Heiligabend 2020

· by predigten · in 03) Lukas / Luke, Advent, Weihnachten und Neujahr, Aktuelle (de), Beitragende, Besondere Gelegenheiten, Christvesper / Heiligabend, Deutsch, Festtage, Kapitel 02 / Chapter 02, Kasus, Neues Testament, Predigten / Sermons, Reinhard Gaede

Christvesper 2020  |  Predigt über Lukas 2 | verfasst von Reinhard Gaede |

Liebe Gemeinde!

Die Personen der Weihnachtsgeschichte sind uns im ganzen Leben oft begegnet. Zu verschiedenen Zeiten ganz unterschiedlich. Die Älteren erinnern sich an Zeiten der Entbehrung. Alle, die arm sind oder einmal arm gewesen sind, haben sicher ganz unmittelbar verstanden, wie arm sie gewesen sind: Maria und Josef, das  Kind, die Hirten. Oder als Kind konnten wir diese Geschichte so unmittelbar verstehen. Mit Kindern können wir diese Geschichte so unmittelbar verstehen. Ein kleines Kind macht das ganze Haus lebendig, hell und froh. Ein Kind kann man lieben. Leben kehrt ein anstelle dumpfer Gewohnheiten. Wie dieses Kind alle froh machen kann, können wir im Blick auf Kinder ganz unmittelbar verstehen. Aber auch dies, wie zart, zerbrechlich, schutzbedürftig dies Kind ist. Die großen Mächte der Welt nehmen wenig Rücksicht auf Kinder. Auch heute noch sehen wir Kinder als Opfer der so genannten Macht- oder Real-Politik: Hungernde oder frierende Kinder. Wir denken nicht gerne daran. Aber der Evangelist Lukas, der uns die Geschichte vom Kind in der Krippe beschert, will, dass wir ganz nüchtern die Welt sehen, wie sie ist. Die stille heilige Nacht steht in dem sehr weltlichen Getümmel der kaiserlichen Finanzpolitik. Der so genannte römische Friede kostete Geld, viel Geld. Bezahlt musste er werden von besetzten Provinzen: für die Soldaten, für Handel und Wandel. Sich eintragen lassen für die Steuer, bedeutete für Maria und Josef eine Reise von 120 km durch die Berge Galiläas, das Tal des Flusses Jordan, dann 1.200 Höhenmeter aufwärts. Ein weiter Weg für eine junge Frau vor der Geburt ihres Kindes. Viele Weihnachtslieder denken an die heilige Familie als an eine arme Familie: „Maria durch ein Dornwald ging…“ ist vom Ursprung her ein Wallfahrtslied, das sich zunächst mündlich im 19. Jahrhundert, vom katholischen Eichsfeld ausgehend, im Bistum Paderborn verbreitete. Wir brauchen die Vorstellung von einem Dornwald, um etwas auszudrücken, was wir erleiden. Es mag einen Dornwald der Krankheit geben. Einen Dornwald der Ängste, des Kummers. Einen Dornwald der Trauer. Einen Dornwald des hilflosen Ausgeliefertseins. Einen Dornwald der Ausweglosigkeit. In der Adventszeit gab es keine Advents- und Weihnachtsmärkte, Kirchen und Schulen waren ohne Chöre, sogar zum 4. Advent und an Weihnachten fallen in Westfalen und Lippe die evangelischen Gottesdienste aus, stattdessen lasen wir Tag für Tag fünfstellige Infektions- und dreistellige Todeszahlen, Kämpfe auf Intensivstationen, wachsende Einsamkeit in Altersheimen. Vor allem Frauen mit einem harten Schicksal haben ihr eigenes Leid auf Maria  projiziert und fühlten sich bei ihr deshalb aufgehoben und verstanden. Sie hat der Seele einen Echo-Raum geboten. Das ist auch für  Protestanten nachvollziehbar. Sie ist Mutter des Trostes, weil die Dornen eben doch am Ende Rosen tragen. Maria, eine arme junge Mutter, die ihr  Kind erwartet, wandert nach Bethlehem, erzählt die Weihnachtsgeschichte: Die junge Frau ist der von Gott erwählte Mensch. Das Göttliche und das Weiblich-Mütterliche kommen zusammen. Mit dem Zeitpunkt ihrer Schwangerschaft beginnt das Kommen Gottes auf die Erde.

Die Weihnachtsgeschichte spricht schlicht und karg darüber in Bildern, die in hartem Kontrast wechseln: 

zuerst die Namen der Mächtigsten der Welt, dann die Geburt des kleinen Kindes. Der harte Stein des Stalles ist 

hart wie die Wirklichkeit, in die das Christkind kommt. Das arme Kind, für das kein Bett da war. „Sie hatten sonst 

keinen Platz in der Herberge. „Dieses Wort steht nicht nur über der Geburtsgeschichte, sondern 

über den  Erfahrungen des Mannes Jesu.  „Aber sie nahmen ihn nicht auf „; heißt es einmal bei Lukas  ( 9)  über 

den wandernden Jesus. Bei den Samaritanern wird er nicht aufgenommen, weil er ein Jude ist, und bei den Juden

 wird  er nicht aufgenommen, weil er ihnen das Vorbild des barmherzigen Samariters vorhält. Das arme Kind 

wird  später der Mann, der von den Armen erzählt: Von den Männern, die auf Arbeit im Weinanbau warten, 

von der  Witwe, die ihr letztes Scherflein opfert, von Lazarus vor der Tür des Reichen, vom Opfer eines 

Raubüberfalles auf der Straße nach Jericho. Das arme Kind wird später der Mann, der sich den Armen und 

Elenden zuwendet: den Lepra-Kranken, den Lahmen, den Blinden, verzweifelten Prostituierten, den 

Hungernden. Das Leben Jesu hat der Pfarrer und Dichter Kurt Marti  (1921-2017) so  poetisch in wenigen 

Worten wiedergegeben: 

jesus
mit einer schar von freunden (freundinnen auch)
durch galiläas dörfer und städte ziehend
hat er kranke geheilt und geschichten erzählt
von der weltleidenschaft des ewigen gottes 

privilegien der klasse der bildung galten ihm nichts
zu seinem umgang zählten tagelöhner und zöllner
wo mangel sich zeigte an nahrung oder getränk
teilte er fische brot und wein aus für viele 

die gewalt von gewalthabern verachtete er
gewaltlosen hat er die erde versprochen
sein thema: die zukunft gottes auf erden
das ende von menschenmacht über menschen 

in einer patriarchalischen welt blieb er
der sohn und ein anwalt unmündiger frauen und kinder
wollten galiläer ihn gar zum könig erheben? er aber
ging hinauf nach jerusalem: direkt seinen gegnern ins garn 

auf einem jungesel kam er geritten – kleinleute-messias:
die finger einer halbweltdame vollzogen die salbung an ihm …
bald verwirrt bald euphorisch folgten ihm die freunde die jünger
um bei seiner verhaftung ratlos unterzutauchen ins dunkel 

über sein schweigen hin rollte der schnelle prozess
ein afrikaner schleppte für ihn den balken zum richtplatz hinaus
stundenlang hing er am kreuz: folter mit tödlichem ausgang –
drei tage später die nicht zu erwartende wendung 

anstatt sich verstummt zu verziehen ins bessere jenseits
brach er von neuem auf in das grausame diesseits
zum langen marsch durch die viellabyrinthe
der völker der kirchen und unserer unheilsgeschichte 

oft wandelt uns jetzt die furcht an er könnte
sich lang schon verirrt und verlaufen haben
entmutigt verschollen für immer vielleicht – oder bricht er
noch einmal (wie einst an ostern) den bann? 

und also erzählen wir weiter von ihm
die geschichten seiner rebellischen liebe
die uns aufwecken vom täglichen tod –
und vor uns bleibt: was möglich wär‘ noch.

Liebe Gemeinde ,  ein kurzer Blick eines Pfarrers und Dichters  auf ein Leben, das  den Drohungen tödlicher Gewalt trotzte,  die Liebe Gottes zu den Armen, Traurigen, Kranken und Hilflosen verkörperte. „Er ist auf Erden kommen arm, dass er unser sich erbarm“, sang Martin Luther. (EG 23,6).  Armut, dazu gehört nicht nur Entbehrung, Mangel an Gütern, sondern auch Abweisung, Einsamkeit. Arm für die Armen ist Jesus gewesen. Das sollte ein Trost sein. Er kannte unsere Lage. Wer war einmal arm und elend. Er wurde noch ärmer und elender.  Um bei uns zu sein. Zugleich will er uns, die wir von ihm hören, teilnehmen lassen an seinem Werk, in diesem Festzug zum Reiche Gottes hin. 

Davon spricht das Weihnachtsgedicht von Armin Juhre (1925-2015)

„Man sagt, der Ort hieß Bethlehem, 

man sagt, es sei schon lange her, 

dass er zur Welt gekommen ist, 

am Rand der Stadt, im Notquartier: 

als  Sohn von einem Zimmermann, 

als  Sohn der Jungfrau Miriam. 

Die Angst vergeht, die Nacht ist um, 

die Bosheit bringt sich selber um. 

Das Gottesreich will kommen.

Man sagt, sein Name heißt ‚Gott hilft‘, 

man sagt, er hat ihn wahr gemacht; 

trotz Priester und trotz Gouverneur, 

trotz Schauprozess und Kreuzverhör 

an allen, die verzweifelt sind, 

an allen, die im Elend sind. 

Die Angst vergeht, 

die Nacht ist um, 

die Bosheit bringt sich selber um, 

das Gottesreich will kommen.“

Das arme Kind wird später der Mann, der die Barmherzigen, nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden, die Friedenstifter selig preist. Der sagt: „Was ihr einem von diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt. 25,40). Die Liebe Gottes zu leben, das Angesicht der Menschen zu ändern durch Liebe zum Nächsten, alle Menschen einzubeziehen in diesen Festzug der Liebe, der Gerechtigkeit und des Friedens –  damit begann die Herrschaft Gottes.

Vikarin Carolin Luck, erzählt, von einer evangelischen Gemeinde in Manila/Philippinen. Die Gemeindeglieder haben gesehen: Am Rande eines großen Müllbergs holen Kinder mit Metallhaken Rohstoffe heraus und packen sie in Säcke zum Verkauf. Der Erlös reicht für zwei Mahlzeiten. Für den Schulbesuch oder den Gang zum Arzt bleibt kaum etwas übrig. Da haben die versammelten Filipinos eine Vision: Sie wollen den Weihnachtsgottesdienst nicht für sich feiern, sie wollen für die armen Kinder etwas tun. Sie gründen eine Vorschule für die Kinder vom rauchenden Müllberg, veranstalten ein Fest mit diesen armen Familien und verschenken Nahrung und Kleidung. Der Pastor fragt in seiner Ansprache: Ist Jesus nicht auch arm gewesen und in einem Stall geboren? Dann singen die Kinder Weihnachtslieder und spüren: Selbst auf einer Müllkippe kann es Weihnachten werden. „Ist Jesus nicht auch in Armut, in einem zugigen Stall geboren    Die Weihnachtsgeschichte enthält eine Nachricht. Den Ruf der Freude aus dem Mund der Engel: “ Euch ist heute der Heiland geboren.“ Heiland heißt: Er bringt Heil. Er ist der Retter, bedeutet das griechische Wort  σωτρ(Sotér )eigentlich. Das ist das Geheimnis der Weihnacht. Nicht alle verstehen es. Nur die, die die Botschaft der Engel annehmen. Die ihr Herz öffnen für die Zeichen der Liebe Gottes. Die nicht durch die Gier nach Geld verblendet sind, und nicht durch Ehrgeiz ruhelos geworden sind. Die glauben der Botschaft der Hirten, wie die Hirten sie von den Engeln gehört haben. Die Weihnachtsbotschaft will als Geheimnis der Freude entdeckt werden: 

Rudolf Otto Wiemer 

Gott geht durch die Zeiten
Gottes Füße schreiten
leiser als der Stundenschlag
Gott kommt jeden Tag.

Gott geht durch die Zeiten
alle Dunkelheiten
alle Tränen bleiben nicht
Gott ist lauter Licht.

Gott geht durch die Zeiten
will auch uns geleiten
hat die Krippe aufgestellt
mitten in der Welt.

Mit dem kleinen Kind wächst der Retter der Welt heran: „Welt ging verloren – Christ ist geboren.“ Verloren ging die Welt: Voller Bosheit war sie. Aber das Christkind bringt die Liebe. Wer die Liebe Gottes sehen will, soll auf das Christkind sehen. In ihm lebt die Liebe Gottes. – Verloren ging die Welt. Voller Grausamkeit, Hass und Kriegsgeschrei war sie. Aber das Christkind bringt den Frieden. Wer den Frieden Gottes sucht, soll auf das Christkind sehen. In ihm lebt der Friede Gottes. – Verloren ging die Welt. Voller Angst war sie. Aber das Christkind bringt die Hilfe. Wer die Hilfe Gottes sehen will, soll auf das Christkind sehen. Sein Name Jesus bedeutet Gott hilft. Das Christkind bringt die Liebe, das Christkind bringt den Frieden. Das Christkind bringt Gottes Hilfe. Deshalb wird es σωτρ(Sotér ) „Retter“ (Heiland) genannt.

Die Hirten, arme, vielerorts verachtete Leute, werden dieser Nachricht gewürdigt. Gibt es heute noch solche wie sie? 

Dietmar Schröder: Die Hirten

Die Hirten sind noch unterwegs und ohne Dach,

wenn andre längst in festen Häusern schlafen.

Doch wachen sie nicht mehr wie einst bei Schafen

Und denken über Schuld und Gott und Elend nach.

Als Taxifahrer halten sie sich mühsam wach,

sie zittern im Gefängnis vor den Strafen,

sind ausgestoßen von den ewig Braven,

und unter Schmerzen liegen sie, verstört und schwach.

Doch siehe, Gottes Engel tritt heran

zu allen, die er wachend  findet,

weil Pflicht, weil Schicksal sie jetzt bindet,

und sagt ihnen, wo sie sind, die Freude an:

das Heil wohnt unter uns im engen Stall,

und Bethlehem ist heute überall.

Sie, die Armen verstehen, dass vom Heil geredet wird. Sie hören das Zeugnis der Engel und lassen sich als Zeugen berufen: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens“. Die Hirten hörten und ließen sich als  Zeugen für diese Wahrheit rufen.

Oder was hättest Du ihnen geraten? Wüsstest Du einen besseren Rat, den Sinn deines Lebens zu erfüllen, dem Lauf der Welt ihr Ziel zu nennen, als den, den Hirten es gleichzutun, die Freude, den Frieden der Weihnacht anzunehmen und auszubreiten. 

Es begab sich aber, dass die Menschen,

 hinter sich die Vernichtungslager der Vergangenheit, 

vor sich Feueröfen des Fortschritts, 

täglich geschätzt und gewogen wurden, 

ob das atomare Gleichgewicht noch stimme. 

Und sie hatten Furcht vor selbst gemachten Katastrophen:

Vor Giften und Gasen, radioaktiven Wolken, 

vor Kriegen und atomaren Waffen im Weltraum,

vor Pandemien, die sich weltweit verbreiten. 

Da – hörte man wieder dies Wort: 

„Lasst uns nun nach Bethlehem gehen

 und sehen was geschehen ist, 

wie es uns der Herr kundgetan hat.“ 

„Ehre sei Gott in der Höhe 

und Friede auf Erden 

bei den Menschen seines Wohlgefallens.“ .

Amen

 

Pfarrer i.R. Dr. Reinhard Gaede