
Jesaja 55,1-3b
2. Sonntag nach Trinitatis | 24. Juni 2001 | Jesaja 55,1-3b | Andreas Kern |
Na los, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und ihr, die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft – ohne Geld und umsonst – Wein und Milch! Warum bezahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist, und euer Sauer-Verdientes für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Spitzt eure Ohren und kommt her zu mir! Hört zu, so werdet ihr leben!
Liebe Gemeinde,
einen Marktschreier höre ich da, in diesem Stück Bibeltext aus dem Jesajabuch. Einen Marktschreier, der seine Waren anpreist, der sie vergleicht mit den Angeboten der anderen – und natürlich sind seine Produkte denen der Konkurrenz deutlich überlegen.
Aber doch ein besonderer Marktschreier: einer nämlich, der offensichtlich etwas verschenken will, oder jedenfalls ohne Geldleistung verkaufen: „Die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft – ohne Geld und umsonst – Wein und Milch!“
Der Prophet Jesaja als Marktschreier? Oder gar Gott als Marktschreier? Das ist vielleicht eine merkwürdige Vorstellung, aber das kommt der geschilderten Szene doch recht nahe.
Das ganze spielt in Babylon. Die Menschen des Gottes Israels leben – unfreiwillig – im Ausland. Sie haben sich eingerichtet, haben sich daran gewöhnt, in einer Hochkultur zu leben mit einem gewissen Luxus, an dem auch sie, die Fremden, teilhaben konnten. Viele Angebote gibt es: Götter, Geld und Ideologien im Überfluß. Der Euphrat, breit und träge, überflutet regelmäßig die Felder, bringt eine Fruchtbarkeit, aus der Nahrung wächst. Handwerk und reger Handel verteilen den Wohlstand auf die breite Masse, Dienstleistungen werden nachgefragt.
Warum also klagen? Ist nicht für alle und alles gesorgt?
Vielleicht spielt das ganze auch hier bei uns: bei den Christenmenschen mitten in Europa. Wir haben uns eingerichtet, haben uns daran gewöhnt, in einer Hochkultur zu leben mit einem gewissen Luxus – an dem sogar die Fremden teilhaben können. Viele Angebote gibt es: Götter, Geld und Ideologien im Überfluß. Kaum einer muß noch für den eigenen Bedarf Nahrungsmittel anbauen, die Wirtschaft in ihrer Vielfältigkeit bringt Wohlstand für die allermeisten. Handwerk und reger Handel verteilen ihn auf die breite Masse, Dienstleistungen werden nachgefragt.
Warum also klagen? Ist nicht für alle und alles gesorgt?
Da kommt doch ein Prophet und sagt: „Na los, ihr, die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft – ohne Geld und umsonst – Wein und Milch! Warum bezahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist, und euer Sauer-Verdientes für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Spitzt eure Ohren und kommt her zu mir! Hört zu, so werdet ihr leben!“
Sind unser Bäuche satt und träge? Was kann da gemeint sein? Von Essen und Trinken ist die Rede, aber wir ahnen, daß es um was anderes geht, nämlich um das, was eigentlich wichtig ist im Leben: um Nahrung für die Seele, für das Gemüt, für das Herz.
Das bezeichnet der Prophet als Brot, als Wasser, Wein und Milch, als Köstlichkeit. Nahrung für die Seele: „Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Spitzt eure Ohren und kommt her zu mir! Hört zu, so werdet ihr leben!“
Da geht es um etwas, das wir hören können! Worte, die heil machen, heil machen von innen! Gottes Weisung und Verheißung für uns, seine Zuwendung, seine Sehnsucht nach uns. Und es geht um unsere Sehnsucht nach ihm.
Wenn wir uns überlegen, was wir brauchen zu Leben, dann ist da vieles wichtig: Arbeit, Einkommen, Wohnung, natürlich auch Essen und Trinken. Aber das alles macht doch kein Leben aus, wenn nicht noch etwas dazukommt: die Gemeinschaft der Menschen ist wichtig. Feiern ist wichtig, Perspektiven haben, und Glaube, Hoffnung und Liebe.
Merken Sie, daß das alles in den Bereich gehört, den man für Geld, nicht kaufen kann? Daß das alles Sachen sind, die man nicht essen kann, die aber als Nahrung für die Seele wichtig sind? Dann verstehen Sie, was der Prophet meint mit diesen Worten: „Warum bezahlt ihr Geld für das, was kein Brot ist, und euer Sauer-Verdientes für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.“
Und daß er auch die Armen, die kein Geld haben, auffordert: „Na los, ihr, die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und eßt! Kommt her und kauft – ohne Geld und umsonst – Wein und Milch!“
Und alle zusammen einlädt: „Spitzt eure Ohren und kommt her zu mir! Hört zu, so werdet ihr leben!“
Köstliche Speise, Nahrung für die Seele: das ist für uns – wie für die Menschen damals – das Wort Gottes. Was wir kaufen können, das macht nicht satt in diesem übertragenen Sinn. Was wir erarbeiten, befriedigt da nicht. Der Mehrwert wir im Vergleich deutlich: das wahre Lebensmittel ist nichts für die Kehle, sondern für die Seele. Gottes Wort ist ein echter „Ohrenschmaus“. Und das Geheimnis seiner Qualität liegt natürlich in seiner Herkunft; da hat der Marktschreier recht. „Hört auf mich und esst Gutes!“
Wer teilt es aus? Gott selbst ist es, der ruft und einlädt! Wer dem Wort Gottes seine Ohren schenkt, den führt es zur lebendigen Begegnung mit dem Sprecher: In Wasser, in Wein und in Milch, den Zeichen des Lebens und der Liebe, und zuletzt im Überfluß des Köstlichen, des fetten Mahles, bietet der Schöpfer sich selbst an. Er will nicht nur tun, was er sagt, sondern er will auch sein, was er sagt. Zum Schluß gibt er sein bestes Versprechen: er gibt sich selbst als Labsal für die Seele. Sein Bund ist ein Liebesversprechen für uns. Ohne Verfallsdatum. Ewig.
Diese Verbindung ist nicht kündbar. Deswegen bemüht er sich immer wieder um uns. Auch in solchen Sätzen wie denen, die wir jetzt wieder hören vom Propheten Jesaja, die Gott durch ihn zu uns spricht, über die Jahrtausende und die räumliche Distanz hinweg. Denn beides ist für Gottes Liebe kein Hindernis: „Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.“
Für uns Christenmenschen ist als Erfüllung des Jesaja-Wortes Christus gekommen. Er war das Wort Gottes in einem Menschen. Er hat vorgelebt, wie Gott es meint mit uns: daß er uns annimmt, so wie wir sind, und uns – ohne unser Zutun und ohne daß wir das verdient hätten – noch etwas dazuschenkt: eine Begleitung fürs Leben, die sozusagen die endgültige Kameradschaft ist, und die Hoffnung auf Zukunft. Das ist mehr als leibliches Wohlergehen und Spaß; das ist Leben in seiner ganzen Fülle – erfülltes Leben. Und Jesus hat uns gezeigt, wie Gott uns aus Liebe immer wieder anziehen will, zu sich hinziehen, und uns eben solche Verheißungen macht: „Hört doch auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben.“
Und schließlich hat Jesus sich stark gemacht für das Leben in seiner Unvollkommenheit: er hat Gottes Gemeinschaft, Gottes Kameradschaft mit den Menschen am Rand oder außerhalb der etablierten Gesellschaft vorgelebt. Er hat gezeigt, daß Gottes Liebe auch den Menschen gilt, die nach unseren menschlichen Maßstäben Makel haben, mit schlimmen Fehlern behaftet sind: Jesus Christus hat sich – für Gott – eingelassen mit Kranken und Behinderten, mit Lügnern und Verrückten, mit Betrügern und Kollaborateuren – eben mit den Menschen draußen, auf den Straßen und an den Zäunen, die kein Zuhause haben in der Gemeinschaft.
Klar, das war starker Tobak für die Leute damals – und, ehrlich, für die meisten heute ist es das immer noch.
Aber so ist Gott: unvoreingenommen, geduldig, mit viel Trost. Er wartet, und ab und zu schickt er einen wie Jesaja, um uns daran zu erinnern, daß er mehr für uns will als einen vollen Bauch und ein bißchen Spaß dazu; daß er uns auf seinen Weg locken will – mit dem, was er uns bietet; daß er uns rundum zufriedenstellen will – und daß dazu das gewisse „Bißchen mehr“ gehört: sein Wort, das uns unzudrehen imstande ist, wenn wir die Ohren spitzen und es hören; das uns, wenn wir uns darauf einlassen, hochhebt in die Gemeinschaft mit den Menschen und mit ihm selbst; und das uns dermaleinst rechtfertigt, zurechtrüttelt, gerecht spricht: eben freispricht von Leiden, Schmerz und Tod.
Das ist es schon wert, finde ich, da mal hinzuhören! Denn dann finden auch wir heraus: Gottes Liebesversprechen gilt. Ohne Verfallsdatum. Ewig. Amen.
Pastor Andreas Kern
Buchholz in der Nordheide
Tel. 04181-7714