Epheser 3, 7-14

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Achtung, fertig, los! | 9. Sonntag nach Trinitatis | 17.08.2025 | Eph 3, 7-14 | Nadja Papis |

Bereit zum Start. Alles geben. Jetzt.

Achtung, fertig, los!

Gut einteilen. Die trainierten Muskeln arbeiten. Mentale Fitness. Komm schon, weiter. Streck dich. Beweg dich. Noch ein bisschen mehr! Gib alles! Dort wartet der Sieg!

Ich habe in meinem Leben viele Wettkämpfe bestritten. Nicht im Laufen, das war in meiner Sportart nur Mittel zum Zweck. Und ich kenne diesen Punkt genau:

Was zurückliegt, vergesse ich, und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt. Ich richte meinen Lauf auf das Ziel aus, um den Siegespreis zu erringen.

Dieser Moment, wo du begreifst: Der Sieg ist in Reichweite. Und wo du nochmals alle Kräfte mobilisierst, alles drangibst, schon fast in freudiger Erwartung, aber noch nicht sicher.

Mit diesem Moment schliesst Paulus eine bewegende Auseinandersetzung mit seiner christlichen Existenz im Philipperbrief. Auf den ersten Blick erscheint unser heutiger Predigttext etwas gehetzt, ein Gedanke drängt sich an den anderen, viele Sprünge von einem Thema zum anderen prägen ihn. Ich stelle mir die Situation vor: Paulus ist im Gefängnis. Das war er schon mehrmals, aber dieses Mal ist es ernst. Er weiss, dass er sterben wird, zum Tode verurteilt aufgrund seines Glaubens und seiner Tätigkeit in der Nachfolge Christi. Diese Not lässt ihn nicht kalt. Er ringt mit seinen Emotionen, das lesen wir aus der Wortwahl. Was er früher gelebt hat, ist Dreck, wertlos. Das ist keine nüchterne, abgeklärte Lebensbilanz, vielmehr scheinen mir die Worte wütend ausgespien. Wut, wahrscheinlich auch mit Angst dahinter. Angst um das Leben, Angst vor dem, was auf ihn zukommt, Angst auch um die Erlösung. Paulus hat damit gerechnet, dass Christus zu seiner Lebzeit zurückkehrt und das Gottesreich einrichtet, dass er also nicht vorher stirbt, dem irdischen Tod entgeht. Nun wird er – wie wir alle, mit seiner Endlichkeit konfrontiert, mit dem Sterben, mit dem Tod – und der Angst.

Manchmal wache ich nachts plötzlich auf und denke, dass ich sterben muss. Nicht gerade jetzt, aber doch zuverlässig. Unser Dorfarzt meinte bei seinem Besuch in unserer Konfklasse zur Einleitung jeweils: Das einzig Sichere im Leben ist der Tod. Ich werde sterben. Alles, was lebt, wird vergehen. Es ist ein Gedanke, den ich tagsüber recht gut aushalte, der mir sogar oft den Weg zum Lebenswerten weist. Nachts kommt die Wut: Ich wehre mich dagegen. Ich will leben! Und dahinter steckt Angst, die nackte, brutale, vereinnahmende Angst. Was geschieht dann mit mir? Gehe ich verloren? Werde ich ausgelöscht? Was ist mit meinen Liebsten? Bricht die Verbindung, die Liebe? Mitten in der Dunkelheit, mitten in dieser existentiellen Angst kann ich nichts tun ausser zu beten, nur einen Satz: Gott, ich vertrau mich dir an. Immer und immer wieder: Ich vertrau mich dir an. Bis der Atem sich beruhigt, das Herz wieder ruhig und zuverlässig schlägt. Bis das Vertrauen ins Leben zurück ist. Und auch das Vertrauen auf Gott.

So einen Weg lese ich in den Worten von Paulus auch:

Er hat alles recht gemacht, gesetzeskonform gelebt, ohne Fehl und Tadel. In der Bilanz wird ihm nun klar, wie wertlos das war, ein Dreck. Er sieht dort in der Not der Gefangenschaft im Angesicht seines bevorstehenden Todes auch, was er gewonnen hat: eine Heimat in Christus, Gerechtigkeit vor Gott. Es ist eine Gerechtigkeit, die nicht diktiert ist vom Gesetz her, sondern ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und den Menschen. Es geht um Vertrauen. Die Wut, die Angst wandeln sich. Denn was hilft gegen die Angst? Nur Vertrauen. Alles, was zählt, ist: von Christus ergriffen worden zu sein und zu glauen.

Mir gefallen diese Umschreibungen für die christliche Existenz: vertrauen, glauben, ergriffen werden. Allerdings ist ihre Passivität eine Herausforderung. Ich möchte gern etwas tun, aktiv werden, es in meiner Hand haben. Mich in den Glauben fallenzulassen, mich Gottes Führung anzuvertrauen, mich dem Tod und der Auferstehung hinzugeben, fällt mir nicht leicht. Ich verstehe alle, die lieber auf die selbst verantwortbare Leistung einer Gesetzesbefolgung zählen wollen, auf das, was ich abhaken, dokumentieren, belegen kann. Das ist sicher. Hier wird Entsicherung gefordert – Vertrauen. Und doch: Im Moment der existentiellen Angst merke ich: Es gibt nur dieses Vertrauen, dieses Fallenlassen, Loslassen und daran glauben: Ich werde gehalten, aufgefangen, ergriffen.

Paulus hat viel getan. Noch im Gefängnis denkt er an seine Gemeinden, diktiert Briefe mit Abschiedsworten, mit Ermahnungen, mit vorbildhaften Gedanken. Auch hier. Er gibt Einblick in sein Empfinden, das, was ihm wichtig und wertvoll ist, ja, seinen Glaubensweg. Auch das gehört für mich zur christlichen Existenz: der Austausch in der Gemeinschaft, miteinander, aneinander und füreinander über das Existentielle zu reden. Nicht im Sinne eines Wettbewerbes, wer besser glaubt, sondern im Sinne von Ermutigung zum Vertrauen.

Paulus hat viel getan. Er war sehr eifrig – zuerst als Verfolger der Christen und Christinnen, danach als Verkünder und Gemeindegründer im Christentum. Diesen Eifer spüre ich auch in der letzten Passage unseres Textes, dem Bild des Wettkampfes. Ganz passiv ist das Vertrauen in der christlichen Existenz doch nicht. Da werden Ausdrücke gebraucht wie «ich jage ihm nach», «ich strecke mich aus», «ich richte meinen Lauf auf das Ziel aus». Paulus will diesen Sieg erringen – mit dem gleichen Eifer, den er in all seinen Tätigkeiten gezeigt hat. Auch wenn der Siegespreis der Auferstehung für ihn wie für alle Verstorbenen erst nach dem Tod erreichbar wird, will er sich darauf ausrichten.

Mir gefallen diese Verben, besonders das Ausstrecken und das Ausrichten. Im Wettkampf entscheidet oft die völlige Hingabe, das Mentale über den Sieg. Natürlich braucht es hartes Training, die nötige körperliche Konstitution und auch eine herausragende Begabung zum Erfolg. Sportliche Wettkämpfe haben ihre Faszination aber auch genau in den überraschenden Momenten, wo der Sieg ganz anders kommt als gedacht. Und dazu braucht es eben diese innere Bewegung, das Ergriffensein. Was für ein Bild für den Glauben! Ja, auch da braucht es Einübung, es braucht Teilnahme und vielleicht sogar eine Grundkonstitution, um vertrauen zu können. Entscheidend sind aber das Ausstrecken und Ausrichten, die Hingabe – gerade in Momenten der Not, der Angst, der Wut. Daran festhalten, an diesem Vertrauen, an Gott.

Paulus hat viel getan und erlöst mich mit seinem letzten Bild gleich von allen überhöhten Ansprüchen: Nicht dass ich es schon erlangt hätte oder schon vollkommen wäre! Er steckt mitten im Wettlauf. Das Ziel erreicht er nicht in diesem Leben und schon gar nicht die Vollkommenheit. So gut wir uns ausrichten, so fest wir vertrauen üben, vollumfänglich erreichen wir das Vertrauen und damit auch die totale Christuszugehörigkeit erst nach dem Tod und der Auferstehung. Vertrauen bleibt Vertrauen, es wird nicht zum Festhalten, zum Auf-Sicher-Haben. Im Gegenteil, es fordert mich immer wieder neu heraus, das Sichere zu verlassen, mich hinzugeben, mich auszustrecken und auszurichten auf das Göttliche, die Kraft, die mein Leben wollte und meinen Tod als Teil davon. Und das mir – uns allen – auch nach dem Tod eine Zukunft verheissen und in Christus offenbart hat.

Was zurückliegt, vergesse ich und strecke mich aus nach dem, was vor mir liegt.

Amen

Pfrn. Nadja Papis

Langnau am Albis/Sihltal

nadja.papis@refsihltal.ch

Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.