EG 76, 1: „O Mensch, bewein dein Sünde groß“

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Reue – wirkliche Reue! | Predigtreihe „Passion im Lied“ | Reminiscere | 11.3.2001 | EG 76, 1: „O Mensch, bewein dein Sünde groß“ | Rolf Wischnath |

1. O Mensch, bewein dein Sünde groß,darum Christus seins Vaters Schoßäußert und kam auf Erden;von einer Jungfrau rein und zartfür uns er hier geboren ward,er wollt der Mittler werden.Den Toten er das Leben gabund tat dabei all Krankheit ab,bis sich die Zeit herdrange,daß er für uns geopfert würd,trüg unsrer Sünden schwere Bürdwohl an dem Kreuze lange.

EG 76, Strophe 1 des Liedes von Sebastian Heyden

Reue ist in diesen Tagen politisch häufig ein Thema. Helmut Kohl wirft man vor, dass er nach der Einstellung der staatsanwaltlichen Ermittlungen und einer beträchtlichen Geldbuße nun erst recht nicht reuig genug die Bimbes-Angelegenheiten bereut. Joschka Fischer bekommt seine linke Vergangenheit vorgerechnet. Und auch ihm wird vorgehalten, er bereue ja in Wahrheit nichts von dem richtig, was er damals alles so angestellt hat. „O Mensch, bewein dein Sünde groß …..“ Gilt Reue erst dann als erbracht und bewiesen, wenn einer öffentlich über die „Sünde groß“ heult. Was ist Reue?

Ein Vorbild echter Reue findet sich in der Leidensgeschichte Jesu. Und zwar bei jemandem, von dem wir es nicht erwartet hätten: bei Judas dem Verräter. Im Matthäusevangelium lesen wir davon:

„Als Judas, der in verraten hatte sah, dass er zum Tode verurteilt war, reute es ihn, und er brachte die dreißig Silberlinge den Hohenpriestern und Ältesten zurück und sprach: Ich habe Unrecht getan, dass ich unschuldiges Blut verraten habe. Sie aber sprachen: Was geht uns das an? Da sieh du zu! Und Judas warf die Silberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich. Aber die Hohenpriester nahmen die Silberlinge und sprachen: Es ist nicht recht, dass wir sie in den Gotteskasten legen; denn es ist Blutgeld. Sie beschlossen aber, den Töpferacker davon zu kaufen zum Begräbnis für Fremde“ (Matthäus 27, 3-8).

In der Enttäuschung über die Tat des Judas, in seiner Verfemung als größter Verbrecher wird oft dieses Ende seiner Schande nicht mehr bedacht. Man muss nämlich dem Verräter Judas zumindest zu Gute halten:

Er ist der einzige Mensch, der als Beteiligter am Justizmord, erkennt, dass Jesus Unrecht geschieht. Und er ist der einzige, der diese Schuld einsieht und öffentlich bekennt. Ja, Judas allein kehrt um von dem Irrtum, in den er sich verstrickt hat. Er bereut. Von keinem sonst, die mitverantwortlich waren am Leiden und Sterben Jesu, wird das gesagt. Die Jünger fliehen. Petrus ist feige – und heult ein bisschen. Pilatus waltet seines Amtes genauso wie die Hohen Priester. Das Volk gafft und schreit. Nur von Judas heißt es: Es reute ihn.

Und die Reue des Judas bleibt nicht folgenlos. Er steht ein für das, was er getan hat. Die „dreißig Silberlinge“ – seinen Verräterlohn – wirft er hin. Er spricht aus, was uns allen auszusprechen so schwer fällt: „Ich habe gesündigt“ Keine Einschränkung! Keine abmildernde Entschuldigung! Nein, er benennt das Verbrechen, wie es kein Richter schärfer benennen könnte: „Ich habe unschuldiges Blut verraten“.

Damit spricht er, der Verräter, als einziger die Wahrheit im Prozess aus: „Jesus ist unschuldig“. Und dann vollzieht er an sich selbst das Urteil, das nach jüdischen Recht über den zu verhängen ist, der eine falsche Anklage erhoben hat. Er erhängt sich selbst. Denn falsche Ankläger sollen mit derselben Strafe bestraft werden, die sie über den bringen wollten, den sie falsch angeschuldigt haben. Und das Kreuz der Römer war nichts anderes als ein Galgen.

Der Selbstmord des Judas geschieht nicht aus Feigheit. Er bringt sich nicht um, wie sich Hitler oder andere Verbrecher umgebracht haben, nur um ihren Richtern zu entgehen. Nein, Judas stirbt in der Reue – nach dem jüdischen Gesetz des Mose, das er an sich selbst vollstreckt. Er weiß nicht, dass an diesem Tag ein anderer für ihn und seine Schuld sterben wird: der auch für die Schuld des Judas gekreuzigte Jesus. Denn der Selbstmord des Judas kann den Tod Jesu nicht aufhalten. Judas kann es nicht verhindern, dass Jesus auch für ihn – den Jünger Judas – stirbt.

Ich glaube: So ist auch Judas nicht in Ewigkeit verloren. Denn auch für ihn gilt, dass Christus „der Mittler“ geworden ist, wie es das Lied von Sebald Heyden singt. Er trug auch für Judas der „Sünde schwere Bürd wohl an dem Kreuze lange.“ Dann jedoch gilt auch für den Verräter, der in der Weltgeschichte oft „der größte Sünder“ genannt wird und den die Lehr- und Predigtgeschichte der Kirche so oft in den ewigen Tod verbannt sah, was das Lied als die Frucht der Kreuzesbürde Jesu ansieht: „Den Toten er das Leben gab und tat dabei all Krankheit ab …….“ Auch für Judas gilt, dass er in seinem Suizid, seinem sich selber Töten und Fällen, nicht tiefer fallen konnte als in die Barmherzigkeit dessen, aus dessen „Vaters Schoß Christus kam auf Erden“. So ist er nicht verloren.

Und wenn Judas in Ewigkeit vor Gott nicht verloren ist, wen dürften wir dann verloren geben? Nicht einmal uns selbst. Amen.


Generalsuperintendent Dr. Rolf Wischnath

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