Epheser 4,11-16

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Der Würfel ist gefallen. Und alles ist drin! statt Nichts geht mehr! | Pfingstmontag | 20.05.24 | Eph 4,11-16 | Markus Kreis |

11 Und er selbst gab den Heiligen die einen als Apostel, andere als Propheten, andere als Evangelisten, andere als Hirten und Lehrer, 12 damit die Heiligen zugerüstet werden zum Werk des Dienstes. Dadurch soll der Leib Christi erbaut werden, 13 bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zum vollendeten Menschen, zum vollen Maß der Fülle Christi, 14 damit wir nicht mehr unmündig seien und uns von jedem Wind einer Lehre bewegen und umhertreiben lassen durch das trügerische Würfeln der Menschen, mit dem sie uns arglistig verführen. 15 Lasst uns aber wahrhaftig sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken zu dem hin, der das Haupt ist, Christus. 16 Von ihm aus wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten durch jede Verbindung, die den Leib nährt mit der Kraft, die einem jeden Teil zugemessen ist. So wächst der Leib und erbaut sich selbst in der Liebe. 

Ein Würfeln, das erhellend ist statt trügerisch, das kannte ich bereits aus der Bibel. Wäre ja auch ziemlich blöd, wenn die wahre Schrift Statistik und Stochastik verächtlich abtun würde. Ein Würfeln, das erhellt, das kenne ich vom Buch Jona. Des Propheten Schiff ist in einen Orkan geraten. Die Mannschaft kämpft ums Überleben. Jona hat sich als einziger unter Deck verdrückt. Als Mann aus den Bergen, also ohne Ahnung von Meer und Schiff, da würde er auf den Planken eh nur den anderen im Weg stehen. Das geht für Seeleute so weit in Ordnung, wenigstens beten soll er um Rettung. Ein Kampf ohne Aussicht, der Sturm wird immer gewaltiger, die Seeleute ändern ihr Vorhaben. Um sich zu retten, wird jetzt gewürfelt. Und zwar um heraus zu finden, ob einer an Bord ihr Unglück verursacht. Und siehe da, die Würfel filtern den Jona heraus. Was objektiv das richtige Ergebnis ist, folgt man der Geschichte. Ok, ich gebe zu: Um heute in einer Lage voller Ungewissheit eine Entscheidung zu finden und zu begründen, da würde man eine Umfrage machen und auswerten und mit den Daten argumentieren. Das ist modern. Statistik und Stochastik haben ihren Ursprung trotzdem beim Würfeln und seinen Abfolgen genommen. Und außerdem ist inzwischen bekannt, dass Befragung und Auswertung mit Umsicht zu genießen sind und nur sehr begrenzt Wahrheit aufzeigen.

Ein Würfeln kommt auch bei Matthäus vor: Als die Soldaten Jesus gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und würfelten darum. Was wird bei diesem Würfeln erhellt? Dass es um die Menschheit böse steht, weil sie völlig im Dunkeln stehen kann, was ihr Leben und Weben vor Gott angeht. Das Würfeln erhellt, wie ahnungslos und blind wir Menschen für Gottes Leben und Weben sein mögen. Die Soldaten würfeln um das, was zu Jesu altem Leben gehört. Also um das, was aktuell und in Zukunft belanglos und vergangen ist für Jesu Leben und Wirken unter den Menschen. Nämlich um seine Kleidung, um das, was sein echtes Leben als Körper und Leib auf Erden mal verhüllt hat. Also um lediglich Äußeres, was von nun an und in Zukunft unrettbar verlumpt und verrottet. Obwohl die Kämpfer meinen, sich seiner wahrhaft letzten Reste bemächtigt zu haben – das trügt, in Wahrheit würfeln sie dem wahren Jesus hinterher. Die Würfel sind nämlich längst gefallen. Dafür hat Gott in Jesu Leben längst zugestimmt und gesorgt. Die Künste des Rechnens fallen hinter Gott in Jesus zurück, geschweige denn, dass sie ihn überholen. Diese Gefahr gilt auch den Künsten, welche die Kirche benutzt, um ihr Leben und Weben auf Erden zu gestalten und zu betreiben. Die Gefahr, dass die Kirche hinter Gottes Wirken im Geist Jesu zurückfällt: Obwohl und indem sie Umfragen beauftragt und auswertet, Statistik und Stochastik in Marketing und Geldwesen benutzt und entsprechend ihr Tun und Reden ausrichtet. Die Zahlen drücken nur in ihrer eigenen Sprache aus, was Sache ist.

Vielen Menschen in Europa geht es mit der Kirche wie jedwedem Mitglied von Gregor Samsas Familie. Der wachte bekanntlich eines Morgens auf, und sah sich in ein grausliches Gliedertier verwandelt inmitten seiner lieben Anverwandten. Die Kirche scheint diesen Menschen absonderlich wie ein tropisches Ungeziefer: zum einen wegen seiner fremden Herkunft, zum anderen, weil das Insekt wenig artgerecht sein Leben fristet; mindestens in einem zu kleinen Schauglas, nur wenig entfernt vom Schicksal, aufgespießt und balsamiert das Ende zu finden, um fürderhin begafft zu werden. Dabei spielen die Skandale um Missbrauch und den Umgang der Amtskirche nur eine, wenn auch eine wesentliche Rolle. Kirche und Gliedertier, das passt auch. Weil nämlich der Aufbau und die Rangfolge im Leib Christi ausgefeilt und reichhaltig gegliedert ist.

Ja, ja, Fremdschämen. Peinlich berührt sein, hat man in meinen jungen Jahren dazu und stattdessen gesagt. Sehr beliebt heutzutage einerseits dieses Fremdschämen; und andererseits kritisch zu befragen. Was heißt Scham eigentlich? Ich gehe von folgendem Verständnis aus. Scham entwickelt sich bei einem Menschen, wenn die Umwelt ihm folgendes rückmeldet: Das, was Du mit deinem Körper machst und anstellst, das ist mehr schlecht als recht. Es geht um also das, was man ausschließlich mit dem eigenen Körper darstellt, beim Kleinstkind also um das sich selber Drehen auf den Bauch, ums Greifen mit den Fingern, ums Stehen, ums Gehen. Also um das, was man sozusagen wortwörtlich verkörpert, unabhängig von der Umwelt. Gibt es darauf eine gute Rückmeldung, dann entsteht übrigens ein anderes Gefühl, der Stolz. Was man mit fremden Körpern anstellt, das bleibt in dieser Gefühlsebene außen vor, die gehören ja zur Umwelt. Der Umgang mit fremden Körpern erzeugt nämlich ein anderes und eigenes Gefühl. Davon später. Streng genommen kann man sich also nur für sich selbst schämen, und keinesfalls für einen anderen, der ja mit seinem eigenen, einem mir fremden Körper lebt. Wenn man sich fremdschämt, für das was ein anderer tut, dann wird dabei etwas unterstellt: Dass man gemeinsam wie aus einem Guss agiert, wie ein Mensch, obwohl sehr viele Einzelne beteiligt sind. So, als ob man ein einziges Wesen wäre, obwohl es offensichtlich um mindestens zwei verschiedene Körper geht. Zum einen ist dazu zu sagen: Die alte Rede vom Volkskörper sollte einem so eine bloß mit geistlosen Worten erzeugte und gemachte Nähe und Einheit verdächtig machen. Zum anderen: Von der Gemeinschaft der Gläubigen, der Kirche, gibt es eine Vorstellung, nämlich den Leib Christi als Einheit zu verkörpern. Und innerhalb dieses Bildes gesehen, führt ein Pfad schon zu dem Wort Fremdscham und seiner Bedeutung. Aber ist das ein guter Pfad?

Beim Fremdschämen geht es doch eher um Distanz als um Nähe und Einheit. Man will einer Person, die mit ihrem Verhalten das Fremdschämen veranlasst, eher weniger nahestehen als man es gerade leider tun muss. Merkwürdig. Widersprüchlich. Die Erzeuger von Fremdscham meidet man lieber, obwohl sie zum eigenen sozialen Körper gerechnet werden.

Wenn jemand solcherlei Fehler begeht, dann kann das einen auch anderes als Fremdscham fühlen lassen: Man kann sich darüber vielleicht heimlich freuen, wenn man diesen Menschen verabscheut. Oder man kann seine Angst vor Versagen nachfühlen. Oder Mitleid mit ihm haben, weil er ordentlich Ärger kriegen wird für sein Vergehen. Oder man kann sich von so einem distanzieren und zornig auf ihn werden, weil ja wirklich jeder weiß, dass so ein Verhalten zu vermeiden oder zu unterlassen ist. Das alles gab es und gibt es statt Fremdschämen. Warum taucht dann vermehrt dieses Gefühl auf?

Vielleicht bietet Fremdscham dem Fühlenden einen Grund, von einem Mitmenschen Abstand zu nehmen, ohne offen angreifend oder zornig werden zu müssen? Obwohl Mündigkeit auch das heißen könnte! Sich als Belehrer oder als Ranghöher oder als Chef darzustellen, und damit einen Streit oder Machtkampf zu riskieren! Fremdschämen hieße dann, sich aus der direkten Verantwortung nehmen zu können, obwohl man etwas schlecht findet. Kritisch sein, aber leise, und ohne einen Vorschlag zum besser machen äußern oder gar entdecken oder erfinden zu müssen. Ist das nur konfliktscheu, zumal, wenn es sich unter gleich Gestellten abspielt. Oder schon lieblos, den anderen und sein Leben verkommen zu lassen, ihn sträflich nachlässig zu übersehen?

Fremdscham in Sachen Kirche, um einen Konflikt mit ihr zu vermeiden? Das kann ich verstehen. Kritik und Nächstenliebe und verletzte Gefühle sind auch wirklich ein heikles Feld geworden. Und die Kirche ist immer noch eine mächtige Institution, die ganz schön zuschlagen kann, wenn sie sich wehrt. Natürlich nur mit den rechtlich erlaubten oder kommunikativen Mitteln. Sich mit Pfarramt oder seinem Pfarrgemeinderat anzulegen, das kommt ja schon mal öfter vor. Eine Ebene höher, im Bezirk, das gibt es dann schon viel seltener, meistens kriegt die normale Öffentlichkeit kaum was davon mit. Um von der Ebene Ober- und Landeskirchenrat ganz zu schweigen.

Zuversicht statt Fremdscham, das wäre eine andere Reaktion, wenn einer ein Bild und Verhalten von sich abgibt, das ausgesprochen peinlich, also zum Fremdschämen ist. Ein Gefühl, eine Hoffnung nämlich, die spricht: Das wird schon, das wächst sich aus, das geht sich aus, wie man in Österreich sagt. Schüler begeben sich in der Schule auf soziale Abwege, verhalten sich öfter abseitig, absonderlich oder auch nur sonderbar. Dann ist es für einen Lehrer gut, mit dem, was er dazu sagt, Zuversicht in sich sprechen zu lassen und aus sich gegenüber dem Schüler: Das wird schon, das wächst sich aus. Alles wird gut, auch wenn Du und ich, auch wenn wir beide und Schule und Familie dazu beigetragen haben, dass es so weit gekommen ist.

Tatsächlich dürfte jedoch aus vielen Worten, Gesten, Weisungen und Taten von Lehrenden zu Schülern gewiss Verzweiflung mitsprechen. Je nach Anlass mal eher milderer Art und resigniert. Oder auch mal hart am Rand vom Schiffbruch, total aussichtslos. Oder man wird gleich dominant und beruft sich auf sein Recht, das natürlich das Recht schlechthin ist. Damit die Verzweiflung und Hilflosigkeit verdeckt bleibt, die in einem herrscht. Schade eigentlich.

Jesus hat sich schließlich auch mit Typen getroffen, denen die Leute damals lieber aus dem Weg gegangen sind, weil eine Begegnung und Umgang mit denen schnell aus dem Ruder zu laufen, peinlich zu werden drohte: Zöllner, irre Brabbler, Frauen mit fraglichem Einkommen, Besserwisser, schwer Gelähmte, politische Wirrköpfe, Angsthasen, tollkühne Draufgänger. Und sogleich haben seine eigenen Leute, die Jünger, abgeraten und zu ihm gesagt: Lass das lieber! Das kannst Du doch nicht machen! Das führt zu nichts! Und oft rief das Ergebnis dieser Treffen Verwunderung hervor. Sowohl bei den Glotzern und Gaffern als auch bei denen, die direkt bei Gesprächen und Taten mitmischten. Und zugegeben, bei manch Verwundertem stellte sich eine Überraschung ein, die nur Schlimmes und Böses angesichts der schwierigen Lage erwartet. Die Zuversicht Jesu schreckt einige immer wieder ab. Wird abgetan als naiv, unwissend, verantwortungslos, und dergleichen Vokabeln mehr. Die Zuversicht Jesu war und ist garantiert immer auch ansteckend. Löst selber Zuversicht und Hoffnung aus, also ein Gefühl, das trotz der schwierigen Lage positive Überraschungen erwartet. Bei Zuschauern und bei denen, die mitmachen. Macht kreativ wie bei der Frau aus dem Südlibanon: Jesus weist sie samt ihrem Anliegen barsch von sich ab. Aber sie nimmt seine indirekte Beschimpfung auf sich, ordnet sich damit ihm unter, so dass sie von Jesus schließlich bekommt, was sie will.

Die Kirche ist ein sonderliches Gliedertier. Sie steckt nach zweitausend Jahren immer noch in Kinderschuhen. Leider wächst sie in ihrer Entwicklung nur scheinbar gleichförmig und gleichmäßig wie Krebstiere. Sie ist in Wahrheit nämlich verpuppt. Und ihr Wachsen und Wandeln ist flatterhaft und kommt in ungleichen Sprüngen daher. Ja, es ist sogar zwangsläufig mit Abbau und Verlusten verbunden. Verlassenes Raupenkleid, das am seidenen Faden im Wind rumhängt. Aber die Kirche lebt und wächst auf ihr Ziel hin. Dank Gottes Würfelwurf führen Wandel und Veränderung zu guten Überraschungen statt in Unglück und Untergang zu enden. Oder wie unser Ephesertext sagt:

16 Von Christus aus wird der ganze Leib zusammengefügt und zusammengehalten durch jede Verbindung, die den Leib nährt mit der Kraft, die einem jeden Teil zugemessen ist. So wächst der Leib und erbaut sich selbst in der Liebe. Amen.

Markus Kreis OStR,

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