
Psalm 46,1–12
Jahrestag des Terroranschlags auf das WTC in New York | 11. September 2002 | Ps 46,1–12 | Karin Klement |
An-denken und An-gedachtes in Form einer Ansprache
AN-DENKEN zum 11. September 2002
Am Mittwochabend ist Kirchenvorstandssitzung. Wie üblich beginnen
wir mit einer 5-Minuten-Andacht zu einem aktuellen, bzw. noch immer „brennend-heißen“
Thema.
„Nine-eleven“ und das bevorstehende Gedenken am Ground Zero
liegen auf der Hand. Hinein mischt sich die Sorge um einen möglichen
militärischen Einsatz der USA gegen den Irak. Die Kriegsvorbereitungen
laufen seit Monaten. Einen Alleingang unabhängig von Natoverbündeten
und UNO-Charta, die jeden Einsatz von Gewalt außer zur Selbstverteidigung
verbietet, scheinen die USA nicht zu scheuen. In seiner Juni-Rede vor
der Militärakademie in West Point behielt Präsident Bush sich
vor, über die bisher gewohnte Abschreckungsstrategie mit Atomwaffen
hinaus zu gehen. Im Kampf gegen den Terrorismus wäre er bereit einen
atomaren Präventivschlag in Erwägung ziehen.
Eine Kriegserklärung? – aber gegen welchen offiziellen Feind? Gegen
den grausamen Diktator eines fremden Landes, dessen innen- und außenpolitische
Aktionen zugegebenermaßen nicht unseren westlich-demokratischen
und schon gar nicht christlichen Maßstäben gerecht werden?
Gegen Länder wie Irak, Iran und Nordkorea als sogenannte „Achse
des Bösen“ – aber mit welcher legitimen, rechtsstaatlichen Begründung?
KRIEG contra TERROR – lässt sich das überhaupt verbinden? Kann
und darf ein Staat den Terror einzelner – selbst wenn es der Diktator
eines Landes oder „nur“ ein religiöser Anführer ist
– mit Krieg gegen ein ganzes Land bekämpfen?
Die religiös-verbrämten, fanatischen Gewaltaktionen am 11.9.2001
in zuvor nicht vorstellbaren Dimensionen – ausgeführt von einer quasi
privat operierenden Gruppe/Organisation – sprengten den bisherigen Erfahrungshorizont
unserer Gesellschaft. Fraglich ist, ob staatlich-militärische Re-Aktionen
darauf angemessen sind, oder nicht eher eine Art Welt-Polizei mit internationalem
Gewaltmonopol (wie sie z.B. von Erhard Eppler gefordert wird) für
solche privatisierte Gewalt zuständig sein müsste.
Die politischen Fragen werden immer komplexer; Antworten einer christlichen
Gesellschaftsethik immer schwieriger.
Was also können wir als Christen und Christinnen zu Gewalt und Terror,
Krieg und Frieden sagen? Welche biblischen Texte können uns weiterhelfen?
Ich greife einen Vorschlag von Professor i.R. Ulrich Nembach auf: Psalm
46
Worauf setzen wir unsere Zuversicht und Stärke, wenn Mensch und Schöpfung
verrückt spielen, und unsere scheinbar gesicherten Mauern unter Beschuss
stehen?
AN-GEDACHTES in Form einer ANSPRACHE
Nach dem Verlesen von PSALM 46, 1 – 12
Für die Ereignisse des 11. September 2001 gibt es kein biblisches
Beispiel. Sie bleiben einmalig grauenvoll, erschreckend unmenschlich und
sinnlos; sie erschütterten nicht einfach nur Menschen, sondern ganze
Nationen. Bis heute nehmen sie weltweit Einfluss auf persönliche
und gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Prozesse. Sie leiten
eine neue Ära ein – und ähneln in ihren zuvor nicht vorstellbaren
Dimensionen vielleicht den Erfahrungen des Holocaust.
Doch es gibt Analogien, die sind zumindest ein Stück weit in allen
Generationen und weltweiten Regionen zu finden.
Für unzählige Menschen war es ein Erleben, als ob die Welt unterginge.
Die Feste ihrer gesicherten Existenz stürzte mit den beiden Türmen
des World Trade Centers in sich zusammen. Der symbolische Berg und Gipfel
kapitalistischer Erfolgsmacht, der Inbegriff von Größe, Autorität
und Überlegenheit der derzeit einzigen Supermacht der Erde versank
im Meer von Betonstaub, Schutt und Asche. Der wütende Aufruhr einer
lange nicht ernst genommenen Frustration in Ländern der Dritten Welt
wallte ungestüm gegen die harten, unnachgiebigen Felsen einer selbstsicheren
ersten Welt. Wie sollte da die „Stadt Gottes“, das Zentrum moderner
Selbstvergötterung und Selbstsucht, fein lustig bleiben, ungerührt
trotz der angerichteten Zerstörung, des tausendfachen Mordes in religiösem
Irrglauben?
Doch inmitten jener grauenvollen Schrecken beweisen Menschen, wie viel
Mitmenschlichkeit in ihren Herzen wohnt, welche wundervollen, von Gott
angelegten Eigenschaften – entgegen allem Pessimismus und Egoismus – in
ihnen stecken: Heldenmut und Opferbereitschaft, Gemeinschaftssinn und
fraglose gegenseitige Hilfe. Die Bereitschaft zu lebensrettenden Einsätzen
sogar auf Kosten des eigenen Lebens wird zum trotzigen Symbol des Widerstandes
gegen die Mächte des Todes. Firefighter in New York, Passagiere der
4. gekaperten Maschine (United Airlines 93) über Pennsylvania bekräftigen
mit ihrem selbstlosen Handeln, dass es inmitten dieser Katastrophe noch
etwas anderes gibt als das Empfinden einer verzweifelten Ohnmacht.
Eine Welle weltweiter Hilfsbereitschaft, Entsetzen über die Tat,
Mitleid und Solidarität erreichte in den ersten Tagen und Wochen
die USA und schien alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten vergessen zu
machen. Kooperation und Zusammenhalt aller westlich orientierten Länder
im Kampf gegen den Terrorismus schien in greifbare Nähe zu rücken.
Der altböse Feind hatte ein Gesicht, einen Namen – was sollte man
sich da Gedanken über die eigene Verantwortung und mit-ursächliche
Schuld machen??
Der helfende, beistehende GOTT in Psalm 46 tröstet die Ängstlichen
und Verzweifelten; er stärkt ihren Überlebenswillen. Nur darum
steht er an ihrer Seite und ist ihr Schutz. Aber nicht als Feind der anderen!
Den hemmungslosen Zorn und die Kriegslust der Menschen lenkt er in geregelte
Bahnen. Die von Menschen Hand für den Krieg bereiteten Waffen zeigen,
was sie wirklich sind: Vernichtungsmittel, die bei ihrem Gebrauch selbst
zerbrochen, zerschlagen, verbrannt werden. Ihr Sinn und ihre Aufgabe ist
nichts anderes als die Zerstörung ihrer selbst unter „Mitnahme“
all dessen, was (und wer!) sie umgibt.
„Gebt endlich Ruhe mit eurem Kriegsgeschrei“, klagt Gott, „und
an-erkennt, wer ich bin! Gott Zebaoth, Gott der Heere und Gewalten, der
Höchste, der die Macht in seinen Händen hält, der über
allem steht und (- wie wir Christen von Christus glauben -) zugleich an
und mit euch leidet. “
Die beste aller Waffen, die sicherste aller schützenden Burgen,
wenn die Welt voller Teufel erscheint, ist nicht das, was wir selbst errichten
oder produzieren. Unsere militärischen Möglichkeiten bauen nichts
auf, sie dienen immer nur der Zerstörung. Unsere Zuversicht und Stärke
wächst aus dem, worauf wir uns wirklich felsenfest verlassen können,
aus der Basis unseres Glaubens:
GOTT
ist UNSERE ZUVERSICHT und STÄRKE,
eine HILFE
IN DEN GROSSEN NÖTEN,
die uns getroffen haben.
Amen
Pastorin Karin Klement
Lange Straße 42
37077 Göttingen
email: karin.klement@evlka.de