
Galater 2,16-21
Mit Christus an den Strand | 11. Sonntag nach Trinitatis | 11.08.2024 | Gal 2,16-21 | Ralf Reuter |
Die Sonne und das Meer, die ewige Melodie des Windes mit den Wellen, es ist so zauberhaft im Sommer. Morgens sind wir fast alleine am Strand, die Liege weit zurückgezogen, genießen die milchige Stille der Bucht. Noch ist das Wasser ganz ruhig, wie ein Teppich ausgebreitet bis zum Horizont. Mittags dann, nach dem Trubel der angekommenen Familien, geht es zum Essen. Einfach, etwas Fisch und Salat, ein Glas vin blanc, vom Tisch ist der Blick höher, weiter, nimmt die Boote immer wieder kurz in den Blick. Der lange Nachmittag ohne Programm, einfach liegen, dösen, lesen. Die Strandlektüre zieht sich, die Empfehlungen der Sommerromane sind gut, vier Bücher in sechs Tagen. Jetzt beginnt das Meer zu erwachen, spülen die Wellen bis zu den Sandalen unter der Liege. Noch ein Schweppes mit Eis und Zitrone, die blaue Stunde ist jeden Tag anders, dann wieder der Aufbruch zur Unterkunft.
Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Ernsthaft habe ich mich dort, im völligen Runterkommen vom Alltag, nach dem Sinn dieses Paulussatzes gefragt. Mich, der ich mit allen Sinnen am Strand liege und ausspanne, und zugleich mit Christus in mir daliege und mich am Leben freue. Es ist ein angenehmes Gefühl, fast so, als sei er immer schon in mir. Wie wollte man in der Schöpfung Gottes als sein Geschöpf denn ohne den Himmel leben? Wäre er nicht in mir, befände ich mich in einem ganz profanen Urlaub ohne allen spirituellen Bezug. Das wäre möglich, aber kein guter Gedanke für mich. Habe ich schon dieses eine Leben, mit all seinen Aufgaben, wo mir viel zugemutet wird, die Zukunft unsicher ist, so will ich es doch mit diesem Christus leben, der selbst von den Toten auferweckt wurde. Will selber immer wieder auferstehen in Hoffnung und Mut, in Tatkraft, Einsatz und Geduld.
So fahre ich einmal im Jahr an den Strand. Werde einmal von den Wellen leergespült, innerlich und äußerlich runtergefahren, auch geistlich arm gemacht. Diese Erfahrung ist nicht an das Meer gebunden, auch nicht unbedingt an Geld oder einer bürgerlichen Existenz. Menschen erleben dieses in Kirchen, im fast teilnahmslosen Sitzen auf einer leeren Bank. Auch im Kloster, in Retraiten und Klausuren, und auf Pilgertouren. Mit Christus im Wald, auf dem Berg, und manche selbst, fast unvorstellbar, im Trubel von Städten. Unterschätzen wir hier nicht die Alltagsspiritualität. Für kirchennahe oder im geistlichen Dienst Stehende kann es ungleich schwerer werden, sich einfach dem Himmel hinzugeben und neu füllen zu lassen. Diese tiefsitzenden Fragen, ob und wie das überhaupt mit Christus in mir gehen kann. Ist er nicht im Himmel, den ich mir hier auf Erden immer wieder verdienen muss? Und ich liege faul am Strand und lasse die Seele baumeln!
Doch vorsichtig, was passiert da eigentlich am Strand? Hat Glaube nicht etwas zu tun mit der immerwährenden Brise des himmlischen Atems? Wo Gott durch das Meer ein- und ausatmet, mir die Lungen füllt mit den Geschichten von Jesus von Nazareth. Er, der oft genug am See saß, sich zurückzog und dann um so wirkungsmächtiger zurückkehrte, den Menschen von der Liebe Gottes erzählte, sie heilte, ihnen Zukunft gab. Ist er mir nicht längst zum Christus geworden? So leicht ein Urlaubsmorgen auch daherkommt, so unverzichtbar, ja so elementar darin schon verankert ist Christus. Er holt mich aus meinem Hamsterrad des Verwirklichens heraus, dieser Abhängigkeit von meinen Leistungen. Durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht, sagt Paulus. Identität, ein schwieriges Wort, es hat mit einem lebendigen Austausch mit Christus zu tun. Er in mir und ich in ihm, wie Luther meint. Oder wie der Inselpastor schon vor Jahren sagte: Hier wirst du wieder geeicht und zurechtgebracht.
Klar muss ich etwas leisten, ein ewiger Urlaub ist sicher ein vertanes Leben. Er kann nur so etwas im Rhythmus des Jahres wie der Sonntag für die Wochentage sein. Da spielt die Orgel den Wind zu, rauschen die Lieder wie Wellen heran, und im Hineintauchen in die göttlichen Worte werden unsere gegenwärtigen Geschichten ausgewaschen und frisch eingesalzen, die Woche kann beginnen. Hier nun, aufs Jahr gesehen, ist Urlaub, Ausspannen, Erholen ebenso religiös, noch nachhaltiger, etwas, das auch Glaubende brauchen, all das geistige und kirchliche Können dahingeben und sich von Gott himmlisch aufspielen lassen. Inmitten der Badenden und Sonnenanbeterinnen ist es einmal nicht der Kopf, sondern die eigene Haut, über die sich ein Erneuern des Glaubens vollzieht. Könnten wir doch leiblich auf Christus vertrauen, wir würden von ihm her gewärmt und aktiviert für den Dienst in der Welt.
Niemals ist ein geistlich verstandener Urlaub ein Reparaturbetrieb für abgearbeitete Menschen. Diese Stunden, frei von jeder durchgeplanten Bildungsexistenz, sind immer auch Krisis. Hier gleichen wir den Segelbooten auf dem Wasser, die sich in ihrem Wippen und Schwingen ihrer fragilen Existenz bewusstwerden, ihrer Ungewissheit, ob sie je einen sicheren Hafen erreichen. Da ist das Hoffen und Beten zu lernen, das Durchstehen bis zum Mittag, und am Abend den Tag in Gottes Hände zurückgeben. Oft fallen im Urlaub Entscheidungen, die lange vorher schon angelegt sind. Anderen wird am Meer klar, was sie zukünftig lassen werden. Im Rauschen der Wellen flüstert uns Gott seine Absichten zu. Immer gilt es, seinem einzigartigen Schöpfungsentwurf auf die Spur zu kommen, sich wieder einzufinden in Annahme, Barmherzigkeit, Heilbleiben in Krankheiten und Abschieden, Ehrlichkeit, Menschenfreundlichkeit. Genau dazu braucht es verbummelte Nachmittage, das Liegen und Dösen, das lockere Blättern und Lesen in den Romanen des Sommers.
Die Tage im Urlaub, mit Christus am Strand, sie wirken nach. Natürlich bin ich versucht zu fragen, wann es den letzten faulen Tag gegeben hat, ohne Plan, ohne Handy, im Gras liegend, völlig frei und losgelöst. Es könnte der letzte Glaubenstag gewesen sein, von dir selber frei geworden und von Christus aufgefüllt. Nur wenn das auch zuhause weiter eingeübt wird, zumindest einen Nachmittag im normalen Leben, so wage ich vorauszusagen, bleibt Christus wirklich in dir. Ich jedenfalls möchte mich lange erinnern an die Tage am Meer und sie mitnehmen in meinen Alltag. War ich nun mit Caspar David Friedrich ein Mönch am Meer, sah ich die Trinität von Land, Wasser und Himmel in einem Bild gar dreifach übereinander wie William Turner in seinen Three Seacapes? Ich weiß es nicht, es ist auch egal. Niemals kann ich die Vielfalt der göttlichen Schöpfung und Erhaltung wirklich erfassen, ich bin und bleibe Christ in der Entwicklung, Grenzgänger zwischen Himmel und Erde, Mitgenommener auf dem großen Weg in die Ewigkeit. Es ist unendlich schön, dieses Leben, dieses mit Christus an den Strand gehen.
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Pastor Ralf Reuter
Göttingen
E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de
Pastor der Ev.-luth. Weststadt-Kirchengemeinde Göttingen sowie in den Göttinger Westdörfern und in der Region Göttingen-West, an einigen Urlaubstagen im Jahr auch Leitung von Retraiten und Klausuren für Führungskräfte der Wirtschaft im Kloster Loccum.
Sollte es von Interesse sein, sind hier die vier von der ZEIT empfohlenen Bücher, in der Reihenfolge, die ich am Strand gelesen habe: Alex Capus, Das kleine Haus am Sonnenhang; Gabriel García Márquez, Wir sehen uns im August; Anna Katharina Fröhlich, Die Yacht. Eine Sommernovelle und Jacob Augstein, Die Farbe des Feuers.