
Jeremia 20, 7-13
18. So. n. Trinitatis | 19.10.2025 | Jer 20, 7-13 | Thomas Schlag |
Predigt zum Semestereröffnungsgottesdienst der Theologischen und Religionswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zürich
Fraumünster Zürich, 17. September 2025
Liebe Fakultätsgemeinde,
im heutigen Losungstext wird über die Last der Verkündigung geklagt: So also Jeremia (20,9):
Und so habe ich gesagt: Ich werde nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen! Aber dann brennt dein Wort in meinem Herzen wie ein Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – ich kann es nicht.
Diese etwas kryptische Notiz gilt es einzuordnen: Deshalb nun also nochmals die Klage des Propheten mitsamt der Verse davor und danach:
7 Du hast mich überredet, HERR, und ich habe mich überreden lassen; du bist stärker als ich, und du hast gewonnen.
8 Denn wenn immer ich rede und schreie: «Gewalttat und Unterdrückung!» werde ich den ganzen Tag lang zum Gespött, jeder macht sich lustig über mich.
9 Und so habe ich gesagt: Ich werde nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!
Aber dann brennt dein Wort in meinem Herzen wie ein Feuer. Ich nehme meine ganze Kraft zusammen, um es zurückzuhalten – ich kann es nicht.
11 Denn der HERR ist bei mir, wie ein mächtiger Held, deshalb werden meine Verfolger fallen, und sie werden nicht gewinnen.
13 Singt dem HERRN und lobt ihn!
Liebe Gemeinde,
Was für ein Drama. Was für ein Hin und Her um diesen Propheten Jeremia, besser gesagt: ein Hin und Her tief im Herzen des Propheten: Soll ich oder soll ich nicht? Kann ich, oder kann ich nicht? Halte ich den Spott noch aus? Jeremia dreht und windet sich unter der Last seines Verkündigungsauftrags.
Und es ist ja auch ungeheuer und unbequem und furchtbar anstrengend und lebensgefährlich, wenn da einer wie er mit Inbrunst und Feuer so redet und predigt, kein gutes Haar an nichts lässt. Das geflügelte Wort der «Jeremiade» als Klage über den gesellschaftlichen Verfall kommt nicht von ungefähr.
So viel steht fest: Offenkundig steht extrem viel auf dem Spiel, wenn jemand im Namen Gottes das Wort ergreift. Es geht irgendwie ums Ganze – und das spüren auch alle Beteiligten um Jeremia herum: Herrschende, Beherrschte, Spötterinnen und Ignoranten – alle gehen auf Distanz zu diesem sonderbar Enthusiasmierten und sein «brennendes Herz», und machen ihn unglaubwürdig, wo immer sie können.
Eindrücklich zeichnet der Dichter Stefan Zweig in seiner Theaterstück-Dichtung «Jeremias» mitten in den Zeiten des Ersten Weltkriegs und lässt ihn verzweifelt klagen:
«Ewig verflucht. Ewig verstoßen. Ein Wort brennt zwischen mir und dir wie des Engels Schwert».[1] «Aus dem Mutterschoß in die Welt hinein, Gott… es ist hart, dein Bote zu sein».[2]
Sonderbar dieser Prophet wider Willen: Ich gebe zu, mir ist durchaus auch unwohl mancher Jeremiaden der medialen Gegenwart. Wenn das Temperament des Redners stetig steigt und die Temperatur im Raum, in der Podcast Show, auf dem Campus anschwillt.[3]
Angesichts solch flammend-kämpferischer Predigtrhetorik entsteht bei mir das Gefühl: Zu heiss, zu eng, zu bedrängend, zu euphorisch, zu laut, zu eindeutig, um wahr zu sein. Nicht selten ein mich befremdender Hüttenzauber, der abgebrannt wird. «No, it’s not my style.»
Erst recht dann, wenn im Gefolge von Jeremias Diktion kriegsrhetorisch Gott als der «starke Held, der die Feinde zum Fallen bringt», ins Sprachspiel gebracht wird.
«Less conversation, more noise».[4] So als ob dies nun wirklich die letzte mediale Gelegenheit, das ultimative Gefecht ist, das unbedingt gewonnen werden muss.
In den gegenwärtigen medialen Zeiten breiten sich offenkundig Formen einer entzündlichen Aufgeregtheit aus, einer, wie Thomas Mann es formuliert, grossen Gereiztheit, die ich irritierend finde – gerade dann, wenn im Namen Gottes ultimative Wahrheit in die vermeintlich orientierungslose Welt hinausgeschleudert wird – wie ein letztes flammendes Aufbäumen gegen die Verhältnisse der Gegenwart.
Was treibt den Prediger – ja, in der Regel sind es Männer – an, was treibt ihn um, was bringt ihn offenkundig an die Grenzen der eigenen körperlichen Kraft, sogar in Lebensgefahr und beinahe ums Leben.
Ein «burning heart», eine überaus die kraftvolle Haltung mag man solchen präsenten Figuren ja gar nicht absprechen. Da muss doch wohl jede Menge Geist und brennendes Herz im Raum sein. Und die Massen sind begeistert.
Aber ist nun dieser Jeremia und sein flammender Auftritt ein Role-Model für die eigene theologische und die akademische und gar die die spätere pastorale, gar prophetische Existenz?
Tatsächlich würde ich mir angesichts so mancher pastoralen Grundhaltung auf kleiner Flamme manchmal deutlich mehr Leuchtkraft und Brennspiritus wünschen. Eine berühmt-berüchtigte Werbebroschüre der 1980er Jahre für den Pfarrberuf trug den Titel «Im Pfarrhaus brennt noch Licht». Ich hätte mir viel lieber so ein flammendes Plädoyer für die Faszination dieses Berufs gewünscht – etwa unter einem Titel: «Herzenssache Pfarramt». Ich fand diese Allpräsenz damals schon so überlastend wie überfordernd.
Und so ist es wohl kein Wunder, dass zumindest bei Jeremia das prophetische Burnout auf dem Fuss folgt. Stefan Zweig dichtet prägnant:
«Aber ich sage mich los: Ich tu nicht länger nach deinem Begehr, Ich rechte nicht mehr und knechte nicht mehr! Mein Herz ist nicht länger dir Heimstatt und Haus, Ich stürz dich aus deinen Himmeln hinaus!»[5]
Es ist schlichtweg zu viel des Guten.
Ist das nun das Ende – ist das Feuer damit erloschen?
Wie sagte aber Jeremia doch: «Du bist stärker als ich, und du hast gewonnen.» «Es brennt dein Wort in meinem Herzen wie ein Feuer.»
Auf die Betonung kommt es an, könnte man sagen. Gott übernimmt die Wort-Regie. Und Jeremia spürt sogleich, wie die unmenschliche Verkündigungslast von seinen Schultern abfällt. Er ereignet sich zwar noch keine Zeiten-, aber doch eine durchaus überraschende Sinnes- und Herzenswende.
Nochmals Stefan Zweig, der diese unvermittelte Wende sanft und sogar abendmahlssemantisch bedichtet:
«Ich danke dir, Herr, daß du so lind mir begegnet. Als ich mich wehrte und von dir gekehrt. Ich hab dir geflucht, und du hast mich gesegnet. So segn ich, solang mir mein Leben währt. Ich segne dich, daß du das würzige Brot Des Wortes in meine Lippen getan. Damit ich dich preise in Leben und Tod, Ich segne dich, daß du mir wecktest den Geist, Der die Welten mit Liebe durchgütet und speist.»[6]
Und so entsteht bei mir ein ganz anderes Bild im Raum – von heller Energie, die das Herz zum Brennen bringt.
Was da wirklich brennt, ist eben nicht mehr die ureigene flammende Rede des Propheten, sondern viel mehr ein sanft entfachender Windhauch von göttlicher Geistesgegenwart.
Nicht mehr der dunkel raunende Prophet, sondern die helle Gestalt seines weitergeschenkten Wortes: Nicht mehr expressive Verkündigung eines «Hier und jetzt und sofort», sondern göttliche Gegenwart, die die Welten mit Liebe durchgütet und speist. Anklang und Anfang eines fast geräuschlosen Neuwerdens.
Zugegebenermassen, spektakulär ist das nicht unbedingt – und massentauglich wohl auch nicht.
Aber vielleicht bin ich selbst am Ende eben selbst ein schwäbischer, europäischer Romantiker. Friedrich Hölderlin findet jedenfalls für dieses Neuwerden in Ton und Bild eine ganz andere Ausdrucksform als die einer Jeremiade. In tief-dunkler Zeit zündet er visionär und friedensbewegt die Hoffnungsfackel an:
Dies mein ich, dies seh’ und glaub’ ich: «Daß der Egoismus in allen seinen Gestalten sich beugen wird unter die heilige Herrschaft der Liebe und Güte, daß Gemeingeist über alles in allem gehen, und daß das (deutsche) Herz in solchem Klima, unter dem Segen dieses neuen Friedens erst recht aufgehen, und geräuschlos, wie die wachsende Natur, seine geheimen weitreichenden Kräfte entfalten wird, dies mein ich, dies seh‘ und glaub‘ ich.»[7]
Und so kann dann eben auch Jeremia von sich selbst loslassen. Er hat längst aufgehört, zu fluchen. Und beginnt zu segnen und verkündet ganz schlicht: Singt dem HERRN und lobt ihn!
Amen.
verfasst von: Thomas Schlag, Professor für Praktische Theologie mit den Schwerpunkten Religionspädagogik – Kirchentheorie – Pastoraltheologie; Vorsitzender der Leitung des ZKE; Direktor des Universitären Forschungsschwerpunkts «Digital Religion(s)»
Fussnoten:
[1] Stefan Zweig. Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern, Insel-Verlag 1917, 66.
[2] Ebd., 74.
[3] Diese Anspielung bezieht sich auf das tödliche Attentat auf die U.-S.amerikanische «public figure» Charlie Kirk am 10. September 2025.
[4] In bewusster Unterscheidung zum Slogan des sogenannten «Reflab» (https://www.reflab.ch).
[5] Stefan Zweig. Jeremias. Eine dramatische Dichtung in neun Bildern, Insel-Verlag 1917, 122.
[6] A.a.O., 132.
[7] Friedrich Hölderlin (1770 – 1843), Briefe. An seinen Bruder, wohl vom Neujahrstag 1801.