Jesaja 35,3–10

· by predigten · in 2. Advent, 23) Jesaja / Isaiah, Aktuelle (de), Altes Testament, Beitragende, Bibel, Deutsch, Eberhard Busch, Kapitel 35/ Chapter 35, Kasus, Predigten / Sermons

Seid getrost! | 2. Advent | 8. Dez. 2024 | Jes 35,3–10 | Eberhard Busch |

Stärkt die schlaffen Hände und festigt die wankenden Kniee! Sagt zu denen, die verzagten Herzens sind: Seid getrost, fürchtet euch nicht! Siehe da euer Gott! Rache zu üben kommt er; es kommt die Vergeltung Gottes; er selbst kommt und hilft euch. Alsdann werden die Augen der Blinden aufgeschlossen, und die Ohren der Tauben werden aufgetan. Alsdann werden die Lahmen springen wie ein Hirsch und die Zunge des Stummen wird jauchzen; denn in der Wüster brechen Wasser hervor und Bäche in der Steppe und der glühende Sand wird zum Teiche und das durstige Land zu Wasserquellen. An der Wohnstatt, wo Schakale lagerten, ist eine Stätte mit Rohr und Schilf und dort wird eine reine Straße sein und „Heilige Wege“ wird man sie nennen. Kein Unreiner wird sie betreten – sie gehört seinem Volk, wenn es einher zieht, und die Toren werden nicht auf ihr irregehen. Dort wird kein Löwe sein und kein reißendes Tier wird hinansteigen, keins ist dort zu treffen; sondern Erlöste werden darauf gehen und Befreite des Herrn werden heimkehren und nach Zion kommen mit Jauchzen, ewige Freude über ihren Häuptern, Freude und Wonne wird bei ihnen einkehren und Leid und Seufzen werden fliehen.

Hören wir in diesem Bibeltext vor allem die freundliche Einladung an uns: Seid getrost! Fürchtet euch nicht! Ach, es gibt vieles, was einen trostlos anblickt und was uns mit Mutlosigkeit anstecken möchte, mit grimmiger Faust oder mit feinen Nadelstichen. Da ist manches, was kräftezehrend für uns ist, was uns nachts den Schlaf raubt, was wir verdrängen wollen und nicht verdrängen können, – wer kennt das nicht? Bitte, lassen wir uns jetzt nicht davon kopfscheu machen! Denn es gibt einen guten Grund, der Wucht der Eindrücke nicht nachzugeben. Denn hier ist Einer, der uns kennt und der uns besser kennt als wir uns selbst. Der weiß, was wir brauchen. Der spricht uns gut zu: Seid getrost! Und sagt es so, dass er schafft, was er sagt, so dass unsere „schlaffen Hände“ rüstig und unsere „wankenden Kniee“ tragfähig werden.

Der Basler Theologe Karl Barth telefonierte am letzten Tag seines Lebens mit seinem Freund Eduard Thurneysen und sie sprachen über die schon damals bedrohliche Weltlage. Aber dann sagte er zuletzt die Worte, die wie eine Auslegung von dem Zuspruch klingen: „Seid getrost“ – nämlich: „Nur nicht die Ohren hängen lassen! Es wird regiert.“ Also: so wie ein wachsamer Hund die Ohren aufgerichtet hat, so dürfen wir wachsam sein, dass wir in allem Trubel dies nicht übersehen: Es wird regiert! Was auch immer geschieht, „Gott sitzt im Regimente / und führet alles wohl.“ Gott ist nicht tot. Er lebt. Er hat nicht abgedankt. Und selbst, wenn wir blind und taub dafür sind, er hält die Zügel in seiner Hand.

Gut, aber da steht nun mittendrin ein Wort, das uns blind und taub dafür machen kann – das Wort „Rache“. Vielleicht steckt in uns selbst offen oder verborgen ein Rachegelüste. Es gibt sogar Zeitungen, in denen das Wort „Rache“ oder „Hass“ regelmäßig vorkommt. Überrascht es uns da nicht, dass es in der Heiligen Schrift in der Regel im Mund von Menschen nicht erscheint, stattdessen im Munde Gottes?! So, wie in unsrem Predigttext: „Siehe da euer Gott! Rache zu üben kommt er; es kommt die Vergeltung Gottes.“ Das heißt: Rache ist nicht unsere Sache. Überlassen wir das ganz und gar dem lieben Gott! Er ist allein dafür zuständig. „Die Rache ist mein“, sagt Gott in unserer Bibel (Dtn 32,45), so als ob wir einen Diebstahl begehen, wenn wir Rache üben.

Aber der liebe Gott? Er übt Rache? Wie können wir das zusammenreimen? Verstehen wir es recht! Es geht nicht darum, dass wir Gott eine Drecksarbeit in die Schuhe schieben, während wir die Hände in Unschuld waschen. Darum geht es, dass Gott ein anderes tut als das, was Menschen in Rache und Hass tun. Er tut es so, wie wir es beim Propheten Hosea (11,8) als Gottes Wort lesen: „Mein Herz kehrt sich um in mir, all mein Mitleid ist entbrannt: Ich will meinen glühenden Zorn nicht vollstrecken. Denn Gott bin ich und nicht ein Mensch, heilig in deiner Mitte, doch nicht ein Vertilger.“ Hören wir dazu den Apostel Paulus! Der zitiert das „mein ist die Rache“, aber legt das so aus: „Überwinde das Böse mit Gutem.“ (Röm 12,18f) Jedenfalls Gott vollbringt das – wie wir das jetzt im Advent singen: „Er ist gerecht, ein Helfer wert, Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, … Sein Zepter ist Barmherzigkeit“. Sein Zepter! – ja, „es wird regiert“, aber unter der Devise: Barmherzigkeit. Gott sagt auch Nein, aber in seiner Güte.– Er schaut nach dem Rechten, er eilt umher, ist überall gleichzeitig, aber sein Gefährt, sein Wagen ist Sanftmütigkeit. Er ist gerecht, verurteilt das Verkehrte zum Verschwinden, auf Nimmer-Wiedersehen, und gerade so ist er hilfsbereit. In einem Adventslied von Jochen Klepper heißt es sogar: „Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.“

Wenn das geschieht, löst das eine phantastische Kettenreaktion aus. Das hat lauter Gutes im Gefolge – so gewiss, wie dem Frühling der Sommer folgt. Das Gute setzt Gott ein, um das Böse auf die Seite zu setzen. Diese Kettenreaktion hat köstliche Konsequenzen – für uns, für unsere Mitmenschen, ja., für unsere ganze Umgebung, ja, für alle Geschöpfe. Wenn Gott seinen Segen gibt, dann werden Blinde zu weitsichtigen Blinden und werden Stocktaube zu hellhörigen Gehörlosen und werden Lahme zu flinken Gehbehinderten. Und nicht genug: der geschädigte Wald zeigt lauter verschonte Bäume, die uns drohenden Wüsten werden zu biologisch wertvollem Ackerland und der menschenfressende Löwe wird ein verträglicher Geselle in der bunten Schöpfungswelt; kein Schießgewehr nimmt ihn mehr aufs Korn.

Ist das alles ein bloßer Wunschtraum des Propheten, bei dem der Wunsch der Vater des Gedankens ist? Ein Traum, bei dem man im Erwachen feststellen muss, dass die Welt eine andere ist? Sind Träume Schäume? Halt! Gehen wir nicht leichtfertig mit Träumen um! Was haben wir gegen Träume? Sie enthalten zuweilen mehr Wahres als Fernsehnachrichten. Sie zeigen uns jetzt eine Welt, in der das getan wird, was uns schon in den Anfängen unserer Bibel aufgetragen wird: „Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst“ (3Mose 19,34). Und wie liebt man ihn am besten? So, dass man dafür einsteht, dass er gut bei uns ankommt, dass er bei uns heimisch wird. Der Philosoph Friedrich Nietzsche hat gedichtet: „Bald wird es schnei‘n / Wohl dem, der jetzt noch eine Heimat hat.“ Hier sind wir an einem Ort, an den wir hingehören, ein Zuhause, in dem wir behütet sind, ein Daheim, in dem wir singen, wie es in den Psalmen (126) heißt: „Als der Herr wandte das Geschick Zions, da waren wir wie Träumende, da war unser Mund voll Lachens.“

Achten wir noch darauf, dass die Vision im alttestamentlichen Buch des Propheten Jesaja im Neuen Testament wieder aufgegriffen wird. Es ist Jesus, der mit dessen Worten sein Wirken beschreibt: „Blinde werden sehend, und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, Tote werden auferweckt und Armen wird die frohe Botschaft verkündet. Selig, wer an mir keinen Anstoß nimmt.“ (Mt 11,3) Warum sollten wir seine so grundlegende Liebe abstoßend finden? Ist sie nicht vielmehr attraktiv? Denn damit sagt er ja: „Dass unser Vater im Himmel dafür sorgt, dafür stehe ich gerade. Dafür lege ich meine Hand ins Feuer. Dafür gebe ich mich hin.“ Lasst uns dafür danke sagen in unserem Denken und Tun!


Eberhard Busch