Jeremia 20,7-11

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Gott ist mit mir wie ein trotziger Held | Sonntag Okuli | 23.03.2025 | Jeremia 20,7-11 | Klaus Wollenweber |

Liebe Gemeinde,

„Meine Augen sehen stets auf den Herrn; denn er wird meinen Fuß aus dem Netze ziehen.“ (Psalm 25, 15) Nach diesem Psalmwort ist der heutige Passionssonntag „Okuli“ = (meine) „Augen“ benannt. Im Mittelpunkt steht die Thematik: Nachfolge und Anfechtung des glaubenden Menschen. Am Beispiel des Propheten Jeremia wird in dem heutigen Predigttext der Zwiespalt eines Menschen hervorgehoben, der als Sprachrohr des Gotteswillens zu einer Rede beauftragt ist, die jedoch niemand hören will. Jeremia – ein Mensch in einem echten Dilemma! Manchmal uns ähnlich, denke ich. Aus dem 20.Kapitel des Jeremia-Buches lese ich die entsprechenden Verse aus der Zürcher Bibel:

7 Du hast mich überredet, HERR, und ich habe mich überreden lassen; du bist stärker als ich, und du hast gewonnen; den ganzen Tag lang bin ich ein Gespött, jeder macht sich lustig über mich.    

8 Denn wenn immer ich rede, schreie ich auf. Gewalttat und Unterdrückung!, rufe ich. Denn den ganzen Tag lang gereicht mir das Wort des HERRN zu Hohn und Spott.    

9 Und wenn ich sage: Ich werde nicht an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, dann wird es in meinem Herzen wie brennendes Feuer, eingeschlossen in meinem Gebein. Und ich habe mich abgemüht, es zu ertragen, und ich kann es nicht.    

10 Von vielen habe ich Gerede gehört: Grauen ringsum! Erstattet Bericht! Lasst uns Bericht erstatten! Alle, mit denen ich Frieden hielt, lauern auf meinen Fall: Vielleicht lässt er sich verleiten, dann wollen wir ihn überwältigen und unsere Rache an ihm nehmen!    

11 Der HERR aber ist bei mir, wie ein mächtiger Held, deshalb werden meine Verfolger straucheln, und sie können nicht gewinnen. In tiefer Schande stehen sie da und ohne Erfolg! Eine ewige Schmach, sie wird nicht vergessen werden!    

Liebe Gemeinde,

ich ergänze den biblischen Text mit einem Zitat von Martin Buber: „Der große Beter ist nicht fromm und duldsam, aber auch seine Empörung erweist sich als Gebet.“  Ja, Jeremia hat es schwer mit Gott; er ist wütend und enttäuscht. Am liebsten macht er Schluss mit seiner Beziehung zu Gott. Er ist gleichsam wie ein schwankender Baum im Wind mit seinem prophetischen Auftrag; er ist hin und her gerissen. Aber zugleich findet er in seiner Wut ein Ventil und spürt trotz allem: Gott ist der, der bei ihm ist!

Im 21. Jhdt. stellen wir immer noch die Existenzfrage Gottes. Wo ist Gott in den Kriegs- und Hunger-gebieten? Wo ist er in den eigenen Lebenskrisen? Da erfährt z.B. ein Mensch Leid durch andere Menschen; er wird ziemlich gemobbt. Wo sind wenigstens die Mut machenden Zeichen, dass es einen Gott der Liebe, der Rettung, des Heils und der Gerechtigkeit gibt?

Liebes Gemeindemitglied, wenn Sie schon mal in Ihrer Lebensgeschichte nicht zurechtgekommen sind und die Erfolglosigkeit des eigenen Wirkens am eigenen Leib spürten, haben Sie sich nicht auch gegen die Schicksalsschläge aufgebäumt? Wählten Sie nicht auch lieber zunächst den Weg in die Gottver-lassenheit? Wenigstens eine Zeit lang? Vielleicht haben Sie dann später, in einer anderen Lebens-situation, wieder das Wort Gottes wie Feuer in Ihrem Innern, im Herzen, in dem Sitz der Lebenskraft, erkannt und ergriffen. Ähnlich so, wie der Prophet Jeremia bekennt: „(es) wird in meinem Herzen wie brennendes Feuer“. Jeremia ist in und mit seiner Klage einer tiefen Verzweiflung nahe; er hört keine Antwort von Gott. Es ist so, als ob er ein klagendes Gespräch seines Herzens mit sich selbst führt.

Ich kann gut nachvollziehen, was in dem Propheten innerlich so vor sich geht. Ich möchte genauso in meinem Denken und Reden und Handeln lieber selbstbestimmt sein. Ich möchte in Gesprächen und Diskussionen gerne sagen, was ich denke und was mir passt, was mir gut tut. Ich möchte nicht von anderen, etwa von einer Partei oder einer gesellschaftlichen Macht, in deren Sinne fremdbestimmt sein. Ich möchte in meiner Suche nach meiner Identität nicht unterwürfig leben müssen.

Der Prophet Jeremia erlebte keine Aufmerksamkeit bei seinen Zuhörern. Ich stelle mir vor, dass dies so ist wie manchmal bei einer Lehrperson, wenn die Schülerinnen und Schüler oder die Studierenden definitiv nicht interessiert, was ihnen jetzt notwendig beigebracht werden soll oder nach Lehrplan vorgelegt werden muss. Der Prophet wird nicht ernst genommen; er erlebt Spott und Hohn; er wird sogar misshandelt. Seine Mutlosigkeit und Verzweiflung können wohl jede und jeder von uns gut verstehen. Unverkennbar ist da ein innerer Zwiespalt in seinem Gespräch, in seinem Klagegebet mit und vor Gott. Zweifel und Hoffnung wechseln sich in ihm ab. Denn der Spott und der Misserfolg im Alltag schmerzen. Deshalb der klagende Vorwurf gegen Gott: Du hast mich wider Willen ergriffen, gepackt, betört, verlockt, überredet, verführt; ich bin nicht mehr ich selbst; ich bin von dir, Gott, in meinem Reden bestimmt, also fremdbestimmt! Ich bin ein Prophet wider Willen!

Liebe Gemeinde, wie ist es bei uns mit unserem Weg in die eigene selbstbestimmte Biographie? Oder wie ist es gewesen? Höre ich nur auf mein Bauchgefühl? Oder erkenne ich und sehe ein, wie sehr ich auch fremd bestimmt bin, z.B. von und durch die Medien und die digitale Technik, von gesellschafts-politischen Ereignissen, von der Mode-Industrie, von verführerischen Bildern, von unerkannten Fake News, von ärztlich angeordneten Medikamenten, … etc.?

Wie geht es Ihnen, wenn Ihrer Meinung nach Politiker und Politikerinnen unverantwortliche Entscheidungen treffen? Wenn Autokraten in mehreren Ländern auf dem Vormarsch sind, Herrscher, die mit ihrem imperialen Machtgehabe zeigen: „Ich mache, was ich will!“ und: „Geltende Gesetze sind nicht meine Sache!“ Möchten Sie nicht auch schon mal laut klagend Nein schreien oder einfach auf den Tisch hauen? Und wenn die gesellschaftlich-politischen Strukturen in Deutschland jetzt nach der Bundestagswahl so kompliziert sind, wer will dann mit wem zusammenarbeiten? Wir können wieder einmal merken, dass die Sprache der Verachtung wie Gift im Grabenkampf der Positionen wirkt. Radikale Ablehnung, unbequeme Anfeindungen oder Rückzug, Resignation – was ist Ihr Weg?

Ich habe es selbst erlebt: Ich kann z.B. schmerzhaft anecken, wenn ich eine Unterschrift zu einer Petition oder einem Aufruf gebe, die ich für mich als wahr und sinnvoll erkannt habe. Ich kann natürlich auch alles in mich hineinfressen, was ich besser hörbar gesagt hätte. Ich muss jetzt in meiner Situation mit meiner Biographie fertig werden und dazu stehen, dass ich möglicherweise unterlassen habe, was ich besser gesagt oder getan hätte. Jochen Klepper hat einmal ansprechend und für mich tröstlich formuliert: „Manchmal denkt man, Gott müsste in all den Widerständen des Lebens ein einsichtbares Zeichen geben, das einem hilft. Aber dies ist eben sein Zeichen: dass er einen durchhalten und es wagen und dulden lässt.“

So hat es jedenfalls Jeremia erfahren, und so wünsche ich es Ihnen und mir: Mit der Klage ist die Hoffnung verbunden, besser noch: die Gewissheit! Mein Gott fordert mich leidenschaftlich heraus, offen das zu sagen, was unbequem ist und welche Folgen angesprochen und aufgezeichnet werden müssen. Wie beim Propheten Jeremia geht es nicht in erster Linie um die Vorhersage der Zukunft, sondern um die alltägliche Realität. Es geht um die Ansage, was jetzt lebensnotwendig ist, – ob es die Hörerinnen und Hörer vernehmen wollen oder nicht. Im biblischen Text heißt es: „Aber Gott ist mit mir wie ein trotziger Held, darum müssen straucheln meine Verfolger und sie vermögen nichts!“ (so Martin Buber) Haben Sie und ich also Mut, im Namen Gottes zu sagen, was der christlichen Botschaft des Friedens, der Hoffnung, der Nächsten- und Feindesliebe, der Gewissheit der Existenz Gottes hier und heute entspricht. Ja, es braucht Mut und ein hörendes Herz, Gespräche zu führen, die auch wehtun können. Erinnern wir uns an das Motto des bevorstehenden Kirchentags in Hannover. „mutig – stark – beherzt“, Nehmen wir die Herausforderung mit nach Hause in unseren Alltag: Keine Resignation sondern Mut; keine Beruhigung sondern Aktion; keine Selbstaufgabe sondern Hoffnung!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserm Herrn. Amen

Ich empfehle, die Übersetzung des jüdischen Theologen Martin Buber zu lesen, möglicherweise auch an Stelle der Zürcher Bibel vorzulesen. Diese macht den Zorn der Verzweiflung und Empörung des Propheten in gestammelten Worten deutlich. Er schreit gleichsam seine wütenden Emotionen so sprachlich heraus, wobei Worte und grammatikalische Regeln nicht wichtig sind:

„Betört hast du mich, DU; ich ließ mich betören; gepackt hast du mich, du hast übermocht. Ich bin zum Gelächter worden alletag; alles spottet mein. Ja, sowie ich reden will, muss ich schreien, Unbill! rufen und: Gewalt! Zu Hohn ja und zu Posse ist SEINE Rede mir worden alletag.

Spreche ich: Ich will ihn nicht gedenken, nicht mehr reden mit seinem Namen, bleibt`s mir im Herzen wie ein sengendes Feuer, eingehegt mir im Gebein; ich erschöpfe mich es zu verhalten; ich vermag´s nicht. Ja, ich höre das Flüstern der Vielen, ein Grauen ringsum: Meldet´s! wir wollen´s melden! Was an Menschen mir im Friedensbund steht, die passen meinem Ausgleiten auf: Vielleicht wird er betört, dann übermögen wir ihn, nehmen an ihm unsre Rache!

Aber ER ist mit mir wie ein trotziger Held; darum müssen straucheln meine Verfolger und sie vermögen nichts; werden sehr beschämt; denn sie haben nichts ergriffen.“ –

Liedvorschläge:

EG Nr. 365  Von Gott will ich nicht lassen

EG Nr. 275  In dich hab ich gehoffet, Herr

Bischof em. Klaus Wollenweber

53129 Bonn

E-Mail: Klaus.Wollenweber@posteo.de

Viele Jahre Gemeindepfarrer in der Ev. Keuzkirchengemeinde Bonn; ab 1988 theologischer Oberkirchenrat in der Ev. Kirche der Union (EKU) Berlin ( heute: Union Ev. Kirchen (UEK) in Hannover ); ab 1995 Bischof der „Ev. Kirche der schlesischen Oberlausitz“ mit dem Amtssitz in Görlitz / Neiße  (heute: „Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz“ (EKBO) ); seit 2005 im Ruhestand wohnhaft in Bonn. Häufig aktiv in der Vertretung von Pfarrerinnen und Pfarrern in Bonn.