
Das Coronavirus, der Alltag…
Das Coronavirus, der Alltag und die Fastenzeit | Predigt zu Johannes 8,42-51, verfasst von Poul Joachim Stender | aus dem Dänischen übersetzt von Eberhard Harbsmeier |
Das Coronavirus hat gezeigt, wie verwundbar wir sind. Wir gehen einer neuen Zeit entgegen. Die meisten Menschen, die eine schwere Krankheit durchgemacht haben, sind nun dankbarer für das Leben als vor ihrer Krankheit. Wenn das Coronavirus einmal verschwunden ist, wird die dänische Bevölkerung hoffentlich den ganz gewöhnlichen Alltag mehr schätzen als vorher. Und vielleicht werden wir auch mehr Mitgefühl mit unseren Kranken und Alten empfinden. Sie sind zurzeit am meisten durch das Virus bedroht. Wir fürchten, dass wir sie verlieren können. Und die Furcht ist ja nicht das schlimmste Gefühl. Sie sagt etwas über unsere Liebe. Wenn wir jemanden mögen, werden wir dann auch leiden. Gott mochte uns und litt deshalb den Tod am Kreuz.
Das Coronavirus hat gezeigt, dass es schön ist, wenn nichts passiert. Still und ruhig verläuft der Gottesdienst von Anfang bis Ende. Viele meinen, es müsste etwas mehr los sein in ihrem Dasein. Wieso eigentlich? Da ist ja nicht so viel los in unserem Dasein. Und Gott sei Dank dafür. Wir tun im Großen und Ganzen jeden Tag dasselbe. Wir stehen auf, gehen ins Bad, lesen Zeitung, kommen von der Arbeit nach Hause, gehen ins Bett und haben merkwürdige Träume. Der dänische Dichter Dan Turell hat einmal ein Gedicht geschrieben, das so beginnt: Vor allem liebe ich den Alltag. Das langsame Erwachen zu der bekannten Aussicht, die trotzdem nicht so bekannt ist. Die zugleich vertrauten und nach der Ferne des Schlafs fremden Gesichter. Die morgendlichen Küsse. Die Post im Briefkasten. Der Duft des Kaffes. Der rituelle Gang zum Kaufmann um die Ecke nach Milch, Zigaretten, Zeitungen – Ich liebe den Alltag“. Und so fährt er fort mit dem Kehrreim: „Ich liebe den Alltag“. Als mein Bruder an einem ernsten Krebsleiden erkrankte, änderte sich sein stiller, ruhiger, vorhersehbarer Alltag in eine Hölle von Behandlungen, Untersuchungen, Angst und Schmerz. Es wurde ein sehr ereignisreiches letztes Jahr seines Lebens. Er sagte zu mir: „Genieße deinen vorhersehbaren, ruhigen, stillen Alltag. Der ist ein Wunder“. Einer meiner anderen Geschwister, der Arzt ist, wiederholte für mich: „Lass uns unser Leben genießen, ehe wir eine Diagnose bekommen, die den Alltag verwandeln wird in Krankheit, Ohnmacht, Kampf und Tod“. Diagnoselose Zeiten sind gute Zeiten. Gar nicht so schlecht, wenn das spannendste Ereignis war, dass vier statt drei Krähen auf unserem Rasen landeten. Eine der Zwangsvorstellungen unserer Zeit ist, das immer etwas passieren muss. Veränderung. Veränderung. Es ist aber wunderbar, in einer ereignislosen Zeit zu leben.
Zurzeit haben wir das Coronavirus – medizinisch geschieht gerade allzu viel in der Welt. Wenn doch nichts passieren würde! Was ist das für eine phantastische Zeit, wenn wir uns damit begnügen können, die Zeitung aufzuschlagen und zu lesen, was im Fernsehen los war und dass die Ministerpräsidentin eine Rede gehalten hat. Das sind kleine Dinge. Wie der Dichter Dan Turell können wir uns in der Fastenzeit darin üben zu denken: „Ich liebe den Alltag“. Da ist reichlich viel, für das wir danken können. Man denke, wir sind Menschen, für die Jesus sterben will, um uns ein Leben in seinem Reich zu geben. Das ist so unfassbar groß, dass wir es nicht verstehen. Bei der Corona-Epidemie wird es vielen deutlich werden, dass man mit einer Lebenslüge lebt, wenn man sich einbildet, dass man das Dasein mit eigener Hilfe beherrschen kann. Wir beherrschen das Leben nicht ohne die Hilfe von Jesus Christus. Wir können es nicht selbst. Seitens der Kirche sollen wir angesichts des Coronavirus nicht nur dafür sorgen, dem Rat der Gesundheitsbehörden zu folgen. Die Nächstenliebe bedeutet auch, seine Hände zu waschen und nicht in die Kirche zu gehen, wenn man sich angesteckt fühlt. Aber wir sollen auch Gott darum bitten, dass die Epidemie gestoppt werden kann. Wir selbst können das nicht.
Zurzeit befinden wir uns wie gesagt in der Fastenzeit. Einige verzichten auf Fleisch und Milch und Wein. Gut so! Andere verzichten auf Fernsehen und Handy. Noch besser! Aber das Beste, was man in der Fastenzeit tun kann, ist dies, dass man auf Lügen verzichtet und die Wahrheit sagt. Im Gegensatz zu all unseren Lügen – auch den Lügen, die sagen Corona sei von der Presse aufgeblasen oder eine harmlose Grippe – steht Jesus Christus. Er ist die Wahrheit und kennt keine Lüge. Dass die Leute vielerorts nicht so interessiert sind, in die Kirche zu gehen, muss daran liegen, dass sie nicht die Wahrheit hören wollen. Wenn man sich Gott nähert, werden nämlich alle unsere Lügen offenbar. Vor seinem Angesicht sind wir durchschaut, aber dennoch geliebt. Auf der einen Seite haben wir also die Lüge, die in die Welt des Satans gehört und von der wir abhängig geworden sind. Sie ist von Natur aus furchtbar uns zerstörend. Auf der anderen Seite haben wir Christus, den Sohn Gottes, er ist die Wahrheit. Er sagt es selbst: „Ich bin die Wahrheit“ Jedes Wort, das aus seinem Munde kommt, nimmt unseren Lügen die Kraft. Unsere Entscheidung hier und jetzt ist, in welche Richtung wir uns nach diesem Gottesdienst bewegen wollen. Wollen wir versuchen, uns hin zur Wahrheit zu bewegen, zu Christus, oder wollen wir aus alter Gewohnheit, der Lüge erlauben, Macht über uns zu gewinnen. Wollen wir Gott zum Vater haben oder den Teufel? Die Antwort muss jeder für sich mit dem geben, was wir in der kommenden Woche tun, sagen und denken. Gott befohlen. Amen.
Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
pjs(at)km.dk