Lukas 22,24-32

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(Lukas 22,24-32 – dänische Perikopenordnung)

In der Leitung von Betrieben spricht man heutzutage von „flachen
Strukturen“. Damit ist gemeint, daß die altmodische Hierarchie
zwischen Leiter, Mittelbau und Unterbau und den gewöhnlichen Beschäftigten
aufgehoben ist und damit auch die Hierarchie zwischen den verschiedenen
Fachgruppen.

Um einen guten und modernen Betriebsgeist zu schaffen, müssen alle
das fachliche Können der anderen respektieren, heißt es, und
erkennen, daß alle an ein und derselben Sache arbeiten, nämlich
der Konkurrenzfähigkeit des Unternehmens auf dem freien Markt.

Wenn es das einzige Ziel der Fachgruppen wäre, mit den Gewerkschaften
an der Spitze für ihr eigenes Recht zu kämpfen, dann würde
darunter das gemeinsame Projekt, nämlich der Betrieb, Schaden erleiden.

Wenn man in flachen Strukturen, wie man dies nennt, denkt, so aus der
Erkenntnis heraus, daß jeder etwas Wichtiges beizutragen hat
und dies in einer höheren Einheit aufgeht, nämlich der Produktivität.

Nun sind wir in die Kirche gekommen und nicht zu einem Vortrag über
Betriebskultur – aber das heutige Evangelium handelt davon, in flachen
Strukturen zu leben . Auf Macht und Rechte zu verzichten
und statt dessen einander Diener sein, kurz und gut.

Deshalb frage ich nun: Man denke sich, daß diese Einstellung
zu den gegenseitigen Fachgebieten innerhalb der modernen Betriebskultur
sich auf das alltägliche Dasein übertragen ließe: gegenüber
dem Fremden unter uns, dem Ehepartner, unseren Eltern und all den anderen.

Daß wir offenbar nicht in solchen flachen Strukturen leben, das
bezeugt die Notwendigkeit des Gesetzes. Und dabei denke ich an das Gesetz
im Alten Testament.

Hier steht immer wieder, daß das Volk sich des Fremden annehmen
soll innerhalb der Stadtmauer, und das wird mit der Erinnerung verbunden:
Denkt daran, daß Ihr selbst einmal Fremde wart in Ägypten.

Und unter den zehn Geboten heißt das vierte: „Du sollst deinen
Vater und deine Mutter ehren“, etwas, was offenbar gesagt werden
muß, damit es auch befolgt wird.

Und schließlich werden sich einige auch daran erinnern, was sie
bei ihrer Hochzeit versprochen haben: Daß wir unseren Ehepartner
lieben und ehren sollen und mit ihm leben sollen in guten wie in schlechten
Tagen, bis daß der Tod uns scheidet.

Auch das muß uns offenbar gesagt werden und als Versprechen abgegeben
werden, denn es kommt nicht von selbst.

Warum kommt es nicht von selbst? Warum geschieht es nicht von selbst,
daß wir den Fremden annehmen und unsere Eltern respektieren und
unseren Ehepartner lieben und ehren? Warum muß uns das gesagt werden?

Warum muß man auf einen Leitungskurs, um zu lernen, die anderen
im Betrieb zu respektieren, und warum muß man in die Kirche gehen
und in der Bibel lesen, um zu lernen, daß wir Hüter unseres
Bruders sein sollen?

Aus dem einfachen Grund, den wir auch in der Bibel finden: Die Wahrheit über
den Menschen ist, daß in uns eine grundlegende und fundamentale
Begierde liegt, uns selbst in den Mittelpunkt zu stellen und der Größte,
der Beste zu sein – gern auf Kosten anderer.

Und nun sind wir schon mitten im heutigen Evangelium und den übrigen
Texten, die heute an diesem ersten Sonntag der Passionszeit gelesen worden
sind: Die Jünger streiten sich darüber, wer von ihnen der Größte
ist. Und Kain erschlägt seinen Bruder Abel aus Neid darüber,
weil der Herr dessen Opfer angenommen hat – und schließlich wird
im Jakobusbrief festgestellt, daß wir durch unsere eigene
Begierde versucht, verlockt und hingezogen werden. Und diese Begierde
bringt die Sünde in die Welt, sagt der Apostel Jakobus, und wenn
die Sünde aufgewachsen ist, gebiert sie Tod!

Die Passionszeit beschäftigt sich mit dem, was Macht über
uns gewinnt. Und die traditionelle Aufforderung der Passions- und Fastenzeit
war früher – als Vorbereitung des bevorstehenden Osterfestes, auf
die Macht und die Begierde zu verzichten, die uns gerade daran hindern,
einander zu dienen, wie Christus uns gedient hat und wie er es uns im
Ostergeschehen gezeigt hat.

Wir werden – besonders in der Passionszeit – dazu auf­gefordert,
dagegen zu kämpfen, daß wir die Macht wollen . Es
geht wie gesagt um die flachen Strukturen.

Und wir müssen uns in der Fastenzeit auch bewußt machen,
daß wir uns nicht von der Macht unterdrücken lassen .

Fasten, also konkret auf Fleisch verzichten, tat man ja, um zu manifestieren,
daß die grundlegende Begierde nach Essen nicht das Leben bestimmen
soll.

Vielleicht sollten wir, die wir nicht mehr in der alten mittelalterlichen
Weise fasten, den Anlaß wahrnehmen, um darüber nachzudenken,
was Macht über unser Leben hat, was unser Leben bestimmt, und wir
sollten dann einen ganz stillen Versuch machen, sich davon nicht leiten,
unterdrücken und versuchen zu lassen.

Das braucht ja nicht das Essen zu sein oder der Rotwein oder der Lebensgenuß.
Die Wahrscheinlichkeit dafür ist freilich groß. Aber es könnte
in unserer arbeitswütigen Kultur ja auch eben der Arbeitsdruck sein,
der Leistungsdruck, der Streß, die Gier nach Statussymbolen und
Materialität und all dem, was daraus folgt – vielleicht ist es eben
dies, was unser Leben heute bestimmt.

Lasterkataloge kann man wohl immer schreiben. Versuchungen gibt es viele.
Heute aber sagt uns Jesus direkt im Evangelium, daß wir uns gegen
diese begehrliche Weise, das Leben bestimmen zu wollen, schützen
sollen.

„So soll es unter euch nicht sein“, sagt er, „ihr sollt
euch nicht von etwas unterdrücken lassen, ihr habe keinen Grund,
euch von eurer Begierde leiten zu lassen“ – die Jünger sollen
kurz und gut einander Diener sein.

Und wir können hinzufügen: So soll es auch zwischen uns sein.
Wir sollen uns selbst und einander als Diener verstehen. Wir sollen jemand
sein, der gibt.

Und eben das wollen wir ja eigentlich auch im Innersten: Geben. Kain
wollte Gott ein Opfer bringen. Deshalb war er enttäuscht, als Gott
es nicht annahm aus einem Grund, den wir nicht kennen.

Und die Jünger wollten Jesus gern das geben, daß sie wirklich
an ihn glaubten und deshalb gerne bei ihm bleiben wollten, so nahe wie
möglich, am liebsten an seiner rechten und linken Seite.

Das Christentum hebt die Dienerrolle hervor, weil sie das Gleichnis
der Liebe Gottes ist. Der Diener ist der, der den anderen erfreut, der
die Bedürfnisse des anderen befriedigt, der das Leben gut macht
für den anderen.

Wer aber die Schwachheit verhöhnt, der wird wohl miß­trauisch
fragen, warum man sich in dieser verkehrten Weise stark machen soll –
so daß man die Begierde in sich dämpfen kann – um schwach
zu werden, um ein schwacher Diener zu werden. Kann das wirklich die rechte
Weise sein, ein Mensch zu sein?

Ja, das behauptet das Christentum! Einander Diener sein ist das wahre
Menschsein. Warum? Weil die Lebenseinstellung, die in den flachen Strukturen
ihren Ausdruck findet, Leben mit sich bringt. Sie ist ergiebig, produktiv,
schöpferisch, dynamisch, erlösend, erneuernd. Sie schafft Zukunft.
Offenheit. Hoffnung. Der Diener will das Gute. Will nicht sich selbst
und sein eigenes Recht, sondern das Gute um des anderen willen.

Das hier ist keine Utopie. Das Christentum ist nicht Utopie und fern
der Wirklichkeit, auch wenn wir manchmal daran zweifeln, ob es sich praktizieren
läßt – vielleicht weil wir uns selbst kennen, wie wir sind.

Das Christentum gibt seine klare Antwort und sagt, daß die Voraussetzung
dafür, daß dieses Sein möglich ist in der Welt und im
Miteinander, die Liebe ist. Und dafür ist Gott der Garant.

Nur mit der Liebe im Rücken können wir geben und dienen und
tragen und nachsehen und nicht an unser Recht denken. Und diese Liebe
ist nicht etwas, was wir einfach haben. Sie setzt sich durch, wenn wir
an sie glauben. Oder wenn wir glauben, dann setzt sie sich durch.

Sie ist die Kraft, die Glauben wirkt. Nicht als etwas Statisches, das
wir entweder haben oder nicht haben. Denn es ist ja kein Zufall, daß Jesus
zu Simon Petrus sagt: „Wenn du dich einmal bekehrst, dann stärke
deine Brüder!“ Also: Wenn du eines Tages, oder an dem Tage
oder in dem Augenblick, wo du daran glaubst, daß ich die Liebe
bin, die für dich gebetet hat und dir den Weg bereitet hat, dann
sollst du Diener sein und deine Brüder stärken.

Das Christentum behauptet, daß die Liebe, die in der Schwachheit
stark ist, Gott ist. Gott ist identisch mit der Liebe, die Ihre Kraft
in der Schwachheit zeigt.

Und Gott hatte offenbar eine Schwäche für uns Menschen, wo
er doch so viel für uns opferte. Eine Schwäche, die ihn eben
dazu veranlaßte, sich selbst aufzugeben und ein Diener zu werden.

Und durch diese Umkehr, vom erhabenen Gott zum gedemütigten Sohn
Gottes, setzte sich die Kraft der Liebe durch und siegte über all
das, was mit Tod und Vernichtung endet, mit Schließung, Bankrott
und Konkurs.

Die Geschichte Jesu, sein Leben und sein Tod und seine Auferstehung
sind ein Gleichnis für den Sieg der Schwachheit. Das endete nicht
mit Kreuz und verschlossenem Grab, sondern mit Auferstehung und Licht
und Leben und Hoffnung für alle.

Das hören die Jünger auch heute. Sie wollen zwar Diener in
der Welt sein, aber eines Tages werden sie mit zu Tische sitzen als die,
die sich bedienen lassen. Sie werden auf Thronen sitzen und die zwölf
Stämme Israels richten. Sie werden siegen.

Das ist gewiß ein mythisches Bild, das uns heute nicht viel sagen
kann – aber wir sollen uns auf die Erhöhung selbst freuen.

Das ist der „Siegeskranz des Lebens“, von dem der Apostel
Jakobus sprach, wir werden ihn empfangen, wenn wir die Prüfungen
bestehen.

Die Schwachheit vernichtet nicht sich selbst, sie wird nicht zunichte
– sie wird alles in allem.

Es endet mit Erfüllung und Sattheit und Genuß und Freude.
Es endet mit einem großen Festmahl, wo wir obenan sitzen.

Bis es so weit ist, dürfen wir uns über den Tisch freuen,
der uns hier gedeckt wird, und uns stärken lassen durch das Brot
und den Wein, so daß wir durch die Kraft seiner Liebe glauben können
und umkehren und versuchen können, in flachen Strukturen zu leben
als Diener für einander. Amen

Pastorin Eva Tøjner Götke
Platanvej 10
DK-5230 Odense M
Tel.: ++ 45 – 66 12 56 78
email: etg@km.dk