
Jeremia 20,7-11a
Gott hilft uns auf und bleibt anspruchsvoll | Okuli | 23.03.2025 | Predigt zu Jeremia 20,7-11a | verfasst von Manfred Mielke |
Liebe Gemeinde,
die besten Spitzensportler müssen warten, bis einige von ihnen in die Nationalmannschaft berufen werden. Berühmte Regisseurinnen können nur hoffen, den Ruf in eine internationale Jury zu erhalten. Und auch wenn im Konklave die Erzbischöfe ihren Papst demokratisch wählen, versteht sich jeder Papst als ein von Gott Berufener. Dagegen entstehen normale Arbeitsverhältnisse durch einen Vertrag, den beide unterschreiben; aber eine Berufung erfolgt einseitig. Im antiken Israel gab es sogar den „Berufsstand der Berufenen“. „Prophet“ war kein Ausbildungsberuf mit Jobgarantie; jeder wurde von Gott mitten aus dem Leben herausgerufen. Amos beispielsweise war auf seiner Feigen-Plantage, Mose war Lohnhirte einer Ziegenherde, Jesaja bekam seine Lippen mit Kohle-Glutstücken von einem Engel geheiligt. Aber jeder wusste sich von Gott einberufen in ein Treueverhältnis und zu riskanten Aufträgen.
Der Hintergrund, warum wir heute über so etwas wie eine Berufung nachdenken, ist der Weg Jesu in seiner Passion. Wie er seine Berufung annahm, dann aber unter ihr zusammenbrach und sie dennoch beibehielt. Gott gab ihm die innere Gewissheit dazu, zugleich forderte er ihn aufs Schärfste, und blieb ihm dennoch treu. Mit Jesus können uns kaum vergleichen, aber wir können erspüren, was uns in einer Krise stärkt, auch über unser erstes Scheitern hinaus. – Viele Generationen vor Jesus stöhnte der Prophet Jeremia: „Gott, du hast mich gepackt und überwältigt. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen … Denn sooft ich rede, muss ich schreien: »Frevel und Gewalt!« Denn dein Auftrag, Gott, ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. Also dachte ich: Ich will nicht mehr an Gott denken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es wurde in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Gebeinen verschlossen, dass ich’s nicht ertragen konnte; ich wäre schier vergangen. Ich höre doch, wie viele heimlich reden: … »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« Doch Gott, der Herr, ist bei mir wie ein starker Held, darum werden meine Verfolger fallen und nicht gewinnen.“ (20,7-11a)
Mit Gott so zu streiten, verlangt viel Standfestigkeit. Gibt es Gott gegenüber das Recht auf einen „Burn-out“? Kann ich meine Berufung zurückgeben, wie damals Papst Benedikt XVI, der sagte: „Tschüss Berufung – mit 85 Jahren bin ich zu klapprig für meinen Job!“ Jeremia jedoch ist kerngesund und selbstbewusst und so steckt er in einem Dilemma. Ohne Gott kann er nicht, aber mit ihm auch nicht. Dem will er standhalten, Ausstieg ist für ihn keine Option. – Schon bei seiner Berufung versuchte Jeremia, Gott zu verunsichern, indem er sagte: „Ach, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“ Doch Gott bekräftigte: „Geh, wohin ich dich sende, und predige, was ich dir gebiete. Ich bleibe bei dir und werde dich notfalls erretten.“ Dann gab ihm Gott eine To-do-Liste: „Ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.“ – Zu diesen ausformulierten Aufträgen gab ihm Gott zwei innere Bilder mit. Das eines knospenden Mandelzweigs als Ressource für seinen Propheten-Mut und das eines überkochenden Wasserkessels als Ressource für seine Propheten-Wut. (1, 11ff) So bekam er von Gott Mut für einen zielgerichteten Zorn, denn sein Volk Israel hatte seinen Gott Jahwe mental verlassen und plante seinen weiteren Wohlstand mit Heidengöttern.
Die Symbolbilder des Jeremia wecken unser Ur-Vertrauen. Auch wir sehnen uns nach einem Gott, der eine Lebensknospe oder ein übervolles Behältnis ist. Nach einem Gott, der entschlossen ist, der uns ersieht und sich uns mitteilt. Damit unsere Lippen lebendig werden zum Reden im Klartext und wir mutig werden zur Kommunikation des Evangeliums.
Bei Jesaja, einem anderen großen Propheten, tat er es mit Glutstücken. Die bestehen zwar aus totem Holz, übertragen aber eine starke Energie. Zu seinen Zielen verleiht uns Gott auch die nötige Kraft. Das beginnt bei uns durch kleine Entdeckungen oder durch einen unvermuteten Einfall. Still im Kämmerlein, oder auf einem lauten Kirchentag. Disruptiv oder schrittweise. Klar verständlich oder tief empfunden. Dafür brauchen wir Platz in uns und aufmerksame Mitmenschen um uns herum. Jeder von uns ist berufen, jeder hat Brot und Salz, Krüge und Wasser, Knospen und Glut anvertraut bekommen. Da kann es sein, dass einige ausgebrannt sind, vielleicht sogar die Mehrheit. Doch letztlich kommt es auf die Eine und den Einen an, der mit uns seinen Glaubens-Frühling und sein kochendes Wasser teilt. Gott stellt uns Menschen zur Seite, die auch spüren: Es hilft uns der Eine auf, der uns Großes anvertraut. Der mich erkennt, mich in den Arm nimmt und mir etwas zutraut.
Das kommt beim Propheten Jeremia gut an. Nun kann er rennen und schreien: „Frevel und Gewalt!“ Damit meint er sowohl das Strafgericht, das Gott seinem Volk androht, als auch die Art seiner Einberufung, die er nun als eine übergriffige Nötigung empfindet. Es eskaliert also bei Beiden. Aus Gott ist ein Zorn-Gott geworden, und Jeremia wird ein Gerichtsprophet. Doch alsbald will er aufgeben: „Ich will nicht mehr an Gott denken und für ihn einstehen. Doch dann wird es in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, in meinen Knochen eingeschlossen, so dass ich’s nicht ertragen kann; ich werde schier vergehen.“ Ein Psychotherapeut (Tilman Moser) beschrieb das als „Gottesvergiftung“. In Gesprächen hören wir Fragen wie zB: Warum ist Gott so abwesend, oder noch schlimmer: Wieso lässt er nicht locker? Ich halte mich an seine Gebote, warum hält er sich nicht an seine Verheißungen? Warum kommt zum Versagen auch noch Schande hinzu? Warum hilft der Glaube nicht, sondern macht alles nur komplizierter? – Dazu sagt die jüdische Bibel nicht: „Schweig und krieche vor deinem Gott!“ Vielmehr sagt sie: „Du wirst mit deinem Protest gegen Gott von Gott ernst genommen. Er verstößt dich nicht, selbst wenn Du ihm abschwörst. Er hat dich berufen, damit aus seinem Zorn und deinem Zorn eine neue Glut wird. Eine Glut, die zum Glück führt und eine Bereinigung, die neue Knospen freigibt.“
Jeremia zum Beispiel kündigte ein Strafgericht Gottes an. Das traf vorerst nicht ein und so ließ ihn der Priester namens Paschhur in Ketten legen. Als aber dann die Babylonier über Israel hinwegschwappten wie siedendes Wasser, kam Jeremia wegen dieser Katastrophe bzw der Erfüllung seiner Gerichtsprophetie frei. Das erlebte er als eine Bestätigung und Umarmung Gottes. – Mit Jeremia können wir uns nur wenig vergleichen, aber wir können staunen. Darüber, wie Gott unsere Depressionen auflösen kann, auch über unser erstes Scheitern hinaus. – Die heutigen Waffen der Kriegsherren sind Drohnen, und das Lieblingswerkzeug der Schreckensherrscher ist die Kettensäge. Da könnte der Prophet Jeremia uns vorschlagen, gemeinsam das Protestlied zu singen: „Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit.“ (EG 136,2)
In diesem Sinne ist und bleibt Gott anspruchsvoll, weil er mit jedem Einzelnen zugleich die ganze Welt meint. Als Beispiel dafür erzähle ich von Carola Rackete. Sie ist eine Umweltaktivistin und besitzt Kapitänspatente. Als der Kapitän des Schiffs „Sea Watch 3“ erkrankte, wurde sie vom Schiffseigner kurzerhand berufen, die Rettungsfahrten im Mittelmeer fortzustezen. Sie rettete 53 Schiffbrüchige, wofür sie unerlaubt in einen italienischen Hafen einfuhr. Sie wurde inhaftiert und musste mit einer 10jährigen Gefängnisstrafe rechnen. Dabei ist sie einer Berufung gefolgt, hatte ein humanitäres Ziel vor Augen und wurde selbst zu einer Verfolgten. Letztlich wurde sie freigesprochen und ist nun Abgeordnete im Europaparlament.
Der Prophet Jesus von Nazareth hat seine Berufung in seiner Taufe erfahren. Aber Tage später fand er sich in der Wüste wieder und wurde vom Widersacher gestresst und genötigt. Er wäre beinahe in der Einöde verglüht, doch dort fand er die Kraft, seinen Leidensweg anzutreten. Am Kreuz schrie er: „Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?“ und wusste sich darin einig mit Daniel in der Löwengrube und Hiob auf seinem Aschehaufen. – Doch Gott bleibt seinen Prophetinnen und Propheten treu. Nach 3 Tagen im Grab hat er seinen geschändeten Jesus wieder in die Arme genommen und aus dem Grab geführt. An Ostern gab er ihm seinen zweiten Einberufungsbescheid hinein in unsere Welt voller Zorn und Ängste. Diese Einberufung gilt auch uns. Dazu hilft uns die Erinnerung, dass wir vorher eine schlimme Krise überstanden haben.
Der Jünger Petrus hat es ähnlich erfahren. Er glühte vor Jesusliebe und dennoch verleugnet er ihn dreimal. Er leidet an der Wut gegen sich selbst und lässt seinen heißen Tränen freien Lauf. Eigentlich kann er sich gleich mit Jesus begraben lassen. – Doch wie blickt Gott nun auf ihn? Noch aus dem leeren Grab heraus erhalten die Frauen den Bescheid: „Geht zu den Jüngern und zu Petrus!“ Petrus, der Versager, wird als Botschafter und Hirte gebraucht, denn nun ist er frei für eine neue Berufung. – So wird die Auferstehung Jesu für uns sein: Gott beendet unser Verzagen. Er beruft uns neu und anspruchsvoll. Das ist die Botschaft des Alten und Neuen Testaments. Er schenkt Neues Leben nach einem inneren Absterben. Neue Genesung nach einer Gottesvergiftung. Neues Osterlicht nach der Gottesfinsternis auf Golgatha. Amen
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Liedvorschläge:
Du hast uns, Her, gerufen
Freunde, dass der Mandelzweig
Unfriede herrscht auf der Erde
Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen
Oculi nostri (Taize)
Nada de turbe (Taize)
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Manfred Mielke, Pfarrer der EKiR im Ruhestand, geb. 1953, verheiratet, 2 Söhne. Sozialisation im Ruhrgebiet und in Freikirchen. Studium in Wuppertal und Bonn (auch Soziologie). Mitarbeit bei Christival und Kirchentagen, Partnerschaftsprojekte in Ungarn und Ruanda, Musiker und Arrangeur