Apostelgeschichte 16,9–15

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Das Evangelium verändert, die Hörenden und die Erzählenden gleichermaßen | Sexagesimae | 23.02.2025 | Apg 16,9–15 | Stephan Lorenz |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen

Am Anfang des Gottesdienstes wurden wir mit dem Wochenspruch aus dem Hebräerbrief hellhörig gemacht: Wenn ihr heute seine Stimme hört, seid nicht hartherzig wie verbitterte Leute. (3,15) Ein Zitat aus Psalm 97 (7-8) Aber was hören wir denn? Und: Was ist dann? Hören wir ‚seine‘ Stimme überhaupt?

Vielleicht hilft uns eine Geschichte aus der Apostelgeschichte weiter.

In der Nacht hat Paulus eine Vision: Ein mazedonischer Mann steht da und bittet ihn: „Komm nach Mazedonien und bring uns das Heil!“ Als Paulus die Vision schaut, drängen wir gleich zum Aufbruch nach Mazedonien. Wir schlossen daraus: Gott ruft uns, ihnen das Evangelium zu verkündigen. Von Troas aus stechen wir in See, fahren geradewegs nach Samothrake, am folgenden Tag nach Neapolis; von dort reisen wir nach Philippi, eine Stadt des ersten Teils von Mazedonien, eine Kolonie. In dieser Stadt verbringen wir mehrere Tage. Am Sabbat gehen wir aus dem Stadttor an den Fluss, wo wir eine Gebetsstätte vermuten, setzen uns und sprechen zu den Frauen, die sich dort versammeln. Eine Frau namens Lydia, eine Purpurwollenhändlerin aus der Stadt Thyatira, eine Gottesfürchtige, hört zu. Gott öffnet ihr das Herz. Sie hört, was Paulus sagt. Als sie und ihr Haus getauft sind, lädt sie uns ein: „Wenn ihr überzeugt seid, dass ich an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da.“ Und sie drängt uns, bis wir ihre Einladung annehmen.*

Eine aus der Retrospektive deutende Geschichte. Das kennen wir von uns. Rückblickend hat alles so kommen sollen, denken wir. Rückblickend machen manche Ereignisse und Erlebnisse Sinn. Rückblickend verstehen wir manchmal sogar die Brüche in unserem Leben, Glück und Unglück, Krankheit, ja Leid wird annehmbar, weil all diese Erlebnisse einen zu dem machen, der man jetzt ist. Und manchmal können wir auch Gottes Leitung in unserem Leben im Rückblick schauen.

Aber unsere Geschichte ist keine reine Fiktion. Sie beschreibt für uns einen historischen Moment. Paulus und sein Team gehen von Kleinasien nach Europa. So sehen wir das heute. Für diese Gruppe war es möglicherweise bloß eine Reise von einer römischen Provinz in eine andere. Westen, Osten, Europa sind moderne Konstrukte. Paulus wird in einigen Orten Kleinasiens abgewiesen. Man will vom Evangelium nichts hören. Ziemlich frustrierend wahrscheinlich. Aber, wie Lukas erzählt, von Gott so gewollt. Paulus und sein Team schlagen jetzt eine neue Richtung ein: Auf nach Mazedonien (unser Europa)! Sie fühlen sich durch seine Vision von Gott dazu beauftragt.

Wir heutigen sind hier vorsichtiger, wenn Menschen meinen, sie seien von der Vorsehung oder Gott mit einem Auftrag versehen. Letztlich fühlte sich der amerikanische Präsident von Gott beauftragt, seine Mission durchzuführen. Und fühlen Unwohlsein. Wir haben Helmut Schmidts Warnung im Ohr: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen…“ Deshalb ist es wichtig, dass Lukas berichtet, die Gruppe habe über die Vision gesprochen und beschlossen nach Mazedonien aufzubrechen. Paulus, sehen wir, ist ein Teamplayer.

Das Team erreicht die Provinzhauptstadt Philippi, eine römischen Veteranenkolonie. Eine lebendige Stadt römisch-griechischer Kultur und wirtschaftlichem Erfolg. Hier entsteht eine erste christliche Gemeinde. Und Lukas weiß das merkwürdig unspektakulär zu erzählen.

Es beginnt vor der Stadt, am Ufer eines Flusses mit einer Gruppe von Frauen. Vor der Stadt, wo die Gruppe die Gebetsstätte der kleinen jüdische Gemeinde vermutet. Keine große Missionsveranstaltung auf dem Forum. Außerhalb der Stadt ergibt sich ein persönliches Gespräch mit ein paar Frauen. Es ist Sabbat, man hat sich dort zum Gebet versammelt. Worüber Paulus mit den Frauen spricht, wird nicht erzählt. Vielleicht über Gott und die Welt. Sicher werden sie von Jesus erzählen, dem Messias, von seiner Botschaft und den Sinn für das eigene Leben, seiner baldigen Wiederkunft. Offenbar erzielen die Geschichten ihre Wirkung. Die Frauen hören zu, und eine von ihnen, Lydia, scheint besonders angetan zu sein. Gott öffnet ihr das Herz, deutet Lukas ihr Interesse. Lydia gehört zu einer Gruppe von Menschen im Umfeld jüdischer Gemeinden, den ‚Phobumenoi‘. Menschen, die sich vom jüdischen Glauben angezogen fühlen ohne ganz zum Judentum überzutreten. Männer taten das dann durch den Vollzug der Beschneidung, Frauen durch ein Tauchbad (Taufe). ‚Phobumenoi‘ sind, nicht nur hier, eine Zielgruppe der paulinischen Mission.

So fängt das an. Das Gespräch am Fluss mündet in eine Taufe. Lydia versteht: Durch die Taufe gehören sie und ihr Haus zum Messias Jesus (dem Christus) und der Gruppe von Messiasgläubigen, einer noch kleinen Gruppe im großen Spektrum des Judentums. Bei ihnen gibt es keine Hürden, kein kompliziertes Ritualgesetz, keine Beschneidung, die zu beachten wären. Sie versteht: Ob Jude oder Grieche, Mann oder Frau, ich gehöre zu Gott. Allein mein Vertrauen in Gott und seinen Messias ist ausschlaggebend. Das, so spekulieren wir, hat Lydia bewegt.

Der Schluss der Erzählung macht stutzig. Als sie und ihr Haus getauft sind, lädt sie uns ein: „Wenn ihr überzeugt seid, dass ich an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und bleibt da.“ Und sie drängt uns, bis wir ihre Einladung annehmen. Lydia muss Paulus und die anderen Männer bedrängen, in ihr Haus zu kommen und zu bleiben. Das Verb παραβιάζομαι meint ein ziemlich starkes Drängen, Nötigen. Der Widerstand der Gruppe muss erheblich gewesen sein. Das ruft nach einer Erklärung. Die Lukas nicht gibt.

Warum wird das erzählt? Wir müssen spekulieren. Vielleicht geht es darum, ob das Haus einer Frau die Mitte einer jüdisch-christlichen Gemeinde sein kann. Denn so war das damals: Wäre es ein freier Mann gewesen, hätte es keine Bedenken gegeben. Lydia ist eine Frau, eine selbständige Unternehmerin. Sie lebt nach römischem Recht, das Frauen (ohne Mann) seit Augustus ein selbstständiges, Männer gleichberechtigtes Leben ermöglicht.** Lydia steht als vermögende Geschäftsfrau ihrem eigenen Haus vor.

Paulus ist ein jüdischer Rabbi, der, so vermute ich, anders über Frauen gedacht haben könnte, andere Rollenbilder von Mann und Frau im Kopf hat. Er und seine Männer jedenfalls zögern, müssen stark ‚gedrängt‘ werden, leben vielleicht mehr bestimmten jüdischen Verhaltensgewohnheiten.*** Und treffen auf eine römisch denkende, selbstbewusste Frau. Sie haben sie zwar getauft, aber welchen Schluss Lydia daraus zieht, macht sie zunächst widerständig. Geht das denn? Gut möglich, dass Lydia so argumentiert, wie Paulus später im Galaterbrief schreibt: Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt eins in Christus Jesus. (3,28)

Gut möglich, dass Paulus diese Sätze später schreiben kann, weil er auf diese Lydia gestoßen ist. Durch sie könnte das Wort Gottes für Paulus eine weitere Dimension bekommen. Sie wird zum Grundbestand des christlichen Glaubens: Wer getauft ist, ist Kind Gottes, gehört zum Volk Gottes. Jetzt zählt nicht mehr, woher ich komme, ob ich Jude oder Grieche bin. Es spielt keine Rolle, wo ich in dieser Gesellschaft stehe: Ob Sklave oder frei. Und es zählt auch nicht mehr, ob ich Mann bin oder Frau. Das Evangelium hat Folgen für das ganze Zusammenleben. Das ist es, was Paulus und seine Gruppe möglicherweise aus der Begegnung mit Lydia erkennen.

Denn tatsächlich bietet das antike Christentum Frauen eigenständige Tätigkeitsfelder. Vielleicht ist es darin eher römisch geprägt als jüdisch. Die Mission verändert nicht nur die Adressaten, sondern auch die Missionare, ist ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Prüfet alles und behaltet das Gute. (1. Thess 5) Paulus grüßt später in seinen Briefen immer wieder Frauen, die verschiedene Dienste in den Gemeinden bis hin zum Tischdienst beim Abendmahl (eine gewisse Phöbe wird im Römerbrief erwähnt) ausüben. Lydias Verständnis ihrer Taufe prägt die christliche Gemeinschaft. Möglich, dass das der Mann Paulus von der Frau Lydia lernt. Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude in dem Heiligen Geist. (Röm 14), schreibt er später. Das allen Christianoi Gemeinsame und Verbindende ist das Vertrauen in Gott und seinen Messias, das der Heilige Geist schenkt. Mit den Worten der Lydia: Wenn ihr anerkennt, dass ich glaube, so kommt in mein Haus und bleibt.

Wir heutigen wissen: Diese Gleichheit aller Christinnen und Christen vor Gott und untereinander ist immer wieder umstritten. Sie geht verloren, wird wiedergewonnen. Muss immer wieder neu hergestellt werden. Wie lange hat es gedauert, dass in unseren evangelischen Kirche Frauen Pastoren und Bischöfinnen werden durften. Mit Spannung sehen wir den Prozess unserer katholischen Brüder und Schwestern um eine gleichartige Gemeinschaft.

Die Gemeinschaft der Lydia in Philippi, so scheint es, ist ein offenes Haus, in dem es geschwisterlich zugeht, inmitten einer Gesellschaft, in der ganz andere, den Unterschied betonende, Spielregeln herrschen. Eine gastfreundliche Gemeinschaft mit offenen Türen und Menschen, man spürt: Ihnen ist das Herz aufgegangen. Gott hat es geöffnet. Sie gehen anders miteinander um. Es gilt: Du bist für Gott ungeheuer wertvoll und er, Gott selber, opfert sich für dich auf.

Das haben wir gehört. Und deshalb möge es auch bei uns sein: ob einer arm oder reich, einheimisch oder fremd, Mann oder Frau, gesund oder krank, voll leistungsfähig oder behindert – wir alle gehören zu Jesus, dem Christus.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen


Pastor i.R. J.-Stephan Lorenz

Apartado 6, 8200-471 Paderne

Algarve, Portugal

E-Mail: stephan.lorenz@evlka.de

*zur Übersetzung: Sooft es möglich ist, setzte ich die Geschichte in Präsenz, um sie ‚näher‘ an uns heranzuholen. Mit dem Verb ‚boethein‘ werden im NT oft Jesus und Gott als Helfer angerufen, meint also einen Ruf nach Rettung und Heil.

** vorausgesetzt, sie hat drei Kinder, also ihre Mutterpflichten erfüllt, wenn ich richtig informiert bin.

*** Verse wie: „Verschwende deine Kraft nicht an die Weiber.“ (Pred 31,3) oder „Und ich fand, bitterer als der Tod sei eine Frau, die ein Fangnetz ist und Stricke ihr Herz und Fesseln ihre Hände“(Kohelet 7,26), werden Paulus und seine Männer sicherlich gekannt haben, auch wenn sie sie nicht wirklich geteilt haben müssen.

Confiteor/Zum Eingang

Heute, wenn ihr seine Stimme hört, seid nicht hartherzig wie verbitterte Menschen – lesen wir im Hebräerbrief. Er zitiert den 95. Psalm, ein altes Lied, beim Betreten des Tempels gesungen. Heute geht es um Gottes Wort und wie wir es aufnehmen. Der Hebräerbrief meint, es sei lebendig und machtvoll. Aber immer sind wir gefragt, wie wir darauf reagieren. Lassen wir uns inspirieren, oder hören wir weg. Wir kommen zusammen, um unsere Wahrnehmung auf Gottes Wort auszurichten, und bitten am Anfang: Gott, erbarm dich, vergib unser Weghören, wenn Du mit uns sprichst. Führe uns zu einem guten Leben und lass uns diesen Gottesdienst mit einer fröhlichen Seele feiern durch Christum, unseren Bruder. Und wir erhalten als Antwort: Gott erbarmt sich, er ist in seinen Sohn zu uns gekommen, hat unser Leben gelebt und gelitten bis zum Tod am Kreuz. Gott vergibt uns. So gehören wir zu Gott und Sein Heiliger Geist wird mit uns sein. Wer darauf vertraut, wird selig werden. Das verleihe Gott uns allen. Amen.

Kollektengebet

Gott, tröste in unseren Ängsten, sei uns gnädig und höre unsere Gebete. Lass uns auf dein Wort hören, lass uns seine Wirkung auf unser Leben spüren. Dein Wort verspricht Gnade und Barmherzigkeit, will uns herausführen aus der Hölle, die unser Leben manchmal ist. Dein Wort verspricht Freiheit, Liebe und Freude, die alle Menschen erleben sollen. Denn Du willst nicht, dass wir verloren gehen auf dem Weg zu dir. Wir bitten das im Namen Jesu Christi, der mit dir und dem Heiligen Geist uns Kraft gibt, heute, morgen und immer. Amen

Fürbittengebet

P: Gott, wir haben dein Wort gehört, und bitten: stärke unser Vertrauen in dein Wort, damit wir danach leben und durch unser Tun weitergeben. Wir bitten:

A: Gott, wir beklagen die vielen Opfer des Krieges in der Ukraine, in Gaza und Israel. Wir sehen die Kinder, denen die Kindheit geraubt wird, die Geiseln, die Flüchtlinge, die an ihrer Heimat festhalten wollen und für sie kämpfen. Lass uns den Schmerz der Verwundeten lindern. Wir wollen die Hoffnung auf Frieden nicht aufgeben und werden tun, was wir tun, was wir tun können. Wir rufen: Kyrie eleison

B: Gott, wir sorgen uns um die, die hier in Portugal in Armut leben müssen. Sie brauchen unsere Hilfe. Wir wollen Kranke besuchen, und Verzweifelten beistehen, und Obdachlosen Schutz gewähren. Wir rufen: Kyrie eleison

P: Gott, wir hören dein Wort, gib uns das Vertrauen, damit wir danach leben und es durch unser Tun weitergeben. Wir bitten für unsere Gemeinde. Segne, die zu uns gehören. Du sprichst zu uns durch Jesus den Christus. Durch ihn hoffen wir auf dein Erbarmen heute und alle Tage. Amen Laudate omnes gentes

Liedvorschläge aus dem EG:

295 Wohl denen, die da wandeln

158 O Christe Morgensterne

346 Such wer da will ein ander Ziel

196 Herr für dein Wort sei hochgepreist

125 Komm Heilige Geist

171 Bewahre uns Gott