
Galater 4,4–7
Erste Kunde von Jesu Geburt | Christfest II | 26.12.2024 | Gal 4,4–7 | Rudolf Rengstorf |
Liebe Leserin, lieber Leser!
Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn,
geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan.
So wurde zuerst von der Geburt Jesu geredet. Die Briefe des Paulus sind ja die ersten schriftlichen Zeugnisse der Christenheit. Die Weihnachtsgeschichte, wie wir sie von Lukas kennen, ist erst zwei Generationen später geschrieben worden und zwar so, dass sich in dieser Geschichte schon spiegelt, was man erst vom erwachsenen Jesus erfahren hat, nämlich dass er sozusagen den Himmel auf die Erde gebracht hat, weil Gott selbst in ihm zu erkennen war. Doch an sich ist er in diese Welt gekommen wie alle anderen auch, typisch menschlich, Und dieses typisch Menschliche, das wir auch an uns haben, drückt sich nach Paulus aus in zwei elementaren Merkmalen. Das eine Merkmal heißt:
Geboren von einer Frau:
entstanden im Mutterleib, also von Anfang an auf Fürsorge angewiesen und Rücksicht. Das hat sich dem menschlichen Wesen zutiefst eingeprägt wie natürlich auch das Drama der Geburt und andere beängstigenden frühkindlicher Erlebnisse. Und deshalb sind und bleiben wir so verletzbar und so empfänglich für Ängste und oft ganz unbegründete Sorgen und natürlich auch für Zärtlichkeit, Bestätigung, Liebe.
Von einer Frau geboren – damit teilt Gottes Sohn unser Leben, das sich immer schon in einem Leib vorfindet, den wir uns nicht aussuchen konnten, genauso wenig wie das Temperament und das Naturell, das uns mitgegeben ist. Dass ich mein Äußeres manchmal gerne ganz anders hätte und ich mich selbst bisweilen überhaupt nicht leiden mag und doch nicht aus meiner Haut herauskomme, der Mensch, der ich gerne sein möchte, nicht loskommt von dem Kerl, den ich mit mir herumschleppe: Jesus kannte das, hat das am eigenen Leib erfahren und kannte natürlich auch die Ambivalenzen im Verhältnis – gegenüber der Mutter: starke Anhänglichkeit aber auch das Bedürfnis, sich loszumachen, selbständig und anders zu werden.
Und das zweite elementare Merkmal des typisch Menschlichen, das wir von Geburt an mit uns tragen, heißt;
Unter das Gesetz getan.
Wie jedes Menschenkind wächst Jesus auf in einer Welt, die sich nicht nach seinem Willen und Geschmack richtet. Stattdessen ist sie von Ordnungen und Gesetzen bestimmt, die Anpassung und Unterordnung verlangen. So hatte auch er dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist. Zwar führte er ein Leben, das frei war von den Zwängen und Konventionen einer etablierten sozusagen bürgerlichen Existenz. Einer geregelten Arbeit ging er als Wanderprediger ja nicht nach. Und so war er nicht abhängig von den Launen eines Chefs, den Erwartungen der Kunden und dem Druck der Konkurrenz. Und doch bekam auch er die Gesetze einer von Macht und Geld bestimmten Welt zu spüren. Dass der Wert des Menschen vorwiegend davon bestimmt wird, was er hat und wie weit er es im Leben bringt, davon war auch er betroffen, konnte daran nichts ändern und fiel denen, die ihre Macht durch ihn gefährdet sahen, zum Opfer.
Eigentlich hätte man vom Sohn Gottes ja genau das Gegenteil erwarten sollen. Nämlich dass er kommt, nicht als Kind aus einem Mutterleib mit all der Abhängigkeit von den Launen der Natur…sondern als Gott von Gott, Licht vom Licht, eindeutig erkennbar und beweisbar als übermenschliches, als göttliches Wesen. Und natürlich nicht unter das Gesetz getan, sondern von oben über das Gesetz dieser Welt kommend, es außer Kraft setzend und die Verhältnisse so ändernd, dass Kriege und Elend aufhören und überall Friede und Gerechtigkeit einziehen.
Doch der Mensch bliebe ja, wie er ist: jenes Wesen, das .so liebenswert und zugleich so egoistisch und hartherzig sein kann. Und genau auf diesen Menschen, wie auch Sie und ich es sind, hat Gott es abgesehen und wird Mensch wie Sie und ich. Und nun weiter im Text von Paulus:
damit er die, die unter dem Gesetz sind, erlöste, damit wir die Kindschaft empfangen. Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsere Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind. Wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.
Jesus – ein Mensch wie wir ganz und gar und zugleich noch mehr, weil er Gott zu uns Menschen gebracht hat. Uns davon befreit hat, in den Vorgaben von Geburt und gesellschaftlichen Zwängen aufzugehen, als gehörten wir ihnen wie Sklaven ihren Herren gehören.
Mit dem, was er sagte und tat, machte er deutlich:
Nein, es sind nicht deine Erbanlagen, es ist nicht deine genetische Disposition, es ist nicht deine Prägung durch Herkunft und Erziehung, es ist auch nicht dein gesellschaftlicher Status, nicht das was du vorzuweisen hast an Leistungen und Erfolgen, auch nicht das, was du verpasst und verpatzt hast und das, wonach du dich aufgrund deines Alters oder gesundheitlicher Labilität richten musst. Gewiss, das alles gehört zu dir, aber du gehörst dem nicht. Du gehörst Gott, und du bist hier, weil Gott dich haben will und darauf wartet, dass du aufstehst gegen das, was Menschen klein und bedeutungslos machen will, wie gegen das, was sie in furchterregender Weise aufbläst. Du bist hier, damit mit und unter den Gegebenheiten und Zwängen deines Lebens etwas spürbar wird von dem Gott. dessen Gnade und Barmherzigkeit jedes menschliche Leben krönen und zum Blühen bringen will. Er, der Vater unser, will, dass wir uns bei allem, was uns beschäftigt, in Mündigkeit und Freiheit nach seinem Willen richten und Zeichen setzen dafür, dass Gottes Reich auf uns zukommt als das Erbe, das uns keiner nehmen kann. Amen.
Rudolf Rengstorf