Gen 8, 18-22 und 9, 8-17

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Predigt am 20. Sonntag nach Trinitatis | am 2. November 2025, in Staffelbach/Schweiz | über Gen 8, 18-22 und 9, 8-17 | vom „Rätsel über den Bogen am Boden“ | Dörte Gebhard

Gnade sei mit euch und Frieden, von Gott, unserem Vater und unserem Herrn, Jesus Christus.                                                                                    Amen.

I        Ein Bogen am Boden?

Liebe Gemeinde

Vor ein paar Tagen lief ich in Schöftland auf der Dorfstrasse, Höhe Schulhaus, und liess mir die Herbstsonne warm auf den Rücken scheinen. Von vorn, vom Jura her, zogen bedrohlich schwarze Wolken auf. Starker Wind riss die Blätter von den Bäumen und schüttelte die kahlen Äste. Unmittelbar vor mir auf dem Gehweg war mein Schatten unterwegs, wie immer bei Sonnenschein von hinten. Aber um den schwarzen Schatten meines Kopfes fiel mir plötzlich ein Regenbogen auf, der in allen Farben leuchtete.

Ich blieb stehen, der Regenbogen blieb.

Ich ging ein bisschen schneller, der Regenbogen blieb.

Ich lief langsamer und dann vorsichtig rückwärts, der Regenbogen blieb.

Ich sah mich hektisch um, aber keine Menschenseele war zu entdecken.

Niemand, der mir einen Streich spielte.

Niemand, der hinter mir ging oder fuhr.

Ich trat in einer Einfahrt zwei Meter zur Seite, der Regenbogen blieb.

Bildete ich mir den Regenbogen nur ein?

Nein!

Sehr rätselhaft! Ein Regenbogen am Boden!

Mir fiel so ein optimistischer Spruch ein:

„Wer den Kopf hängen lässt, sieht die Sterne immerhin noch in der Pfütze.“

Aber ich sah immer wieder hoch und herum – vor der dunklen Wolkenwand war weit und breit kein Regenbogen zu sehen.

II      Ein Bogen in den Wolken

Wie war das bei Euch früher?

Sobald ein Regenbogen am Himmel erschien, wurde bei uns alles stehen und liegen gelassen. Alle Kindernasen klebten an der Fensterscheibe. In der Schule musste sogar die Probe in Mathematik warten. Daheim liessen wir alles sein, was gerade im Gange war: Klavier üben, Wäsche bügeln, Vokabeln lernen, Marmelade einkochen, Fische füttern, die Grosstante besuchen …

Die Erwachsenen liessen uns immer staunen, denn sie wussten, wie schnell ein Regenbogen kommt und schon wieder vorüber ist.

Und heute?

Sobald ein Regenbogen am Himmel zu sehen ist, wird geschwind das Handy ergriffen und fotografiert und gepostet. Der ganze Rest der Weltgeschichte hat Pause für einen Moment. Zwischen viele düstere Bilder mischen sich dann die zahllosen Regenbogenfotos.

Die eben gehörte, dramatische Geschichte von Noah und den Seinen und den Tieren, die gerade der totalen Katastrophe entgangen waren, kommt dabei sicher nicht allen in den Sinn. Ich kannte sie als Kind noch gar nicht.

Gott schliesst nach der Sintflut einen Bund mit Noah und allen Menschen und Tieren, die die Erde bevölkern wie er.

Dabei ist das ein sehr einseitiger Bundesschluss! Noah sagt die ganze Zeit nichts dazu. Niemand bringt ein Wort heraus. Nicht einmal „ja“ und auch nicht „amen“, nichts.

Noah, als Überlebender des Weltuntergangs, staunte wohl über den Regenbogen wie wir als Kinder, wie ich vor ein paar Tagen über den Bogen am Boden.

Vom Regenbogen, den Noah gezeigt bekommt, wird nicht als bestimmtes, längst vergangenes Ereignis erzählt. Dann könnte es uns völlig egal sein. Noah ist schon lange tot. Erzählt wird ein Mythos, also eine Geschichte, die aktuell bleibt für immer.

Mythen sind jene Geschichten, die alle Menschen zu allen Zeiten betreffen.[1]

Sie sind viel wichtiger als historische Berichte.

Sie sind alles andere als Märchen.

Mythen werden überliefert, damit wir schlau draus werden, was auf der Welt geschieht. Mythen sind überlebenswichtig, damit Menschen, die wie Noah eine Katastrophe überleben, Kraft haben, den Kopf nicht hängen zu lassen, damit sie Mut haben, von vorn anzufangen und ihre Hoffnung nicht fahren zu lassen.

III     Gottes Bogen als Zeichen seiner Freiheit

Gott setzt seinen Bogen in die Wolken, wann und wo er will.

Gott ist frei, seine Zeichen zu setzen.

Im wechselhaften Wetter an der nordskandinavischen Westküste sind Regenbögen besonders oft zu sehen, in diesem August waren beinahe täglich mehrere Regenbögen zu entdecken. In der Levante, in den Ländern östlich des Mittelmeeres, dürften sie wesentlich seltener und damit noch beeindruckender sein. Die Sonne scheint dort viel anhaltender vom wolkenlosen Himmel.

Egal, wo wir leben: Regenbögen liegen nicht in unserem Ermessen. Sie stehen uns nicht zur Verfügung. Wir kennen natürlich die günstige Wetterlage, aber ob und wo genau einer erscheint oder sogar zwei auftauchen, kann man nicht wissen. Berechnete es jemand, verpasste er mit Sicherheit die Schönheit.

Die Propheten, die so nahe bei Gott leben, betonen, wie gross die Freiheit Gottes uns gegenüber ist. Im Buch des Propheten Jesaja schreiben seine späteren Schüler (Jes 55, 8-9):

8 So lautet der Ausspruch des Herrn:

Meine Pläne sind anders als eure Pläne

und meine Wege anders als eure Wege.

9 Wie weit entfernt ist doch der Himmel von der Erde!

So fern sind meine Wege von euren Wegen

und meine Pläne von euren Plänen.

Der Regenbogen ist Zeichen von Gottes Freiheit uns gegenüber – und zugleich das Zeichen seiner Verbundenheit mit uns.

Noah hatte Gott nicht mit einem Gebet beschwatzt oder zu erpressen versucht, in der Art von: „Wenn du mir …, dann werd‘ ich dir …“

Noah sagt, wie gesagt, nichts.

IV     Gottes Bogen als Zeichen seiner „gespannten Geduld“

Frère Richard, Bruder der Kommunität von Taizé und Theologe, hat sich der Sintflut und dem Regenbogen gewidmet – staunend und zugleich mit scharfem Verstand.

Das Böse, stellt sich Frère Richard vor, kann Gott auf zweierlei Arten behandeln.

Die erste Möglichkeit:

Gott kann dem Bösen ein Ende setzen.

Er kann das Böse ausrotten, mit einer Sintflut, mit einer Katastrophe.

Damit aber rottet er alles aus, was lebt.

Auch alles Schöne und Gute.

Alles, was wächst und gedeiht.

Alles.

Nichts bleibt übrig.

Nichts.

Die zweite Möglichkeit:

Gott kann das Böse fortan ertragen um der Gerechten willen.

Der Mythos von der Sintflutgeschichte erzählt, dass Gott sich für das Ertragen entschieden hat:

Nie wieder soll eine Sintflut alles Leben ausrotten!

Nie wieder soll eine Sintflut die Erde vernichten!

Nie wieder!

Es gilt für alle künftigen Generationen.

Es gilt bis auf den heutigen Tag!

Wir erkennen schon bei einem oberflächlichen Blick in die Welt, dass dieser Mythos wahr ist und immer wieder wahr wird.

Denn Gott lässt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute,

er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte (Mt 5, 45),

wie es in der Bergpredigt heisst.

Gott setzt seinen Bogen in die Wolken, sichtbar für alle Menschen,

für die einen und die anderen.

Gott bewahrt die Welt und erträgt das Böse.

Gott lässt seinen Sohn Jesus Christus als Gerechten in die Welt kommen und greift erst zu Ostern ein, nicht schon an Karfreitag, als er der irdischen Macht der Ungerechten ausgeliefert ist.

Die Katastrophe, das Kreuz, erträgt Gott.

Er greift nicht vernichtend ein. Es wäre das Ende der Weltgeschichte.

Es wäre unser Ende.

Gottes Geduld muss unvorstellbar gross sein.

Kein Mensch kann sie ermessen und niemand kann so viel Geduld haben.

So schreibt Frère Richard, obwohl er selbst einer der geduldigsten Menschen ist, denen ich je begegnet bin. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, dass er je die Geduld verliert. Ich wüsste nicht, was dafür passieren müsste.

Frère Richard kann sich offenbar nicht ausdenken, dass Gott einmal seine Geduld verliert.

Die Philosophen haben immer gegen diese göttliche Geduld argumentiert:

Kann Gott nichts machen? Ist er etwa schwach?

Will Gott nichts machen? Ist er etwa nicht gut?

Die Geduld wurde Gott schon oft vorgeworfen, als Desinteresse oder Ohnmacht ausgelegt.

Und niemand, der leidet, muss Verständnis für Gottes grosse Geduld mit dem Bösen haben. Das wäre wirklich zu viel verlangt!

Das schafft nicht einmal Paulus.

Der Apostel hat Gott sein Leid geklagt, immer wieder, bis hin zu suizidalen Gedanken (Phil 1, 23): Am liebsten würde ich das irdische Leben hinter mir lassen und bei Christus sein – das wäre bei weitem das Beste.

So schreibt er an die Philipper.

Sogar Jesus Christus hat im Garten Gethsemane inniglich und ernstlich den Vater gebeten, dass ihm das Ertragen von so viel Bösem doch erspart bleibe: Lass diesen Kelch an mir vorübergehen … (Mt 26, 39).

Aber Gott erträgt das Böse.

Er tut es nicht aus Resignation, Schwäche oder Gleichgültigkeit, sondern mit höchst gespannter Geduld.

Frère Richard stellt sich vor, dass Gott seinen Regenbogen in den Wolken spannt wie wir einen Flitz-/Pfeilbogen. Weil Gott die Hoffnung nicht aufgibt, dass wir uns an ihn erinnern.

Weil Gott auf das Gute und Schöne setzt,

weil Gott das Helle, das Leuchtende, das Farbige liebt,

weil er die Möglichkeiten der Liebe hat,

weil er die Liebe ist – und darum so langsam zum Zorn (2. Mose 34, 6).

V       Der Bogen am Boden

Seid Ihr gespannt wie Flitzbögen, woher der Regenbogen über dem Schatten meines Kopfes kam?

Ich konzentrierte mich auf meinen Physikunterricht in der 6. Klasse. Da hatten wir das erste Mal Optik. Wir staunten über die Brechung des weissen Lichtes in alle Farben. Ich erinnerte mich, dass es manchmal einen Regenbogen gab, wenn man früher eine CD aus der Hülle nahm oder wenn mittags die Sonne im Badezimmer auf das Zahnputzglas scheint.

So kam ich auf meine Brille, die ich mir – genau wie heute Morgen – in die Haare gesteckt hatte, um sie griffbereit zu haben, wenn es etwas genauer und schärfer zu sehen gibt.

Meine alte Brille war zuständig für den herrlichen Regenbogen am Boden.

Gott setzt seine Zeichen, wann und wo und wie es ihm gefällt. Er ist frei.

Aber unsere Optik ist gefragt, unser aufmerksamer Blick. Ein paar Tage später hatte ich dann die Brille auf der Nase, als der Regenbogen in den Wolken stand – als Zeichen für Gottes gespannte Geduld mit uns Menschen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der stärke und bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.                    Amen.

 —

PD Dr. Dörte Gebhard, Pfarrerin in Schöftland/Schweiz

Mail: doerte.gebhard@web.de

[1]  Dieser und die folgenden Predigtgedanken sind inspiriert von Frère Richard: Der Regenbogen nach der Sintflut. Gottes gespannte Geduld, in: Hefte aus Taizé, Nr. 19, Taizé 2012.