Hiob 23, 1-17

· by predigten · in 11. So. n. Trinitatis, 18) Hiob / Job, Aktuelle (de), Altes Testament, Archiv, Beitragende, Bibel, Deutsch, Johann-Stephan Lorenz, Kapitel 023 / Chapter 023, Kapitel 23 / Chapter 23, Kasus, Predigten / Sermons

11. So. n. Trinitatis | 31.08.2025 | Hiob 23, 1-17 | verfasst von Stephan Lorenz |

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.

Den Wochenspruch aus dem 1. Petrusbrief (5,5) haben wir gehört: Gott widersteht den Hochmütigen, aber den Demütigen gibt er Gnade, wie Luther übersetzt. Viele verstehen die Gegenüberstellung von ‚hochmütig‘ und ‚demütig‘ in Folge pietistische geprägter Theologie so, als ob nur der, der sich klaglos in sein Schicksal ergibt,
fleißige Demutsgesten gegenüber Gott und Mensch zeigt, sich selbst für unwichtig hält, einen gnädigen Gott erfährt. Die Beziehung Gott Mensch gleicht der von Herrn und Knecht. Wobei der Hansel nichts
von Belang zu sagen hat. Schon gar nicht wird er sich zur Widerrede gegen seinen Herrn erfrechen.

Dieses Verständnis gibt der griechische Text nicht wirklich her. Hochmütig = hyperphainos meint die, die mehr erscheinen wollen, als sie sind. Wie der Pharisäer in der Lesung, der sich als besserer Mensch darstellen will. Demütig = tapeinos kann mit dem hebräischen הצופת (teposa), Dispersion, von ץצפ (pasas), auseinanderbrechen oder zerstreuen in Verbindung bringen, so dass man übersetzen und verstehen könnte:
Gott stellt sich gegen die, die mehr scheinen wollen, als sie tatsächlich sind, gegen die, die sich selbst und anderen etwas vormachen, denen aber, deren Leben völlig auseinandergebrochen ist, den restlos
Zerschlagenen ist er gnädig.

Stimmt das? Deckt unsere Erfahrung das ab? Trump und andere Autokraten scheinen uns eines Besseren zu
belehren. Gewalt, Egoismus, maligner Narzissmus und Gier scheinen dieser Tage eine erfolgreichere Strategie zu modelieren. Hochmütige Scheinriesen haben offenbar die besseren Karten, ohne dass Gott ihnen in die Parade fährt.

Vielmehr noch gilt auf persönlicher Ebene zu fragen: stimmt das? Was geschieht mit mir, wenn mein Leben durch Krankheit oder andere Lebensumstände auseinanderbricht, wenn ich von Ereignissen zerschlagen werde? Erlebe ich dann einen gnädigen Gott? Und, wie sieht das aus?

Das führt uns zum Predigttext aus dem Buch Hiob (23,1-7). Hiob antwortet: Auch jetzt besteht meine Klage im Widerspruch, seine Hand lastet schwer auf meinem Seufzen. Ach, wenn ich nur wüsste, wo ich ihn finden könnte, sodass ich zu seinem Richterthron gelangen könnte! Ich würde meinen Rechtsfall vor sein Angesicht
bringen und ihm die Gründe nennen, die mich entlasten. Ich würde die Worte erfahren, die er mir antwortet, und darauf achten, was er mir zu sagen hat. Würde er dann mit ganzer Härte mit mir streiten? Nein! Er würde Rücksicht auf mich nehmen. Dort könnte einer aufrichtig mit ihm streiten, und ich für immer mein Recht durchsetzen. Doch wenn ich nach Osten gehe, ist er nicht da, und nach Westen, bemerke ich ihn nicht. Wirkt er im Norden, nehme ich ihn nicht wahr. Verbirgt er sich im Süden, sehe ich ihn nicht. Er aber kennt den Weg, auf dem ich bin. Prüft er mich, gehe ich wie reines Gold hervor. Denn mein Fuß hielt sich auf seiner Bahn, ich blieb auf seinem Weg und bog nicht ab. Vom Gebot seiner Lippen bin ich nicht abgewichen, die Weisungen seines Mundes bewahrte ich im Herzen. Hat er etwas beschlossen, wer kann es verhindern? Hat er sich für etwas entschieden, führt er es aus. Auch mit mir tut er, was er bestimmt hat. Und vieles mehr hat er mit mir im Sinn. Darum erschrecke ich vor seinem Angesicht. Wenn ich nur daran denke, macht er mir Angst. Gott lässt mein Herz verzagen, der Allmächtige versetzt mich in Schrecken. Aber Schweigen in dieser Finsternis, vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt, werde ich nicht.

Hiob muss sich mit dem was ihm passiert ist, auseinandersetzen. Alles hat er verloren, Kinder Reichtum, Gesundheit. Sein Leben ist zerbrochen. Er ist aus seiner bekannten Welt gefallen. Das Buch, wohl über einen Zeitraum von 200 Jahren entstanden, erzählt in einigen Anläufen, verschiedene Möglichkeiten, wie Hiob mit der Situation umgehen könnte. In Szene gesetzt durch die Freunde Elifas, Bildad und Zofar, sowie die Frau Hiobs. Die Freunde bemühen den – auch heute noch gängigen – Tun-Ergehens-Zusammenhang*. Leid und
Schuld sind wie eine mathematische Gleichung, die immer ein Ergebnis hat. Ergo muss Hiob, vielleicht nicht bewusst, etwas getan haben, dass ihm jetzt diesen Leiden zufällt. Ihr Rat: Busse tun und um Vergebung der Schuld bitten. Die Gespräche drehen sich irgendwann im Kreis, weil die Freunde Hiobs Erleben nicht  verstehen. Am Ende wird‘s aggressiver: Sie bezeichnen Hiob als Frevler. Manch einem von uns, der schwer krank war, hat solche ‚Freunde‘ und ‚Freundinnen‘ kennengelernt. So kommt einem der Verlauf dieser Gespräche bekannt vor. Der Freund Elihu bemüht eine andere Deutung. Er meint, Leiden habe eine ‚pädagogische‘ Note. Gott trete im Leiden mit Menschen in Verbindung, wolle dadurch eine Änderung des
Verhaltens Gang setzen, um noch Schlimmeres zu verhindern. Hiobs Frau nimmt, wenn ich es richtig verstehe, einen pragmatischen Standpunkt ein: Ist doch Wurscht, entschuldige dich einfach, fertig.

Hiob bleibt bei sich: Ich habe nichts getan, was diese Misere begründen könnte. Ich bin nicht nur ohne Schuld, sondern habe ohne Zweifel vorbildhaft gelebt. Das will er mit Gott selber ausmachen. Davon erzählt unser Text. Doch Gott zeigt sich nicht. Hiobs Ansinnen bleibt ohne jegliche Resonanz. Er fühlt sich von Gott weder wahr- noch ernstgenommen. Läuft ins Leere. Die Erfahrung des abwesenden Gottes versetzt ihn zwar in Angst und Schrecken, aber den Mund halten will er nicht. Aber Schweigen in dieser Finsternis, vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt, werde ich nicht.

Soweit die Geschichte aus dem Alten Testament. Die Frage könnte doch sein: Was nehmen wir mit? Wie sehen unsere Strategien aus, wenn wir schlimmes Leid erfahren müssen, unser Leben völlig auseinanderbricht, wir restlos zerschlagen werden?

Mit der modernen Forschung könnte man das Buch Hiob als Beispiel religiöser Copingstrategien verstehen. Zu den Copingstrategien zählen „alle emotionalen, kognitiven und handlungsbezogenen Abläufe, die ein Mensch als bewusste und unbewusste Reaktionen zeigt, um erwartete, entstehende oder bereits bestehende
Belastungen abzufangen, auszugleichen oder zu meistern.“ (Gott hat mich so ausgestattet, dass ich den Weg gehen kann‘, S. Murken/C. Müller, 2007) Es geht also darum, dass eine Person auch unter schwierigsten Umständen seine Erlebens- und Handlungsfähigkeit behält, Vertrauen ins Leben nicht verliert, Trost finden und Kontakt zu seinem Umfeld aufrechterhalten kann. Spiritualität und Religiosität gehören inzwischen in vielen Therapien zu den gesundheitsförderlichen Ressourcen für die Bewältigung schwerer Lebenskrisen. Sie werden zunehmend, nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland erforscht.

Wie kann man sich das konkret vorstellen? Die schon erwähnten Autoren haben in Interviews mit Frauen, die an Brustkrebs erkrankt sind, vier Verarbeitungsstile gefunden. Die ersten haben ‚unerschütterliches Gottvertrauen‘. Diese Frauen können gut mit ihrer Erkrankung umgehen, legen ihr Schicksal in Gottes Hände,
fühlen sich getragen und bleiben eher „passiv“. „Dein Wille geschehe…“ ist für sie verinnerlicht. „Gott macht keine Fehler“… „Ich weiß, dass es keinen anderen Halt für mich als Gott gibt.“ Sie sehen ihre Krankheit als Werkzeug Gottes, weil sie durch die eigene Krankheit sich besser in andere Kranke hineinversetzen können. „Wer an Gott glaubt… hat ewiges Leben.“, sagen sie. Ein zweiter Verarbeitungsstil aktiviert eigene religiöse Ressourcen: Glaube ist wichtig, Gott existiert, aber die Krise wird mit eigenen inneren und äußeren Ressourcen bewältigt. Sie setzten sich mit  biblischen und religiösen Texten auseinander, beten öfter. „Naja, man hat vielleicht mal ein Gebet mehr gesprochen.“ „Da lag so ein Buch mit kleinen Gedanken, wo man sich mal ein bisschen sammeln konnte, es war einfach wohltuend.“ „Ich hör mir Kassetten mit geistlicher Musik an, das gibt mir Kraft und Trost.“ Häufig suchen diese Frauen geistlich-seelische Nahrung im Gespräch mit anderen.
Ein dritter Verarbeitungsstiel wird als ‚gemeinsame Bewältigung‘ beschrieben: die Frauen haben starkes Gottvertrauen, aber bleiben nicht passiv (wie die erste Gruppe). Sie tun selbst etwas; das, was sie
nicht tun können, überlassen sie Gott. „Da dachte ich, da ist einer, der gibt dir noch mal eine Chance.“ – „Der hat doch immer gesagt: sag mir, was ich dir tun soll! Das sage ich jetzt auch.“ Ihr Sinn ist: „Ich
fühle mich jetzt von etwas unheimlich getragen.“ „Ich sehe halt, dass er unterstützend sein kann, aber das letztlich der Mensch selber für sein Leben verantwortlich ist.“

Der letzte Verarbeitungsstil ist negativ konnotiert: Glaube und Gottvertrauen werden in Frage gestellt. Negative Gefühle und Zweifel gegenüber Gott überwiegen. „Warum hat er mich im Stich gelassen?“ „Man war doch immer gut und hat nach den Geboten gelebt, und jetzt das.“ Die Krankheit wird als Bestrafung erlebt. „Tja
weil ich nicht so fromm, bin, bin halt kein Kirchgänger!“ Das kann dann resignativ gewendet werden. „Wenn der liebe Gott meint, dass ich hier nichts mehr zu suchen habe, dann muss ich irgendwie gehen.“**

Große Unterschiede zwischen modernen und antiken Menschen ihren Verarbeitungsstilen sehe ich nicht. Jede und jeder von uns wird seine eigenen Antworten und Lösungsstrategien allein und mit anderen finden müssen. Der eigene Stil ist wahrscheinlich eine Mischung aus verschiedenen Verarbeitungsstilen, mit einem zeitlichen Wechsel zwischen den Verarbeitungsstilen wird zu rechnen sein. Insofern ist das Buch Hiob aktuell, – auch für uns. Ich nehme mit: Hiob bleibt bei sich. Als er Gott abwesend, ja abweisend erlebt, bekommt er zwar
Angst, aber den Mund verbieten lässt er sich nicht. „…der Allmächtige versetzt mich in Schrecken. Aber Schweigen in dieser Finsternis, vor seinem Angesicht, das Dunkelheit bedeckt, werde ich nicht.

Hier kam mir die Frage, ob Hiob nicht auch einen Tun/Ergehen-Zusammenhang verinnerlicht hat. Nämlich: Ich habe keine Schuld, lebe fromm und vertraue Gott, – deshalb habe ich so etwas wie ein Anrecht auf ein gutes Leben, jedenfalls eine Sicherheit vor Unglück. Kommt einem als Lebenshaltung irgendwie bekannt vor. Hiobs
Erfahrung jedoch, – und unsere wird das auch sein: da liegen wir falsch. Ein Anrecht auf Gesundheit, Glück, langes Lebens und Erfolg gibt das Leben nicht her.

Schlussendlich bekommt Hiob doch eine Antwort von Gott. Sie ist allerdings anders als er erwartet. Mit keinem Wort geht Gott auf Hiob und seine Situation ein. Etwas zugespitzt könnte man sogar sagen, Gott fertigt Hiob ab: „Was willst du Würstchen eigentlich? Kannst du das, was ich kann?“ Dem stimmt Hiob zu: „Ich erkenne, dass DU alles vermagst, und nichts, was du dir vorgenommen hast, ist dir zu schwer.“ (42,2) Damit gibt Hiob seine Version des Tun/Ergehen Zusammenhangs auf. Was ja für uns heißen könnte: nicht unsere
Sinngebungen und Sinnerwartungen setzen sich durch, sie werden vielmehr ihm Leben, besonders durch katastrophale Erfahrungen unterbrochen und relativiert. Und entstehen bestenfalls anders neu. Was bleibt?

Nachdem Hiob erkennt, dass seine Versionen, wie Leben geht, was Sinn macht und welcher Erwartungen ich haben kann, sich nicht bewahrheiten, spricht er eine neue Erfahrung aus: Ich hatte von dir mit den Ohren gehört; aber nun hat dich mein Auge gesehen. (42,5)

Vielleicht versteht er – und auch wir – jetzt mehr, was Petrus beschreibt: Gott stellt sich gegen die, die mehr scheinen wollen, als sie tatsächlich sind, gegen die, die sich selbst und anderen etwas vormachen, denen aber, deren Leben völlig auseinandergebrochen ist, den restlos Zerschlagenen ist er gnädig. Das mögen wir glauben
können, damit wir getrost und bei Sinnen bleiben.

Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen


*Viele Konzepte der Gesundheitsindustrie beruhen auf dem Tun/Ergehen-Zusammenhang. ‚Mach dies und das und du bleibst gesund.‘

**“Die geschilderten Befunde stimmen weitgehend mit früheren Forschungsergebnissen überein, wonach negative religiöse Verarbeitungsstrategien weitaus seltener als positive gebraucht werden, jedoch beide Strategien substanziell unterschiedliche In halte ausdrücken und auch nebeneinander vorkommen können.“ Murken, Müller