
Joh 18,28-19,5
Sieh mal diesen Menschen da! | Judika | 06.04.2025 | Joh 18,28-19,5 | Nadja Papis |
Jetzt schau dir den mal an!
Ja, den dort, diesen Menschen da.
Mitten im Prozess zückt Pilatus ein letztes Mittel. Er will die Menschen von der Unschuld Jesu überzeugen.
Darum liess er ihn foltern, verspotten und mit lächerlichen Königssymbolen krönen. Dornenkrone auf das geschundene Haupt, der rote Mantel um die zerbrochenen Knochen. Sieht so etwa ein König aus?
Schaut ihn euch an! Das ist doch kein König! Nur ein Mensch. Bedeutungslos.
Es nützt alles nichts. Die Gegner von Jesus haben seinen Tod beschlossen – schon lange. Lange bevor sie, die jüdischen Behördevertreter, ihn zum römischen Statthalter Pilatus gebracht haben. Der da, oh Römer, der will das Volk aufwiegeln. Verurteile du ihn. Wir dürfen nicht. Uns steht das Todesurteil nicht zu, aber dir schon.
Sie können Jesus nicht selbst hinrichten. Pilatus aber will es nicht. Er sucht Ausweg und Ausweg, argumentiert ungewöhnlich geduldig, fragt nach und findet zur Wahrheit: Er ist unschuldig. Aber das wollen sie nicht hören, nein, es ist beschlossene Sache. Jesus muss sterben. Nichts anderes geht mehr. Und schliesslich muss Pilatus aufgeben und spricht das Urteil aus: Hinrichtung am Kreuz, die schlimmste Todesstrafe, der erniedrigende Tod eines Schwerverbrechers.
Eine schreckliche Geschichte in der Passionserzählung des Evangelisten Johannes, die Schilderung eines absurden, brutalen und unverständlichen Prozesses, ein elendes Hin und Her.
UND: Der Höhepunkt der johanneischen Passionsgeschichte.
Ja, wirklich! Weder das letzte Abendmahl noch die Kreuzigung oder die Grablegung, sondern dieser mühsame Bericht des Prozesses vor Pilatus.
Warum?
Ich bin geboren und in die Welt gekommen, um für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Wer aus der Wahrheit kommt, hört auf meine Stimme. (Joh 18,38)
Und hier ist es, das zentrale theologische Thema von Johannes, ausgedrückt in den Worten des angeklagten Jesus: Ich bin gekommen, um die Wahrheit zu bezeugen. In mir findet Ihr Wahrheit. Nehmt Ihr sie an?
Immer wieder stellt Johannes diese Frage, immer wieder weisst er auf die Wahrheit hin. Erkennst du die Wahrheit? Hörst du auf sie?
Pilatus weicht aus: Ach, Wahrheit, was ist das denn?
Und vergibt so die Chance, Teil der Wahrheit zu werden.
Und was ist mit uns? Mit dir?
Mitten in diesem unmöglichen Prozess geht es um etwas ganz anderes, ums Existentielle, um meinen Glauben. Johannes fordert seine Leserinnen und Leser heraus: Glaubst du die Wahrheit? Hast du sie schon angenommen? Und erkannt?
Also, da stellt sich mir die Frage: Was ist denn diese Wahrheit, die ich erkennen, annehmen und auch bezeugen soll?
Wieder vermitteln die Worte Jesu, was für den Evangelisten Johannes Wahrheit ist:
Mein Königreich ist nicht von dieser Welt (Joh 18,36)
Oder positiv: Ich bin dazu geboren, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen (JOh 18,37)
Hier steht nicht der leidende Messias der synoptischen Evangelien vor Pilatus. Hier geht es nicht um Einsamkeit, Verlassenheit und Leid. Dieser Messias tritt souverän auf, er ergreift das Wort, fordert heraus, bezeugt und bleibt handlungsfähig. Und er sagt deutlich, wer er ist: Seine Herkunft ist göttlich, er ist ein Gesandter und in ihm offenbart sich nichts Geringeres als das Göttliche. Ja, die göttliche Wirklichkeit ist in diesem Menschen gegenwärtig und erfahrbar. Das ist die Wahrheit. Und die ruft zum Glauben auf.
Pilatus verweigert den Glauben und das dazu gehörende Glaubenszeugnis. Er weicht aus.
Und ich?
Eigentlich, so muss ich zugeben, ist mir der leidende Messias der Passionsgeschichte in den anderen drei Evangelien näher, ja, das Leiden Jesu kommt mir sehr nahe und berührt mich. Es hat für mich etwas zutiefst Erlösendes: Wenn das Göttliche in Jesus so viel Leid kennt und erlebt, dann ist es auch in meinem Leid nahe und weiss, wie es um mich steht.
Was aber mache ich mit diesem souveränen Messias? Mit diesem König nicht von dieser Welt? Der hat ja alles im Griff und beherrscht den Lauf der Dinge. Mitten im grössten Elend bleibt er sprachfähig, handlungsfähig und tritt seinen Widersachern entgegen. Der lässt sich nicht einschüchtern.
Was für ein Vorbild!
Denn mitten im Leid verstummen wir.
Mitten im Leid erstarren wir.
Mitten im Leid geht´s weder vorwärts noch rückwärts.
Und hier zeigt einer der Ungerechtigkeit den Stinkefinger (oder die Faust) und zieht sein Ding durch.
Wow!
Das ist auch Erlösung.
Stell dir mal vor:
Mitten im Elend erhebst du deine Stimme, haust auf den Tisch, stehst du auf und verankerst deine Füsse fest im Boden.
Mitten im Leid entscheidest du selber, wie´s weiter geht, lässt nichts einfach so mit dir machen.
Mitten in der Ungerechtigkeit weisst du: Da ist einer, der hat das auch gemacht und der gibt mir die Kraft dazu.
Sieh dir diesen Menschen an! Was der kann, kann ich das auch?
Mein Reich ist nicht von dieser Welt.
Vertrau! Glaub!
Erkennst du die Wahrheit?
Die göttliche Kraft ist auch in dir: Ja, du kannst das auch!
Weil er´s vorgemacht hat.
Weil er dazu geboren wurde, Zeugnis abzulegen, damit du glaubst, an ihn glaubst, an dich glaubst, an diese Urkraft des Lebens, Gott, glaubst.
Sieh dir diesen Menschen an! Sieh genau hin. Siehst du sie, die Wahrheit?
Wagst du´s, daran zu glauben?
Amen
—
Pfrn. Nadja Papis
Langnau am Albis
Nadja Papis, geb. 1975, Pfarrerin in der ev.-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich/Schweiz. Seit 2003 tätig im Gemeindepfarramt der Kirchgemeinde Sihltal.