
Reflexion zum Glaubensbekenntnis
Reflexion zum Glaubensbekenntnis | Klaus Schwarzwäller |
„Ich glaube an Gott, … den Allmächtigen…“
Scheinbar ist es akademische Haarspalterei, wenn man fragt: Ist Gott
als der Vater der Allmächtige? Oder ist er als der Allmächtige
der Vater? Oder ist er gerade als allmächtiger Vater bzw. in väterlicher
Allmacht Gott? Doch mit diesen Fragen wird nicht akademisch-theoretische
Flohfängerei betrieben. Hier steht vielmehr in der Gestalt bloßer
feiner Differenzierungen Wesentliches zur Frage, nämlich: Wen
bekennen wir, indem wir Gott als den allmächtigen Vater bekennen?
Wen – eine Urmacht und Urpotenz, aus der alles hervorgeht und
die wir darum als Vater aller Dinge bezeichnen und als Gott verehren?
oder Gott als den, der väterlich, wie liebende Eltern, sich uns
zuwendet und darin sich als machtvoll und göttlich erweist? oder
eine väterliche Ur- und Allmacht, die wir aufgrund unserer Erfahrung
als Gott identifizieren? Kurz, um wen oder was geht es: die Macht,
die Väterlichkeit oder ums Gottsein?
Man sage nicht, das sei nur fürs theologische Denken von Belang.
Die Kirchengeschichte belehrt uns bitter, was es bedeutet, wenn wir Gott
vor allem in Begriffen und Bildern der Macht erfassen: Das schlägt
irgendwann unvermeidlich um in Gewalt und Tyrannis. Sie belehrt uns nicht
minder, daß die einseitige Betonung des Vaters zum „lieben
Gott“ führt – jenem gutwilligen, doch etwas hilflosen
alten Mann, der im Grunde auf uns und unsere Hände und Gedanken
und auch Schlaumeiereien angewiesen ist. Sie gibt ebenso zu erkennen,
daß das Ausgehen von dem Gottesbegriff, den wir dann durch Macht
und Väterlichkeit erklären und füllen, wie wir sie im
eigenen Leben, in Natur und Geschichte, in erhabenen Augenblikken oder
auch Katastrophen erfahren, zu – einem Gott zu führen pflegt,
wie wir ihn in den Dichtungen unserer Klassiker oder auch in der bürgerlichen
Moral antreffen.
Der Umblick erbringt: Man wird von vornherein die drei Begriffe zusammennehmen
und sich dagegen verwahren müssen, daß man sie voneinander
trenne. Also: Gott ist Gott als Vater und Allmächtiger; er ist Vater
als allmächtiger Gott; er ist der Allmächtige als Gott der
Vater. Wozu dann die Differenzierung? Darum, weil das Wort „Gott“ zu
groß, viel zu groß ist für uns und all unser Denken
und alle unsere Erfahrung. Sagten wir nur „Gott“, wir würden
uns in diesem großen Wort gleichsam verlieren – mit dem Ergebnis,
daß wir nach Gefühl und Gutdünken unsererseits eintrügen,
was wir unter diesem Wort verstehen. Damit aber würde aus Gott letztlich
entweder mein jeweiliger Privatgötze oder aber ein gemeinsamer Nenner,
auf den man schier alles nebeneinander schreiben kann, weil er in seiner
Bestimmung beliebig wurde. Gott, das ist deutlich, würde darüber
verloren. Man könnte dann nur noch seufzen: „Ach Gott, ach
Gott…!“ Gesagt wäre dabei nichts mehr.
Indem wir an Gott glauben und ihn bekennen, beten wir einen Gott an
und sprechen von ihm, der ausgesagt, benannt, identifiziert werden kann.
Woraufhin? Daraufhin, daß er, wie es die Bibel kennzeichnet (Apg.
14,17), „sich nicht unbezeugt gelassen“ hat, sondern der
in spezifischer Weise hervorgetreten ist. Im vorigen Jahrhundert hat
man das mit dem Begriff der „Selbstoffenbarung“ festzuhalten
versucht, der allerdings in abstraktes Räsonieren und insbesondere
dahin geführt hat, daß man beim Reden von Gott in feuilletonistischer
Haltung verblieb, was so einleuchtend ist, wie wenn man über die
eigene Ehefrau/den eigenen Ehemann allerlei geistreiche Weisheiten und
Aussagen erhöbe und in abstrakter logisch-analytischer Untersuchung
ausdifferenzierte. Was dabei im einzelnen herauskam, kann jetzt nicht
dargestellt werden; jedenfalls ist hier erkennbar ein Irrweg begangen
worden. Es gilt, ihn zu verlassen und mehr auf das den Blick zu richten,
was man ursprünglich mit der Rede von Gottes „Selbstofffenbarung“ hatte
festhalten wollen: daß nämlich Gott, er selbst, gehandelt
hat, und zwar so, daß er für uns eindeutig ist als Gott, der
allmächtige Vater. Für diese Neubesinnung blicken wir auf Luthers
Katechismen samt den ihnen vorausgehenden bzw. sie begleitenden Katechismuspredigten.
Ich stelle hier nur ab auf den Kleinen Katechismus (EG 806.2).
Dort verweise ich als Erstes auf eine scheinbar rein ästhetisch-sprachliche Äußerlichkeit:
Luther beginnt seine Erklärung bekanntlich mit „Ich glaube,
daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen…“ Ich
bin überzeugt, daß wir unsererseits, gesetzt einmal, wir verwendeten
Luthers Vokabeln, geschrieben haben würden: „Ich glaube, daß Gott
samt allen Kreaturen auch mich geschaffen hat…“ Daß ergäbe
im ersten Satzteil den nichtssagenden Rhythmus einer Banalität:
~>~~>~>~>~>~~>~>~~. Das fließt in gleichmäßiger
Läppischkeit
vor sich hin und fällt am Ende kraftlos ab. Luther aber sagt: „Ich
glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen…“,
also ~>~>>>~>~~~>~~~>~. Was bei dieser Kennzeichnung ins Auge springt,
wird beim lauten Sprechen nicht allein merklich, sondern drängt
sich geradezu auf: Die drei Akzente nacheinander erzeugen einen Stau.
An dieser Stelle geht es nicht in glattem Fluß. Sondern hier drängt
sich etwas auf engstem Raum zusammen und erzeugt eine intensive Verdichtung: „…dáß mích
Gótt…“ In ihr steckt so viel Spannung, daß alles
Folgende gleichsam hineingezogen ist; also, um es so zu sagen: Es muß einfach
weitergehen, auch über „mich“ weit hinaus. Wer in Luther
eingelesen ist, weiß: Das ist bewußt so gesetzt (vgl. z.B.
in der Weihnachtsgeschichte „…die war schwanger…“ [????] – nicht,
wie’s korrekt wäre, „…die schwanger war…“ [????],
was wie ein Anhängsel gewirkt hätte [s. den Rhythmus des vorstehenden
Nachsatzes!]).
Hierin ist eine Aussage enthalten, die Aussage: In das Faktum von Gottes
allmächtigem Schaffen bin ich unmittelbar und unlösbar einbezogen.
Ich kann hier nicht theoretisieren, nicht in kritische Distanz gehen,
nicht gleichsam mit ausgestreckten Armen davon oder darüber handeln
als wie über einen Sachverhalt. Ich war, bin und bleibe unmittelbar
und total involviert. Wer Gott, dieser Gott, ist und was er tut, das
wirkt sich unvermeidlich auf mich aus. Indem ich von Gott spreche, mache
ich Aussagen auch von mir. Darin steckt zugleich: Wenn ich über Gott
zu reden mich unterfange, dann habe ich auch mich selbst im Grundlegenden
vergegenständlicht. Dann ist, streng bis zum Ende gedacht, meine
Definition und daraufhin auch Vernummerung nur eine Frage der Zeit bzw.
der Konsequenz. Und was das heißt, darauf hat Theodor W. Adorno
in seiner Negativen Dialektik eindringlich aufmerksam gemacht
am Beispiel der Judenvergasung. Gott also ist weder Gegenstand noch Sache.
Gott – eine
von Eugen Rosenstock-Huessys Grundbehauptungen ist, das Wort „Gott“ sei
ursprünglich ein Vokativ. Inhaltlich gesehen, hat er recht: Wer
von Gott redet nicht aus geschehener Anrufung hin auf wieder geschehende
Anrufung, macht bloße Worte und gründet sich in bloße
Worte.
Als Zweites weise ich darauf hin, daß der Tenor in der Tat aussagt,
was die Sprache als solche vollzieht: Ich bin „samt allen Kreaturen“ von
Gottes Schaffen und Wirken, von seiner Macht und seiner – wie’s
später heißt – „väterlichen Güte“ umschlossen.
D.h. der Frage danach, wo Gott zu finden sei, wie und auf welchen Ebenen
bzw. in welchen Medien (z.B. unser Geist, die Natur etc.), ist von vornherein
der Boden entzogen, und auch eine „Offenbarung“ ist hier überflüssig,
die uns die Schuppen von den Augen nähme. Die Frage ist hier überhaupt
nicht die nach der Gotteserkenntnis und deren Bedingnissen und Modalitäten;
diese Frage setzt ja voraus, daß ich als eine Art „Ich-AG“ lebte
und mich umtäte und dabei dann auf dies und jenes stieße und
an einer bestimmten Stelle das Gefundene als „Gott“ identifizierte – die
Haltung des abstrakten Ichs des reinen Gedankens. Das traditionelle Lehrstück
von der Gotteserkenntnis beläßt Luther hier also an seinem
Ort, nämlich der Studierstube, und trägt an seiner Stelle die
wesentliche, die relevante – nein, nicht Frage, sondern Aussage vor: daß Gott uns alle wie mich mit seinem Tun und Handeln bereits
umschlossen hat, längst bevor jemand nach ihm fragte, daß somit
belangvoll ist allein, daß ich’s tatsächlich wahrnehme
und mit meinem Leben angemessen aufnehme.
Dabei wird jedoch nicht mit teutzschem Tiefsinn und luthérischer
Grundsätzlichkeit gleichsam vom Augenblick 0 ausgegangen. Längst
leben wir in verschiedenen Zusammenhängen, die u.a. entscheidend
dadurch geprägt sind, daß „Gott sich nicht unbezeugt
gelassen“ hat und somit z.B. das Glaubensbekenntnis gesprochen
und weitergegeben wird. Salopp geredet, hält Luther sich hier nicht
damit auf, das Rad neu zu erfinden, sondern – um beim Bild zu bleiben – stellt
vor Augen und malt aus, daß und wie wir rollen und was das heißt.
So treten hier an die Stelle gewichtiger Fragen von fundamentaler Bedeutung,
mit denen man nur mehr die Hirnzellen trainiert, Hinweise von praktischer
Bedeutung, die mein ganzes Leben mitsamt meiner Lebensführung unmittelbar
herausfordern – die Hirnzellen inclusive. Will sagen: Geht es um
Gott, so geht es um die Realität, so geht es füglich unausweichlich
auch um mich und mein Leben und meinen Alltag mit allem, was das heißt
und einschließt. Abermals: Mit Gott stehe ich selbst zur Rede,
zur Frage, und das mit allem, was mich ausmacht. Der Punkt dabei ist
nicht, wie ich das erkenne und ableite und begründe, sondern: ob
ich mir darüber im klaren bin und erfasse, was das heißt,
einschließt, an Konsequenzen erbringt. Daß ich dann nicht
bei mir selber stehen bleiben und verharren kann, liegt auf der Hand.
Als Drittes stelle ich heraus, daß Luther auf diese Weise zu einer
Zuordnung der Prädikate bzw. Titel „allmächtiger“ und „Vater“ kommt,
die die rein begriffliche Differenzierung überbietet. Das geschieht
durch bewußte Umkehrung des Vorgehensweges. Normalerweise führt
eine gedankliche Klärung zu Definition und Begriff – so unsere
wissenschaftliche Tradition bis in die Gegenwart. Definition und Begriff
aber bedürfen der Erklärung, der Füllung und der Ausführung,
damit das in sie Abstrahierte erkennbar werde. Das ist notwendig, sollen
die Begriffe nicht zu bloßen Hülsen werden, mit denen dann
nur mehr logische Korrektheiten konstruiert würden. Begriffe ohne
Anschauung seien leer, hat Immanuel Kant gesagt und zugleich hinzugesetzt,
daß Anschauung ohne Begriffe blind sei. Das nun macht Luthers Umkehrung
des üblichen Weges spezifisch aus, daß er in eins hiermit
der scheinbar unausweichlichen Dialektik dieses Doppelsatzes sich entwindet
und so das uns (und Kant!) so geläufige, wo nicht geradezu selbstverständliche
Schema von Theorie versus Praxis leer laufen läßt. Formelhaft
geredet also: nicht vom Begriff zur Klärung hin auf eine neue Gewinnung
dieses Begriffs bzw. die Gewinnung eines neuen Begriffs, sondern vom
Begriff hinein in die Fülle der theologisch erfaßten Realität.
Das geschieht, indem Luther die – begrifflichen – Aussagen
des Glaubensbekenntnisses weder begrifflich expliziert noch konkretisiert
oder durch Beispiele zu veranschaulichen sich bemüht, er vielmehr
bereits im Ansetzen von dem ausgeht, den das Bekenntnis zum Grund und
zum Ziel hat: Gott, den allmächtigen Vater. Es ist bezeichnend,
daß Luther in der Erklärung die Begriffe der Vorgabe nur in
einem Falle anspielend streift („…väterlicher, göttlicher
Güte…“). Er hat sie zwar durchaus im Blick. Doch er hat
sie im Blick gleichsam als Sehhilfen, die ihn dazu anleiten, Gott als
Wirkenden und in seinem alles umschließenden väterlichen Handeln
wahrzunehmen und bekennend auszusagen. Also, wenn man so will: Begriffe
als das Àpropos für die Entfaltung der Fülle von Gottes
Herrlichkeit, Gnade und Macht. Diese Entfaltung ist anschaulich und lebendig,
denn das, was zu sagen ist, prägt unser Leben, gestaltet unsere
Welt, ragt bewahrend, hemmend, störend oder auch unauffällig
in unseren Alltag herein. Somit werden nicht Stichwörter expliziert,
sondern das, was ihnen Gehalt und Klang verlieh, vielmehr: der das tut,
wird verkündigt. Das führt dazu, daß damit die Begriffe
gleichsam von dem überflutet werden, was sie weniger enthalten als
vielmehr ansprechen.
Wenn also im vorstehenden „Gott, der allmächtige Vater“ dem
Anschein nach nur beiläufig berührt wurde, ging es im Kern
gleichwohl exakt hierum – allerdings: im Eingehen auf Luther. Luther
war, wie Ulrich Nembach in seiner Einführung erwähnte, dank
seiner Ausbildung in der herkömmlichen, der begrifflich operierenden
Theologie nicht nur geschult, sondern er beherrschte sie. (Den Spitznamen „Philosoph“ wird
er als Student nicht grundlos getragen haben!) Aber er hatte ihre (hier
nicht auszubreitenden) Mißlichkeiten, Schwächen und insbesondere
Verführungen erfaßt und durchschaute, daß auf jedem
ihrer Wege – welchem auch immer! – stets sich ergab, daß die
Grenzen der Theologie mit den Grenzen der Vernunft zusammenfallen, d.h.
Gott auf das Maß unserer Einsichtsfähigkeit und -willigkeit
zurückgestutzt wird. Damit wird er zu einem Objekt, zu einem Gegenstand,
den wir begrifflich verpacken und transportieren – oder vielmehr
das zu tun vermeinen, gerade so, als ließe Gott sich derart einfangen.
Damit haben wir uns auch in anderer Hinsicht bereits selber belogen:
Wir tun dann nämlich so, als wären wir in der Position – um
von der Fähigkeit zu schweigen! – , Gott als Gegenüber
sozusagen frei in den Blick zu nehmen. Genau umgekehrt ist er es jedoch,
der seinerseits uns umfängt und umwaltet und trägt und erhält,
der uns wie überhaupt alles, was es gibt, geschaffen hat und auch
das seinerseits uns schenkt, was wir selber produzieren wie „Kleider
und Schuh…“
Es geht Luther also, pointiert geredet, nicht um die Begriffe „Gott,
der allmächtige Vater“ und deren korrekten Gebrauch. Ihm geht
es darum, daß wir unser Herz Gott öffnen und unser Leben von
ihm empfangen und in ihm gegründet wissen und dabei uns durch die
traditionellen Begriffe und ihr differenzierendes Kennzeichnen dazu bringen
lassen, von Gott gerade väterliche Güte und Fürsorge und
machtvollen Schutz und Weltbeherrschung im Großen wie im Kleinen
zu erfahren, zu erwarten und – nicht zuletzt im Gebet zu erbitten.
Der Weg hierher aber ist nicht der von „Wissen und Verwirklichen“ noch
von Belehrung und Tat oder Einsicht und Handeln etc. Auf alle diese Weisen
nämlich erheben wir uns zu Subjekten des Glaubens, analog dem, daß der
Empfang von Leib und Blut Jesu Christi im Abendmahl in einer langen,
fatalen Tradition als „Danksagung“ („Eucharistie“)
bezeichnet wird. Kurz, der Weg geht nicht einfach von der Belehrung und
Erklärung über die Reflexion und das Wollen hin zum existentiellen
Vollzug, so wie es Moral und Pädagogik von Sokrates bis heute wie
selbstverständlich nehmen.
Darum ist seine Form der Dogmatik auch – scheinbar – undogmatisch:
Bekenntnis, Predigt, Katechismus, seelsorgerlicher Rat. Denn es sind
allein diese Gattungen, die da realisieren lassen, was alle Dogmatiken
zwar behaupten, doch durch ihre Form faktisch dementieren und aushebeln: „…daß mich
Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen…“ und ich darum, wenn
ich das oder vielmehr: ihn aussagen will, ich das sprachlich nur als
Bekenntnis, Predigt, Katechismus oder Seelsorge vollziehen kann.
Prof. Dr. Klaus Schwarzwäller
E-Mail: hweissenfeldt@foni.net