
Hebräer 4,14-16
Hebräer 4,14-16 | Invokavit | 10.03.2025 | Bernd Giehl |
Als Kind habe ich öfters mit einem Kaleidoskop gespielt. Falls Sie jünger sind als ich und noch nie so ein Ding in der Hand hatten: das ist so eine Art Fernrohr aus Pappe, in das man hineinschaut. Aber anders als bei einem richtigen Fernrohr sieht man keinen vergrößerten Ausschnitt der Wirklichkeit, sondern ein gezeichnetes Bild aus geometrischen Figuren wie Dreiecken oder Sechsecken, die wenn man das Fernrohr dreht, auseinanderfallen und sich anschließend neu zusammensetzen.
Dieses Spielzeug kam mir in den Sinn als ich den Text las. Auch er verändert sein Aussehen und seinen Sinn, je nachdem wo man zu lesen beginnt. Immer wieder scheinen die Dinge anders zu sein als einen Moment zuvor. Sie fallen sozusagen auseinander und setzen sich neu zusammen.
Fangen wir der Einfachheit halber beim ersten Gedanken an, den wir zu fassen bekommen. Christus ist der Sohn Gottes und gleichzeitig der Hohepriester, der die Himmel durchschritten hat. Das klingt schon sehr nach göttlichem Wesen. Man könnte an den Papst denken obwohl der dafür auch noch viel zu klein gedacht ist. Aber er ist sozusagen das Letzte, was vom menschlichen Wesen übrigbleibt. Ein Papst, der die Himmel durchschritten hat, der hat fast nichts mehr vom Menschen. Der ist fast wie Gott selbst. Abgehobener kann der doch gar nicht mehr sein.
Eine Ikone der orthodoxen Kirche kann auch nicht viel menschlicher sein.
Das wär’s also. Damit kann man nicht viel anfangen. Ein Papst hat viel zu viel Macht und ein Papst der die Himmel durchschritten hat, also wer soll so einen noch verstehen? Andererseits: Ein Papst ebenso wie ein Hohepriester tritt bei Gott für die Menschen ein. Er müsste doch den besten Zugang haben. Er müsste erreichen können, was sonst keiner erreicht. Sodom vor dem Untergang retten, was Abraham beinahe geschafft, wenn Gott zehn Gerechte in Sodom gefunden hätte.
Die Aufgabe dieses Hohepriesters ist es also zu vermitteln zwischen Gott und den Menschen. Fürbitte einzulegen, wenn die Menschen sich allzu sehr in die Konsequenzen ihrer Handlungen verwickelt haben.
So einen, denke ich, brauchen wir manchmal.
Oder bin ich momentan auf dem Holzweg? Fürbitte einlegen, Mitleid haben, Empathie für den Schwächeren; weiter kann man doch kaum vom Zeitgeist entfernt sein. Was heute zählt ist: siegen. Männer wie Elon Musk oder Donald Trump zählen die Verlierer nicht und es scheint ganz so, als wäre die Macht mit ihnen. Was sie sich vornehmen, das gelingt ihnen auch. Abgesehen davon, das Mitleid mit den Schwächeren immer schon einen Geruch hatte; man muss es sich erst einmal leisten können. Denn Sieger gibt es immer weniger als Verlierer. Wahrscheinlich gibt es deshalb einen so großen Zorn auf die Ausländer oder die Empfänger von Bürgergeld. Womöglich sind die Ausländer ja selbst nur Sündenböcke, die gerade nicht wissen wie ihnen geschieht. Nicht ganz klar ob nun alle zurückkehren sollen wo sie herkamen so als ob sie nicht arbeiteten und Steuern zahlten. Meist wird ja noch differenziert zwischen Ausländern, die bei uns integriert sind und den anderen. Momentan sind es nur die Asylbewerber die außerhalb Europas auf ihren Bescheid warten sollen. Bis vor kurzem war klar wer das forderte: natürlich die AfD. Aber dann kippte die Stimmung immer mehr, der Zorn nahm zu und mit ihm die Angst der Parteien in die Bedeutungslosigkeit zu kippen sofern man dem Volkswillen nicht nachgab und so übernahm eine Partei nach der Anderen die Forderung, Flüchtlinge gar nicht erst nach Europa hineinzulassen.
Was für eine Abstrusität. Vor einem Jahr hätte man sich das noch nicht vorstellen können. Da galt das Recht auf Asyl noch als Grundrecht. Da wurde zwar hin und wieder formuliert, dass Deutschland nicht alle aufnehmen könne und deshalb Asylverfahren außerhalb Europas durchgeführt werden sollten, aber es waren doch immer die gleichen Gesichter die das forderten. Heute findet man kaum einen Politiker, der das ablehnte oder das Alte wenigstens verteidigte. Die Angst von einer Entwicklung überrollt zu werden, die man zwar nicht gewollt hat, vielleicht auch unmenschlich findet, die man aber fürchtet, nicht aufhalten zu können, weil sie wie eine Lawine ins Tal schießt, diese Angst scheint immer mächtiger zu werden. Es ist ein Spiel mit den niedrigsten Instinkten der Menschen. Mit dem Neid vor allem („Am Ende könnte der es besser haben.“) Oder mit der Angst vor Konkurrenz. („Dann übernehmen die uns noch.“)
So überbieten viele Parteien sich gegenseitig mit ihren Forderungen. Lebensmittelgutscheine für noch nicht anerkannte Flüchtlinge das war früher. Heute geht es um Lager in Afrika, wo nicht anerkannte Flüchtlinge auf ihren Asylbescheid warten sollen. Wie es denen da geht, das stellen wir uns besser nicht vor. Und wie man Druck auf die Richter ausüben kann dazu braucht man wohl auch nicht mehr viel Phantasie.
Man braucht auch nicht viel Phantasie um zu sehen, wie es dann weitergeht. Nicht nur Illegale werden dann abgeschoben, sondern auch Menschen die politisch unerwünscht sind. Was aus ihnen wird, kann der Regierung egal sein.
Vieleicht ist das alles ja maßlos übertrieben. Einem Wahlkampf geschuldet, bei dem die Gefühle alle Vernunft überholen. Mag sein, dass sich das irgendwann noch einrenkt. Dass die Vernunft irgendwann noch siegt. Dass die Wähler oder die Politiker sich noch überlegen, was passiert, wenn all die Ausländer die bei uns arbeiten, plötzlich gehen müssten. Wer dann die Arbeit täte. Und was die hochbezahlten DAX-Chefs aus dem Ausland wie Ola Källenius, der Chef von Mercedes Benz wohl dazu sagen? Ob sie sich das einfach gefallen ließen. Selbst wenn sie großzügig bleiben dürften?
Ob wir einen Hohepriester brauchen? Egal ob er die Himmel durchschritten hat oder nicht; bei dem Chaos, das wir gerade anrichten brauchen wir einen, der sich bei Gott für uns einsetzt. Wen haben wir denn sonst noch? Nur Gott kann dieses Chaos noch verhindern.
Womöglich klingt es blasphemisch, wenn wir sagen: Einen Teil dieser Rolle können und sollen auch wir übernehmen? Zunächst einmal scheint uns diese Rolle viel zu schwer zu sein. Und im Grunde ist das ja auch richtig. Die Aufgabe Jesu bleibt ihm; die können wir nicht übernehmen. Dafür ist er der ganz besondere, der Starke, der unser Schicksal erlitt, der Hohepriester, der den Himmel durchschritt wie einen Tempel. Auf den wird Gott anders hören als auf uns. Natürlich ist Mitleiden, Empathie für die Schwachen und tätige Hilfe auch weiterhin die Aufgabe der Christen. Das bleibt uns nicht erspart.
Bleibt noch die Angst. Das alles klingt nicht wie ein Spaziergang. Wird es wohl auch nicht werden. Es wird viel Feindschaft geben. Womöglich auch Verfolgung. Wir werden nur durchhalten, wenn wir unsere Sorge Gott anvertrauen. Oder meinetwegen dem Hohepriester, der für uns eintitt.