Johannes 10,11-16

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Wenn das jeder täte… | Misericordias Domini | 4.5.2025 | Predigt Johannes 10,11-16 | verfasst von Udo Schmitt |

Adonaj Roï   so beginnt ein altes Lied, 3000 Jahre alt und doch bis heute ein Welthit, den jeder kennt. Sie auch. Glauben Sie nicht? Ist aber so. Adonaj Roï heißt: der HERR ist mein Hirte. Und so beginnt der 23. Psalm. Ein Lied, das von David stammt, dem großen König Israels. Ein Psalm, den Luther besonders schätzte. Ein Hit, der beliebt ist bis heute bei Taufen und Konfirmationen. Immer wieder wählen Leute diese Worte: Der Herr ist mein Hirte. Das sagt mir etwas. Das spricht mich an. Ich fühle mich gut bei dem Gedanken, dass da jemand ist, der auf mich aufpasst. Auf mein Kind. Der mich liebt, mich beschützt bei allem, was da kommen mag. Bei mir ist. Auch in Angst und Gefahr. Mir kann quasi nichts passieren, Adonaj Roï, der Herr ist mein Hirte.

Jesus sagt: ja. So ist Gott. Ein guter Hirte. Ein ganz besonderer Hirte. Ein Hirte, der keinen aufgibt. Nein, der gibt keinen verloren. Im Lukasevangelium erzählt Jesus die Geschichte, dass Gott auch das verlorene Schaf sucht. Nicht nur für die 99 Schafe da ist, die bei ihm sind, sondern alle, auch das eine, das sich verirrt hat, sucht, findet, aufnimmt und nach Hause trägt.

(Bildhinweis: Fresko aus den Calixt-Katakomben, 3. Jh. Rom) Eines der ältesten Bilder für Gott. Oder für Jesus. Denn der sagt im Johannesevangelium: Ich bin der gute Hirte. Warum? Die Antwort gibt er selbst: Die anderen sind nur Mietlinge. Politiker, Beamte, Angestellte, wie auch immer. Sie laufen weg, wenn der Wolf kommt. Das heißt: Die anderen Menschen, die in Verantwortung stehen, aufpassen sollen, die tun das aus beruflichen Gründen. Sie tun es für Geld oder für Ruhm. Aber sie würden nie so weit gehen, sich selbst für diesen Job aufzuopfern, das eigene Leben riskieren.

Ich bin da anders, sagt Jesus – bei Johannes. Denn ich gebe mein Leben für die Schafe. Damit sie leben. Nanu? Wie das? Damit spielt Jesus auf das an, was an Ostern passiert ist. Jesus war tot und wurde wieder lebendig. Und er sagt: Wer mir nachfolgt, dem wird es auch so gehen. Wir werden nicht sterben, sondern leben. Darum bin ich in die Welt gekommen, damit die, die zu mir gehören, nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.

Im 1. Petrusbrief heißt es darum: „Christus hat für euch gelitten und euch ein Vorbild hinterlassen, dass ihr sollt nachfolgen seinen Fußstapfen… Ihr wart wie irrende Schafe; aber ihr seid nun umgekehrt zu dem Hirten und Bischof eurer Seelen“ (Epistel des Tages).

Christus ist der Hirte unserer Seelen. Was für ein schöner Gedanke. Er passt auf unsere Seelen auf. Er ist wie ein Coach, wie ein Trainer. Er stellt mich auf den Platz. Und weiß, wo ich am besten was bewirken kann. Er motiviert mich, macht mir Mut. Er baut mich wieder auf, wenn wir mal eine Niederlage einstecken mussten. Gehört nun mal dazu. Aber dann sagt er: Kopf hoch! Beim nächsten Mal – sind wir wieder dran.

Christus ist nicht nur Hirte und Trainer. Er ist auch ein Vorbild. Er hat uns gezeigt, wie man es macht. Er hat Fußstapfen hinterlassen, dass wir ihm nachfolgen können. Ganz schön große Fußstapfen. Zugegeben. Ob ich mich aufopfern würde für andere… so wie er? Wer weiß. Aber immerhin: Für andere da sein. Das schon. Verantwortung übernehmen. Nicht weggucken, wenn andere Hilfe brauchen, in Not sind. Dem Hirten folgen, ihn zum Vorbild nehmen, das heißt: Selber auch Hirte sein für andere.

Ich geb zu: Das ist heutzutage nicht modern. Viele Menschen wollen Spaß haben. Hauptsache ich. Haben nur ein Lebensziel und ein Lebensthema: Ich. Fahren Autorennen nur zum Spaß, weil es den Kick gibt. Die andern sind mir egal, die feg‘ ich von der Bahn. Platz da hier komm ich.

Die Rücksichtslosigkeit dieser Menschen erschreckt mich. Immer mehr Berichte von Rettungskräften, Polizei, Feuerwehr, Notärzten belegen, dass es einige ganz besonders krasse Gestalten unter uns gibt, und es werden immer mehr, die die Helfer nicht nur nicht respektieren, sondern stören, behindern, anpöbeln, attackieren, bloß weil… was? Sie weiter ihren Spaß haben wollen. Gaffen wollen. Nicht wollen, dass ihnen jemand die Ausfahrt versperrt, bloß weil er einem andern das Leben retten will. Ist mir doch egal. Platz da! Ich lieg ja nicht da. Soll der doch wo anders… oder was?

Diese Rücksichtslosigkeit ist verstörend. Was denken diese Menschen überhaupt? Es scheint keinen Gott in ihrem Leben zu geben. Keine Liebe. Und kein Gesetz. Nur das eine: Ich. Und Hauptsache: Spaß. Oder was? Hatten sie keine Mutter, die ihnen Mitgefühl mitgegeben hat. Keinen Vater, der ihnen gesagt, dass man Respekt haben und auch andere achten soll. Keine Schule, keine Lehrer, die ihnen beigebracht hätten, wie wir als Menschen uns verhalten sollen. Egal von welcher Religion, egal von welcher Konfession, gibt es ein paar Spielregeln, die für alle gelten sollten. Und zu jeder Zeit. Immanuel Kant hat das den kategorischen Imperativ genannt. Darin hat er gefordert, dass man sich stets so verhalten solle, dass das, was man tut, als Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung dienen könnte. Weniger kompliziert gesagt: Überleg dir mal, wie die Welt aussähe, wenn das jeder täte, was du tust. – Wer soll noch einen Helferberuf ergreifen, Erzieher, Lehrer, Pfleger, Retter, Sanitäter werden, wenn er dann auch noch beschimpft wird, dafür, dass er anderen hilft? Wer soll noch Verantwortung übernehmen in Vereinen, in Schulen, im öffentlichen Raum, auf dem Fußballplatz? Bis hinauf zur Kreisliga werden händeringend Schiedsrichter gesucht. Warum eigentlich? Weil keiner mehr für andere da sein will. Hauptsache ich. Und alles andere: Ohne mich. Erstens. Und weil zweitens die wenigen, die es noch gibt, die sich engagieren, sich einsetzen, ehrenamtlich, für Kinder und Jugendliche, für Arme, für Alte oder eben als Schiedsrichter auf dem Fußballplatz, dann auch noch beschimpft und bespuckt werden.

In was für einem Land leben wir eigentlich? Jedenfalls in keiner guten Zeit. Für gute Hirten. Zu viele schlechte Vorbilder unter uns Erwachsenen geben der Jugend ein schlechtes Beispiel ab. Zeigen nur, wie man es nicht machen sollte. Zu viele Ich-Menschen ohne Rücksicht, ohne jeden Anstand und ohne jeglichen Respekt. Zu wenig Helfer, zu wenig Kümmerer. Zu wenig, die sagen, na gut, ich mach’s. Ich trage die Verantwortung. Opfere meine freie Zeit. Komm runter vom Sofa. Raus aus der Komfortzone. Nehme es auf mich, für andere da zu sein. Und nicht immer nur „Ich“ zu schreien. Ich will auch ein Hirte sein. Eine Hirtin. Für andere. Die Hilfe brauchen. Ich lass sie nicht im Stich. Lass sie nicht allein.

Dann… wenn das jeder täte. Sähe die Welt ein bisschen besser aus. Vielleicht sogar sehr viel besser. Ein Ort, an dem es sich lohnt zu leben, wo einer den andern achtet. Wo einer zum andern sagt: Mensch, wie geht’s dir. Ich interessiere mich dafür. Ehrlich. Du bist mir nicht egal. Und was es auch ist. Wir werden schon eine Lösung finden, einen Weg. Gemeinsam. Du wirst schon sehen. Denn wir gehen ihn ja nicht allein. Der Herr ist mein Hirte. Und auch deiner. Unser Hirte. Er gibt uns die Kraft. Den Mut. Er ist bei uns und hilft uns. Schritt für Schritt.

Liedvorschläge:

            HuE 2                      Da berühren sich Himmel und Erde

HuE 248           Du bist mein Zufluchtsort

EG 380             Ja, ich will euch tragen

EG 673             Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe

Udo Schmitt, geb. 1968, Pfarrer der Evangelischen Kirche im Rheinland, von 2005-2017 am Niederrhein, seit 2017 im Bergischen Land.

Dorfstr. 19 – 42489 Wülfrath (Düssel)

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