
Exodus 3,1-5
Nackte Füsse | letzter Sonntag nach Epiphanias |02.02.25 | 2. Mose 3, 1-5 | Silja Keller |
Schuhe
Ich möchte euch eine komische Frage stellen? Was für Schuhe tragt ihr heute? Sind sie dick und warm, damit ihr euch die Füsse nicht stösst oder abfriert? Sind sie etwas unbequem, dafür chic? Oder habt ihr einfach angezogen, was euch vor die Füsse kam?
Ich trage heute Sandalen aus Leder. Zugegeben – Etwas kalt für eure Breitengrade. Aber da, wo ich herkomme, ist es das beste Schuhwerk. Im Land Midian ist es trocken, heiss und steinig. Ich bin oft lange unterwegs, wenn ich die Schafe hüte. Da bin ich froh um meine luftigen, bequemen Sandalen.
Oh, Verzeihung! Ich habe mich gar nicht vorgestellt. Meine Schwestern nennen mich Zippi, das ist kurz für Zippora. Ich bin die Tochter des Priesters Jitro und seit kurzem bin ich stolze Mutter von meinem Sohn Gerschom. Mose, mein Mann, und ich sind überglücklich über seine Geburt!
Ich hoffe, Gerschom hat den Gerechtigkeitssinn und die Stärke seines Vaters geerbt!
Wisst ihr, damals, als ich noch ein junges Mädchen war, hatten wir jeden Tag Streit mit den anderen Hirten. Sie wollten immer vor uns die Schafe tränken, auch wenn wir zuerst da waren. Da meine Schwestern und ich uns nicht gegen die starken jungen Männer wehren konnten, mussten wir warten und kamen spät nach Hause. Bis Mose, der Hebräer, auftauchte. Plötzlich stand er da. Sonnengebräunt und stark mit einem leicht getriebenen Ausdruck in den Augen. Er half uns, die Schafe zu tränken und vertrieb die egoistischen Hirten. Da habe ich mich unsterblich in ihn verliebt. Und ich hatte Glück, auch Mose mochte mich sehr und mein Vater gab ihn mir zum Mann. Trotz meiner Liebe, war ich für eine kurze Zeit sehr unsicher, ob er wirklich gut für mich ist. Das war, als er mir erzählt hat, dass er einen Ägypter erschlug, als dieser einen seiner Landsleute tötete. Deshalb kam er überhaupt nach Midian – er war auf der Flucht. Das hat mich beunruhigt. Aber nach langen Gesprächen wurde mir klar, dass der grosse Gerechtigkeitssinn und das starke Mitgefühl Moses ihn zu dieser Tat verleitet hatten. Und ich fühlte mich wieder sicher, weil ich wusste, dass er mich vor aller Ungerechtigkeit beschützen würde.
Bitte entschuldigt mein Ausschweifen. Ich bin etwas durcheinander. Wir waren wir bei den Schuhen. Mose hat etwas erlebt, was ihn richtig durchgeschüttelt hat. Er ist dem Gott seiner Vorfahren begegnet und musste dabei die Schuhe ausziehen. Ich will es euch so erzählen, wie ihr es in eurer Bibel im 2. Mose Kapitel 3 nachlesen könnt:
Was Mose geschah – 2. Mose Kapitel 3, 1-15
1 Und Mose weidete die Schafe seines Schwiegervaters Jitro, des Priesters von Midian. Und er trieb die Schafe über die Wüste hinaus und kam an den Gottesberg, den Choreb. 2 Da erschien ihm der Bote des Ewigen in einer Feuerflamme mitten aus dem Dornbusch. Und er sah hin, und sieh, der Dornbusch stand in Flammen, aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt. 3 Da dachte Mose: Ich will hingehen und diese grosse Erscheinung ansehen. Warum verbrennt der Dornbusch nicht? 4 Und der Ewige sah, dass er kam, um zu schauen. Und Gott rief ihn aus dem Dornbusch und sprach: Mose, Mose! Und er sprach: Hier bin ich. 5 Und er sprach: Komm nicht näher. Nimm deine Sandalen von den Füssen, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden. 6 Dann sprach er: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Da verhüllte Mose sein Angesicht, denn er fürchtete sich, zu Gott hinzublicken. 7 Und der Ewige sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen, und ihr Schreien über ihre Antreiber habe ich gehört, ich kenne seine Schmerzen. 8 So bin ich herabgestiegen, um es aus der Hand Ägyptens zu erretten und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes und weites Land, in ein Land, wo Milch und Honig fliessen, in das Gebiet der Kanaaniter und der Hetiter und der Amoriter und der Perissiter und der Chiwiter und der Jebusiter. 9 Sieh, das Schreien der Israeliten ist zu mir gedrungen, und ich habe auch gesehen, wie die Ägypter sie quälen. 10 Und nun geh, ich sende dich zum Pharao. Führe mein Volk, die Israeliten, heraus aus Ägypten. 11 Mose aber sagte zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehen und die Israeliten aus Ägypten herausführen könnte? 12 Da sprach er: Ich werde mit dir sein, und dies sei dir das Zeichen, dass ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr an diesem Berg Gott dienen. 13 Mose aber sagte zu Gott: Wenn ich zu den Israeliten komme und ihnen sage: Der Gott eurer Vorfahren hat mich zu euch gesandt, und sie sagen zu mir: Was ist sein Name?, was soll ich ihnen dann sagen? 14 Da sprach Gott zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde. Und er sprach: So sollst du zu den Israeliten sprechen: Ich-werde-sein hat mich zu euch gesandt.
Moses Geschichte durch Zippis Augen
Diese Geschichte ist fast nicht zu glauben, findet ihr nicht? Ich habe sie Moses im ersten Moment nicht geglaubt. Aber dann ist mir aufgefallen, dass sich seine Ausstrahlung geändert hat. Seine Augen brennen vor Tatendrang und die Getriebenheit in seinen Augen ist einer grossen Ruhe gewichen. Er weiss plötzlich, dass er zurück nach Ägypten gehen muss. So entschlossen habe ich ihn noch nie gesehen. – Diesen Gott, von dem er spricht, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, den kenne ich nicht. Aber er hat mich beeindruckt. Seit mir Mose sein Erlebnis geschildert hat, kann ich nicht mehr aufhören, darüber nachzudenken.
Da ist die Sache, dass dieser Gott seinen Namen kannte. Und dass er ihn die Schuhe ausziehen liess. Mein Liebster, der immer stark sein musste, zieht sich die Schuhe aus. Er macht sich verletzlich. Es könnten Dornen beim Dornbusch liegen und trotzdem lässt er sich auf die Sache ein. Lässt sich von seiner Sensibilität leiten und spürt, dass der Boden heilig ist. Mit den Schuhen lässt er auch Staub und Schmutz hinter sich. Lässt zum ersten Mal seine schlechten Gefühle, seine Angst, seine Schuld, die er aus Ägypten mitnahm, los. Seine nackten Füsse stehen verletzlich vor dem brennenden Dornenbusch.
Wie Moses Herz, das nicht rein und unschuldig ist, so ist der Busch voller Dornen. Gott zeigt ihm, dass auch ein dorniger Busch für etwas brennen, Licht spenden und zu einem heiligen Ort werden kann.
Und dann ist da der Auftrag: Geh und führe mein Volk, denn ich habe ihre Schreie gehört und ich habe gesehen, wie die Ägypter sie quälen.
Dieser Gott, den wir doch beide gar nicht kannten, scheint meinen Mose in- und auswendig zu kennen. Es kann doch kein Zufall sein, dass er ihn beruft. Seit ich ihn kenne, spricht er davon, wie es ihn schmerzt, dass seine Leute in Ägypten leiden müssen. Auch wenn er bereut, dass er den Ägypter damals gleich getötet hat, so hat er nie bereut, dass er für die Gerechtigkeit eingestanden ist.
Dieser Gott sieht nicht das Schlechte in Mose. Er sieht nicht den geflüchteten Mörder, der sich mit Schafehüten durchs Leben schlägt. Nein, er sieht die Sehnsucht nach Gerechtigkeit und die Stärke in ihm. Die Dinge, die ich so an ihm liebe. Und er beauftragt ihn, das zu tun, was schon immer in ihm brannte. Er soll bei der Erlösung seines Volkes mitwirken. Dieser fremde Gott möchte ihn brauchen, die Unterdrückten aufzurichten und ihnen beizustehen. Das ist wahrhaft ein Gott, der sieht und hört. Er sieht nicht nur die Hebräer, die leiden, sondern auch meinen Mose, mit all den Dornen und dem Feuer, welches in ihm brennt.
Berufung – welche Schuhgrösse passt zu dir?
Wisst ihr, was ich mich frage? Wenn Mose das Leid in Ägypten nicht gesehen und sich die Schreie seiner Leute nicht zu Herzen genommen hätte, wäre er dann erwählt worden? Hätte er diesem Gott geglaubt, dass ausgerechnet er, das Findelkind, zu einem Freiheitskämpfer und Anführer taugt?
Ich kenne diesen Gott noch nicht. Aber was ich sehe und höre, lässt mich glauben. Mose hat seine Berufung gefunden. Es ist eine Berufung, die zu ihm passt und die nach all den Jahren sein Herz in Brand setzt. Deshalb werde ich ihn ziehen lassen. Und bis wir uns wieder sehen, werde ich hören, genau wie er. Ich bin mir sicher, dass auch ich von diesem geheimnisvollen Gott gerufen werde. Vielleicht muss ich, wie Mose meine alten Schuhe zurücklassen. Vielleicht ist meine Berufung eine Schuhgrösse grösser.
Habt ihr eure Berufung gefunden? Wagt ihr es, euch verletzlich zu machen und euch dem Heiligen zu stellen? Folgt ihr dem Feuer in eurem Herzen? Seid ihr mutig? Glaubt ihr daran, dass ihr gerufen seid euer Leben sinnreich zu leben? Dass dieser Gott uns zu einem Leben beruft, das ausgerichtet ist an dem, was unser Herz bewegt und an dem, wie Gott sein Reich erträumt?
Ich werde meine alten Schuhe bei euch lassen. Denn ich möchte meine Berufung finden und sie leben. Diesem Gott, der so geheimnisvoll und doch nahbar ist, will ich mich aussetzen. Auf ihn will ich hören. Diesem Gott, der die Schmerzen der Unterdrückten sieht und die Schreie der Ausgebeuteten hört, diesem Gott, der etwas gegen das Unrecht unternimmt und Menschen befähigt, dem Leid ein Ende zu setzen, dem möchte ich vertrauen.
Seid ihr auch dabei? Weil dann verabschiede ich mich nicht. Wir sehen uns bestimmt wieder, dort, wo die Not am grössten ist.
Amen
—
Pfrn. Silja Keller
Fehraltorf
E-Mail: silja.keller@kirche-fehraltorf.ch
Silja Keller, geb. 1990, Pfarrerin der evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Seit 2021 zu 70% tätig als Pfarrerin mit Schwerpunkt Familien und Jugend.