
Jesaja 35,1-10
Habt keine Angst! Gott kommt, er korrigiert das Unrecht, das Menschen seinen Leuten zugefügt haben, ER hilft! Deshalb könnt ihr euch auf den Weg machen! | 2. Advent | 8. 12. 2024 | Jes 35,1-10 | Winfried Klotz |
35,1 Die Wüste und Einöde wird frohlocken, und die Steppe wird jubeln und wird blühen wie die Lilien. (Kap 32,15)
2 Sie wird blühen und jubeln in aller Lust und Freude. Die Herrlichkeit des Libanon ist ihr gegeben, die Pracht von Karmel und Scharon. Sie sehen die Herrlichkeit des HERRN, die Pracht unsres Gottes.
3 Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! (Hebr. 12,12)
4 Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
5 Dann werden die Augen der Blinden aufgetan und die Ohren der Tauben geöffnet werden. (Kap 29,18)
6 Dann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch, und die Zunge der Stummen wird frohlocken. Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen und Ströme im dürren Lande.
7 Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen, und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein. Wo zuvor die Schakale gelegen haben, soll Gras und Rohr und Schilf stehen. (Kap 41,18)
8 Und es wird dort eine Bahn sein, die der heilige Weg heißen wird. Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen; auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren. ((8-10) Kap 56,3-8; Jer 31,8)
9 Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen; sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
10 Die Erlösten des HERRN werden wiederkommen und nach Zion kommen mit Jauchzen; ewige Freude wird über ihrem Haupte sein; Freude und Wonne werden sie ergreifen, und Schmerz und Seufzen wird entfliehen. (Kap 51,11; Offb 21,4)
Liebe Gemeinde!
Ein wunderschönes Bild wird in unserem Abschnitt Jes 35,1-10 gemalt:
Die Wüste, das menschen- und lebensfeindliche Land wird zu einem Paradiesgarten. Dort ist Freude und Jubel, Herrlichkeit und Pracht! Nicht mehr Kargheit, tötende Hitze, Trockenheit, die alles Leben bedroht und töten kann.
Wer schon einmal in Israel war und nach einem Regenguss im Februar in das Bergland zwischen Jerusalem und dem Jordantal gefahren ist, der weiß, dass dieses wunderschöne Bild nicht pure Fantasie ist. Die Wüste Juda blüht, wenn es geregnet hat, und sie ist belebt von durchziehenden Vogelschwärmen, z.B. von Störchen. Da ist dann Herrlichkeit und Leben!
Da ist dann die Herrlichkeit des Herrn zu sehen, die Pracht unseres Gottes!
Dem Propheten ist dieses Bild der blühenden Wüste Verheißung für das leidende, von Angst gelähmte Volk. Es wird nicht so bleiben, ihr werdet nicht für immer festgehalten werden in der Wüste eurer Angst, Schwermut, Perspektivlosigkeit. Aus eurer Wüste wird ein Garten Eden werden. Gott gibt erfülltes Leben. ihr werdet die Herrlichkeit des Herrn, die Pracht unseres Gottes sehen! Ganz plötzlich verwandelt sich die Wüste in einen Garten, es braucht nur den Regen. Ganz plötzlich kann Gott die Situation der Schwermut, die Erfahrung, mein Weg ist nicht nur schwierig, sondern ich bin wie eingemauert, aufbrechen, sodass Kraft, Mut und eine neue Sicht mir gegeben ist.
Wir wissen, liebe Gemeinde, nicht genau, in welche konkrete Situation hier prophetisch gesprochen wurde. Wir sehen aber im weiteren Gang unseres Textes, dass es um Ermutigung zu einem neuen Zug durch die Wüste geht. Gott befreit sein Volk und sie dürfen jetzt endlich nach Hause kommen, dahin, wo Gottes Nähe sie immer neu jubeln und dankbar sein lässt.
Geschichtlich passt dies ins späte 6. Jahrhundert vor Christus, wo die nach Babylon Verschleppten wieder nach Jerusalem zum Zion zurückkehren durften.
Diese Rückkehr war keine leichte Sache: Es galt, den Entschluss zu fassen, das im Zweistromland aufgebaute Leben zu verlassen, den gefährlichen Weg nach Jerusalem auf sich zu nehmen und dort unter unsicheren Bedingungen neu anzufangen. Woher nimmt man den Mut neu anzufangen, woher den Glauben, dass Gott mit gehen wird?
Im Jesajabuch finden sich mehrfach Worte, die Mut machen zum Neuanfang, weil Gott den Weg dazu geebnet hat, weil Gott ihn ermöglicht! (Kap. 40; 43; 52 und öfter.) Unser Predigtwort sagt: „Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie! Sagt den verzagten Herzen: ‚Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache; Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.‘“ (V. 3+4) Übertragen:
Habt keine Angst! Gott kommt, er korrigiert das Unrecht, das Menschen seinen Leuten zugefügt haben, ER hilft! (V. 4) Deshalb könnt ihr euch auf den Weg machen!
Liebe Gemeinde, wir sind mit diesen adventlichen Worten, mit diesen Worten, die Gottes Kommen und Eingreifen ankündigen, und die so Menschen in Bewegung bringen wollen, verbunden durch Jesus Christus. Wir sind nicht das jüdische Volk damals vor 2600 Jahren, das sich nach dem Land der Herkunft sehnte. Aber leben wir nicht auch in einer adventlichen Spannung? Jesus wird uns als der von Gott gesandte Herr und Retter angesagt, der nicht nur gestorben und auferstanden ist, sondern zum Heil der Welt wiederkommen wird. Das ist die große Perspektive; in kleiner Münze ausgedrückt: Jesus, Herr und Retter, wie geschieht das heute auf unserem Weg in seiner Spur? Was dürfen wir von ihm erwarten? Greift Jesus ein, führt er uns, oder ist es nur ein Moment der Hoffnung auf eine gute Zukunft?
Wir suchen Hilfe, auf uns lasten persönliche Fragen, wir müssen Entscheidungen treffen, welchen Weg sollen wir gehen? Vielleicht befinden wir uns auch in einer ähnlichen Defizitlage, wie das jüdische Volk damals im Exil. Was erwarten wir von der Zukunft? Vielleicht haben wir auch schon eine Entscheidung getroffen und suchen Ermutigung für unsere Wahl. Gott wird doch mit uns gehen, uns den Weg ebenen, so wie es in unserem Wort dem jüdischen Volk zugesagt ist – oder?
Die Dinge sind kompliziert und sie waren es auch damals. Aber es gab Wegzeichen: der Perserkönig Kyros erlaubte die Rückkehr nach Jerusalem (Esra, Kap. 1) und man erinnerte sich an Jeremia, der eine Rückkehr nach siebzig Jahren angesagt hatte. Dazu kamen prophetische Ermutigungen, wie sie unser Abschnitt macht. Aber die Exilierten hatten Häuser gebaut und Gärten gepflanzt, sich eingepasst in die Verhältnisse und ihren Lebensunterhalt verdient. Und sie hatten keinen persönlichen Bezug zu Jerusalem als dritte Generation. Nach Jerusalem zurückkehren, eine schwierige Entscheidung.
Auf uns als adventliche Menschen bezogen: Gibt es Wegzeichen auf unserem Weg? Erfahren wir eine Antwort, wenn wir beten und die Bibel lesen? Gibt es Ermutigungen von Schwestern und Brüdern? Wir suchen Gottes Hilfe, aber – ich drehe die Sache um – braucht Gott zuerst unsere Hilfe, ehe er uns helfen kann? Oder will er, dass wir unsere Erwartungen loslassen und uns ins Vertrauen auf ihn, in seinen guten Willen stellen?
Machen wir den Gott, der uns durch Jesus mit sich verbunden hat, nicht zum Spielball unserer Wünsche nach einem guten Leben, aber rechnen wir mit ihm auf den ungewissen Wegen des Lebens, auf dunklen Pfaden, wenn uns kein Licht scheint. Rechnen wir mit ihm! „Der das Ohr gepflanzt hat, sollte der nicht hören? Der das Auge gemacht hat, sollte der nicht sehen?“ (Psalm 94, 9)
Habt keine Angst! Gott kommt, er korrigiert das Unrecht, das Menschen seinen Leuten zugefügt haben, ER hilft! (V. 4) Deshalb könnt ihr euch auf den Weg machen!
Wenden wir uns der großen, adventlichen Perspektive zu, die in den Evangelien beschrieben wird. Z. B. Lk 21 (27-28): „Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn aber dieses anfängt zu geschehen, dann seht auf und erhebet eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.“ Es ist uns als Lesung für den 2. Advent gegeben.
Kopf und Herz sträuben sich bei diesen Worten; Jesus kommt wieder als Menschensohn, als der, dem Gott alle Macht gegeben hat. Erlösung, Rettung, Gericht, die die Wirklichkeit unseres Lebens und dieser Welt völlig verändern, das ist nur schwer vorstellbar. Was das betrifft, begnügen wir uns meist mit irgendeinem jenseitigen, rein geistigen Geschehen, das nach unserem Tod kommt. Wir setzen unser Vertrauen auf die unsterbliche Seele und darauf, dass unsere Bosheit im irdischen Leben im Jenseits vergessen ist.
Die Bibel sieht diese Dinge anders, sie nimmt die diesseitige Wirklichkeit der Welt ernst, rechnet aber mit ihrer Verwandlung durch Gericht und Gnade. Hier wird Erlösung, Rettung nicht aufgelöst in den Reigen seliger Geister.
Wie und wann das sein wird, das weiß ich nicht. Dass es sein wird, ist unverzichtbarer Bestandteil unseres Glaubens. Wir bekennen es im apostolischen Glaubensbekenntnis. Wir würden auch leugnen, dass Jesus auferstanden ist; das ist nach biblischem Verständnis nicht ein Weiterleben der unsterblichen Seele, sondern Verwandlung durch Gott in ein Leben in Gottes Weise.
Lassen wir uns erinnern: Habt keine Angst! Gott kommt, er korrigiert das Unrecht, das Menschen seinen Leuten zugefügt haben, ER hilft! (V. 4) Deshalb könnt ihr euch auf den Weg machen!
Unser biblisches Wort will uns in Bewegung bringen auf Gottes Ziel hin; bildlich gesprochen, auf sein Reich und auf das himmlische Jerusalem hin. Gott will uns nicht nur nahe sein, wenn wir Hilfe brauchen, er will, dass wir auf Jesus schauend, vorangehen, durch die Zeit zur Ewigkeit. Das bedeutet: Unser Christenleben kann sich nicht darin erschöpfen, dass wir sagen: Wir glauben an Jesus Christus, den Auferstandenen, an sein Kommen in Herrlichkeit, an die Erlösung durch ihn, aber zugleich versacken wir im Trott des Lebens; unsere Lebensziele reichen nur bis zum nächsten Urlaub, der nächsten Anschaffung, der nächsten Beförderung mit dem höheren Verdienst. Was ist das für ein Christsein, wenn unsere Ziele identisch sind mit gutbürgerlichen Vorstellungen vom erfolgreichen, guten Leben? Lassen wir uns doch nicht den Kopf vernebeln und das Herz gefangen nehmen durch das, was wir haben und erreichen müssen, oder auch durch die Angst vor dem, was uns geschehen und was wir verlieren könnten.
Gott sorgt für uns, sorgen wir uns um IHN, um seine Anliegen! Lassen wir uns also nicht lähmen, weder durch Gewinn noch durch Verlust. Es soll uns nichts binden und nichts entmutigen. Fragen wir uns: Wo bin ich unfrei, gebunden? Wo quält mich mein Gewissen? Wo bin ich durch mein Tun in Unrecht verstrickt? Und was bedeutet es dem gegenüber, dass Gott in Jesus Christus gekommen ist als Retter und Richter?
Christen leben unter der Regierung des kommenden Herren, in allem gehören wir IHM, nicht uns selbst, nicht anderen Menschen, auch nicht unserem Geld oder Gut, unserem Beruf oder Hobby. Das ist Freiheit! Das ist die feste Straße, der heilige Weg.
So kommen wir nach Hause, und damit meine ich nicht unseren Tod, sondern das Leben in der sichtbaren Erlösung und Erneuerung, wenn unser Herr kommt. Bis dahin gehen wir auf diesem heiligen Weg. Jesus hat gesagt: „Ich bin der Weg.“ (Joh. 14, 7)
Amen.
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Winfried Klotz, Pfr. i. R. Bad König/ Odenwald; verh. 3 erwachsene Kinder und ein Enkelkind. Theol. geprägt von Otto Michel und Hans J. Iwand, Mitglied Pfarrgebetsbund.