weil unverwechselbares, eben unser eigenes
Leben zu finden. Dann werden wir sicher etwas von der Aufbruchsstimmung
der Urlaubszeit in den Alltag mit hineinnehmen. Denn egal wo wir sind,
ob an unbekannten Ufern oder in ungeahnten Höhen, oder einfach
nur zu Hause: Wenn wir uns ganz auf Jesus von Nazareth, diesen Heiligen
Gottes verlassen, dass er uns leite und begleite, dann erledigt sich
das Beängstigende dieser Kontrollfrage für in die Irre Gegangene.
Wohin wollen Sie eigentlich?. Dann sind wir nämlich schon angekommen,
weil wir aufgebrochen sind. Weil Jesus uns begleitet. Und fröhlich,
ohne angstvollen Blick zurück, können wir dann singen: Vertraut
den neuen Wegen … (EG 395,1-3)

Amen.


OKR Klaus-Dieter
Kaiser
Kirchenamt der EKD