Epheser 3,14-21

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Exaudi | 1. Juni 2025 | Eph 3,14-21 | Antje Roggenkamp |

in St. Albani, Göttingen

3,14 Deswegen beuge ich meine Knie vor dem Vater, 15 von dem alle Vaterschaft in den Himmeln und auf Erden benannt ist, 16 dass er euch gebe – gemäß dem Reichtum seiner Herrlichkeit – in Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist in dem inwendigen Menschen, 17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, die ihr in Liebe verwurzelt und gegründet seid, 18 damit ihr imstande seid mit allen Heiligen zu erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe (ist) 19 und auch erkennen könnt die alle Erkenntnis übertreffende Liebe des Christus, damit ihr erfüllt werdet auf alle Fülle Gottes hin.

20 Dem aber, der tun kann überschwänglich über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, gemäß der Kraft, die in uns wirkt, 21 ihm (sei) die Ehre in der Kirche und in Christus Jesus bis in alle Geschlechter des Äons der Äonen. Amen.

Liebe Gemeinde,

da ist einer doch tatsächlich aufgestanden, um seine Knie zu beugen. Schon beim bloßen Gedanken an das Knacksen der Knie oder ein Scheuern der Gelenke wird dem ein oder anderen von uns mulmig werden. Und dies gilt nicht nur für all jene, die auf ein künstliches Kniegelenk warten oder vielleicht eine Knieoperation hinter sich haben, weil sie unter Arthrose leiden oder durch einen Unfall gehandicapt sind. Es betrifft auch jüngere Menschen, Schüler*innen, die diese turnerischen Anstrengungen im Sportunterricht vermeiden, weil sie dazu genötigt werden oder weil sie als Sportmuffel schlechte Erinnerungen daran haben. Kniebeugen gehen häufig mit Erniedrigungen einher, wenn etwa der Trainer dem Fußballspieler Schwächen in der Abwehr vorwirft oder die Yogalehrerin der Anfängerin körperliche Mängel aufzeigt. Die unterschwelligen Rituale haben etwas Machtförmiges an sich, mit dem in der Regel Demütigungen verbunden sind.

Deswegen beuge ich meine Knie – eine emotionale Demutsgeste?

Der Verfasser unseres Predigttextes stimmt uns geradezu beiläufig auf ein ganz anderes Kniebeugen ein. Von uns scheint er zunächst gar nichts zu erwarten, denn er bewegt seine Knie vielmehr um unseretwillen. Ganz und gar freiwillig stellt er sich in unseren Dienst, ohne dass wir ihn darum gebeten hätten. Sein Verhalten ist umso erstaunlicher als der gleiche Verfasser nur wenige Verse zuvor darauf aufmerksam gemacht hatte, dass er noch nicht einmal als „freier“ Mensch agiert, sondern um seiner Adressaten willen im Gefängnis sitzt – und zwar offensichtlich aus religiösen Gründen. Im ersten Vers des dritten Kapitels heißt es: „Deshalb sage ich, Paulus, der Gefangene Christi Jesu für Euch Heiden“. Als Gefangener um Christi willen macht er sich für uns, die wir ihn weder gebeten noch es offensichtlich verdient haben, in geradezu überschwänglicher Weise klein. Was beabsichtigt er damit? Geht es ihm darum, ein Gleichgewicht herzustellen? Sind seine Adressaten in einer solch prekären Situation, dass er sich doppelt erniedrigen muss oder erniedrigt er sich, um uns zu erhöhen und andere zu erniedrigen? Haben wir es denn so nötig? Ist unsere Situation schon so verfahren und vertrackt, dass wir uns nicht aus eigener Kraft aus den uns umgebenden Bedrängnissen befreien können? Zugegeben, das Wasser steht uns in vielerlei Hinsicht bis zum Hals. Aber, dass sich einer für uns ins Gefängnis begibt, damit wir durch seine Erniedrigung Erhöhung erfahren, diese Vorstellung erscheint dann doch höchst unvernünftig und irgendwie absurd. Dies gilt umso mehr, als es gewiss nicht Paulus ist, der sich uns hier fast kreuzestheologisch zu imponieren sucht. Ein unbekannter Verfasser tritt gut zwei Jahrzehnte nach Pauli Tod in dessen Namen mit einem Rundschreiben den von ihm missionierten Gemeinden gegenüber.

Ich beuge meine Knie vor dem Vater, dass er euch gebe in Kraft gestärkt zu werden durch seinen Geist in dem inwendigen Menschen.

Sehen wir das Ganze so, dann lädt uns der Verfasser dazu ein, Wege auszuprobieren, auf denen wir uns als Gemeinde in ungewissen Zeiten Christi Macht vergewissern. So teilen wir mit den verlassenen Jüngern – am Sonntag nach Christi Himmelfahrt – jene Ungewissheit, in die sie durch seine Abwesenheit auf Erden gerieten. Sie fühlten sich allein gelassen in ihrem Eintreten für die von ihm verkündete bessere Welt. Nicht, dass sich das Gefühl des Alleingelassenseins als Folge willkürlichen Verrats eingestellt hätte oder als Folge einer vermeintlichen oder gewissen Gleichgültigkeit, die uns bisweilen überkommt, wenn wir an so manches Verhalten politischer oder kirchlicher Verantwortungsträger denken. Die kollektiv empfundene Einsamkeit ist vielmehr Folge der Abwesenheit eines visionären, ausgesprochen wertgeschätzten Menschen, der eine Lücke hinterlässt, die sich nicht oder jedenfalls nicht so einfach füllen lässt. Und damit sind wir dann doch auch in unserer Gegenwart angekommen. Denn das Gefühl des Alleingelassenseins greift nicht nur unter jenen um sich, die in der Kirche oder für die Gemeinde Verantwortung tragen. Angesichts der Kürzung von Pfarrstellen und der Zusammenlegung von Gemeinden fragen wir uns auch als christliche Gemeinschaft, wie wir darauf reagieren können. Sollten wir jenen, die uns verlassen, unsere Enttäuschung darüber eingestehen, unser Tun selbstzweifelnd hinterfragen oder gar auf „die da oben“ schimpfen, dass sie die verbleibenden Mittel so unfair verteilen? Und wir beginnen zu erahnen, warum der Verfasser des Epheserbriefes für uns so nachdrücklich immer wieder seine Knie beugt. Wir bleiben nicht allein zurück, uns wird auch nicht irgendwie dann doch geholfen. Nein, hier setzt sich jemand für uns ein, indem er schon vor Pfingsten um Gottes Kraft und Stärke bittet.

Die Bitte um ein dauerhaftes Fundament

Aber kehren wir noch einmal zum Anfang zurück: Demütigungen nimmt niemand gerne in Kauf, sie bewirken nachhaltigen Widerstand, kurzfristig auch Widerstandsgesten. So äußerte der berühmte Georg Friedrich Wilhelm Hegel als man ihn zwingen wollte, sich dem romantischen Hype religiös motivierter Erregungen anzuschließen: „Wir beugen unser Knie nicht mehr“. Und damit meinte der protestantische Philosoph jene ehrerbietige Demutsgeste, die sein gesellschaftliches Umfeld im Umgang mit frommen Mariendarstellungen auch von ihm zu erwarten schien. Allerdings: auch der Hinwendung zu einer neuen Religion – wie man sie alternativ empfahl – konnte er wenig abgewinnen. Und eine Religion der Kunst – selbst wenn sie am reichhaltigen kulturellen Erbe Europas orientiert ist – wird sich auch von uns niemand zu eigen machen, da wir seither gelernt haben, mit mittelalterlichen Kunstwerken oder Altären anders umzugehen. Anstatt vor ihnen kniend in Demut zu verharren, die Kunstfertigkeit der Maler oder die Spendierfreudigkeit unserer Ahnen zu bewundern, machen wir uns stehend oder sitzend den Gehalt ihrer Geschichten in durchaus kritischer Distanz zu eigen. So besteht auch der mittelalterliche Kosmos wie im Epheserbrief aus zwei Äonen oder Räumen. Während im himmlischen Äon die Engel, Mächte und Gewalten erscheinen, hat der diesseitige Äon auf der Erde seinen Ort. Hierher gehört alles Vorfindliche, über das der Weltherrscher regiert, wohingegen alles Räumliche im Himmel und auf Erden durch Christus „zusammengefasst“ (Eph 1,10) ist. Es gibt nichts, was Christus nicht unterworfen wäre, sodass er zum Richter über die Menschheit werden kann. – Nun käme es uns bisweilen gelegen, ein Weltbild, das Christus als den Richter über Gut und Böse ausweist, einfach fort zu schreiben und uns darin zu gefallen, dass wir die „Guten“, die anderen die „Bösen“ sind. Denn der Gedanke an einen Weltenherrscher, der dem Guten in diesem Äon Recht verschafft, aber den, der im Unrecht ist, mit Höllenstrafen belegt, wäre nicht nur angesichts der mehr als chaotischen und ungerechten Weltläufte eine beruhigende Vorstellung, er leuchtete auch im Privaten für den Umgang mit Personen ein, die uns oder andere ohne Not verletzten. Allein, uns trennen die Weltverhältnisse: Während kriminelle Politiker immer noch eine Rechtfertigung dafür finden, um selbst die letzte Stadt in der Ukraine in Schutt und Asche zu legen, oder sich aus Qatar eine Airforce One finanzieren zu lassen, werden Straftäter*innen durch wohlmeinende Gutmenschen oder Schlupflöcher in demokratisch erlassenen Gesetzen vor Verfolgung geschützt. Insofern bleibt uns zwar die Möglichkeit, auf ein gerechtes Urteil zu hoffen, ein tragbares, da vor Illusionen bewahrendes Fundament bietet diese Form der in eine entferntere Zukunft verlagerten Rechtsprechung nicht. Eine Möglichkeit, die uns demgegenüber hilft, unseren Alltag in all seinen durcheinander wirbelnden Facetten zu bewältigen, könnte sich aber hinter jenem Perspektivenwechsel entbergen, den ein sich hinter Pauli Autorität verbergendes Versprechen offenlegt: Deswegen beuge ich die Knie, damit „Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne, die ihr in Liebe verwurzelt und gegründet seid“ (Eph 3, 17). Welche Konsequenzen könnten wir aus dieser perspektivischen Präzisierung des Fundaments eines Christenmenschen ziehen?

Bitte um weitergehende Erkenntnis

Es scheint keine aktive oder proaktive, sondern eine passive Haltung zu sein, die der Verfasser für uns erbittet, denn – wie auf ein Geschenk – sollen wir uns auf das, was Christus als unser Fundament in unseren Herzen liebevoll grundlegt, einlassen: „damit ihr imstande seid mit allen Heiligen zu erfassen, was die Breite und Länge und Höhe und Tiefe (ist)“ (Eph 3, 18). Zugegeben, auch ich lasse mich gelegentlich von meinen Gefühlen überwältigen. Gerade dann, wenn ich eine mir schwer erträglichen Situation verändern möchte, aber den Eindruck gewinnen muss, dass sich die Dinge viel zu langsam entwickeln. Meine Emotionen hindern mich dann daran, das Naheliegende zu tun, nämlich einfach abzuwarten, was die nächste Zeit mit sich bringt. Da nun das, was wir erfassen sollen, auch in seinen Ausmaßen beschrieben wird, genügt es offenbar nicht, die Fürbitte des Verfassers lediglich auf das Fundament zu beziehen, sondern es geht darum, unsere Vorstellung davon auf das gesamte Bauwerk zu erweitern. Dieses Bauwerk wird im zweiten Kapitel als „Tempel“ bezeichnet, in dem Christen ein Wohnrecht haben. An diesem Tempel, der Kirche, wird noch gebaut – vielleicht würden wir heute auch sagen: der Bau wird geflickt, repariert und in seiner Nutzung erweitert. Anders formuliert: Der Verfasser gibt unsere Gemeinschaft als Kirche keineswegs auf, sondern erhofft im Gegenteil ein erneutes Wachstum, das sich weniger quantitativ als vielmehr qualitativ beschreiben lässt. Dabei können sich auch weitere Dimensionen verschieben, so dass zwar auch der Glauben des Einzelnen, vor allem die Partizipation an der Gemeinschaft im Zentrum steht. Was in der Gemeinschaft der Christen dann aber als tragendes Fundament erkannt wird, ist weniger ein Nachsinnen über das Bauwerk – obschon dessen Unterhalt in der Verantwortung der Gesamtgesellschaft liegen sollte – oder eine Neuordnung ekklesiologischer Grundlagen. Es geht vielmehr darum, ein Bekenntnis zu Christus zu entwickeln, das ihn als jenen erkennt, der als Eckstein die gesamte Welt für uns zusammenhält.

Die Folge: Ihm (sei) die Ehre bis in alle Geschlechter des Äons der Äonen.

Am Ende geht es nicht um eine neue Bestimmung des christlichen, gemeinschaftlichen Lebens, sondern darum, dass wir Christen uns des Verfassers Fürbitten und Gottes Lob für würdig erachten. Das Gebet wandelt sich in einen Freudenruf. Auf diese Weise werden wir auf das Pfingstfest, das Fest der Kirche, das Fest unser christlichen Gemeinschaft vorbereitet: Gott ist der Vater, reich an Herrlichkeit, unerreicht in jeder nur erdenklichen Dimension: Deshalb sei Ihm die Ehre bis in alle Geschlechter des Äons der Äonen. Bis es soweit ist, wird unsere Gemeinschaft von dem, der für uns in den Himmel aufgefahren ist, mit allem versorgt, was sie benötigt und wessen sie bedarf.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus, Amen

Lieder

EG 123, 1-4 Jesus Christus herrscht als König

EG 134, 1-4 Komm, o komm, Du Geist des Lebens

EG 327  Wunderbarer König

EG 501 Wie lieblich ist der Maien

EG 503, 1-5 Geh aus mein Herz

Übersetzung

Peter Müller, Exegese für die Predigt


Antje Roggenkamp