Hiob 14,1-6.13-17

· by predigten · in 18) Hiob / Job, Aktuelle (de), Altes Testament, Beitragende, Bibel, Deutsch, Kapitel 14/ Chapter 14, Kasus, Luise Stribrny de Estrada, Predigten / Sermons, Vorl. So. des Kirchenjahres

Mit Gott auf Du | Vorletzter Sonntag im Kirchenjahr | 16.11.2025 | Predigt zu Hiob 14,1-6.13-17 | Luise Stribrny de Estrada |

Gott, gib uns ein Wort für unser Herz

und schenke uns ein Herz für dein Wort. Amen.

Liebe Schwestern und liebe Brüder!

„Ich bin unschuldig!“, sagt Hiob. Er sagt es nicht nur, nein, er schreit es heraus. Er schreit es Gott entgegen. „Du ziehst mich vor dir ins Gericht“ (V.3), das ist ungerecht und unfair! Ich habe mir nichts zuschulden kommen lassen! Alles, was mir passiert, all das Schreckliche, trifft mich unverdient. Du irrst dich, Gott, die kannst nicht mich meinen!

Was ist geschehen? Hiob ist ein frommer Mann, rechtschaffen und gottesfürchtig. Er war ein wohlhabender Gutsbesitzer, Vater vieler Kinder, und verlor seinen ganzen Besitz durch einen Sturm. Seine zehn Kinder kamen bei einem Fest alle auf einmal ums Leben. Dann ging es ihm selbst an den Kragen: Juckende Geschwüre breiteten sich über seinen ganzen Körper aus und er wusste nicht mehr aus noch ein vor Schmerz. Er setzte sich in die Asche und verfluchte den Tag seiner Geburt. Drei Freunde kamen zu Besuch, um mit ihm zu trauern und dann, nach sieben Tagen des Mit-ihm-Schweigens, auch, um mit ihm zu reden. Sie wollten ihn davon überzeugen, dass er irgendeine Schuld auf sich geladen haben müsste, sonst würde ihn Gott nicht so sehr strafen. Hiob schleudert ihnen sein „Nein“ entgegen. Er weiß genau: „Ich bin unschuldig!“

In der vergangenen Woche brachte das Lübecker Theater Franz Kafkas „Prozess“ auf die Bühne. Das Stück kreist um Josef K., Angestellter einer Bank, dem aus heiterem Himmel dieses passiert: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Josef K. versucht anfangs, sich gegen den Prozess zur Wehr zu setzen und seine Unschuld zu beweisen. Bei seiner Verhaftung könne es sich nur um ein Versehen handeln, ist er überzeugt. Mit der Zeit nimmt der Prozess einen immer größeren Raum in seinen Gedanken und seinem Leben ein, das er völlig überwuchert. Die Gewissheit, dass er unschuldig ist, wird immer brüchiger. Das Stück endet mit seiner Hinrichtung.

Das erinnert mich an Hiob. Aber Hiob ergibt sich nicht in sein Schicksal, sondern protestiert. Er geht Gott an. In unserem und in den meisten anderen Kapiteln im Buch Hiob spricht er mit Gott. Er wendet sich direkt an ihn und begegnet ihm auf Augenhöhe. Gott ist für ihn ein Verhandlungspartner. Er traut sich, ihn anzuklagen und ihm vorzuhalten, dass er ungerecht handelt. Hiob fühlt sich nicht zu klein und unbedeutend, um seinen Schöpfer anzuklagen. Hiob stellt sich und Gott auf eine Stufe. Das ist gewagt. Und mutig!

Hiob fordert Gott auf, von ihm weg zu blicken, damit er vor ihm Ruhe hat (V.6). Er sagt: “Ach, dass du mich im Totenreich verwahren und verbergen wolltest, bis dein Zorn sich legt, und mir eine Frist setzen und dann an mich denken wolltest!” (V.13) Gottes Blick liegt schwer auf ihm, er kann ihm nicht entrinnen. Gott nagelt ihn fest und zieht ihn zur Rechenschaft, davor will Hiob geschützt sein, und sei es im Totenreich.

Mir geht es anders. Ich wünsche mir gerade, dass Gott mich sieht. Ich wünsche mir, dass er nah ist und ich mit ihm reden kann. Aber ich habe nicht wie Hiob erlebt, dass Gott mich schuldlos straft und mir alles nimmt, was mir etwas bedeutet hat. Für mich ist Gott der, der mich liebt. Ich sage mit Hagar, der Mutter Ismaels: Du bist ein Gott, der mich sieht (Genesis 16,13). Wie gut, Gott, dass du mich siehst!

Anderen geht es so wie Hiob. Sie finden sich in Hiobs Worten, in Hiobs Schrei wieder. Sie schreien zu Gott mit Hiobs Worten:

Warum trifft gerade mich diese Krankheit? Ich werde an ihr zugrunde gehen. Alles tut mir weh. Ich kann keinen Schritt mehr gehen. Für alles bin ich auf Hilfe angewiesen, ich kann noch nicht einmal alleine essen. Es hat doch keinen Zweck mehr! Wie lange dauert es noch, bis das endlich zu Ende ist und ich sterben kann, du harter Gott?

Ein anderer: Wann ist dieser Krieg in meinem Land endlich zu Ende? Alles, was ich kannte, liegt in Trümmern. Mein Zuhause ist dem Erdboden gleich gemacht. Wovon soll ich jetzt leben? Wovon soll sich meine Familie ernähren, diejenigen, die noch am Leben sind? So viele geliebte Menschen habe ich verloren. Wird es jemals für mich, für uns einen neuen Anfang geben? Was wird aus den Kindern, die in diesen Ruinen aufwachsen werden? Wo bist du, Gott, um mir zu helfen?

Eine andere: Ich habe Schweres erlebt. Ich war ein ungewolltes Kind, das hat mich meine Mutter von Anfang an spüren lassen. Über meine Erfolge hat sie sich nie gefreut, sondern mich immer mit meiner älteren Schwester verglichen. Dann habe ich geheiratet und Kinder bekommen. Als meine Ehe auseinander ging, hat sie mich nicht unterstützt, sondern nur daran gedacht, dass sie jetzt keine Geschenke mehr von mir bekommt, weil ich kaum noch Geld hatte. Später ist meine Tochter krank geworden, fünf Jahre lang hat sie gegen den Krebs gekämpft, dann ist sie gestorben. Ich war die ganze Zeit an ihrer Seite und konnte dadurch kaum arbeiten. Jetzt bin ich selbst im Rentenalter, muss aber noch etwas dazu verdienen, um einigermaßen über die Runden zu kommen. Gott, wo warst du in meinem Leben? Hätte ich nicht anderes verdient? Das ist doch nicht gerecht!

Hiob würde sagen: Gott, du bist nicht gerecht! Aber es gibt noch einen anderen Ton in Hiobs Rede an Gott. Hören wir ihn: “Du würdest rufen und ich dir antworten; es würde dich verlangen nach dem Werk deiner Hände. Dann würdest du meine Schritte zählen und nicht achtgeben auf meine Sünde. Du würdest meine Übertretung in ein Bündlein versiegeln und meine Schuld übertünchen.” Gott schaut nicht mehr auf Hiobs Sünde. Seine Übertretung wird verschlossen in einem kleinen Bündel und dieses wird für alle Zeit versiegelt. Keiner kann es mehr öffnen. Die Übertretung ist verschwunden. Hiobs Schuld wird übertüncht. So, wie man einen dunklen Fleck auf einer Wand mit Weiß überstreicht, wird seine Schuld übermalt. Nichts bleibt mehr von ihr zu sehen. Das, was vorher zwischen ihm und Gott stand, hat Gott beseitigt. Beide können von vorne miteinander anfangen. Das geht.

Hiob bleibt während seiner gesamten Klage und seinem ganzen Protest im Gespräch mit Gott. Er breitet alles, was ihn bewegt, vor Gott aus, ohne sich zurückzuhalten. Er legt sich keinen Maulkorb an, sondern sagt Gott geradeheraus, wie ihm zumute ist. Und er wartet auf Gottes Antwort. Kurz vor unseren Versen sagt er: “Dann rufe, ich will dir antworten, oder ich will reden, dann antworte du mir!” (13,22) Hiob lebt im Reden und Antworten auf Gott. Er lässt Gott nicht los, trotz allem, was ihm geschehen ist.

Ich empfinde, dass es eine Nähe zwischen Hiob und Gott gibt. Sie gehen miteinander um. Sie stehen auf vertrautem Fuß. Hiob kann nicht leben und nicht leiden, ohne sich an ein Du zu wenden. Sein Du, sein Gegenüber ist Gott – nicht seine Frau, nicht seine drei Freunde, sondern der Ewige. Mit ihm liegt er im Streit, mit ihm ringt er. Ihn geht er an und vor ihm breitet er alles aus, was ihn bewegt. Und er ist sich sicher: Gott ist da und hört mich.

Wie ist das mit uns und Gott? Trauen wir uns, so wie Hiob mit Gott zu reden? Ich glaube, wir können von Hiob lernen, was möglich ist. Wir können und wir dürfen mit Gott streiten und ihn herausfordern, damit er uns Rede und Antwort steht. Besonders dann, wenn es uns schlecht geht und wir ganz unten sind wie Hiob. Wenn das ganze Gebäude unseres Lebens über uns zusammenstürzt. Dann können wir es Gott klagen und ihn anklagen. Gott hält das aus. Er ist nicht nur ein Gott für die hellen Tage unseres Lebens, sondern auch ein Gott für die rabenschwarzen. Er lässt uns nicht los.

Trotzdem bitten wir ihn um viele gute Tage für jede und jeden von uns – und für seine Welt.

Amen.

Zur Autorin:

Pastorin Luise Stribrny de Estrada

Lübeck

E-Mail: pastorin.stribrny@gmx.de

Luise Stribrny de Estrada, geb. 1965, Pastorin der Nordkirche. Von 2001-2009 Pastorin der deutschsprachigen evangelischen Gemeinde in Mexiko. Seit 2009 Pastorin in Lübeck, zunächst in der St.Philippus-Gemeinde, die nach der Fusion im Jahr 2022 zur Gemeinde Marli-Brandenbaum gehört. In diesem Jahr haben wir einen Pfarrsprengel gegründet, so dass ich jetzt mit einige Kollegen für die fünf Gemeinden im Lübecker Osten zuständig bin.

Liedvorschläge:

Komm in unsre stolze Welt                               EG 428

Ach, wie flüchtig, ach wie nichtig                      EG 528

Wir warten dein, o Gottes Sohn                        EG 152

Der Himmel, der ist                                          EG 153

Gib Frieden, Herr, gib Frieden                           EG 430

Fürbittengebet:

Gott, du Lebendiger,

höre uns, wenn wir so schreien wie Hiob.

Höre die Kranken, die nicht mehr aus noch ein wissen.

Die Schmerzen haben.

Die verzweifelt sind,

weil es keine Aussicht auf Heilung gibt.

Sei ihnen nahe und tröste sie.

Schicke ihnen Menschen, die gut zu ihnen sind.

Wir rufen zu dir: Gott, erhöre uns.

Gott, du Lebendiger,

in der Ukraine und im Sudan

und an vielen anderen Orten der Welt

herrscht Krieg.

Zwischen Israel und Palästina

ist der Waffenstillstand brüchig,

der Krieg hat tiefe Wunden geschlagen.

Wir legen dir die Menschen dort an’s Herz

und rufen zu dir: Gott, erhöre uns.

 

Gott, du Lebendiger,

manche von uns haben den letzten Weltkrieg

selbst miterlebt,

viele mussten ihre Heimat verlassen

und sind vertrieben worden.

Das sind Erfahrungen, die keiner vergessen kann.

Wir denken vor dir an diejenigen,

die heute auf der Flucht sind.

Sei du bei ihnen und schütze sie.

Wir rufen zu dir: Gott, erhöre uns.

Wir hoffen darauf,

dass ihnen und uns allen deine Zusage gilt:

«Gott wird abwischen alle Tränen

von ihren Augen,

und der Tod wird nicht mehr sein,

noch Leid noch Geschrei noch Schmerz

wird mehr sein.

Siehe, ich mache alles neu.” (Offenbarung 21,4f)

Amen.