
Galater 2,16-21
Persönliche Bereicherung: Folgt keiner Regel?! | 11. Sonntag nach Trinitatis | 11.08.24 | Gal 2,16-21 | Markus Kreis |
16 Doch weil wir wissen, dass der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch den Glauben an Jesus Christus, sind auch wir zum Glauben an Christus Jesus gekommen, damit wir gerecht werden durch den Glauben an Christus und nicht durch Werke des Gesetzes; denn durch des Gesetzes Werke wird kein Mensch gerecht. 17 Sollten wir aber, die wir durch Christus gerecht zu werden suchen, sogar selbst als Sünder befunden werden – ist dann Christus ein Diener der Sünde? Das sei ferne! 18 Denn wenn ich das, was ich niedergerissen habe, wieder aufbaue, dann mache ich mich selbst zu einem Übertreter. 19 Denn ich bin durchs Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt. 20 Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir. Denn was ich jetzt lebe im Fleisch, das lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes, der mich geliebt hat und sich selbst für mich dahingegeben. 21 Ich werfe nicht weg die Gnade Gottes; denn, wenn durch das Gesetz die Gerechtigkeit kommt, so ist Christus vergeblich gestorben.
Folgt keiner Regel! So lautete mal ein Text im Internet zu diesem Werbebild eines Autoherstellers.
Darauf ist folgendes zu sehen: Ein PKW, fotografiert mit Fokus auf die Fahrerseite von links schräg oben – aber statt waagrecht auf dem Erdboden in die Senkrechte gedreht – der Fahrer fliegt von einem Parkhausdach rechts im Bild aus dem Himmel Richtung Erde in eine luftige, bodenlose Lücke, an deren linkem Rand sich ein Betonklotz findet, der von der Bildmitte bis zum Bildboden reicht, das Ganze ereignet sich auf dem Leitstrahl eines roten Lichts, das den Leuchten der PKW Rückseite entspringt.
Folgt keiner Regel! Natürlich folgt die Bewegung eines Autos den Regeln der Mechanik und Energie – und denen der Verkehrsordnung hoffentlich auch. Der Satz ist wahr, aber anders als gedacht. Folgt keiner Regel, obwohl die Welt voller Gesetze und Regeln steckt? Solchen nämlich, die Natur und Technik uns Menschen vorgeben, Rechenregeln, Bedienungsanleitungen, Kochrezepte, usw. Und solchen, die wir Menschen uns eigens füreinander ausgedacht haben wie Schulregeln, Sportregeln, Strafgesetz, auch die für Zeremonie und Ritual in einer Religion.
Du sollst! Sonst wird es eher unangenehm. Und du bekommst etwas zurück, das Dir zuwider ist. Als Rechenpapst Denkwege und Ergebnisse voller Fehler, als Forscher viele falsche Annahmen und Schlüsse, als Techniker in den Störfall gefahrene Anlagen. Als Außenseiter Missachtung oder gar Mobbing. Und Strafe, wenn Du das Recht brichst. Du sollst! Aber wenn du dem Sollen nachkommst, gibt es etwas, das dir eher reinläuft. In Wissenschaft und Technik Ehre zuhauf und meistens auch Geld, vielleicht sogar viel Geld. In der Gesellschaft und unter Mitmenschen mehr Respekt und Würdigung und Zuspruch. Ahndung oder Belohnung, eine Vergeltung steckt als die eine Regel in allen Regeln mit drin. Das ist die Nachsicht, mit der wir zu Werke gehen und rechnen. Wenn ich die Regeln hier einhalte oder breche, was für Folgen hat es jeweils für mich, gute oder schlechte? Die Welt steckt voller Gesetze und Regeln samt den jeweils entsprechenden Folgen. Und jeder ist als Bürger verpflichtet, sich dabei stets zu informieren.
Dazu kommt, dass wir wissen: Außer den geschriebenen gibt es auch ungeschriebene Regeln und Gesetze. Dank der sozialen Medien im Internet haben sich solche schwebenden Regeln vervielfacht. Schauen wir nur mal auf die sogenannten Life Hacks. Da geht es um allerlei nützliche Regeln fürs Leben, übrigens oft weniger neu als beansprucht. Aber auch um die informellen Regeln, mit welchen die Life Hacks designt und produziert werden. Und darum, nach welchen Regeln sie kritisiert werden sollen. Da heißt es aufpassen, sonst tritt man gleich mehrmals ins Fettnäpfchen – eine eher harmlose Form der Rückzahlung, verglichen mit dem, was da sonst noch aufschlagen kann. Für manche Verkäufer hängt da ihre Existenz dran. Da ist zu sehen: Wir Menschen lieben es offenbar nicht nur, zwecks Belohnung Gesetzen und Regeln zu entsprechen, wir lieben es mindestens genauso, neue Regeln und Gesetze zu entdecken und zu entwickeln. Mitsamt neuen Wegen, wie deren Verletzung zu ahnden und deren Befolgung zu belohnen ist. Jede Generation entwickelt da ihr Ding: Wer gilt als Frau, wer gilt als Mann? Wer ist keines von beiden oder bildet was eigenes Neues? Und was heißt es, wenn die eine Beziehung eingehen? Genug.
Warum ändern Menschen gerne mal Regeln und Gesetze? Da gibt es gute Gründe für. Zum einen lernen sie einfach dazu. Unter Umständen heißt es da sogar, die Gesetze der Natur um- und anders zu schreiben oder fortschreiben zu müssen. Dann nämlich, wenn Forscher neue Ideen haben, deren Wahrheit sie beweisen wie Einstein. Zum anderen wird man so alte Regeln und Gesetze los, mit denen man öfter in Konflikt gerät, weil sie einem im Grunde zuwider sind. Anderes ist Maßstab geworden. Sei es, weil Mensch sich in seiner schöpferischen Freiheit eingeschränkt fühlte wie Galilei zum Beispiel. Sei es, weil Mensch unterdrückt wurde wie Leibeigene früher in Europa, Leute aus Afrika in fast allen Gebieten der Welt, oder weil Frauen das Wahlrecht und Ämter vorenthalten wurden, auch in der Kirche. Oder weil Mensch wichtige persönliche Bedürfnisse laufend unterdrücken musste. Da, wo das mehr zu schaden als zu nutzen scheint, wird das neuerdings behoben. Zum Beispiel werden Schwangere und Eltern besser geschont als früher. Oder Kassen decken als Leistung inzwischen auch Heilung für die Seele ab.
Eine Regel kann statt zum Guten auch zum Argen geändert werden: Dann, wenn man Vorschriften nutzt, um einen anderen auszutricksen. Man spielt diesen erfolgreich entgegen, indem man deren Lücken entdeckt und die dann nur für sich neu ausfüllt. Folgt keiner Regel! Der Anspruch bekommt da einen unguten Sinn.
Wir leben in einer Welt, die der Regelung bedarf und in der deshalb stets neue Gesetze und Regeln aufpoppen. Dabei schielen oder lauern wir immer wieder auf Ahndung oder Belohnung. Und zwar egal, ob wir Sender oder Empfänger sind, also den Regeln nur gehorchen und entsprechen oder ob wir die Vorschriften aufstellen und anderen diktieren. Und auch egal, ob wir die Regeln und Gesetze besser oder schlechter verstehen und besser oder schlechter mit ihnen auskommen. Und so packen Menschen schließlich auch gerne Gott mitsamt seiner Zuwendung und Liebe in Regeln. Um sich abschließend seiner Hilfe versichern zu können.
Was für ein Wunder, dass Gott dem Gesichtsfeld der Menschen entschwindet! Denn Gott folgt nur einer Regel in seiner Liebe und Zuwendung, nur einem einzigen Gesetz. Nämlich dem, wozu er sich selbst verschrieben hat in Jesu Kreuz.So glauben das wir Christen. Gott hat sich und seine Liebe am Kreuz zum Opfer der Verhältnisse gemacht. Ist unter die Räder der Gesetze von Politik, Religion und Biologie gekommen, unter die Getriebe, die die Gänge des Lebens ordnen und bestimmen. Ist im Mahlen und Knirschen von Gebären und Sterben, von Entstehen und Vergehen, von Ahndung und Belohnung wahrhaft untergegangen. Nichts ist so vorhersehbar endgültig und abgeschlossen wie das Leben mit Grab und Tod.
Und in Jesu Auferstehung taucht Gott auf und zeigt: Auch das Leben mit Grab und Tod ist offen, obwohl abgeschlossen! Gott hat sich eingemischt: Der Kreislauf und die Regeln der Welt stehen unter seiner Macht, er beherrscht sie, stellt sie unter den Kreislauf seines Wollens und Regelns. Statt der Menschen gemachten Regeln und Gesetze – in Wahrheit und Wirklichkeit zählt nur sein Wille und Gesetz der Lebensliebe. Und der aus seiner Liebe geschaffene Spielraum kommt stets dem Leben in der Welt zu Gute. Dieser Spielraum und die sich daraus drängenden neuen Regeln überformen die Wirklichkeit, ohne dass es viele direkt mitkriegen. Und das heißt: Über kurz oder lang müssen Menschen einige ihrer gemachten Regeln anpassen und den neuen folgen und entsprechen.
Was bedeutet das für uns, die wir in einer Welt voller Regeln und Regelung leben? Folgt keiner Regel! Wenn das für Gott und sein Wirken stimmt, gilt das dann auch für seine Leute? Nun, auch Christen am Steuer eines PKW müssen den Gesetzen von Energie und Mechanik gehorchen – sowie hoffentlich den Regeln des Verkehrs auf den Straßen. Wer behauptet: „Ich folge keiner Regel!“, der gibt sich oft einer Illusion hin. Allein den Gesetzen der Biologie gehorchen, das muss jeder. Aber es gibt da einige Menschen, denen mehr geglaubt wird, wenn sie sagen: Ich folge keiner Regel. Diese üben dann sehr viel Macht über sehr viele andere Menschen aus. Und zwar, indem sie es schaffen, dass diese freiwillig ihren neuen Maßstäben und Regeln folgen, die sie aufstellen und vorschreiben. Berühmte Chefs fallen einem da ein, Stichwort Digital, denen ist das gelungen. Und die gerne in Richtung Gott gesehen werden, egal ob sie aus dem Bereich Wirtschaft oder Politik kommen. Folgt keiner Regel! Dieser Satz gilt streng genommen nur aus unserer menschlichen Regelsicht für Gottes Liebe und Zuwendung. Gott bringt neue Maßstäbe sozusagen antizyklisch in der Welt. Gott hilft auf im normalen Kreislauf des Sterbens und Gebärens und kommt darin dem Leben zu Gute. Gottes Liebe wirkt mit ihrem Kreislauf in dem mahlenden und knirschenden Getriebe der Welt, um es zu voran zu bringen. Geheimnis des Glaubens!
Folgt keiner Regel! Das gilt zuerst für den menschlichen Maßstab und Regelblick auf Gott. Für unseren eigenes Befolgen von Regeln gilt das nur eingeschränkt. Normalerweise gilt für Gläubige wie für jeden Menschen der Satz: Folgt den Regeln! Wie man weiß: Jede Regel kennt eine Ausnahme. Und deren Ausdruck muss näher bestimmt werden und der lautet dann: Folgt keinem Maßstab, keiner Regel, die aus Sicht von Gottes Liebe und Zuwendung überkommen sind. Rückständig und veraltet im Verhältnis zu den erreichten Zeiten. Weil Gottes Liebe zum Leben einen Spielraum erschafft oder eingrenzt, dessen neue Maßstäbe und Regeln der alten Wirklichkeit zu Gute kommen und sie überformen. Ohne dass die Welt das unbedingt mitkriegt, manche Menschen aber schon. Für die heißt es: Folgt keinen Maßstäben oder Regeln, die aus Sicht von Gottes Liebe und Zuwendung überkommen sind, deren Zeit also abgelaufen ist.
Welche neuen Regeln zählen dazu, wenn sie eingebracht und aufgestellt werden? Eine Antwort ergibt sich aus der Hoffnung: Gottes Liebe und Zuwendung eröffnet einen neuen Spielraum, der der Welt zu Gute kommt. Und das schließt manch altes als Maßstab und Regelung in der Wirklichkeit aus. Spannend und umstritten, das Thema! Auch bei den Kirchen. Und das heißt: zwischen verschiedenen Kirchen, und innerhalb einzelner Kirchen. Die Kirchen und die großen und kleinen Blöcke der Welt streiten sowieso darum.
Betrachten wir mal das Tötungsverbot: in biblischer Frühzeit diente es dazu, das Ausufern wie bei der Rache zu unterbinden. Man wollte erreichen, dass Gleiches nur mit Gleichem vergolten wird. Was sich schließlich in Recht und Gesetz jedes Landes mehr oder weniger durchgesetzt hat. Angesichts eines Atomkriegs mit der Vernichtung von Massen wurde das Tötungsverbot vor ca. vierzig Jahren mehr und mehr als absolutes Verbot verstanden. Inzwischen ist zusätzlich das alte Recht auf Notwehr und Verteidigung in den Blick gerückt. Angenommen, wir nähmen zur Bannung eines Atomkriegs den russischen Angriff hin. Oder unterwürfen uns sogar. Zählten wir dann darauf, dass sich wegen der vielen neuen Menschen im russischen Vasallen- oder Großstaat in absehbarer Zeit mehr Freiheit und mehr Rechte für mehr Leute entstehen würden? Oder: Wenn Putin in Europa atomar Amok liefe, würde er dann noch von sich denken können, dass alle Welt ihm als Staatsmann Achtung zollt und nacheifert? Sie können auch die Stellung der Frau in der Kirche durch den Wandel der Zeit betrachten und von da aus über deren Zukunft vermuten. Und vieles andere mehr.
Das Leben in einer Welt voller Regelung setzt Menschen, die auf die hilfreiche Einmischung Gottes zählen, sehr zu. So arg, dass es einigen sehr schwerfällt, das Warten mitsamt der Spannung auszuhalten. Dann verlassen sie sich lieber wieder auf alte, herrschende Regeln, oft ohne es zu merken. Lassen sich ganz von Gesetzen bestimmen, so dass sie ihrem Glauben widersprechen. Das passiert auch Gottes Leuten und ihren Kirchen. Aber Mensch und Kirche darf trotzdem auf Gottes Nachsicht hoffen, auf Vergebung für sich und die Seinen. Für die Menschen überhaupt. Darauf, dass Gott davon absieht zu ahnden. Oder wenn er es tut, dann so ahndet, dass er neues Leben damit verteilt. Obwohl dem Menschen klar sein oder es ihm wenigstens schwanen muss, dass so etwas rundum unverdient ist. Auch bei den besten Durchblickern, Gestaltern und Nutznießern von Regelung und Regeln! Denn jeder Mensch lässt mal ein paar Gesetze, die die Wirklichkeit ausmachen, außer Acht oder bricht sie. Manchmal, sogar bei bester Vorarbeit, ohne Absicht, ohne es zu wollen. Die Welt ändert sich einfach zu schnell. Unmerklich und viel schneller, als dass wir Menschen die neuen Maßstäbe und Regeln dazu erfassen können. Geschweige denn beachten und bei unserem Tun und Machen in Rechnung stellen. Folgt keiner Regel! Bereichert anhand vom göttlichen Spielraum die Maßstäbe eures Denkens und Fühlens, Hörens und Redens, Tuns und Lassens, statt sie zu entsorgen oder vor lauter Sorgen das Leben dem Gesetz zum Fraß vorzuwerfen. Amen.
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Markus Kreis OStR
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