Genesis 8,18-22 + 9,12-17
Überbrückung oder im Lost Place den Zuwachs neuen Lebens erreichen | 20.n.T. | Genesis 8,18-22 + 9,12-17 | 02.11.25 | Markus Kreis |
18 So ging Noah heraus mit seinen Söhnen und mit seiner Frau und den Frauen seiner Söhne, 19 dazu alles wilde Getier, alles Vieh, alle Vögel und alles Gewürm, das auf Erden kriecht; das ging aus der Arche, ein jedes mit seinesgleichen. 20 Noah aber baute dem HERRN einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar. 21 Und der HERR roch den lieblichen Geruch und sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen willen; denn das Dichten und Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe. 22 Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.
12 Und Gott sprach: Das ist das Zeichen des Bundes, den ich geschlossen habe zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier bei euch auf ewig: 13 Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken; der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. 14 Und wenn es kommt, dass ich Wetterwolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. 15 Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, dass hinfort keine Sintflut mehr komme, die alles Fleisch verderbe. 16 Darum soll mein Bogen in den Wolken sein, dass ich ihn ansehe und gedenke an den ewigen Bund zwischen Gott und allem lebendigen Getier unter allem Fleisch, das auf Erden ist. 17 Und Gott sagte zu Noah: Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden.
Im Lost Place den Zuwachs neuen Lebens erreichen. Einen Lost Place aufsuchen, das ist beliebt. Lost Place – hört sich Englisch an, ist aber Deutsch. Ein Brite nennt so einen Ort off the map, so fremd und unbekannt, dass er bar jeder Verzeichnung in einer Landkarte. Es handelt es sich um relativ junge Bauwerke, wie sie jeder kennt. Und die verfallen langsam vor sich hin. Wie manch einzelne Hotel außerorts in einem Winkel der Berge. Von den Menschen verlassen und so dem Spiel der Natur überlassen. Was mag die Leute reizen, schaurige Lost Places zu entdecken? Irgendwie kommt es mir vor wie der Besuch eines Friedhofs, mit mancherlei Unterschied jedoch. Die Kammern, statt im Boden drin, ragen oben auf der Erde in die Luft. Die Exnutzer sind abwesend als wären sie tot, aber manchmal nur verzogen statt bereits Asche zu Asche, Erde zu Erde, Staub zu Staub. Und nur in Ausnahme persönlich bekannt. Mensch kann also Trauer erfahren, ohne direkt persönlich und schmerzhaft fühlen zu müssen. Und sich hinein in die Exnutzer versetzen und so mit ihnen leiden und ihrer gedenken. Dabei bleibt man eher Beobachter. Das heißt, da kann ich wieder gehen, wenn es mir zu traurig oder schaurig wird.
Ob die Geschichte von der Sintflut den Menschen leichte Schauer über den Rücken jagt? Ihre Fremdheit reizt anders. Zwar gibt es in ihr auch Tod und Verfall, und Moder und Staub mitsamt rissig faulen Wänden und Fußböden. Aber davon wird lediglich erzählt, statt dass es mit eigenem Leib zu sehen, zu riechen, zu schmecken und zu tasten ist. Jedenfalls erlaubt der Text einem, nur als Beobachter dabei zu sein, Gänsehaut wie im Kino könnte man meinen. Aber wenn man die Geschichte ernst nimmt, dann kann es einem zwar zu viel werden wie an einem Lost Place – aber sich dann einfach verziehen? Es handelt sich um eine Urgeschichte, das heißt, da passiert und zeigt sich etwas, das den Start- und Nullpunkt vieler Ereignisse und Taten der eigenen Geschichte bildet, sei es der persönlichen oder der der Menschheit.
Es geht in ihr um zwei schaurige Mächte. Und die können Menschen jederzeit in ihrem Leben ereilen. Und bei denen fällt ein Entkommen über kurz oder lang leider weg. Dagegen hilft also kaum eine Versicherung. Die eine ist die Natur oder Umwelt, und das, was sie plötzlich tun und bewirken und mit unserem Leben anstellen kann. Sei es eine Sintflut, der Einschlag eines Kometen, tagelang Hitze über 40 Grad plus, tropische Stechmücken mit neuen Erregern und ortsfremden Seuchen usw. Sei es der Befund einer chronischen Krankheit, der Baumsturz, der eine Zugfahrt lange unterbricht, das eigene alt und gebrechlich werden, was auch immer mehr. Mit einem Mal jedenfalls geht es in Körper, Natur und Umwelt anders zu als gewohnt. Das ist die eine schaurige Fremdheit, die einen ereilen kann.
Die andere schaurige Macht, die mit einem Mal auftauchen kann, betrifft das Miteinander. Nähe kann einander fremd werden lassen. Besonders, wenn erzwungen wie in der Arche Noah drin. Von der Liebe kennt man das ja. Wenn Mensch seine Liebe einer Person offenbart, der es an Gegenliebe mangelt, die Liebe also einseitig ist – dann kann es schon passieren, dass das Gegenüber faucht, die Krallen ausfährt und damit kratzt oder schließlich sogar beißt. Jaja, die Liebe! Wenn dagegen die Medien von einem Unglück berichten, dann sieht es doch so aus: Alle halten alle zusammen und jeder hilft ohne viel Aufhebens dem anderen. Ein erlittenes Unglück kann leider auch Eigennutz fördern, der die Notlage und Schwachheit von den Opfern ausnutzt. Unglaublich, oder? Wer da den Kopf schüttelt, der schaue mal nach: Was da alles an Betrug und Streit infolge von Corona oder der Naheflut vor Gericht getragen worden ist. Es geht in Ordnung, zu den eigenen Interessen zu stehen. sie zu verteidigen und zu wahren. Aber da geht vieles viel zu weit. Oder fragen sie Kriegsgefangene. Die wegen der schweren Zwangsarbeit um jeden Bissen Brot gekämpft haben. Notfalls auch gegen ihre eigenen Leute. Auch dieser Vers gehört zum Ich hatt´ einen Kameraden, natürlich nur sehr selten intoniert. Das ist die zweite schaurige Macht, der wir ausgesetzt sind, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Ob es uns gefällt oder nicht. Zum Glück gibt es noch eine andere doppelte Fremde, die in der Welt entscheidend mitspielt. Sie müsste uns auch eine leichte Gänsehaut verpassen, allerdings nur wohlige Schauer.
Zum einen aktiviert dies andere Fremde das Gute in uns Menschen. Mit der Arche hat es schließlich gut geendet! Die Tiere müssen sich sogar vermehrt haben, sonst hätte Noah kaum welche am Ende geopfert. Aber wie hätte es in der Arche denn zugehen können? Ausrasten oder Abdriften! Zweifeln und Verlöschen von Hoffnung, zu lange ist alles, zu ungewiss. Zu antriebslos, um ein Mindestmaß von Ordnung an Bord aufrecht zu erhalten. Großes Schamgefühl, denn wir leben doch wie die Tiere! Das Gefühl von Ohnmacht, früher oder später verwandelt in Wut – und die dann an Schwächeren rauslassen, zuerst an Tieren, dann an Menschen! Ja, das hätte alles passieren können! Und was machen Noahs Leute? Die warten auf die Flut und hocken in einem Boot, innen und außen mit Pech abgedichtet, auch den einzigen Lichtdurchlass, die Eingangstür. Im Grunde eine Art U-Boot. Leider ohne Schnorchel und Schaurohr. Muss ja so sein, sonst funktioniert das schlecht angesichts der kommenden Sintflut. Wenn die Wellen derart über einen reinbrechen sollen, dass man nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Diese Technik und ihr Einsatz, eine wahre Blackbox für die die innen drin sind. Wie gesagt, die hocken da total im Dunkeln. Und lassen wir mal den eigenen Mist und den der Tiere außen vor – die Menschen starren da vor sich hin und denken: Auf was habe ich mich da überhaupt eingelassen? Vielleicht geht ja draußen was anderes vor sich? Die Flut fällt vielleicht aus. Weltuntergang adieu! Oder es kommt stattdessen Hitze, die alles verbrennt. Dann glauben wir hier drin doch als erste dran! Und die wenigen, die überleben, das sind dann Leute von draußen. Andererseits, wenn ich hier jetzt anfange durchzudrehen, dann bricht vielleicht Panik aus. Und das mit all dem Raubgetier. Dann geht alles Leben hier drin erst recht den Bach runter. Wenn dann tatsächlich eine Flut käme, wäre alles vergeblich! Ok, ok, ruhig Blut, alles kommt wie zuvor gesagt. Aber was, wenn wir einige Tiere essen müssen, um die Flut zu überleben? Und überhaupt, nach der Flut, wie geht es da weiter? Alles schmierig, klebrig, feucht, alles voller Moder und Leichen. Pflanzen, Tiere, Menschen. Halte ich das aus? Werden wir hier drin das neue Draußen aushalten? Mir wird übel, schon ganz ohne Wellengang. Ja, bevor das Schiff für seine Reise durch das Wasser ablegt. Ja, ich lebe, und nein, denn ich lebe wie lebendig begraben in einem wasserdichten Sarg. Das macht man doch nur mit, das hält man doch nur aus, ohne durchzudrehen, wenn man tief in sich drin immer wieder mal etwas hat, das beruhigt und gut zuspricht.
Dafür steht der Regenbogen: Gott überbrückt Zweifel und verrauchte Hoffnung, stattdessen glimmt etwas Vorfreude auf. Macht einem etwas Gänsehaut. So wie wenn Mensch verliebt ist und vom Ersehnten eine nette Geste bekommt. Die Scham, wie ein Tier zu leben schwindet. Und der Stolz sprießt, das alles zu schaffen. Die Apathie, die sich kaum um ein Mindestmaß von Ordnung an Bord schert, macht neuer Energie Platz. Statt sich ohnmächtig zu fühlen oder in Wut blind um sich zu schlagen – jeder weiß, was gerade zu tun oder zu lassen ist. Und macht das dann auch so und packt mit an!
Dass Gott solch mächtige und üble Gefühle dahin überbrückt, das ist die andere schaurig fremde gute Macht. Schaurig und fremd, weil es sie überhaupt braucht. Das weiß jeder, der solch üble Gefühle bei sich kennt und sie loswerden möchte, aus seinem Leben bannen. Irgendwann hat Mensch den Glauben daran verloren. Und doch ist es mit einem Mal wahr geworden. Gottes Überbrücken arbeitet in der Welt, führt zusammen, was getrennt ist. Macht heimisch mit dem, was einem fremd ist. Gottes Brückenbau funktioniert in neuen Notlagen eher wie ein Schwimmponton des THW. Oder wie die Luftbrücke von Berlin. Und weniger wie die Golden Gate in San Francisco oder die Krämerbrücke in Erfurt. Die Fluten haben schließlich alles, was an Brücken da war, gerissen und geschleift. Der Zustand vieler Brücken in Deutschland tut das seine am Bild dazu: Gottes Brückenbau ist eine feste Größe, steht immer bereit und ereignet sich auf Abruf. Ob und dass es soweit ist, das weiß und entscheidet der oberste Pionier. Und der erteilt dann den Befehl zum Einsatz. Am Boden, zu Wasser, oder in der Luft. Und dank seines Brückenbaus erreicht er im Lost Place einen Zuwachs neuen Lebens. Amen.
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OStR Markus Kreis
Hirschkopfstraße 9
D-69469 Weinheim