Jeremia 23,16-29

· by predigten · in 1. So. n. Trinitatis, 24) Jeremia / Jeremiah, Aktuelle (de), Altes Testament, Beitragende, Bernd Giehl, Bibel, Deutsch, Kapitel 23 / Chapter 23, Kasus, Predigten / Sermons

Gott – nah und fern | 1. Sonntag nach Trinitatis | 02.06.2024 | Jer 23,16-29 | Bernd Giehl |

Wer spricht hier? Ein Mann den wir kennen. Die meisten jedenfalls. Jeremia heißt er. Er ist ein Prophet. Jedenfalls sagt er das von sich. Und der erste Satz, den wir von ihm hören, heißt: „Hört nicht auf die Propheten.“ Darf man so etwas sagen? Ist das nun Ironie? Ein Satz wie der „Alle Kreter lügen“, den jedenfalls kein Kreter sagen darf? Nein; ich glaube nicht. Dieser Ironie ist Jeremia nicht fähig. Dafür ist es ihm zu ernst.

Mir ist beim Nachdenken über diesen   Text ein berühmtes Bild eingefallen. Es stammt von Sigmar Polke und es zeigt ein schwarzes Dreieck auf einer weißen Fläche, das die Seite in zwei Teile zerlegt. Aber das Beste ist der Titel: „Höhere Wesen befahlen. Rechte obere Ecke schwarz anmalen.“

Natürlich ist das ein ironisches Bild. Polke ist kein Esoteriker, der sich von unsichtbaren Wesen sagen lässt, was er darzustellen hat. Und er hört auch ganz sicher nicht Stimmen. Was er damit sagen wollte ist eine Frage der Interpretation. Aber ganz bestimmt nicht, dass irgendjemand der Kunst dreinreden darf. Und sei es auch ein höheres Wesen.

Ein Maler der sich für seine Kunst auf höhere Instanzen beruft, es aber nicht so meint. Ein Prophet, der sagt: Hört nicht auf die Propheten. Sie wahrsagen falsch. Wo bin ich da nur hineingeraten?

Aber so stimmt das noch nicht. Nicht, wenn ich tiefer in mich hineinhöre. Bisher habe ich so getan, als stünde ich Jeremia neutral gegenüber. Das tue ich aber nicht. Ich stehe auf seiner Seite. Ich glaube ihm, wenn er sagt: die anderen Propheten, die versprechen: Es wird kein Unglück von Seiten des Herrn kommen, die sind nicht von Gott gesandt. Die arbeiten auf eigene Rechnung. Die legen Wert auf die Anerkennung durch die Menschen aber um Gott geht es ihnen nicht. Die tun nur so als ob sie von Gott gesandt sind.

Aber ist das nicht allzu menschlich? Den Botschaftern des Heils zu glauben und den anderen eben nicht? Sagen wir es einmal so: Diese Botschaft: Es wird schon alles nicht so schlimm kommen, die würden wir auch gern hören. Das geht Menschen zu allen Zeiten so. Aber zugleich stehen viele drohende Zeichen an der Wand. Man bräuchte einen, der sie deuten könnte.

Jeremia ist keiner, der sein Amt von 9 bis 17 Uhr ausführt, zwischendurch die Bleistifte spitzt und sich dann in den Schaukelstuhl setzt und für niemanden zu sprechen ist. Wenn man sich ein bisschen näher mit ihm beschäftigt, merkt man wie schwer ihm das fällt, Prophet zu sein. Weil Prophet sein nicht nur nicht heißt, im Auftrag des Volkes Israel zu handeln und ihm eine gute Zukunft zu prophezeien, sondern im Gegenteil: im Auftrag Gottes zu sprechen ohne irgendeine Legitimation durch ein Amt oder einen Titel, und dabei auch vielem zu widersprechen, was Israel glaubte und was die Priester verkündigten. Man kann das wunderbar im Umfeld dieses Kapitels studieren. Natürlich stellt sich bei einem Propheten, der zwar behauptet, von Gott gesandt zu sein, aber dann doch nur Unheil ankündigt, die Frage, wer denn nun Recht habe, er oder die anderen. Wenn man dann an einen Gott glaubt, der seinem Volk nahe ist, muss man fast zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass Jeremia die Unwahrheit redet. Wobei es ebenso tollkühn von Jeremia wie folgerichtig ist, dass er Gott sagen lässt: „Bin ich nur ein Gott der nahe ist und nicht auch ein Gott. der ferne ist?“ Oder anders: Muss Gott nicht auch das Böse bestrafen, wenn er will, dass es aufhört? Muss er nicht manchmal auch der Hammer sein, der Felsen zerschlägt?

Vermutlich muss er das. Egal was wir denken: wenn wir erst einmal so weit sind, geht es von ganz allein weiter. Der Konflikt wird sich verhärten. Die Geschichte hat Jeremia recht gegeben. Die Babylonier haben Israel erobert, wie Jeremia es vorausgesagt hatte. Sie haben einen Teil des Volkes weggeführt und das Gebiet ihrem Land unterworfen. Hernach war Israel nie mehr selbständig, sondern immer nur Provinz wechselnder Reiche. Jeremia hätte darüber froh sein können, aber das war er keineswegs. Er hat unter der Botschaft, die er zu verkündigen hatte, furchtbar gelitten. Am liebsten hätte er seine Botschaft weggeworfen wie eine unnütze Last. Nur dass er das nicht konnte. Von den anderen Propheten wissen wir das nicht. Das macht ihn zur Ausnahme. In Babylon verliert sich seine Spur.

Ist er uns fern dieser Prophet? Wohl kaum. Die Krisen die er ankündigt, die kennen wir nur allzu gut. Wie auch anders. Die Großmacht die uns bedroht heißt nicht Babylonien, sondern Russland und ob der Krieg in der Ukraine auch auf Europa übergreift muss die Zeit zeigen. Dabei kommt es wahrscheinlich nicht darauf an, ob Europa Waffen geliefert hat, sondern nur, wie entschlossen Russland ist, wieder zur Sowjetunion zu werden. Ob es also einen Atomkrieg riskiert oder nicht.

Oder man könnte von der Krise reden, die der Aufstieg der AFD für Deutschland in sich birgt. Würden dann, falls die AfD an die Macht kommt, die Menschen ohne deutschen Pass in ihre Herkunftsländer abgeschoben? Und was würden dann die Herkunftsländer dazu sagen? Würden die sich das einfach gefallen lassen? Würde das vielleicht ebenfalls Krieg nach sich ziehen, mindestens aber eine Krise ungeahnten Ausmaßes? Abgesehen davon, das hier alles zusammenbräche, weil es keine Busfahrer, keine Bäcker und keine Altenpfleger mehr gäbe.

Dazwischen die Stimmen der Propheten. Die einen die sagen: Das wird schlimm enden. Wir müssen aufhören, Waffen an die Ukraine zu liefern. Wir müssen möglichst bald Frieden mit Putin schließen, sonst richtet der seine Kanonen auf uns. Und die anderen sagen: Wenn wir jetzt Frieden schließen hat Putin gewonnen. Dann greift er als nächstes die NATO an.

Was Jeremia zum Ukraine Krieg sagen würde, ist mir nicht klar. Eher schon zur AfD. Er würde darauf hinweisen, dass es in diesem Land schon einmal eine furchtbare Fremdenfeindschaft gegeben hat und was für schreckliche Konsequenzen daraus erwuchsen. Aber am Ende müssten wir ja sowieso entscheiden. Da könnten wir Jeremias Worte nur als Ratgeber benutzen. Für unsere Gegenwart sind sie jedenfalls nicht unmittelbar gesprochen.

Und doch möchten wir irgendeinen Trost oder Hilfe aus den Worten des Jeremia beziehen. Das kann doch nicht sein, dass er uns ohne irgendeinen Trost zurücklässt. Da muss doch noch irgendetwas kommen.

Aber er sagt nichts mehr. Abgesehen davon, dass es immer ein Abenteuer ist, einen alten Text auf heute zu beziehen und Antworten von ihm aus zu geben. Vielleicht sollten wir uns doch einen leichteren Text suchen.

Also keine Antwort? Keine direkte jedenfalls. Allenfalls ist es sein Mitleid. Der Prophet leidet darunter wie Gott handelt. Oder daran, was er geschehen lässt. Ob Gott nicht doch eingreifen und den Wahnsinn stoppen könnte? Ich weiß nicht, ob man davon reden könnte, dass Jeremia mit Gott ins Gericht geht Er weigert sich auch nicht, Gottes Botschaft auszurichten. Er redet sie ihm nicht einmal aus. Er klagt nur über die Last, die es bedeutet, sie Israel ausrichten zu müssen. Die anderen sollen nicht mehr von der „Last Gottes“ reden. Weil sie sie ja nur abstrakt spüren. Während er selbst fast daran zerbricht.

Es ist das Leiden an seinem Auftrag das ihn so sympathisch macht. Ein Leiden, das ich schon selbst Antwort nennen möchte.

Und wenn wir dieses Leiden nun auf Gott selbst beziehen? Vielleicht kann er das Böse nicht ändern. Vielleicht ist er nicht so allmächtig wie wir gedacht haben. Oder nicht immer. Aber wäre das nicht auch schon etwas, wenn er mittrauerte?

So jedenfalls möchte ich dieses Kapitel für unsere Gegenwart übersetzen. Gott leidet nicht nur an uns. Er leidet auch mit uns. Daran, dass er uns nicht von unseren bösen Wegen abbringen kann. Daran, dass wir aus unserer Vergangenheit nichts lernen. Aber vielleicht findet er noch einen Weg mit uns.

Nein ich kann ihnen nicht versprechen, dass Gott schon in irgendeiner Weise eingreifen wird. Würde ich es tun, so wäre ich ein Prophet wie Jeremia ihn begreift. Aber die Härte ist schwer zu ertragen.

Ich möchte die Situation in einem Lied zusammenfassen, das ich neulich gehört habe. Soweit ich weiß, stammt es von den Beatles. Es heißt „My sweet Lord“. Ein kleiner Chor übernimmt dabei den Refrain der Glaubensvergewisserung indem er singt: „Oh, my Lord. My sweet Lord“. Eine Solostimme singt dagegen, dass sie den Herrn nicht finden kann. Dass er sich verbirgt.  Aber das ganze passiert in schöner musikalischer Harmonie. Keine Stimme ist stärker als die andere.

Auch Musik kann manchmal helfen wenn anderes nicht weiterhilft.