
Amos 3,2; Micha 6,8
Israels „Erwählung“: Eine Gabe wird zur Aufgabe | 3. So. n. Trinitatis | 06.07.2025 | Amos 3,2; Micha 6,8 | verfasst von Thomas Bautz
„Nur euch habe ich erwählt / aus allen Stämmen der Erde; darum ziehe ich euch zur Rechenschaft / für alle eure Vergehen.“
Liebe Gemeinde!
Der Iran und Israel waren nicht immer Todfeinde. Iran war nach der Türkei im März 1950 das zweite muslimische Land, das Israel offiziell anerkannte. Die beiden Länder arbeiteten zusammen.[1] Sie entwickelten Kooperationsprojekte für die Infrastruktur oder Agrarpolitik. Israelische Spezialisten bildeten iranische Sicherheitskräfte und Geheimdienstmitarbeiter aus. Die guten iranisch-israelischen Beziehungen brachen mit der islamischen Revolution im Iran 1979 jäh ab: Revolutionsführer Ruhollah Chomeini ruft die USA und Israel als Erzfeinde aus. Die Führung in Teheran erkennt das Existenzrecht Israels nicht länger an, vielmehr wird der Kampf gegen Israel zur iranischen Staatsdoktrin. Im Auftrag von Ajatollah Chomenei gründen iranische Revolutionsgarden die schiitische Hisbollah-Miliz, die israelisches Militär jeweils zurückdrängen soll.
Der Hass des Revolutionsführers hat machtpolitische Gründe. Chomenei macht die Unterstützung der Palästinenser und die Feindschaft mit Israel zu zentralen politischen Säulen, weil er für sich und sein Land nach der Vorreiterrolle in der islamischen Welt strebt. Die Palästina-Frage dient ihm dafür als Vehikel. Ohne diese könnte er als Angehöriger der schiitischen Minderheit kaum gleichermaßen anerkannt werden. An dieser grundsätzlichen Position als „Anwalt der Palästinenser“ hält der Iran[2] bis heute fest. Die Islamische Republik Iran[3] bezeichne ich als ein heuchlerisches, totalitäres Regime, das sein Volk subtil und gleichermaßen brutal unterdrückt. Selbstherrlich beruft sich der Ajatolla auf religiöse, pseudoislamische Wurzeln mit theokratischen Elementen, verfolgt, foltert, ermordet aber jeden Menschen, der seine Ideologien hinterfragt und seinen Machtbereich kritisiert.
Zu Konflikten Israels mit Palästina als Teil des Nahostkonflikts:[4] Konflikt um die Region Palästina, der dort zu Beginn des 20. Jh. zwischen Juden und Arabern entstand. Er führte wiederholt zu Kriegen zwischen dem am 14. Mai 1948 gegründeten Staat Israel und einigen der Nachbarstaaten (israelisch-arabischer Konflikt) sowie zu zahlreichen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern (israelisch-palästinensischer Konflikt). Der internationale Konflikt in der Region dauert bis heute an. Palästina ist ein „De-facto-Staat“, von der UN mehrheitlich anerkannt, nicht aber von den USA und deutschsprachigen Ländern. Palästina beansprucht die Gebiete des Westjordanlands mit Ostjerusalem und den Gazastreifen, die seit 1967 von Israel besetzt sind.
1988 erfolgt eine Unabhängigkeitserklärung der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO); ab 1994 kommt es zum Teil-Abzug Israels und damit zur eingeschränkten Unabhängigkeit Palästinas in den Autonomiegebieten. Zu deren Selbstverwaltung wurde die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) gegründet, geführt von der politischen Partei Fatah. 2007 zerfiel Palästina jedoch wegen des Fatah-Hamas-Konflikts in zwei Hoheitsgebiete: Das von der PA bzw. Fatah regierte Westjordanland mit drei Millionen Einwohnern und den von der radikal-islamischen Hamas kontrollierte Gazastreifen mit zwei Millionen Einwohnern. Das Westjordanland wie auch der Gazastreifen werden autoritär regiert. Nach 2006 wurden in keinem der beiden Gebiete mehr Wahlen abgehalten. Die Presse- und Meinungsfreiheit sind stark eingeschränkt.
Da die Palästinenser die gleichen Gebiete: Westjordanland und Gazastreifen beanspruchen wie Israel, konnte es bislang keinen Frieden zwischen beiden Völkern geben, lediglich Abkommen und Verträge (z.B. der Oslo-Friedensprozess).[5] Der Terrorangriff der Hamas auf Israel 2023 (7. Okt.) stellt mit 1.182 Todesopfern den offenbar größten Massenmord an Juden seit dem Holocaust dar.[6] Netanjahu, als Ministerpräsident mit insgesamt längster Amtszeit in Israel, hat durch das israelische Militär den Gazastreifen zu einem Trümmerfeld zerbomben lassen und schürt noch den gegenseitigen Hass mit einer perfiden Kriegsrhetorik. Er verwendet in einer Rede (Pressekonferenz, 29.10.2023) eine in Israel geläufige biblische Metapher zur Untermauerung und Ermutigung, in eine neue Phase des Krieges einzutreten:[7]
„Ihr müsst euch erinnern, was Amelek euch angetan hat, sagt unsere heilige Schrift.“ Gott verweist auf den Überfall der Amalekiter auf die Juden, als diese geschwächt und ausgehungert aus Ägypten ausziehen. Er gebietet dem Volk Israel, die Amalekiter auszurotten, sobald sie Sicherheit gefunden haben auf dem Land, das Gott ihnen geschenkt hat. Netanjahus beabsichtigte Stoßrichtung scheint klar: Wer Grausamkeit erlitten hat, darf grausam zurückschlagen. In seinem großen Werk über das jüdische Rechtssystem schreibt der Philosoph und Theologe Maimonides im 12. Jahrhundert: Der Befehl, die Amalekiter auszulöschen, falle so harsch aus, weil sie sich weigerten, Frieden zu schließen.
In der Moderne werden die Amalekiter vielfach mit Feinden Israels bzw. der Juden gleichgesetzt, darunter Palästinenser. Während des Israel-Gaza-Krieges ab 2023 wurden die Palästinenser und die militant-islamistische Hamas seitens israelischer Politiker und Medien vielfach mit den Amalekitern gleichgesetzt. Inzwischen kam es – angefeuert durch Netanjahu – zu einer gewaltigen Eskalation gegenüber dem palästinischen Volk im Gazastreifen, so dass Zivilisten aller Generationen getötet werden und Überlebende ziellos umherirren. Lebensmittellieferungen werden überwiegend durch das israelische Militär gestoppt, mit der Behauptung, die Hamas bekämen sie in ihre Hände.
Insgesamt lässt sich der Gegenangriff Netanjahus, den er längst zu seiner persönlichen Sache, als Rachefeldzug, durchführt nur noch als Völkerrechtsbruch[8] verurteilen; die Verhältnismäßigkeit der Mittel ist nicht mehr gewahrt. Das Existenzrecht der Palästinenser wird mit Füßen getreten. Weil er auf die Grausamkeiten der Hamas potenziert mit Grausamkeiten reagiert, begibt er sich nicht nur auf eine Stufe mit der Terrororganisation, sondern eskaliert die Situation bis zum Genozid. Es sollte ein Waffenembargo erwogen und durchgeführt werden, das es z.B. den USA und Deutschland verböte, Israel in der geschilderten Situation noch Waffen zu liefern.
Ich belasse es bei diesen Fragmenten zur vielschichtigen Geschichte und Politik, verzichte auch auf die historische Entwicklung des iranischen Atomprogramms und erwähne nur, dass Israel bestens mit Nuklearwaffen ausgerüstet ist (lange geheim gehalten), den Atomwaffensperrvertrag aber nicht unterschrieben hat. Nun beschreite ich einen anderen Weg:
Den Weg, der in der Tora in Gestalt prophetischer Verkündigung vorgezeichnet ist. Das Judentum kann die gesamte hebräische Bibel als Tora, als Weisung, ansehen. Hervorstechend sind besonders die prophetischen Bücher, die von Prophetenschulen konzipiert werden. Propheten verkünden das Wort Gottes (JHWHs), treten als Künder des Gottes Israels auf; sie sollen Sozialkritik üben, wo Armen, Witwen und Waisen – den Elenden im Lande – Unrecht, Ungerechtigkeit widerfährt; wo einseitig den Reichen Vorteile erwachsen. Kritik an der Sozialpolitik hat eine religiöse, spirituelle und politische Dimension. Je nach Einhaltung oder Ablehnung prophetischer Weisung erfolgen Hinweise auf das Wohlwollen JHWHs oder Droh- und Gerichtsworte JHWHs durch die Propheten.
Außenpolitisch fokussieren sich Propheten auf Fehlentscheidungen einzelner Könige im Nordreich Israel und im Südreich Juda.[9] Dabei zeigen sich zuweilen unheilvolle Allianzen[10] mit Großmächten wie mit Assyrien[11] und Babylonien,[12] die zur Zerstörung des Tempels, des Zentralheiligtums in Jerusalem, führen. Später zerstören die Römer den Tempel, nur die Westmauer bleibt stehen; die Bezeichnung „Klagemauer“ ist zu einseitig und ungeschickt.[13] Mehr und mehr gewinnt die Westmauer an religiöser Bedeutung. Menschen aller Generationen und Berufsgruppen beten vor der Westmauer oder lesen in der Tora. Viele haben ihre Sehnsüchte und Fürbitten auf kleine Zettel geschrieben, die sie dann zwischen die Ritzen der Steine stecken. Es gibt ein anrührendes, bewegendes Video dazu sowie zum Alltagsleben in Jerusalem überhaupt.[14]
Jerusalem war und bleibt aber bis heute ein Konfliktpotential, zugespitzt durch Ansprüche der drei Buchreligionen (Judentum, Christentum, Islam) auf Autonomie, auf Alleingültigkeit ihrer Heiligtümer. Jerusalem verkörpert geradezu den Zwiespalt, den Widerspruch zwischen „heiliger Stadt“ oder „goldener Stadt“ („Yerushalayim shel sahav“) und der Vielzahl der Anschläge, die dort geschehen und der immer wieder aufflammenden Kriege mit Nachbarvölkern.
Eine profane Geschichte Israels zu schreiben, ist sehr kompliziert; es gibt zu viele Lücken, außerdem subjektive religiöse Einfärbungen in einzelnen Erzählungen. Mitunter helfen aber außerbiblische Quellen. So lässt sich erschließen, dass die Nachbarvölker bereits Könige haben, bevor sich das Königtum in Israel etabliert. Konstitutive Akte der Königserhebung sind Designation durch JHWH und Akklamation des Volkes. „Das bedeutet: Niemand kann aus eigener Machtvollkommenheit In Israel König werden. Er bedarf der göttlichen Zustimmung, die im Akt der Salbung sichtbar wird“ und der „Zustimmung des Volkes, der freien Männer des israelitischen Gemeinwesens.“[15] Trotz dieser hohen Beglaubigung des Königsamtes kommt es immer wieder zu Entgleisungen und Machtmissbrauch.
Es ist jedoch klar, dass Gott der eigentliche König des Landes ist. In den Psalmen wird er deshalb selbst als König verehrt (Psalm 93–99). In der Tora gibt es spezielle Anweisungen für den König (Dt 17,14–20); die Propheten werfen im Auftrag Gottes den Königen ihre Verstöße gegen Gottes Gebote vor. Der Untergang des Nordreichs Israel, das von den Assyrern zerstört wird (722 v.d.Z.) und dann des Südreichs Juda, das die Babylonier erobern (587 v.d.Z.), gilt als Strafe Gottes für die Abwendung der Könige vom Gott Israels. Die Könige, die das Volk Israel einst so dringend haben wollte, haben es schließlich ins Unglück gestürzt. Sie können dem Volk in auswegloser Lage nicht helfen. JHWH hat sie, mit dem Volk, verstoßen. Denn er hat sich wie ein Hirte um sein Volk gekümmert, aber (Hos 13,5–6):
„Ich habe dich in der Wüste auf die Weide geführt, / im Land der glühenden Hitze. Als sie ihre Weide hatten, wurden sie satt. / Als sie satt waren, wurde ihr Herz überheblich, / darum vergaßen sie mich.“[16]
JHWH reagiert enttäuscht und (vielleicht) ungewohnt unbarmherzig (Hosea 13,9–11):
„Ich vernichte dich, Israel. / Wer kommt dir zu Hilfe? Wo ist denn dein König, der dich retten könnte, / dich und all deine Städte? Wo sind deine Regenten, von denen du sagtest: / ‚Gib mir einen König und Fürsten!‘ In meinem Zorn gab ich dir einen König, / in meinem Groll nahm ich ihn weg.“
Wohlgemerkt, da spricht kein Anhänger der Terrororganisation Hamas, auch kein anderer Feind aus dem Umfeld Israels, sondern ein namhafter Prophet Israels! Wer in Israel auch heute noch die Tora, die hebräische Bibel, nicht nur als Kulturgut, sondern ebenso als religiöse, ethische und politische Richtschnur achtet, müsste ein sensibles Gewissen haben. Die Prophetenbücher zeigen ganz klar, dass es damals keine strikte Trennung von Religion und Politik gab. Ich habe (wie viele andere) stets daran festgehalten, die Politik des Staates Israel zu trennen vom Judentum, also von der religiösen Tradition Israels, ergo auch von der Tora, der Weisung JHWHs, gerade weil Israel keine Verfassung[17] hat, sondern nur einzelne Grundgesetze, und gerade weil Netanjahu eigenmächtig Gesetze ändert. Darin ist er dem US-Präsidenten ähnlich, von dem er auch Rückendeckung bekommt.
Die Verantwortung auf Grund der Tradition spricht der Prophet Amos an (3,1–2):
„Hört dieses Wort, das JHWH gesprochen hat / über euch, ihr Söhne Israels, über den ganzen Stamm, / den ich aus Ägypten heraufgeführt habe. Nur euch habe ich erwählt / aus allen Stämmen der Erde; darum ziehe ich euch zur Rechenschaft / für alle eure Vergehen.“
Die Erwählung Israels – dokumentiert durch die Erzählung vom Exodus, dass JHWH sein Volk aus der Knechtschaft in Ägypten herausführte – hat sich zu einem „religiösen Selbstbewußtsein“ entwickelt. Doch hat JHWH Israels Erzfeinden, z.B. den Philistern und Aramäern, „die Wege dieser beiden Völker in die palästinisch-syrische Welt“ ebenso gebahnt (Amos 9,7b). Auf diese Weise „degradiert Amos Israels Selbstbewußtsein.“[18] Israel muss zur Rechenschaft gezogen werden, weil es die Vergehen, die es sich im Laufe der Geschichte leistet, meint mit seiner Erwählung durch JHWH ausgleichen zu dürfen. Aber JHWH „wacht auch über den Ordnungen des Völkerrechts“, ahndet „die Verfehlungen Israels“.[19] Die „Vorleistung“ JHWHs ist sein Treuebund mit Israel (Dtn 7,6–8):
„Denn du bist ein Volk, das JHWH, deinem Gott, heilig ist. Dich hat JHWH, dein Gott, ausgewählt, damit du unter allen Völkern, die auf der Erde leben, das Volk wirst, das ihm persönlich gehört. Nicht weil ihr zahlreicher als die anderen Völker wäret, hat euch JHWH ins Herz geschlossen und erwählt; ihr seid das kleinste unter allen Völkern. Weil JHWH euch liebt und weil er den Eid achtet, den er euren Vätern geleistet hat, deshalb hat JHWH euch mit starker Hand herausgeführt und euch aus dem Sklavenhaus freigekauft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“
„Israel besitzt keinen Anspruch auf Gottes Zuwendung.“ Der Exodus als göttliche Befreiungstat „ist nicht auf die Israeliten beschränkt. Auch andere Völker sind von Gott ‚herausgeführt‘ worden.“[20]
Grundlegendes Motiv für eine Erwählung liegt – profan wie biblisch – bei dem Erwählenden, nicht bei dem Erwählten. Subjekt der Erwählung Israels ist JHWH; er erwählt das Volk, nicht weil es groß oder großartig ist – es ist das Kleinste unter den Völkern –, sondern aus Zuneigung, aus seiner Liebe. Mit der Erwählung verbinden sich allerdings Aufgaben, Verpflichtungen: innerhalb des eigenen Volkes, aber auch gegenüber Fremdvölkern und Nachbarländern. Die Geschichte Israels spiegelt seit ihrer Frühzeit nicht nur kriegerische Auseinandersetzungen mit anderen Völkern und JHWHs vehemente Mahnung, sich von deren Götterkulten oder Götzendiensten abzusondern – sie bezeugt auch, wie sehr Israels Erwählung damit verbunden ist, als Vorbild inmitten der Völkerwelt zu dienen. Innerhalb der gesamten Völkerfamilie nimmt Israel eine Sonderstellung ein, bildet das geographische Zentrum der Völkerwelt und gewinnt theologisch eine zentrale und herausgehobene Rolle als Gottesvolk innerhalb der Völkerwelt, ausgedrückt mit der Bundestheologie sowie der Erwählung des Volkes durch JHWH.[21]
Amos kritisiert, dass Israel offenbar die Bedeutung der Erwählung missachtet, so dass „selbst das Exodusgeschehen auf die Linie allgemeiner göttlicher Geschichtsführungen herabsinken“ muss. „Aber sie haben nichts von ihrer wahren Lage Jahwe gegenüber begriffen!“ „Daß Jahwe in einer langen Geschichte (…) fortwährend bei ihnen angeklopft hat, haben sie nicht gemerkt“.[22]
Im Laufe der Jahrhunderte mag sich der Erwählungsgedanke unmerklich zu einem Selbstbewusstsein gewandelt haben, das zunächst lediglich religiösen Charakter hatte, das sich aber nach und nach zu einem politischen Selbstbewusstsein verändert hat. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 hat sich das Selbstbewusstsein Israels peu à peu immens verstärkt, nicht zuletzt durch die Reputationen der USA und anderer westlicher Staaten. Ich habe bislang immer die Meinung vertreten, dass die Politik des Staates Israel weder verwechselt noch vermischt werden dürfe mit dem Judentum, das sehr viel älter ist in Gestalt der religiösen und kulturellen Traditionen, die es beinhaltet. Nun zeugen aber die prophetischen Überlieferungen der Tora von der gegenseitigen Durchdringung von Religion und Politik, innen- wie außenpolitisch; ich muss meine Meinung revidieren.
Bei der Beschäftigung mit der historischen und aktuellen Problematik im Nahen Osten frage ich nach Kriterien für ein angemessenes Verhalten Israels und seiner Regierung, dabei erinnere ich mich (nicht zum ersten Mal) an die scharfe Kritik aus den Reihen des Prophetentums an den jeweiligen Königen (Regierungen) Israels. JHWH, der Gott Israels, hat sein Volk nicht verschont, gerade weil er es aus Liebe erwählt hat; doch werden Wohltaten und Bewahrung in Gefahren, ja, JHWH selbst vergessen. Man mag die berechtigte Frage stellen, welche Rolle ein Bekenntnis zu JHWH („Gott“) im heutigen Israel, namentlich für seine Regierung noch spielt. Deutschland hat immerhin seinem Grundgesetz die Präambel vorangestellt (23. Mai 1949):
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Orientierung an Gott darf kein leeres Gerede oder gar missbraucht werden, um einseitige Politik durchzusetzen und Religion zu instrumentalisieren. Was soll man tun? Der Prophet Micha sagt:
„Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist / und was JHWH von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, / Güte und Treue lieben / und besonnen gehen mit deinem Gott (Elohim).“[23]
Amen.
Pfarrer Thomas Bautz
(„im Unruhestand“)
Bonn
bautzprivat@gmx.de
Fussnoten
[1] Cf. im Folgenden https://www.deutschlandfunk.de/israel-iran-erzfeinde-nahost-100.html.
[2] Zum Iran, s. das Dossier https://www.bpb.de/themen/naher-mittlerer-osten/iran/.
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_der_Islamischen_Republik_Iran.
[4] Cf. https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stina_(Staat); https://de.wikipedia.org/wiki/Nahostkonflikt.
[5] https://de.wikipedia.org/wiki/Oslo-Friedensprozess.
[6] https://de.wikipedia.org/wiki/Terrorangriff_der_Hamas_auf_Israel_2023.
[7] https://taz.de/Benjamin-Netanjahus-Kriegsrhetorik/!5964144/; die Amalekiter gelten in der hebräischen Bibel als räuberisches Nomadenvolk, das im Süden der Region Palästina lebte und ein Erzfeind der Juden war; https://de.wikipedia.org/wiki/Amalekiter.
[8] https://www.ecchr.eu/fall/voelkerrecht-unter-beschuss/; https://www.mpil.de/de/pub/aktuelles.cfm; Projekt: Völkerrechtsordnung und Völkerrechtsbruch: Theorie und Praxis der Illegalität im Ius Contra Bellum.
[9] https://de.wikipedia.org/wiki/Nordreich_Israel; https://de.wikipedia.org/wiki/Juda_(Reich); biblisch-theol.: https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/israel-at (grundlegend). Der Name kann für das gesamte Nord- und Südreich (Juda) umfassende Gebiet und für den Staat auf diesem Gebiet stehen.
[10] So z.B. https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/syrisch-ephraimitischer-krieg.
[11] https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/assyrien-assyrer; bes. (8.2.) Der Einfluss Assyriens auf die judäische Religions- und Theologiegeschichte.
[12] https://www.die-bibel.de/ressourcen/wibilex/altes-testament/babylonien-babylonier-2; bes. (6.) Bedeutung für das AT.
[13] https://de.wikipedia.org/wiki/Westmauer.
[14] Jerusalem – Yerushalayim: https://www.youtube.com/watch?v=UZysDfygzsE.
[15] Siegfried Herrmann: Geschichte Israels in alttestamentlicher Zeit (2., überarb. u. erw. Aufl. 1980), 176.
[16] Cf. Hos 13,4a: „Ich bin JHWH, dein Gott, vom Lande Ägypten her.“ Satte Überheblichkeit, Selbstgenügsamkeit, so dass sich Israel auf eigene Kraft, Leistung und Frömmigkeit zu gründen meint, wozu auch „die Vergötzung von Wohlstand“ gehört, sind Zeichen der Gottvergessenheit; s. Brigitte Seifert: Metaphorisches Reden von Gott im Hoseabuch, FRLANT 166 (1996): (II.) Exegesen (2.3.) Der Hirte wird zum Raubtier (Hos 13,4–8), 170–181: Tödliche Gottvergessenheit, 178–181: 178.
[17] https://www.bundestag.de/resource/blob/411770/WD-1-016-07-pdf: Entwicklung von Staat und Verfassung in Israel, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Eine Ausarbeitung (2007).
[18] Hans Walter Wolff: Die Stunde des Amos. Prophetie und Protest (61986): (I.) Der Prophet und seine Verkündigung (11–67): Kritik des religiösen Selbstbewußtseins, 39–53: 42–43.
[19] Gerhard von Rad: Theologie des AT. Bd. II (71980): Die Theologie der prophetischen Überlieferungen Israels (II.) (2.) Amos, 137–145: 141.
[20] Roland Gradwohl: Bibelauslegungen aus jüdischen Quellen. Bd. 1 (1986): Israels „Erwählung“: Eine Gabe wird zur Aufgabe (Dtn 7,6–12), 118–128: 124.
[21] Cf. Kristin Weingart: Volk (AT), wibilex (2016): (3.) Das Volk Israel und die Völker (3.1.) Israel als Teil und Zentrum der Völkerfamilie, pdf, S. 11.
[22] von Rad: Theologie des AT. Bd. II (71980), 144.
[23] Micha. Übersetzt u. ausgelegt v. Rainer Kessler, HThK. AT (1999), 257; Exegese, 261–271; „besonnen“ auch mit „einsichtig, klug, behutsam, vorsichtig“ übersetzbar (271.