
Apostelgeschichte 16,23-34
Gefährliches Lob | Kantate | 18.05.2025 | Apg 16,23-34 | Verena Salvisberg |
Liebe Gemeinde
Christinnen und Christen sind radikal und gefährlich. Schwierige Fälle. Öffentliches Auftreten ist ihnen verboten. Sie dürfen keine Reden halten oder demonstrieren. Sir dürfen kein öffentliches Amt bekleiden. Nicht selten werden sie verfolgt und verprügelt, verhaftet und ohne rechtskräftiges Urteil ins Gefängnis gesteckt… Nein, ganz offensichtlich spreche ich nicht von uns, nicht von hier und heute. Beispiele für diese Realität, die nicht die unsere ist, gibt es jedoch im Laufe der Kirchengeschichte viele, von den frühsten Christenverfolgungen über die Situation in den Staaten des Ostens im letzten Jahrhundert bis zu heutigen Brennpunkten der Bedrohung der Religionsfreiheit in gewissen Staaten in Asien oder Afrika.
Wer bin ich also, deren Freiheit nie bedroht war, die immer sagen durfte, was sie denkt, die alle Ämter haben könnte, wer bin ich, über diese Geschichte zu predigen, die uns hier in der Apostelgeschichte erzählt wird? Was kann ich sagen oder tun?
Paulus und Silas werden nach ihrem Auftritt in der Öffentlichkeit verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, sozusagen in den Hochsicherheitstrakt.
Nachdem man sie hart geschlagen hatte, warf man sie ins Gefängnis und befahl dem Kerkermeister, sie gut zu bewachen. Als er diesen Befehl empfangen hatte, warf er sie in das innerste Gefängnis und legte ihre Füße in den Block.
Der Block, ein Folterinstrument, das jede Bewegung verunmöglicht. Und damit wirklich nichts mehr passieren kann, haftet der Kerkermeister mit seinem Leben für die Gefangenen. So gefährlich sind sie, dass es diese krassen Massnahmen braucht. Auch nach römischem Recht ist das nicht legal. Jemanden so zu behandeln ohne Gerichtsverfahren und rechtskräftiges Urteil. Aber die Sicherheit der Gesellschaft verlangt zu allen Zeiten in schwierigen Fällen ein besonderes Vorgehen.
Christinnen und Christen wie Paulus und Silas sind schwierige Fälle. Nichts bringt sie davon ab, ihre Botschaft zu verkündigen, mitten auf der Strasse. So haben sie schon manchen Menschenauflauf provoziert und unerwünschte Versammlungen. Sie haben über Jesus von Nazareth gepredigt, er solle der Christus, er solle Gottes Sohn sein, man solle darum ihm mehr gehorchen als den Menschen. Und so ein Mensch ist in ihren Augen ja auch der göttliche Kaiser in Rom.
Paulus und Silas, ja, das ist ein schwieriger Fall, diese Christen. Sie trotzen der Gefahr, anzuecken und in der hintersten Ecke des Gefängnisses zu landen. Sie trotzen dem Risiko, sich in einer äusserst unbequemen Lage wiederzufinden, eingeschlossen im Block, mit allerhöchstens noch der Freiheit, ein bisschen den Hintern hin- und herzubewegen. Selbst in dieser Lage bleiben Paulus und Silas ein schwieriger Fall. Sie benehmen sich nicht wie normale Gefangene. Kein Brüllen und Fluchen, keine Parolen. Nichts von dem, was uns in schweren Zeiten, einfällt: Not lehrt beten. «Lieber Gott, wenn es dich gibt, mach dass wir losgebunden werden. Befreie uns. Bitte schnell und dafür danke ich dir auch von Herzen.»
Nein, ein solch jämmerliches Gebet hallt nicht durch die Gefängnismauern der Stadt Philippi. Die Not ist wohl doch nicht so ein überragender Lehrmeister in Sachen Gebet, wie der Volksmund behauptet. Beten will nicht erst in Notzeiten gelernt sein. Eher könnte es sein, dass man gerade dann feststellt, dass man es gar nicht kann, das Beten. Oder auch das Singen.
Damit will ich nicht sagen, dass Gott nicht auch das jämmerlichste Gebet hört.
Aber das Gebet, das die Not von Paulus und Silas wendet, ist ein anderes.
Hier beten zwei Menschen, die mit ihrem Gott auch in guten Tagen eine Geschichte haben.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an.
Sie stimmen das Lob an über ihre Erfahrung mit Jesus Christus in guten Tagen, über ihre Erfahrung, dass er sie erlöst, geschickt und bewahrt hat so viele Male und so manches Jahr. Und wenn die Not gross und mächtig wird, so dass mir nichts mehr einfällt aus meinem Leben, wofür es sich zu loben lohnt, dann soll Gott gelobt werden für seine Schöpfung, für alles Lebendige, für seine Treue, nicht nur mit seinem Volk. Für seine Menschwerdung. Für die Liebe, die nicht mal vor dem Tod Angst hat. So, in der Art, stelle ich mir vor, haben Paulus und Silas gebetet und Lobgesänge angestimmt.
Das ist übrigens der Vorteil der Lobgesänge, es gibt sie ja schon, jemand hat sie gedichtet und komponiert, sie müssen nicht auf Teufel komm raus aus der aktuellen Situation herausgepresst werden.
Und die anderen Gefangenen hörten zu.
Es gibt Orte und Zeiten, da werden Christinnen und Christen verfolgt und ins Gefängnis geworfen. Wie weit entfernt ist das doch von dem Christentum, wie wir es kennen. Eher etwas lauwarm und wenn es grad gut passt. Oft auch einfach im stillen Kämmerlein.
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu.
So geschieht’s, dass im dunklen und gottfernen Winkel des Gefängnisses und des eigenen Schicksals, eine andere Realität Gottes herbeigerufen wird. So geschieht’s, dass da, wo Tod und Teufel lachen und regieren, die Herrschaft Gottes ausgerufen wird.
Darin besteht das Bet- und Lobamt der Kirche. Als Gottesdienst und als Dienst an der Welt und ihren Menschen. Gerade darum, weil es in der Welt so viel zu kritisieren und oft wenig Grund zum Loben gibt.
Auch wenn uns oft das Lied und das Lob im Hals stecken bleibt angesichts der Weltlage.
Heute ist Kantate. Der Sonntag, der uns daran erinnert: Lobt Gott! Betet und lobt!
Der Rhythmus des Kirchenjahrs lässt sich nicht beirren, ein Sonntag wie heute stört unser Versinken in den Problemen, lenkt den Blick auf Zusammenhänge, die im Sumpf der Herausforderungen und Ängste verschüttet werden können. Die Zeiten mögen sein, wie sie wollen: An Kantate wird gesungen!
Gott in die finstersten Winkel der Welt und in unsere Herzen hineinsingen. Sein Reich ausrufen.
In manchem Bittgebet zeigt sich: Da nimmt sich einer unheimlich ernst mit all seinem Leiden und seinen Fragen und seinen Problemen. Das, was das Leben bedroht und gefährdet, wird dabei ganz stark.
Das Lob des Paulus und Silas im finsteren Kerker hingegen nimmt nicht den Kerker ernst, sondern Gott. Es singt von der rettenden und befreienden Kraft Gottes. Die muss man ernst nehmen.
Natürlich hören das die Kerker und Kerkermeister nicht gern. Natürlich hören das der Tod und seine Handlanger nicht gern. Sie wollen ja ernst genommen werden. Sie wollen, dass man sich vor ihrer Macht fürchtet. Das Lob Gottes nützt ihnen nichts, im Gegenteil. Das Lob des Auferstandenen ist der Feind allen Todes.
Die Gefangenen, die mit Silas und Paulus im Gefängnis sitzen, hören es dafür umso lieber. Darum ist es wichtig, dass das Lobamt öffentlich ist. Und es hat deswegen auch politische Konsequenzen.
Wo der gerechte Gott gelobt wird, kommt Ungerechtigkeit und Willkür an den Pranger. Wo von der Liebe Gottes gesungen wird, die allen Menschenkindern gilt, kommt Rassen- und Fremdenhass ans Licht.
Wo das Lied von Gott erklingt, der die verborgene Not sieht, wird die Gleichgültigkeit angeklagt.
Darum gilt: Noch viel mehr als die Klage wird das Lob Gottes für das Unheil auf der Welt gefährlich.
Davon erzählt unsere Geschichte:
Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas zu Gott und stimmten Lobgesänge an, und die anderen Gefangenen hörten zu.
Es gibt ein Erdbeben, die Mauern wanken, die Türen gehen auf, allen fallen die Fesseln ab. Allen, nicht nur Silas und Paulus. Freiheit für alle. Und zwar nicht nur die Freiheit, davonzurennen von diesem Ort der Finsternis, der Qual und des Schreckens. Gott schenkt sogar noch die grössere Freiheit, die Freiheit, da zu bleiben.
Und das ist ja das erstaunliche an dieser Geschichte. Niemand verlässt das Gefängnis, obwohl sie jetzt könnten. Niemand rennt davon, denn hier wird Hilfe gebraucht von gestandenen Christen, damit dem Kerkermeister nichts passiert. Er hat ja mit seinem Leben für die Sicherheit gebürgt und will deshalb Hand an sich legen, weil ihm dies ja nicht gelungen ist.
Paulus aber rief mit lauter Stimme: Tu dir nichts an, wir sind alle da!
Jener verlangte nach Licht, stürzte sich ins Innere und warf sich, am ganzen Leib zitternd, Paulus und Silas zu Füssen. Er führte sie ins Freie und sagte: Grosse Herren, was muss ich tun, um gerettet zu werden?
Sie sprachen: Glaube an Jesus, den Herrn, und du wirst gerettet werden, du und dein Haus.
So wird aus dem Kerkermeister ein anderer, einer, der sich retten lässt, nicht nur vor sich selbst.
Und so wird aus dem Kerkermeister ein anderer, ein Bruder.
Er nimmt Paulus und Silas zu sich und versorgt ihre Wunden.
Und er liess sich und alle die Seinen sogleich taufen und führte sie in sein Haus und bereitete ihnen den Tisch und freute sich mit seinem ganzen Hause, dass er zum Glauben an Gott gekommen war.
Man könnte noch vieles sagen zu dieser Geschichte, zum Beispiel: Der gemeinsame Gesang sprengt Mauern. Sie erinnern sich sicher an das Volkslied: Die Gedanken sind frei. Und sperrt man mich ein im finsteren Kerker, das alles sind rein vergebliche Werke; denn meine Gedanken zerreissen die Schranken und Mauern entzwei: die Gedanken sind frei.
Viele Erwartungen werden in dieser Geschichte durchbrochen:
Es kommt anders als wir gedacht haben.
Im Kerker wird nicht geklagt, sondern gebetet und gesungen und verkündigt.
Nach dem Erdbeben sind die Gefangenen frei, aber sie laufen nicht weg.
Auch der Gefängniswärter bleibt nicht der, den man erwartet. Was überzeugt ihn zu glauben? Nicht die eingestürzten Mauern, sondern dass die Gefangenen noch da sind.
Und schliesslich ist auch das Ende der Geschichte nicht zu erwarten: Die ehemaligen Gefangenen sitzen mit dem Gefängniswärter und seiner Familie am Tisch.
Darum singt! Kantate! Lasst uns Gott loben mit Herzen, Mund und Händen. Heute und alle Tage.
Uns wurde heute erzählt, dass nichts, was uns Angst macht, sicher ist vor den Lobgesängen und vor der Zuversicht, dass die Tage der Freiheit kommen.
Für manche, die gerne hätten, dass wir uns fürchten, ist das ein schwieriger Fall.
Amen
—
Pfrn. Verena Salvisberg Lantsch, Merligen
E-Mail: verenasalvisberg@bluewin.ch
Verena Salvisberg Lantsch, geb. 1965, Gemeindepfarrerin in Laufenburg, Frick und Roggwil BE, seit 2022 Regionalpfarrin der Berner Kirche im Kreis Berner Oberland/Oberes Emmental