Fußballhimmel und Teufelstechnik

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Fußballhimmel
und Teufelstechnik

Thies Gundlach

Liebe Gemeinde,

Gott ist rund,
die Kurie trägt das kleine Schwarze mit der Trillerpfeife und die
Diakone stehen abseits vom Heiligtum, um auf`s Abseits zu achten. Fußball
ist Pseudoreligion, echte Konkurrenz also, denn die Epiphanie des Heiligen
geschehen hier in Zeit und Raum, in der Regel samstags zwischen 15.30
und 17.15 Uhr, gedrängt auf bummeligen 120 x 55 Metern, allerdings
unter freiem Himmel, mit begeisterten Gesängen aus der Gemeinde.
Die Kulthandlungen haben festgelegte Zeremonien, Rituale des Ankommens,
der Einstimmung, der Gebetskonzentration durch das Erklingen von national
bedeutsamer Musik. Erst dann ist die Gemeinde reif für diese geheimnisvolle
Verwandlung der Leiber in ein größeres, anderes ihrer selbst,
die Transsubstantiation der Körper in ein Ganzes aus Schönheit
und Funktionalität. Ein gelungener Spielzug, ein gekonnter Doppelpass,
ein begnadet vorgetragener Konter aus der Tiefe des Raumes, das erfüllt
den Tatbestand des Wandlungswunders: Durchschnittlich begabte Jungs
zwischen 20 und 30 werden durch Zeichen und Wunder zu Heiligen, zu Gesandten
der Götter, zu Botschaftern eines Friedens, der höher ist
als alle fußballerische Vernunft. Auch diese Religion hat Fest-
und Feiertage, die die Jünger in Andacht, Gebet und Hoffnung versammeln:
Welt- oder Europameisterschaft, Champions-League, Pokalfinale, Bundesligaendspiele,
das sind Feiertage, die das Leben rhythmisieren und den Alltag unterbrechen,
die die Sinnfrage neu formulieren und die Antwort in die Hände
des Torwarts oder auf die Füße des Schützen legen. Denn
existentiell, also auf dem Rasen, helfen dann auch nicht die Priester,
diese charismatisch begnadeten `Ballologen`, deren Rang zwischen Engel
und Teufel pendelt. Die Trainerpriester sind der öffentlichen Gerichtsbarkeit
freigegeben, sie sind entweder genial oder blind, blöd und begrenzt,
sie tragen alle Schuld und sind die hochbezahlten Sündenböcke
dieser Religion, die stellvertretend geopfert werden, wenn der runde
Gott unversöhnlich scheint. Sie können von Glück sagen,
das andere Hochreligionen die Kreuzigung als Todesstrafe abgeschafft
haben.

Und natürlich
gibt es beim Fußball – wie in jeder Hochreligionen – Konfessionen,
kenntlich durch ihren `Sonntagsanzug`, mal schwarz-gelb, mal blau-weiß,
kenntlich auch an ihren spezifischen Gesängen, an ihren Heiligen
und an ihren Feindbildern, die in der Regel bei den anderen Vereinen
zu finden sind. Und es gibt natürlich auch Abspaltungen unter den
Gläubigen, emotionale Ausreißer, Sektenbildungen:

Denn was den Christen
die Endzeitpropheten sind, sind dem Fußball seine Hooligans, also
missbrauchte Begeisterung, fehlgeleitete Gewissensbildung, die sich
in Gewalt, Hass und Selbstzerstörung ausdrückt. Aber ein wahrhaft
Gläubiger der härteren Sorte beweist allwöchentlich seine
vorbildliche Frömmigkeit: Denn in welcher Religion sonst würden
die Menschen bei idiotisch schlechtem Wetter eine mittelmäßig
kickende Mannschaft ohne Torerfolg zusehen, und dafür auch noch
Eintritt zahlen? Kein Papst, kein Pastor, auch kein Charismatiker könnte
sich solch einen miserablen Service leisten.

Aber zu unserer
großen Verwunderung gibt es auch Ungläubige, ‚Thomasse‘,
Zweifler und Nörgler: Zuerst natürlich und wie immer die Intellektuellen,
die Skepsis zu ihrem Beruf machen und mit Ironie ihr Geld verdienen.
Aber dass es keinen Roman gibt wie `Die Suche nach dem verlorenen Ball`
oder `Match ohne Eigenschaften`, das demonstriert letztlich die Niveaulosigkeit
der schreibenden Zunft. Und der einzig vermeintlich große Fußballtext,
Peter Handkes `Die Angst des Tormanns beim Elfmeters`, illustriert auf
seine Weise die tiefe Ahnungslosigkeit der `Klugis‘, denn natürlich
hat nicht der Tormann, sondern der Schütze die Angst vor dem Elfmeter.

Schlimmer aber,
weil sozusagen nur privat zu handhaben, ist aber die andere Gruppe von
Zweiflern, die sich zumeist – das muss man ganz wertfrei feststellen
– in Gestalt des weiblichen Geschlechtes zusammenrotten, ergänzt
nur durch einige versprengte, fehlgeleitete Männern. Hier muss
man m.E. schöpfungstheologisch argumentieren: Solange es noch Frauen
gibt, die mit leicht entrüstetem Unterton mitten in einem Endspiel
den Hinweis geben, von ihnen aus könne jeder der Jungs einen eigenen
Ball haben, solange plädiere ich für die Wiedereinführung
eines Vorhofes im Heiligtum. Fußball ist eine Männerkirche,
nicht weil es die Offenbarungsschriften forderten, auch nicht, weil
die Tradition der heiligen, fußballspielenden Gemeinschaft dies
so will, sondern weil es offenbar aus schöpfungsbiologischen Gründen
vielen Frauen und manchen Männern verwehrt ist, die Abseitsregel
zu verstehen. Fußball ist Männerreligion, denn nirgends sonst
darf der Mann so unverblümt von Angriff und Verteidigung, von Torjäger
und Bomber reden, nirgends sonst darf der Mann so ungeniert von diesem
„glitschigen, nassen Ding reden, das einem durch die Hände
rutscht“, nirgends sonst darf er so ungeschoren schreien: `Schiebt
das Ding doch rein, Klinsi`, nirgends sonst kann er noch öffentlich
fachsimpeln über die Latte, die getroffen ist, und über Beckenbauer,
der von hinten gedeckt wird. Kurz: Nirgends sonst darf der Mann so sexistisch
und militaristisch sein wie beim Fußball; ich plädiere für
Artenschutz.

Soweit zur Phänomenologie
dieser Religion, liebe Gemeinde; nun müsste eigentlich – theologisch
korrekt – die Sündenlehre kommen, ich müsste als protestantischer
Prediger mit der Dauersorgenfalte in der Halskrause nun die kritischen,
missratenen, gottfernen Seiten des Fußballs benennen. Und da gäbe
es ja manches zu sagen: Ich hätte über die gnadenlose Leistungsausbeutung
von Körper, Kopf und Knorpel zu reden; ich müsste über
die vollendete Kommerzialisierung reden, über die Käuflichkeit
eines jeden Menschen, ab einer bestimmten Dollarhöhe, versteht
sich.

Ich müsste
von dem totalen Besitzanspruch der Medien über diese intellektuell
und sprachlich nicht immer ausgereiften Jungstars reden: und ich müsste
über den für eine freie Gesellschaft beschämenden moralischen
Druck reden, der auf den Kicker lastet: Matthäus hat eine Freundin!
das erfüllt fast den Tatbestand des Landesverrates! Die Wohlverhaltenserwartung,
die früher auf dem Lebenswandel der Pastoren ruhte, wird heute
auf die Kicker projiziert: Nirgends wo sonst sind so junge Menschen
so früh so bieder verheiratet!

Aber all dies will
ich nur andeuten, liebe Gemeinde, denn wichtig ist mir die Erlösungslehre
dieser Religion. Welche Verheißung, welchen Trost, welchen Segen
bietet sie? Ein kluger Kopf hat einmal geschrieben, Fußball sei
„die Inszenierung von Zufall in einem nichtzufälligen Rahmen“.
Und darin ist das Spiel Spiegel und Abbild des wirklichen Lebens, das
wir alle kennen: Denn es geht in unserem Leben ja wirklich nur zum Teil
um Leistung, Kraft und Können, gerade unter gleichstarken Bedingungen
gewinnen keineswegs immer die Besseren, sondern eher die Glücklicheren.
Deutschland nimmt an der WM teil, das auch nicht unverdient, aber eben
auch nicht herausgespielt, die Niederlande hätten eine Teilnahme
ebenso verdient. Und genauso ist es im wirklichen Leben: Viele Menschen
haben Kraft und Können, Verstand und Einsatzbereitschaft, aber
dazu muss noch jenes Quäntchen Glück kommen, das wir als Kinder
den Schutzengeln zugetraut haben und das wir als Erwachsene hoffentlich
einem unerzwingbaren Segen zubilligen. Im Fußball inszeniert sich
nicht der `homo faber`, der Machermensch, sondern der `homo ludens`,
der Spielermensch, und deswegen übt Fußball ein in den rechten
Umgang mit Glück und Segen:

Allzu oft rechnen
wir uns selbst jeden Erfolg zu, wir haben gewonnen, sagen wir, dabei
hatten wir nur Glück gehabt. Kahn, Ballack, Bode und Deisler, für
die Verwegenen auch Völler, sie sind unsere Helden, wir klopfen
uns auf die Schultern und halten uns und die Unseren für bravouröse
Kerle. Aber im Kern schmücken wir uns mit geliehenen Federn, denn
was wie Leistung aussieht, ist oft nur blindes Glück. Da macht
das Bekreuzigen, das man bei manchen Spielern sieht nach einem gelungenen
Torschutz, schon mehr Sinn: Als Zeichen des Dankes, des Empfangens,
als Schutzzeichen vor dem ungedeckten Größenwahn, der alles
Glück dem eigenen Konto gutschreibt.

Und diese geistlich
bescheidene Haltung bewährt und bewahrheitet sich dort, wo der
Segen ausbleibt. Denn Fußball ist ja zugleich die inszenierte
Reduktion des Körpers auf atavistische Grobmechanik. Jede Hand
kann sich sensibler, feiner, präziser bewegen als Beine und Füße.
Fußball lebt von der Benutzung der zweitbesten Möglichkeit;
es ist so, als wenn die Schnecken Schnelllauf oder die Elefanten Hochsprung
zu ihrem Lieblingssport auserwählten. Deswegen ist Fußball
auch Erinnerung an die Grenzen des Menschen: An für sich kann Fußball
nur enttäuschen, Spieler sind `Heroen des Scheiterns`, Leute, die
in aller Öffentlichkeit zu tun versuchen, was sie eigentlich nicht
können, nämlich Meister der Materie, Beherrscher der Physik,
Konkurrenten der Ballbeweglichkeit zu werden. So aber mutet der Fußball
sich selbst und den Fans immer wieder die Einübung ins Versagen
zu.

Die Grenzen, Unmöglichkeiten,
Vergeblichkeiten sind – aufs Ganze eines Fußballspieles gesehen
– ungleich höher als das Gelingen und Können. Wenn unsere
moderne Technik in Auto, Flugzeug und Fahrrad auch nur annähernd
die Fehlerquote aufweisen würde wie ein durchschnittliches Fußballspiel,
würden wir längst alle wieder zu Fuß laufen. Fußball
übt ein in das Leiden und Mitleiden, in die Solidarität mit
dem Scheitern, Niederlagenbewältigung und Trauerarbeit ist die
Grundform der Gemeindebeteiligung: Man weint und klagt, zetert und schimpft,
Fremde fallen sich in die Arme und trösten sich, tapfer werden
anfeuernde Siegesgesänge zelebriert, obwohl der Rückstand
beträchtlich ist. Wer mit seinem Lieblingsverein schon einmal in
die 2. Liga abgestiegen ist, dem muss man nichts mehr erzählen
von Verzweiflung, Ohnmacht und Sinnleere, der hat eine lebenslange Vorstellung
davon, was Spott, Angst und Hohn ist. Wenn irgendwo, dann wird beim
Fußball die Erlösungsbedürftigkeit auch des modernen
Menschen regelmäßig erinnert, und das ist nicht das Schlechteste
an diesem Sport.

Doch hinter diesem
beiden, dem Umgang mit Fluch und mit Segen, taucht als Drittes die symbolische
Verdichtung der grundsätzlichen Lebensverheißung auf, die
uns aus dem Alltag reißt und uns befreit aus unserer durchrationalisierten
Normalität. Wer einmal eine Verlängerung miterlebt hat, weiß,
was gemeint ist: Innerhalb jener 30 Minuten Nachspielzeit kann mehr
über Glück und Angst, Hoffnung und Verzweiflung, über
Scheitern und Aufbruch erfahren werden als in manchen Lebensjahren zusammen.
Dass wir in unserer verwalteten Welt, in der die Existenzdimensionen
nur noch in dosierter ‚Scheiblettenform‘ dargereicht und alle Lebensabenteuer
locker vom gepolsterten Sessel aus wahrgenommen werden können,
in dieser Welt hat das Fußballspiel eine Existenzdichte, eine
Dramatik, die uns daran erinnert, dass unser Leben eigentlich weder
langweilig noch rationalistisch gemeint ist. Hier schlummert die letzte
religiöse Tiefenschicht des Spieles, das Geheimnis des Fußballsportes:
Die wohl seltene, aber doch immer wieder eintretende Epiphanie des Schönen
vor dem Hintergrund der Lebensdramatik, das ist das religiöse Urgestein
des Spiels. Bei den alten Griechen war Sport eine Form von Gottesdienst,
eine Feierstunde der Schönheit in einer hässlichen Welt. Und
tatsächlich, dass unsere Welt Teil eines Kosmos ist, also als eine
Mischung aus Ordnung, Schönheit und Schmuck gemeint ist, dass unsere
rationalistisch leere und gnadenlose langweilige Welt doch voller Sinn
und Schönheit, voller Größe und Gelingen sein kann,
das erahnen wir manchmal auf dem Rasen. Große Fußballspiele
erinnern daran, dass die Frage nach Gott dort anfängt, wo ein gelungenes
Spiel aufhört: Bei dem Staunen darüber, dass es neben Zweck
und Berechnung, neben Funktion und Verwaltung immer auch Schönheit,
Vollendung, eben Kosmos gibt, der uns geschenkt wird, auch wenn wir
manchmal ganz schön dafür laufen müssen. Amen

Oberkirchenrat
Dr. Thies Gundlach
Leiter der Abteilung „Verkündigung, Kirchliche Dienste und
Werke“
im Kirchenamt der EKD