Hebräer 4, 14-16

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Zur rechten Zeit | Invokavit | 09.03.2025 | Hebr 4, 14-16 | Ralf Reuter |

Vielleicht kommt dieser Text zur rechten Zeit. Bricht hinein in unsere Gemeinden wie das zunehmende Licht nach einem dunklen Winter. Irgendwann reicht es mit dem Schimpfen und Klagen. Niemandem haben wir es wirklich recht machen können. Inzwischen meckern selbst unsere Treuen und Alten an allem herum. Erzieherinnen erzählen das aus ihrer Verbindung zu den Elternhäusern schon seit längerem. Wir können das auch aus der Konfirmandenarbeit berichten.

Als ich mich in einem meiner Kirchen persönlich bei der Gruppe, die den Tannenbaum schmückte, bedankte, ging es nur um die zwei Kerzen, die nicht brannten. Gemeindebriefe werden danach durchgesehen, wo es irgendwelche Fehler gibt. Und Menschen, die längst ausgetreten sind, berichten mit großen Worten von leeren Kirchen, und niemand widerspricht. Dabei haben wir in der letzten Zeit einen steigenden Besuch. Vielleicht, weil ein Gegengewicht gesucht wird, gegen den Verfall des mitmenschlichen Umgangs. Zumindest in der Botschaft von Jesus Christus wird dies immer noch vermutet, als Hoffnung.

Heute ist der erste Sonntag in der Passionszeit. Gott sei Dank! Da hören wir Worte aus dem Brief an die Hebräer. Sie sind an eine Gemeinde gerichtet, die einmal lebendig war und nun zu verzagen droht. Wo der Glaube an Jesus Christus verblasst und andere Orientierungen aufkommen. Die Worte wollen trösten und die Menschen im Bekenntnis neu vergewissern. Wir brauchen so etwas nicht nur in der Kirche, sondern auch im gesellschaftlichen Umgang. Menschen kandidieren nicht mehr für Posten und Aufgaben. Bürgermeister treten zurück, weil ihre Familien angegriffen werden.

Das Klima ist rauher geworden. Negativer Höhepunkt ist wohl die öffentliche Demütigung des ukrainischen Präsidenten im Weißen Haus gewesen. Wollen wir so miteinander umgehen? Gibt es eine Rückkehr zu Mitleid und Anteilnahme? Finden wir in der christlichen Gemeinde eine Vergewisserung im Glauben? Wo wir miteinander trauern können, ob weltweit oder bei Anschlägen wie am Rosenmontag in Mannheim. Und ebenso miteinander überlegen, wie wir helfen können, um Menschen stärker zu beschützen, bei uns und anderswo, einfach, weil sie Menschen sind.

Im letzten Gottesdienst berichtete eine Frau in einer unserer Dorfkirchen aus ihrer aktiven Zeit und den vielen musikalischen Aufführungen. So ganz nebenbei kam sie auf das damals neue Altarbild zu sprechen und beschreibt, wie sie auf diesen Jesus zugeht. Sie sieht die Dornenkrone und bleibt ruckartig stehen. Sie denkt, das soll nicht sein, das tut weh. Sie macht einen weiteren Schritt auf die Altarabbildung zu und atmet auf: Jesus hat beide Arme ausgebreitet. Sie spürt sofort seine Nähe und denkt: Er will mich in die Arme nehmen und trösten.

Sich trösten lassen, in die Arme nehmen, so müsste es wieder werden. Mit der Orientierung an Jesus Christus, der mit uns fühlt, der mitleidet mit unseren Versuchen, das Leben in den Griff zu bekommen. Der auch bei uns ist, wenn wir böse werden und gemein und ungerecht. Um uns aufzufangen, zu drücken und wieder neu auf den Weg zu bringen. Von ihm redet der Predigttext, und nennt Jesus unseren Hohenpriester, der uns in unserer Schwachheit annimmt.  Zur rechten Zeit hören wir hier von Menschenfreundlichkeit und Anteil nehmen, vom ‚sich nicht verführen lassen‘ von Macht, von Geld oder äußerem Glanz.

Man kann das Umkehr nennen. Christus neu ergreifen, weil er uns ergreift, weil wir Teilhabende sind an seinem Wirken, dies ist gemeint mit der Aufforderung: „so lasst uns festhalten an dem Bekenntnis.“ (V.14) Der Predigttext fordert geradezu auf, freimütig an den Thron der Gnade zu treten, „auf dass wir Barmherzigkeit empfangen und Gnade finden und so Hilfe erfahren zur rechten Zeit.“ (V.16) Das ist ein klarer Gegenentwurf zu unserer Zeit. Doch in unseren Gemeinden sind wir gar nicht so weit davon entfernt. Noch immer feiern wir Gottesdienste mit allen Menschen, die zu uns kommen.

Heute sind die über 80Jährigen zur Geburtstagsnachfeier eingeladen, und zugleich führen wir unsere neue KiTa-Leiterin in ihr Amt ein und segnen sie. Dann ist der Kirchenchor aus freien Stücken bei uns mit seiner Musikalität und eine Frau fängt heute bei uns an, um sich vorzubereiten auf ihr Wirken als Pastorin. All das aber hängt an Jesus Christus. Seine Strahlen sind es, die mit der Märzsonne in unsere Kirche hineinbrechen. Sein Licht lasst uns mitnehmen und hinaustragen in die Welt!

So gehen wir auf Ostern zu. Mit einem Ziel vor Augen. Teilhabe an Jesus Christus ist auch die Teilhabe an seiner Auferstehung. Von hier kommen die Strahlen, die schon jetzt den Weg ausleuchten. Ob wir ihn zuversichtlicher gehen? Mit Freundlichkeit im Herzen? Vielleicht sollten wir uns nicht zu viel vornehmen, sondern uns einfach nur mitnehmen. Mitnehmen zu Jesus Christus. So wie wir sind. Mit den Senioren und den Kindern. Dem Kirchenchor und den Verkündigern. Bei uns laufen gerade Gesprächsabende unter dem Motto: „Luft holen!“. Ihre Stationen sind: Fenster auf, Seufzen, Singen, Frischer Wind, Dicke Luft, Ruhe finden und Osterwunderluft. Das kann zum Weg werden in Kirche und Welt zur rechten Zeit.

Pastor Ralf Reuter

Göttingen

E-Mail: Ralf.Reuter@evlka.de

Ralf Reuter, Pastor der Ev.-luth. Weststadt- und Westdörfer-Kirchengemeinden Göttingen und Region Göttingen-West und gelegentlich als Pastor für Führungskräfte im Kloster Loccum