Johannes 1

· by predigten · in 04) Johannes / John, Aktuelle (de), Archiv, Aus dem Dänischen, Deutsch, Kapitel 01 / Chapter 01, Neues Testament, Predigten / Sermons

(dänische Perikope­nordnung)

Der griechische Philosoph Aristoteles sagt an einer Stelle, wo er davon schreibt, wie man schreiben und reden soll, daß man immer am Anfang beginnen soll. Das klingt ja sehr einleuchtend und selbstverständlich, ist es aber dennoch nicht.

Es ist oft schwer, mit dem Anfang zu beginnen. Denn was ist der Anfang? Du weißt es wohl! Wenn man einen Brief schreiben will oder wenn man etwas erzählen will oder eine Rede halten will – wo soll man eigentlich anfangen? Denn man kann an vielen Stellen beginnen.

So einleuchtend es ist, daß man mit dem Anfang beginnen soll, so einleuchtend ist es, mit dem Ende zu schließen. Und das klingt viel banaler als es ist. Denn Aristoteles hat eine wichtige Pointe, daß der Anfang immer im Abschluß und der Abschluß immer im Ende liegt.

So ist es in besonderem Maße mit den Erzählungen des Evangeliums von Jesus. So, wie wir sie kennen, sind sie fast wie jede andere Geschichte erzählt. Da gibt es einen Anfang, nämlich die Geburt Jesu in Bethlehem, und einen Abschluß in Jerusalem, wo Jesus leidet und stirbt. Das gleicht einer jeden anderen Erzählung von einem Menschen. Eine Erzählung von einem Leben, seinem Entstehen, seinem Verfall und Tod.

Aber ganz so ist es dennoch nicht. Denn schon am Anfang kennen wir die Geschichte Jesu. Wir können die Erzählung von der Geburt des Kindes nicht hören, ohne zu wissen, daß er seine Tage am Kreuz in Jerusalem enden wird. Und umgekehrt.

Im Johannesevangelium ist das ganz deutlich. Es beginnt damit, daß er von dem Wort spricht, das bei Gott war und das Gott war, und es schließt mit der Erzählung von all dem, was Jesus getan hat, und wenn dies niedergeschrieben werden sollte, könnte die Welt nicht die Anzahl Bücher fassen, die dann geschrieben werden müßten. Das Wort ist Anfang und Ende, und der Abschluß sind unendlich viele viele Worte.

Der Abschluß ist im Anfang und der Anfang im Abschluß, sagte Aristoteles. Die Evangelien sind in Wirklichkeit gar nicht vom Anfang her erzählt, von dem her, was der Abschluß des Lebens Jesu war. Sie sind erzählt, weil da einige Frauen und später Männer waren, die sagten, daß das Grab leer war, und die später dem auferstandenen Christus begegneten und glaubten.

Das, was sie für das Ende hielten, war in Wirklichkeit der Anfang. So verstanden die Jünger Jesu bestimmt nicht das, was ihnen Jesus in den Tagen zwischen dem Einzug in Jerusalem und dem Tage vor dem Ostermahl sagte.

Ja, die Frage ist, ob sie überhaupt irgendetwas verstanden haben. Es scheint so zu sein, wie wir hörten, daß sie völlig verwirrt waren. Jesus sprach vom Anfang und vom Ende, und sie fragten – so fragen wir auch – ob hier nicht die Dinge vermischt würden.

Dies war und ist jedoch nicht der Fall. Jesus sprach von Gott, dem Vater, von Gott als dem Anfang aller Dinge, und er sprach von dem vorläufigen Abschluß in dem eigenen Abschied oder Tod Jesu.

Es ist für uns sehr leicht, das nachzuvollziehen, was hier geschah. Wir können ganz gut hören, daß dies ein bewegter Abschied war. Jesu sprach von seinem Weggang. Die Jünger müssen erschrocken gewesen sein, denn wo ging er eigentlich hin?

Wir wissen selbst, wie das ist, Abschied zu nehmen. Jedes Mal, wenn wir uns von einander verabschieden, ist dies ein Abschied, der von tiefem Ernst geprägt ist. Aber so sehen wir es nicht immer. Wir rechnen damit, daß wir uns wiedersehen, aber es ist ja nicht sicher, daß dies geschieht. Stets leben wir mit dem Risiko, das Leben zu verlieren, und dann kehren wir nicht mehr zu dem zurück, von dem wir uns verabschiedet haben. Jeder Abschied kann der letzte sein, und jedes Mal, wenn wir uns verabschieden, sterben wir ein wenig.

Jesus sprach zu den Jüngern, um sich zu verabschieden. Er hatte sie um sich versammelt. Er tat das, wozu viele Kranke und Sterbende die Kraft haben, die Liebsten zu sich zu rufen und sich von ihnen zu verabschieden. Haben wir es selbst nicht erlebt, so kennen wir es aus der Literatur oder aus Filmen. Und wir haben gesehen, wie fast nur der, der sterben soll, Herr der Lage ist.

Im Alten Testament gibt es einige Szenen, die dieser Szene gleichen, z.B. Isaak, der vor seinem Tode Esau zu sich ruft, um ihn zu segnen. Oder Jakob, der seine Söhne zu sich ruft. In diesen Situationen wird nicht nur Abschied genommen. Hier geschieht auch etwas anderes. Isaak und später Jakob segnen. Der Segen ist eine Übertragung, und er hat mehrere Bedeutungen.

In der Stunde des Abschieds geschieht eine Übertragung im doppelten Sinne. Man übergibt den Sterbenden oder Reisenden einer ungewissen Zukunft, getrennt von uns. Die Trennung ist u.a. deshalb so schwierig, weil wir einander aus dem menschlichen Bereich entlassen, wo wir direkt für einander Verantwortung tragen. Wir können oft fühlen, wenn jemand von uns fortgeht oder wenn ein Mensch von uns weg stirbt, daß wir ohnmächtig und mit leeren Händen dastehen, weil wir nun nicht mehr richtig wissen, wo wir mit unserer Liebe hin sollen, die wir für den anderen empfunden haben. Wir werden unsere Fürsorge nicht los, wir können keine Verantwortung für den anderen übernehmen, die wir empfinden und die wir wahrnehmen möchten.

Der Sterbende oder der Reisende überläßt etwas in der Hand derer, die zurückbleiben. Das ist zusammengefaßt in dem Wort Segen, das eigentlich bedeutet, etwas als gut zu bezeichnen.

Die Abschiedsszene, die wir heute gehört haben, enthält diese beiden Elemente, daß der fortgehende Jesus von den Jüngern einem für sie ungewissen Schicksal überlassen wird. Sie wissen, wie sie sagen, nicht, wo er hingeht. Sie haben nicht – meinen sie – aus ihrer Erfahrung Grund genug zu verstehen, daß sie schon Gott den Vater kennen, zu dem Jesus geht mit seinem Tod. Deshalb verstehen sie auch nicht, daß Jesus ihnen etwas überträgt.

Sie haben auch nicht – meinen sie – aus ihrer Erfahrung Grund genug zu verstehen, was er meint, wenn er zu ihnen sagt, daß er wiederkommt und sie mitnimmt – denn wo er ist, sollen auch sie sein.

Jesus spricht von seinem bevorstehenden Tod. Er wußte, was geschehen würde. Er sollte in die zynischen Hände der Macht geraten. Er sollte dem Spiel überlassen werden, bei dem niemand Verantwortung übernehmen will und wo alles so aussieht, als würde es nur so geschehen. Er sollte dem Spiel ausgeliefert werden, wo menschlicher Anstand und Verantwortung zerbrechen und zu kalter und zynischer Unmenschlichkeit werden, so wie wir dies auch heute in der Welt sehen. Er wußte, daß die – menschlich gesehen – ungewisse Zukunft nicht ungewiß war, sie war und ist vielmehr Geborgenheit, weil sie die Zukunft Gottes ist.

Die andere Seite gehört deshalb mit dazu. Die Szene ist in Wirklichkeit eine Szene, wo Verheißungen ausgesprochen werden und ein Segen geschenkt wird. Jesus läßt die unverständigen Jünger und uns Unverständige teilhaben am Segen Gottes. Wir haben teil an dem, was sein ist. Wir haben teil an seiner Macht über Leben und Tod. Wir haben Teil an seiner schöpferischen und erlösenden Macht.

Wir teilen und erfahren, daß dies nicht mehr in der uns ungewissen Zukunft liegt, sondern schon in den Erfahrungen, die wir machen. Hier gilt wieder, daß der Anfang das Ende in sich birgt und das Ende den Anfang.

Von Anfang an, vom Wort der Schöpfung, bis zu Jesu Wort zu den Jüngern, daß in seinem Vaterhaus viele Wohnungen sind, und bis zu den Worten an den Räuber am Kreuz: „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“, zieht sich eine Linie. Das eine ist im anderen enthalten.

Die Schöpfung ist Entstehung durch das Wort. Das Wort ist: „Es werde Licht“, und der Mensch soll leben und Licht werden. Die Erfahrung erzählt uns, daß wir nicht immer das Licht wollen, sondern auch die Finsternis. Wir können nicht erklären warum. Die Eigenliebe, die Selbstgerechtigkeit, der Ehrgeiz, die Minder­wertigkeitsgefühle treten dazwischen und hindern uns daran, den anderen Menschen als Gottes Geschöpf zu sehen. Wir sehen ihn als einen Konkurrenten, als eine Bedrohung. Dann wählen wir die Finsternis, den Zynismus, die Ohnmacht, den Haß oder wie wir es nun nennen mögen.

Das will Gott der Vater nicht. Er will nicht den Tod eines Menschen. Er schickt uns das Wort, er schickt uns seinen eigenen Sohn, der er selbst ist. Er kommt mit anderen Worten zu uns nicht nur im Wort, sondern in menschlicher Gestalt. Er ist Gott und Mensch. Er kommt, um wieder fortzugehen und uns erfahren zu lassen, daß wir im Tode nicht einer ungewissen Zukunft aus­geliefert werden, sondern dem Gott der Schöpfung und der Erlösung, der ein und derselbe ist, von Anfang bis zum Ende, von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Er kommt, um uns die Erfahrung zu geben, daß uns der Wille Gottes als Segen auferlegt wird und nicht als unerträgliche Last. Er kommt nicht, um uns eine Forderung nach der anderen auf­zuerlegen, eine Bedingung nach der anderen, sondern um uns erfahren zu lassen, was der Weg ist, was Wahrheit ist und was Leben ist.

Er ist selbst in Jesus Christus der Weg. Er ist der Weg von Gott zum Menschen, und er ist der Weg vom Menschen zu Gott. Das ist kein unendlich langer Weg. Kein Weg, der nicht zu finden wäre. Er ist die Inkarnation dieses Weges. Er ist die Verleibli­chung dieses Weges. Der Weg Gottes ist in der Welt der Menschen zu finden, nicht außerhalb von ihr, nicht abgesehen von ihr, sondern in ihr. Dort zeigt er uns, wer er ist: Er ist der Weg, der zu gehen ist.

Der Weg ist kommen und wieder gehen. So ist das Leben. In die Welt kommen Zur Welt kommen. Das Leben ist auch, daß man wieder fortgehen muß Der Weg führt durch den Tod. Und wir sind so glücklich, daß wir nun nicht nur sagen können, daß der Weg in den Tod führt. Wir können sagen, daß der Weg durch den Tod führt. Denn das ist der Segen, den uns Jesus Christus bringt, daß der Weg durch den Tod geht und weiter in das Reich Gottes.

Ja, wieder ist es so, daß der Anfang im Ende ist und das Ende im Anfang. Denn wo wir die in der Ausdehnung der Zeit denken, als einen Ablauf, da ist es dennoch in einem Punkt konzentriert. Das schöpferische Wort ist nicht verschieden oder früher als das erlösende Wort. Es ist nicht etwas anderes, was hinzugefügt wird. Das schöpfende Wort ist schon das erlösende Wort.

Deshalb wird die Bitte der Jünger, den Vater zu sehen, abgelehnt. Ihn haben sie ja gesehen. Er hat sich ihnen ja in Jesus gezeigt. Wir haben keine andere Möglichkeit, Gott zu sehen oder Gott kennenzulernen als durch seine Offenbarung in Jesus Christus. Er ist der Weg zum Heil.

Es gibt keine andere Wahrheit über das Menschenleben. Die Wahrheit ist, daß Gott den Menschen von Anfang an gewollt hat und daß er alles aufs Spiel setzt, um den Menschen zu retten, der nicht wollte, was er sollte.

Und das ist das Leben, wie Jesus es lebt: Geburt, Aufwach­sen, Mißverständnisse, Liebe, reiche und tiefe menschliche Erfahrungen, die in dem Licht der Verklärung gesehen werden können, die Gott gibt, das sind Leiden, Verhöhnung und Tod. Das ist Hoffnung – trotz allem. Das ist Friede von Gott trotz menschlichem Unfrieden. Das Leben ist nicht an anderer Stelle. Das Leben ist hier, wo Gott in seinem Wort zu uns kommt.

Denn Jesus ist zwar von uns gegangen. Aber er kommt wieder im Heiligen Geist und in seinem Wort. In ihm ist er bei uns. Dort können wir den Vater sehen, denn die Worte Jesu sind nicht seine eigenen menschlichen Worte. Das ist das Wort von Gott dem Vater, das er uns im Leben und Sterben Jesu brachte. Glücklich das Volk, das Ohren hat zu hören. Es wird hören, daß Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist und daß und durch ihn das Reich Gottes zuteil wird. Amen.

Propst Poul Henning Bartholin
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