Jesaja 65,17-19.23-25

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Letzter Sonntag des Kirchenjahres, Ewigkeitssonntag | 26. November 2000 | Jesaja 65,17-19.23-25 | Matthias Petersen |

ein schwerer tag ist dies

viele haben sich vor ihm gefürchtet

und

keiner ist heute unter uns

der nicht zu beklagen hätte einen menschen

einen nahestehenden

einen geliebten

zu beklagen hätte in diesem kirchenjahr

vater mutter

ehemann ehefrau

kinder gar

freunde weggefährten

kollegen nachbarn

die schweren wunden

bei vielen noch ganz frisch

fangen neu an zu bluten

die bilder von leben und  sterben

immer noch klar und sehr scharf

steigen aus den tiefen der seele erneut hoch

gedanken und erinnerungen

heute vor einem jahr

wir waren noch so glücklich

da haben wir geburtstag gefeiert

wißt ihr

letztes jahr zu weihnachten

wer hätte es da geahnt

die drei wunderschönen wochen in den bergen

die  wanderung an der see

bilder vergangener unbeschwertheit

immer wieder überlagert

von den schmerzhaften erfahrungen des sterbens

der plötzliche infarkt

und das fassungslose entsetzen

das lange leiden unter der furchtbaren krankheit

und die vielen durchwachten nächte

die anonymität und kälte der apparate

das ohnmächtige zuschauenmüssen

der herzzerreissende schmerz

das mühsame einander freigeben

die bilder des leidens und sterbens und abschiednehmens

sie sind sehr konkret

sie sind eingebrannt

in herz und hirn und seele

und nun

was nun

soll das alles gewesen sein

soll das

tatsächlich

das letzte gewesen sein

was da zu sagen war

über das geliebte vertraute leben

die zärtliche erinnerung

der schmerz

der sarg

die vielen kränze

ein familientreffen

nein

natürlich nicht

wir glauben doch alle

irgendwie

daß das nicht alles gewesen sein kann

weil denn nicht sein kann

was nicht sein darf

daß da noch etwas kommen muß

daß

irgendwo

doch ein gott sein muß

der jetzt gefordert ist

aber

nicht wahr

unsere hoffnungen

sie sind seltsam unkonkret

schwammig

allerweltsweisheiten

wie

wernichtvergessenwirdstirbtnicht

oder

erlösungistgnade

oder

dertodgehörtdochnunmalzumleben

aber mal ehrlich

ihr lieben

haben euch diese gedanken getröstet

wirklich getröstet

haben diese gedanken tränen getrocknet

neue hoffnung geschenkt

lebensmut neu entfacht

ich glaub das einfach nicht

mir haben sie jedenfalls nie geholfen

ich will da auch

viel unbescheidener sein

und mich nicht zufriedengeben

mit allerweltsweisheiten

und schwammiger vertröstung

darum sage ich

nein

der tod gehört eben nicht zum leben

der tod ist der unversöhnliche feind des lebens

der tod ist das gegenteil des lebens

sich mit dem tod abzufinden heißt

schon im leben tot zu sein

und auch wer in meinen erinnerungen lebendig ist

der ist darum doch tot

entsetzlich tot

und darum will ich

gegen den tod protestieren

so

wie der weise christoph blumhardt sagt

im vergangen jahrhundert schon

der christliche glaube

sagt er

ist eine protestbewegung gegen den tod

es reicht mir auch nicht

schwammig und verquast

zu vermuten

daß da oben wohl noch irgendetwas sein muß

irgendeine kraft halt

daß es irgendwie schon weitergeht

so mit seelenwanderung vielleicht

oder mit großem nirwana

bei dem weisen könig salomo

vor 3000 jahren hat er gelebt

lese ich

im buch seiner weisheit

die hoffnung des gottlosen ist wie staub

wie man einen vergißt

der nur einen tag lang

gast gewesen ist

nein

die hoffnung der gottlosen reicht mir nicht

zum leben nicht

und zum sterben erst recht nicht

denn

die erfahrungen des sterbens

die bilder des todes

sie sind so real

so greifbar und stark

eingebrannt in meiner seele

da braucht es schon starke

mehr als starke gegenbilder

sehr deutliche

sehr konkrete hoffnungsbilder

wenn sie den todeserfahrungen standhalten sollen

auf diesem hintergrund

sehe ich vor meinem inneren auge

die starken bunten hoffnungsbilder

die der prophet jesaja malt

ein leuchtendes mutmachzeichen

für sein entmutigtes volk

ein neuer himmel und eine neue erde

klagen und weinen verstummen

nie wieder am sarg eines kindes stehen müssen

kein gebet prallt mehr ab

an den verschlossenen türen gottes

wolf und schaf

feind und feind

ziehen hand in hand

arm in arm

ins himmelreich

ins himmelarm

kein leben wird mehr leben vernichten

um zu überleben

bosheit und gemeinheit werden aufhören zu existieren

gott selbst

so wird

500 jahre später

der seher johannes

auf der insel patmos

fortführen

wird bei ihnen wohnen

und sie werden sein volk sein

und er selbst

gott mit ihnen

wird ihr gott sein

und wird abwischen alle tränen von ihren augen

alles wird neu

alles wird gut

konkrete bilder der hoffnung

im offensiven kontrast

zu den konkreten erfahrungen des todes

diese bilder treffen mitten hinein

in unsere sehnsucht

nach leben

nach überwindung der todeserfahrungen

wir sind

darum

sehr verletzlich

sehr verführbar an dieser stelle

das machen sich viele zunutze

die starken bilder werden trivialisiert

die werbung lockt

mit paradiesischen angeboten

mit himmlischen preisen

mit erlösenden erfindungen

die den himmel auf erden versprechen

das alte ist vergangen

siehe

alles wird neu

und gemeint ist etwa ein neues shampoo

wir sind uns da sicher  einig

man kann die stärksten bilder gebrauchen

so oder so

hilfreich oder nicht hilfreich

aber

der oberflächliche gebrauch

in der werbung

oder auch in der politik

erinnern wir uns noch an die blühenden landschaften

hat noch niemanden getröstet

so billig ist hoffnung nicht zu haben

noch nie zu haben gewesen

denn

hoffnung hat mit geduld zu tun

mit dem mut den schmerz auszuhalten

hoffnung ist wie ein tiefer brunnen

es macht große mühe

die schweren eimer aus der tiefe hochzuwinden

und die arbeit dauert ihre zeit

hoffnung heißt nicht

leichtfertig zu sagen

ach es wird schon wieder

oder

das leben muß halt weitergehen

oder

für ihn für sie ist es besser so

hoffnung heißt

der schmerz zerreißt mir das herz

und doch

ich lasse nicht ab

nach bildern der zukunft zu fragen

um trost zu ringen

mühsam

die schweren eimer der zuversicht

emporzuwinden aus dem brunnen der hoffnung

in die gegenwart meiner trauer

so haben die bilder des jesaja

mühsam erarbeitet

unter schmerzen angeeignet

ein ganzes volk getröstet

nicht nur eine generation

nein mehr

sie trösten bis heute

wurden immer wieder auf die probe gestellt

durch 2500 jahre hindurch

mußten sich bewähren

wurden ergänzt seitdem

wurden weitergemalt

durch die lebendige erfahrung der hoffenden

und so will ich uns erinnern

an dieser stelle

an

eine

mögliche fortführung der alten hoffnungsbilder

ich will uns erinnern

wie am ostermorgen die sonne aufgeht

über jerusalem

wie die boten des himmels

das leben verkünden

und das grab jesu leersteht

wie

entmutigte

verzweifelte

verängstigte

trauernde

zurückfinden zum leben

wie sie ihre angst ablegen wie einen löcherigen mantel

wie sie hinausgehen

wie schafe mitten unter die wölfe

und einer entmutigten

verzweifelnden

verängstigten

trauernden welt

die worte des lebens bringen

wie sie predigen

die botschaft ihres herrn und heilandes

ich lebe

und siehe

ihr sollt auch leben

ich lebe

und ihr sollt auch leben

laßt uns diesen satz

dieses bild

mit hinausnehmen

zu den gräbern unserer verstorbenen

in die häuser der trauernden

in den schmerz unserer eigenen erinnerungen

denn

nach gottes willen

unsere zukunft ist nicht der tod

sondern leben

prallvolles

erfülltes

eben ewiges leben

und gott wird es mit uns leben

und mitten unter uns sein

denn

so verheißt der prophet jesaja im namen gottes

ich will mich freuen an meinem volk

und

man wird nicht mehr hören die stimme des weinens

noch die stimme des klagens

amen


pastor matthias petersen

neuheikendorfer weg 19

24226  heikendorf

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