
Hesekiel 37,1-14
Belebend! | Pfingstsonntag | 19.05.2024 | Hesekiel 37,1-14 | Sarah Bach |
In einer Gemeinde, in der ich vor einiger Zeit als Pfarrerin ausgeholfen habe, war es üblich zu Beginn des Gottesdienstes zusammen mit den Kindern einen Teil zu gestalten, bevor sie dann in ihr eigenes Programm gingen. In diesem Kinderteil habe ich oft das Thema der Predigt bereits mit den Kindern aufgegriffen, um ihnen zu zeigen, worüber ihre Eltern und die anderen Erwachsenen gleich nachdenken werden. Zudem war es eine gute Möglichkeit auch gleich die Erwachsenen auf die anschliessende Predigt einzustimmen und teils waren es die Kinderteile, die den Erwachsenen am meisten hängen blieben (vor allem wohl auch wegen den süssen und lustigen Kommentare der kleinen Menschen).
So brachte ich den Kindern vor einigen Jahren am Pfingstsonntag einen «Sack voll Heiliger Geist» mit! In meinem Jutebeutel hatte ich verschiedene Alltagsgegenstände gesammelt, mit denen ich den Kindern auf kurze und knappe Weise erklären konnte, was die Heilige Geistkraft ist, wie sie sich zeigt und anfühlt.
So fand sich im Beutel ein Föhn («Der Heilige Geist ist wie warme Luft, du siehst sie nicht, aber du kannst sie spüren.»), ein Taschentuch («Die Heilige Geistkraft tröstet dich, wenn du weinen musst.»), Zündhölzer mit denen dann eine Kerze angezündet werden konnte («Der Heilige Geist ist wie ein Feuer, das dir Licht in der Dunkelheit gibt.») oder eine Glühbirne («Die Heilige Geistkraft hilft dir, im Leben auf die richtigen Ideen zu kommen.»).
Es war eine spannende Übung, mir vorgängig zu überlegen, welche Alltagsgegenstände ich verwenden kann, um den Kindern und Erwachsenen die Heilige Geistkraft auf spielerische und vereinfachte Weise näher zu bringen. Gleichzeitig wurde mir mal wieder klar, dass ich viele einzelne Seiten von der Weise, wie sich Gott in meinem Leben zeigt, beschreiben kann, ohne wohl je das ganze Wesen von Gott erfahren oder gar fassen zu können. Gott ist, was in diesem Beutel drinsteckt und gleichzeitig so viel mehr und anders!
Es gibt Seiten und Eigenschaften Gottes, die wir (einfacher) fassen können. Und es gibt jene Seiten und Eigenschaften Gottes, die uns erfassen, ohne dass wir sie je komplett fassen können. Jene, die mich dann auch erfasst, wenn ich selbst diese Welt nicht mehr fassen kann und mich selbst fühle, als würde mir die Fassung fehlen.
Es ist diese Seite Gottes, die mir in Zeiten nahesteht, die sich meinem Verständnis entziehen, die mich selbst fassungslos machen.
Es ist diese Seite Gottes, die ich in der Klage anrufe, im Gebet, das unfertig ist, kein Punkt oder Amen kennt.
Der Prophet Hesekiel erhielt während der Exilszeit des Volkes Israel ein Bild von Gott, das mich an diese Eigenschaft der Heiligen Geistkraft erinnert.
Hesekiel 37, 1-14 lesen
Hesekiel spricht zu einem Volk im Exil, ein Volk, das Leiden und Ohnmacht kennt, das fassungslos ist, weil es seine Situation nicht fassen kann und weil es sich fühlt, als hätte es seine Fassung verloren.
Und Hesekiel spricht zu diesem fassungslosen Volk von dem, was in keinen Beutel passt.
Hesekiel spricht von der Hoffnung.
Was war denn die Hoffnung für das Volk Israel damals? Es war der Zuspruch, dass Gott sie trotz Exil nicht vergessen und nicht aufgegeben hat. Dass Gott nicht nur mit den grossen mächtigen prunkvollen Seiten eines Menschen oder eines Volkes sich beschäftigt, sondern auch dann bleibt, wenn ein Mensch oder ein Volk klein, verstreut, mut- und kraftlos ist.
Die Knochen sind ein Symbol für jene Zeit. Für die Zeit, die damals das Volk Israel durchmachte und sie können auch ein Symbol sein für Zeiten, die wir heute manchmal durchmachen. Zeiten, in denen wir gerade keinen Ausweg sehen, in denen wir uns zerbrochen und kraftlos fühlen, als wären wir von allen, von der ganzen Welt und uns selbst vergessen worden.
Die Knochen sind die Verzweiflung und diese Verzweiflung zeigt sich in jedem Leben unterschiedlich.
In ihrem Buch «Die Durchquerung des Unmöglichen» schreibt die bekannte Philosophin Corine Pelluchon, wie sich die Verzweiflung in ihrem Leben als Depression zeigte. Sie schreibt:
«Die Tage hatten keine Farbe mehr, die Straßen meiner Heimatstadt Paris erschienen mir hässlich und feindselig. Zwar konnte ich schreiben, arbeiten, im Radio sprechen, reisen und hatte viele Menschen um mich herum. Aber sobald ich allein war, fühlte ich mich psychisch leer und wie abgestorben.»[1]
Ihr Buch ist ein Testament an den Weg aus dieser Depression, den sie mithilfe der Hoffnung finden und auf sich nehmen konnte. Interessanterweise fand sie die überzeugendsten Bilder der Hoffnung nicht in anderen philosophischen Weisheiten, sondern in den biblischen Büchern. Dort nämlich wird die Hoffnung neben das Leiden und neben die Schmerzen gestellt. Hoffnung heisst nicht, dass wir alles Schmerzhafte in unserem Leben oder in der Welt ausblenden müssen oder sollen. Hoffnung entzieht mich der Welt nicht, sondern hilft mir, ihr zu begegnen. Der ganzen Welt, dem ganzen Leben zu begegnen, inklusive Schmerz, Verzweiflung, Leiden und Tod. Hoffnung löscht den Schmerz und das Leiden nicht aus, sondern stellt sich daneben, gibt neue Perspektive und neue Kraft.
Pelluchon schreibt:
«Die biblischen Texte zeigen, dass die Hoffnung nicht zu trennen ist von der Konfrontation mit Schmerz und Leid und dass sie sich auf eine Zukunft richtet, die nicht vollständig vorhersehbar ist, für die es aber Vorboten gibt.“[2]
Dies drückt die Vision von Hesekiel ebenfalls prägnant aus, denn die Knochen sind am Ende noch da. Ein gewisser Anteil des Leidens und des Schmerzes wird in diesem Leben immer zu uns gehören, solange wir uns mit dieser Welt beschäftigen und uns auf ihren Schmerz einlassen.
Was unser Leiden und unsere Verzweiflung ausgelöst hat, verschwindet vielleicht nicht, wie mit einem Fingerschnippen, auch wenn wir uns dies sehnlichst wünschen würden. Stattdessen werden die Knochen der Verzweiflung werden umgeben von dem Fleisch, den Muskeln, dem Leben der Hoffnung.
In der Hoffnung schickt uns Gott Vorboten des Lebens, das inmitten der Verzweiflung, des Leidens und des Schmerzens wachsen kann.
In der Hoffnung belebt Gott uns und unsere Welt und hilft uns, der Welt weiterhin zu begegnen und uns weiterhin auf sie und ihre Nöte einlassen zu können.
Hoffnung belebt im Kleinen. Im Sonnenstrahl, der mich im richtigen Moment trifft oder im Regenfall, der die trockene Erde neu durchtränkt. Im Durchatmen vor einem schwierigen Gespräch. Im Stück Schokolade, das mir eine liebe Person geschenkt hat. Im Lachen. Im Weinen.
Hoffnung belebt auch im Grossen. Dann, wenn zerbrochene Beziehungen neue Kraft erhalten. Wenn sich Meinungen ändern. Wenn Mauern einstürzen. Wenn sich der Mut gegen die Angst durchsetzt. Wenn nicht der Tod das letzte Wort hat, sondern die Barmherzigkeit und die Gnade und das Leben.
Hoffnung können wir nicht fassen.
Aber wir können sie leben und wir können sie uns beleben lassen.
Möge Gott uns und die Welt in diese Hoffnung hüllen.
Amen.
—
Sarah Bach
Ev.-meth. Kirche Schwarzenburg
Sarah B. Bach, Jahrgang 1992, ist ordinierte Pfarrerin der Evangelisch-methodistischen Kirche Schweiz und arbeitet in Schwarzenburg. Zudem doktoriert sie an der Universität Zürich im Bereich der Theologischen Ethik.
[1] Corine Pelluchon, Die Durchquerung des Unmöglichen. Hoffnung in Zeiten der Klimakatastrophe, München 2023 /C. H. Beck), S. 12.
[2] Pelluchon, S. 14.