
Matthäus 5, 13-16
8. Sonntag nach Trinitatis | 10. August 2003 | Mt 5,13–16 | Hellmut Mönnich |
Liebe Gemeinde,
“Ihr seid das Salz der Erde” – sagt Jesus. „Ihr seid
das Licht der Welt“ – fährt er fort. – Wir?
Wir hier – alle? – Ich? Ich auch? Das ist doch unglaublich. Schneller noch als gedacht
kann sich ein Gefühl der Abwehr wahrnehmen,, kommen kritische Fragen
in den Sinn. Wer ist eigentlich genau gemeint mit diesen Sätzen?
Und was ist genau gemeint? Und wie ist zu verstehen, was da sonst noch
steht an dieser Stelle im Matthäusevangelium? Die Sätze gehören
zur Bergpredigt. Abgesehen nun von Einzelheiten bleibt als entscheidende
Frage: Was sagt Jesus Christus mit diesen Bildworten?
Wenn wir jetzt nach Antwort suchen, dann lässt sich schnell herausfinden,
dass Jesus in unserem Text seine Jünger anspricht. Und Matthäus,
der die einzelnen Redeeinheiten später zur Bergpredigt zusammengestellt
und auch unseren Text überliefert hat, versteht die Predigtsätze
Jesu so, dass damit nicht nur die Jünger angeredet sind sondern
allen Menschen gelten, die sich von Jesus Christus etwas sagen lassen,
und sich nach ihm richten möchten. Dass neue Volk Gottes ist damit
angesprochen, die Kirche. Und heute wir. Uns spricht Jesus Christus nun
heute an und sagt: Ihr, Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht
der Welt!
Vielleicht denkt jetzt der eine oder andere: Ja damals, die Jünger!
oder: nun ja, die Kirche damals! Und geht so zu sagen auf Distanz, stellt
sich als einem normalen Menschen heute den ganz besonderen Jüngern
damals gegenüber. Liebe Gemeinde, die Jünger Jesu damals waren
nicht bessere Menschen, waren nicht fehlerfreie Heilige. Vielleicht fällt
einem die Szene ein, wie die Jünger die Mütter mit ihren Kindern,
die zu Jesus wollen, verscheuchen . Was die Jünger da taten, war
sicher gut gemeint, – aber nicht das, was Jesus wollte und dann auch
sagte. Vielleicht fällt jemandem jetzt ein, dass die Jünger
nichts wissen wollten davon, dass Jesus gekommen war, um Gott im Leiden
und in den Tiefen des Lebens zu bezeugen. Petrus widerspricht Jesus,
und Jesus weist ihn unmissverständlich zurecht. Und vielleicht fällt
jemandem ein, dass die Jünger später dann feige waren, als
es darum ging, zu dem Festgenommenen zu stehen. Sicher aus Angst um das
eigene Leben. Das ist verständlich. Aber ist das vorbildlich? Man
braucht nicht allzu viel Phantasie um festzustellen, dass es alles, was
Christen unglaubwürdig macht, schon von Anfang an gab. Bei den Jüngern
angefangen und bald ebenso in der Kirche. Matthäus macht sich keine
Illusionen über den Zustand der Kirche zu seiner Zeit. Was heißt
das nun? Das heißt, dass Jesus Christus ganz normale Menschen anredet,
Menschen wie Sie und wie ihren Nachbarn und wie mich. Zu solchen Menschen
sagt Jesus Christus: Ihr seid das Salz der Erde, das Licht der Welt.
Unglaublich!
Vielleicht könnte nun jemand einwenden, dass Jesus die Sätze
ganz anders gemeint hat, als wir sie heute verstehen, etwa: nur wenn
ihr in ganz bestimmter Weise handelt, dann seid ihr das Salz oder das
Licht. Nein! Tatsächlich sagt Jesus Christus und meint es einfach
und unmissverständlich: Ihr seid das Salz der Erde. Ihr
seid das
Licht der Welt. Und meint heute uns. Uns gar nicht unbedingt vorbildliche,
uns gar nicht fehlerfreie, uns einfach normale Menschen mit unseren Stärken
und mit unseren Fehlern, mit unserer Zaghaftigkeit aber auch mit unserer
Phantasie, uns eben, so, wie wir sind. Und damit traut Jesus uns etwas
zu – wie Eltern ihren Kindern etwas zutrauen – und wider Erwarten
verändert das zutrauende Vertrauen die Kinder und sie sind, wie
die liebenden Eltern es erwarten.
Aber was heißt Salz der Erde? Licht der Welt?
Salz ist dazu da, dass es ins Essen gestreut wird und die Speise wohlschmeckender
macht. Und Licht ist dazu da, dass man – wenn es dunkel ist – sehen
kann, sich orientieren, sich bewegen kann. Dazu seid ihr da – meint
Jesus Christus – dass die Welt, dass das Leben durch euch genießbarer
wird, dass es für die Menschen durch euch leichter möglich ist,
sich im Leben zu orientieren. Jesus bringt kein Weltverbesserungsprogramm,
das unsere Kräfte überfordert. Er traut uns zu, aus seinem Geist
zu leben – dann wird das Leben erträglicher und die Welt erscheint
in einem anderen Licht. Gewiss – wir kommen in der Regel nicht über
Stückwerk hinaus. Wer hätte nicht schon bei sich selbst den Widerspruch
erfahren zwischen dem, was er oder sie für richtig und gut hält
und dem, was er oder sie am Ende tut. Gleichwohl: durch Jesu Worte spricht
Gott uns an, dass wir in seiner Welt – und das ist unsere Welt – dass
wir in der Welt so leben, dass etwas von der Liebe Gottes zum Leben erkennbar
wird: sensibler für das, was getan werden muss; geduldiger im Miteinander,
als man es vielleicht erwartet; deutlicher redend, als es opportun ist; hoffnungsvoller
handelnd, als skeptische Vernunft es nahe legt. So wird erkennbar, wes Geistes
Kinder wir sind. Aber nicht um uns geht es, sondern um Gottes, unsere Welt.
Ein rabbinisches Wort sagt als gutes Beispiel: „Das Salz des Geldes
ist die Wohltätigkeit“. Wie gehen wir mit unserem, (wohlverdienten)
Geld um? Wie gehen wir jeder für sich, wie geht unser Staat, wie geht
die im Vergleich reiche sog. Erste Welt, zu der wir gehören, mit Geld
um?
Wenn wir noch einen Moment unsere Gedanken auf Salz und auf Licht richten,
dann kann uns noch etwas auffallen: Salz wirkt erst, wenn es ins Essen
gestreut wird. Licht leuchtet erst, wenn es angemacht wird. Das heißt:
mit beidem ist eine Bewegung verbunden, Salz muss wirken, Licht muss
leuchten – und nicht unter einen Scheffel gestellt werden, wie
Matthäus anschaulich formuliert. Mit beiden Bildern werden wir „in
Bewegung“ gesetzt, auf die Welt verwiesen, in die Welt geschickt.
Und diese Bewegung auf die Welt zu gehört kennzeichnend zu uns von
Jesus Angesprochenen, zu uns von Gott Gemeinten. Zur Zeit des Matthäus
gab es auch andere Modelle vom Volk Gottes: Die Gruppe von Qumran z.B.,
die sich aus der Welt in die Einsamkeit der Wüste und auf sich selbst
zurückzog, um das wahre Israel zu sein. Solche Abgrenzungsmodelle
kommen nach unserem Bergpredigttext nicht in Frage. Die wahre Identität
eines Christenmenschen, die wahre Nachfolge ist, wenn er handelt, wie
Gott will. M.a.W.: Jesus spricht uns nicht auf die Verwirklichung unserer
Beziehung zu sich an – sondern auf die Auswirkung unseres Verhältnisses
zu Gott, auf die Auswirkung unseres Glaubens.
1944 schrieb Dietrich Bonhoeffer in einem Brief: „Ich habe in
den letzten Jahren mehr und mehr die tiefe Diesseitigkeit des Christentums
kennen und verstehen gelernt. Nicht ein homo religiosus“ – gemeint
ist eine besonders religiöser Mensch- „sondern ein Mensch
schlechthin ist der Christ, wie Jesus … Mensch war. Nicht die platte
und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der
Bequemen (ist gemeint) … sondern die tiefe Diesseitigkeit, die voller
Zucht ist …Wie sollte man bei Erfolgen übermütig oder an
Misserfolgen irre werden, wenn man im diesseitigen Leben Gottes Leiden
mitleidet?“ – Darum geht es also heute: dass wir an der oft so
furchtbaren Welt, am oft so elenden Leben mitleiden. Und glaubend , vertrauend
handeln.
Sicherlich gibt es die Möglichkeit, Gottes Ruf zur Nachfolge zu überhören
oder ihn auszuschlagen wie der General Harras in Zuckmayers Des Teufels
General: Auf die Frage „Glauben Sie an Gott?“ antwortet der
General :“Ich weiß es nicht, er ist mir noch nicht begegnet.
Aber das lag an mir. Ich wollte ihm nicht begegnen. Er hätte mich
vor Entscheidungen gestellt, denen ich ausweichen wollte. Ich habe seine
Hand nicht ergriffen.“
Heute werden wir angesprochen, in die Dunkelheiten der Welt hineinzuleuchten.
In der Allerweltssuppe der Moderne Salz zu sein, das die Gegenwart genießbarer
macht. Nicht so, dass wir stolz sagen: Wir sind das Licht der Welt – wohl
aber: wir sind von Gott gedacht, Salz für die Welt zu sein.
Als vor kurzem lutherische Christen nach Kanada reisten zur Vollversammlung
des Lutherischen Weltbundes, erfuhren die mehr als 400 Delegierten aus
aller Welt, dass die kanadischen Behörden 60 lutherischen Delegationsmitgliedern
aus Indien, Indonesien, Äthiopien und Kamerun kein Einreisevisum
erteilt hatten. Höchst anschaulich erlebten die Mitglieder der Weltversammlung
der Lutheraner, was es bedeutet, in einer gespaltenen Welt zu leben gespalten
in arm und reich. Das gehört zum Hören auf den Bergpredigttext
heute, das wir wahrnehmen, dass Mitchristen, dass Menschen in Afrika
oder in Asien an fehlendem Essen, an fehlender Bildung, an fehlenden
Menschenrechten leiden und vom wohlhabenden Teil der Welt abgewiesen
werden, weil der Verdacht besteht, sie wollten sich nach Kanada einschleichen
und dort bleiben. – Was für Sorgen haben wir im wohlhabenden Teil
der Welt!
Ich erinnere mich an eine Vorbereitungs-Rüstzeit vor der Konfirmation:
Die Konfirmandinnen und Konfirmanden hatten sich ihre Konfirmationssprüche
ausgesucht. Dann kamen die ersten Fragen zu den Sprüchen. Eine Konfirmandin
hatte sich ausgesucht „Ihr seid das Licht der Welt“. Nun
fragte sie: „Ich will ja Licht der Welt sein. Aber wie soll ich
das eigentlich sein? Was muss ich machen? Nach einer engagierten Diskussion
stellten wir fest: Selbst eine lange Liste, wie man sich verhält,
was man tut, kann die Frage nicht richtig beantworten. Es gibt unzählbar
viele unterschiedliche Situationen, in denen wir uns bewähren können,
es gibt so unterschiedliche Kräfte, die wir haben, dass eine einfache
Antwort nicht möglich ist. Aber so viel gehört wohl dazu: kritisch
hinsehen, nicht einfach mit dem Strom zu schwimmen, sich in auch fremdartig
andere Menschen hinein zu denken und zu fühlen – und dann
das Nötige tun. Im Pietismus wurde das einmal so formuliert: „In
der Welt ist’s dunkel, leuchten müssen wir, du in deiner Ecke,
ich in meiner hier“. Ja, dann mag erkennbar werden, was schon am
Anfang der Bibel gesagt wurde: dass wir zum Bilde Gottes erschaffen sind.
Zum Bilde unseres Gottes des Lebens, unseres Gottes der Liebe.
Hellmut Mönnich, P.i.R.
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