Geschwisterliebe – Fremdenliebe – Gottesliebe…

· by predigten · in 19) Hebräer / Hebrews, 7. So. n. Trinitatis, Aktuelle (de), Beitragende, Deutsch, Kapitel 13 / Chapter 13, Kasus, Kira Busch-Wagner, Neues Testament, Predigten / Sermons

Geschwisterliebe – Fremdenliebe – Gottesliebe: alles eins. Und alles entscheidend. | 7. Sonntag nach Trinitatis – 26. Juli 2020 | Predigt zu Hebräer 13, 1-3 | verfasst von Pfrin Kira Busch-Wagner |

 

Der Wochenspruch (Eph 2,19) hat uns willkommen geheißen zum Auferstehungstag. Mit der Zusage, dass die Getauften um Christi willen bei Gott doch dazu gehören. Der Wochenspruch nimmt den vergangenen Sonntag nochmals auf, wo es darum ging, dass Christinnen und Christen Israels Erwählung mitgenießen. An Israels Seite teilhaben können an den Bundesschlüssen Gottes mit seinem Volk. Dass sie nicht einfach nur zu Besuch sind beim biblischen Gott. Sondern Familienmitglieder. Als Leib Christi nämlich.

Der Predigtabschnitt für den Sonntag heute stellt dazu die andere Seite der Medaille. Die Erwartung und das Recht, dass wir nun unsererseits herausgefordert sind zu einem entsprechenden Verhalten in Gottes Haus und von dort her ausstrahlend.

 

Das große Schreiben „An die Hebräer“ in Gestalt eines Briefes, bringt im letzten Kapitel, im 13., ganz entsprechend der üblichen praktischen Schlussbemerkungen eines Briefes klare Ansagen, zumal in einer wahrhaft literarischen und seelsorglichen Komposition.

Geschwisterliche Liebe bleibe. Fremdenliebe sei nicht vergessen.

Denkt an die Gefangenen – es könntet ihr selber sein.

An die Misshandelten – wie würde euch die Misshandlung schmerzen.

Was auch andere sagen: Ihr könnt Ehen schließen, Beziehungen eingehen, ihr tut das in Ehren.

Eigentum ist nicht alles.

Achtet, die euch Gottes Wort bringen.

Lasst euch nicht irre machen.

 

So gebildet der Brief sich zeigt – die Ratschläge sind bodenständig. Beziehen sich wie in den Briefen des Paulus genau auf das, was die Gemeinde erlebt. Dass sie infrage gestellt wird. Gemeindegliedern Gefangenschaft und Folter droht. Man aufeinander angewiesen ist. Daran hängt alles: Zuwendung nach innen – wie Geschwistern. Zuwendung nach außen gegenüber Fremden – wie Engeln.

 

Wem biblische Geschichten vertraut sind, seien es die Adressaten des Schreibens aus den Lesungen der Thora in der Synagoge, seien es Christinnen und Christen heute aus dem Kindergottesdienst, aus der Schule, ganz egal – wem biblische Geschichten vertraut sind, dem fällt möglicherweise jene Geschichte ein, in der Abraham drei Männer beherbergt (Genesis 18). Sie bringen ihm die große Verheißung mit: er wird Vater werden. Vater eines Sohnes und damit Vater seines Volkes. Und wenn wir die Geschichte in der Bibel lesen, ist unklar: sind es drei Männer? Sind es drei Engel, Boten Gottes? Oder vielleicht Gott selbst? Der orthodoxe Ikonenmaler Andrej Rubljow hat diese Unschärfe in der Geschichte interpretiert als Dreifaltigkeit Gottes und die Gastfreundschaft als Eucharistie, als Abendmahl. So konnte er alles zusammenhalten.

Einige haben Engel beherbergt, und mit ihnen Gott selbst. Darin sind sich der Verfasser des Hebräertraktats und der orthodoxe Maler einig. Liebe nach innen, Liebe nach außen – am Ende sind sie gar nicht mehr zu trennen.

 

Und dann kommt das Schreiben auf die Gefangenen.

Während Gäste frei sind zu kommen und zu gehen, sind Gefangene ja zwangsweise dort, wo sie sind. Sie sind nicht zuhause, sondern festgehalten. Sie sind nicht willkommen, sondern wurden gefasst. Gefangenen wird mit Angst oder Groll begegnet, gar mit Hass.

Der Hebräerbrief denkt an beide Formen häuslicher Gemeinschaft, an beide Formen des Zusammenlebens. Den Gefangenen gilt bis ins körperliche Mitempfinden seine Anteilnahme. Misshandlung in der Haft, Todesängste, Folter greifen auch den Leib an seiner Leser. Vielleicht kann man auch sagen: greifen an den Leib Christi. Schließlich liegen für die Christen der frühen Zeit Gaststatus und Haft oft gar nicht weit auseinander. So wird der Reisemissionar und Völkerapostel Paulus, vielfach Gast in den jüdischen und christlichen Gemeinden, aufgenommen als Bote Gottes, als Schriftgelehrter, schließlich zum Gefangenen der römischen Behörden. Und vermutlich ist auch Petrus, eben noch geehrter Schüler Jesu der ersten Stunde, als Märtyrer gestorben nach Gefangennahme und Haft und Folter.

Kein Wunder, dass dem Evangelisten Matthäus das Angebot von Speis und Trank UND der Besuch bei Gefangenen entscheidend ist. Ja, am Ende scheidend – so im Gleichnis Kapitel 25 – wenn es um Wohl und Wehe im Weltgericht geht und der Richter fragt: Habt ihr mir zu essen und zu trinken gegeben? Und habt ihr mich im Gefängnis besucht?

Ob der Verfasser des Hebräerbriefs wohl schon Gelegenheit gehabt hat, das Evangelium nach Matthäus zu lesen? Auf alle Fälle treibt es den Hebräerbriefschreiber wie den Evangelisten um: Gottes Gegenwart begegnet, wo immer Menschen leben. Im eigenen Haus, unterwegs unter fremdem Dach oder gezwungenermaßen in Haft. Geschwisterliebe, Fremdenliebe, Gottesliebe fließen ins eins. Und sind entscheidend. Scheidend, wenn es um Wohl und Wehe der Christenheit geht. Wenn es um Wohl und Wehe der Menschen geht, die Gott doch ein Anliegen sind.

Im Matthäusevangelium, in der Bergpredigt (7,12), ruft Jesus auf zur Goldenen Regel in ihrer handelnden, aktiven Gestalt: „Alles, was ihr wollt, das euch die Leute tun, das tut ihnen auch!“ Wer das beherzigt, ist bereit zum ersten Schritt. Nimmt es auf sich, etwas vorzulegen. Das Risiko der Nächstenliebe einzugehen. Unsere Hebräerbriefstelle treibt die Goldene Regel noch ein wenig weiter, reißt über ihr den Himmel auf: da sind schon die Engel zu sehen.

Und wie bei Abraham steht hinter allem Gottes Erwählung. Wie bei Abraham liegt in einer solchen Begegnung Gottes große Verheißung. Sie gilt für diese und für die kommende Welt. Amen.

 

 

Literatur:

Hilfreich ist der Kommentar zur Stelle und die Übersetzung von Martin Karrer, Der Brief an die Hebräer, Kapitel 5,11-13.25 aus der Reihe:  Ökumenischer Taschenbuch-Kommentar zum Neuen Testament 20/2, Gütersloh 2008.

 

Liedvorschläge:

Neben den Wochenliedern

Mit dir, o Herr, die Grenzen überschreiten … (z.B. in: Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder 2018)

Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut …. EG 662

So jemand spricht: Ich liebe Gott … EG 412

 

Fürbitten:

für Gefangene

für Verbrecher

für Unschuldige in Haft

für Gefangene aus politischen Gründen, ganz besonders SchriftstellerInnen und JournalistInnen

für Menschen, die aus Glaubensgründen verfolgt werden

für Folteropfer

für Traumatisierte, für die auch unsere Rechts- und Asylverfahren oft allzu belastend sind.

für die Menschen in den Todeszellen

 

Totengedenken

für die, die in den letzten beiden Wochen hingerichtet wurden nach langer Haft in den USA und in anderen Ländern,

denen das Leben durch Menschenhand genommen wurde.

Wo wir uns doch dran halten, dass Gott das Leben gibt und kein Mensch vom Tod zum Leben führen kann.

 

Kira Busch-Wagner, Karlsruhe; Kira.Busch-Wagner@kbz.ekiba.de