Johannes 1,1-14

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Fallhöhe des Wortes | Predigt über Joh 1,1-14 | Christfest I  | 25. Dezember 2024 | verfaßt von Jochen Riepe |

                                                                                    I

Spiel und Ernst, Spiel und Schmerz berühren einander. Leichtigkeit durchwirkt die Schwere – die Schwere trägt das Leichte. Ein Wort ist luftiger Hauch, eine Schneeflocke, und zugleich hat es Gewicht, manchmal ist es kälter als Eis. Es kann rufen, vergeben und bitten, befehlen und erschrecken, lügen, zerstören und ‚fällen‘. ‚Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott…‘

                                                                                   II

Auch das gehört zur Weihnachtsphantasie: In der Heiligen Nacht wird das Spielzeug lebendig,   Nußknacker und Mäusekönig samt Soldaten treten auf, und die Tiere finden zur Sprache. Diese göttliche Gabe küßt und erweckt auch sie, und Mensch und Kreatur rücken nahe zusammen.

Nach einer Legende aus Westfalen hat die Sache nur einen Haken … Der neugierige Bauer, der um Mitternacht seinen Ochsen im Stall zuhört, wird Zeuge einer Nachricht, die ihn erschreckt und  zu Boden wirft. Der neugierige Lauscher wird augenblicklich bestraft. Die Tiere sprechen, aber was sagen sie da!? Die Bäuerin werde im nächsten Jahr den Knecht heiraten …  Spiel und Ernst, Spiel und Schmerz, Erwartung und Enttäuschung –  im weihnachtlichen Sprachwunder liegt beides eng beieinander.

                                                                                   III

Im Anfang war das Wort, / und das Wort war bei Gott, / und Gott war das Wort. / Dasselbe war im Anfang bei Gott. / Alle Dinge sind durch das Wort gemacht, /und ohne dasselbe ist nichts gemacht.

 Wer den Prolog des Johannesevangeliums laut rezitiert, der spürt es:  Ein kunstvoll pulsierendes Sprachspiel, das Werk eines gleichsam selig-wortverliebten Autoren. Es führt uns in eine luftige und darin festliche Höhe zu Gott und seinem Wort, dem Logos, der Jesus von Nazareth heißen wird. Ein Fest hat immer etwas Zeitloses, wir vergessen die Stunden und Tage, und dieses ‚Überzeitige‘, dieses ‚im Anfang‘, will der Evangelist allem, was er zu sagen hat, voranstellen und ihm damit etwas Swingendes, ja, Vergnügliches, geben.

Woraus und wozu ist alles gemacht? Was hält alles zusammen? fragt das Kind im Erwachsenen und die Wissenschaft antwortet erdenschwer und komplex, mit Urknall und ‚Big Bang‘. Johannes aber, ‚die Stimme des hochfliegenden Vogels‘ (Joh. Scotus),  läßt das Schwere durchwirkt  sein vom rhythmischen, musikalischen Hauch des Wortes: ‚Und Gott sprach…‘ und fordert so alle Dinge und Wesen gleichsam heraus und bringt sie in Resonanz, Schwingung  und Austausch miteinander. Alles ist durch das Wort gerufen und gewinnt Gewicht. Alles hat aber auch etwas Leichtes. Alles hat teil an Gott. ‚Werden durchs Wort heißt Werden mit lebendigem Glanz‘ (M. Karrer).

                                                                                      IV

Johannes würde das vielleicht sogar noch zuspitzen: Das geht gar nicht anders. Das kann gar nicht anders sein. Denn die Schöpfung, die Kreaturen, Du und ich, wir sind doch aus dem freudigen Atem jenes Gottes, der in sich selbst schon immer, ‚von Ewigkeit zu Ewigkeit‘, Gespräch, Anrede und Austausch ist: ‚Das Wort war bei Gott‘. Gott ist nicht allein, er war niemals allein; auch in jener überzeitlichen Ur-Geschichte, die vor aller Zeit und vor uns Menschen liegt, vor und über der Erschaffung der Welt, ist bei ihm ein  Anderer, ein ‚Platzhalter‘(K. Barth) gleichsam für den Sohn, den er ruft und ‚sendet‘ (20,21); ein Anderer, der doch (wie) er selbst ist: ‚Und Gott war das Wort‘.

Ich weiß, im Kopf dreht es sich jetzt etwas. Das übersteigt unser Vorstellungsvermögen, aber an Weihnachten muß man darüber reden. Das Wunder, daß wir miteinander sprechen können, daß wir in aller Befremdung oder Störung doch die seligmachende Chance haben, einander das Wort zu gönnen, einander Antwort zu geben und Anerkennung, das hat seinen Grund in der innergöttlichen Resonanz oder Liebe: Der Vater ruft den Sohn, Jesus von Nazareth, und der Sohn antwortet dem Vater. Und so wie Gottes Wort ‚wie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht dahin wieder zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde‘ (Jes 55, 10), so soll auch menschliches Wort-Brot wachsen und nähren. ‚Wenn einer spricht, wird es hell‘(S. Freud).

                                                                                       V

Nun aber, wir sind ja schon vorgewarnt. Alles spricht, alles spielt, Tschaikowsky lädt zum Walzer … die  ‚Weihnachtswunderphantasie‘  wirkt in Gedicht, Legende und Märchen – mit eben dem ostwestfälischen Haken. Das Spielzeug wird lebendig. Der tapfere Nußknacker und der grantige Mäusekönig streiten miteinander, so daß die kleine Marie, ‚dieses fromme und vernünftige Kind‘,  in der Heiligen Nacht zutiefst erschrickt und mit Wucht den König mit ihrem  ‚Pantoffel‘ bewirft. Weihnachten ein Krieg? Eine wahrlich ‚harte Nuß‘ im gutbürgerlichen Hause. Das liebe Vieh beginnt zu prophezeien, aber dieses Sprechen wird dem lauschenden Bauern zur ‚krisis‘ (12,31), zum Gericht. Er hört Dinge, die er nicht ertragen kann.

Ein Sprachspiel ist immer auch ein ‚Denkspiel‘ (E. Gomringer). Welche Erfahrungen und Erinnerungen zeigen sich in solchen Geschichten? Da, wo vieles erwartet wird, kann auch vieles daneben gehen. Fallhöhe des Wortes. Es ist, als würde das göttliche Wort, wenn es die Kreatur anspricht, in ihr Auflehnung  entbinden. Johannes würde wohl sagen: Das Wort– ‚richtet‘ (12,48), es legt des Menschen Lüge und seine bösen Absichten (8,44) offen. Unser Bauer im Stall, der neugierig seinen Ochsen belauscht, hört eine Nachricht, die ihn sehr persönlich angeht und – fällt vor Schreck zu Boden.

Sollte die göttliche Gabe der Sprache einen Schatten werfen, etwas ‚Dunkles‘  und ‚Unwirkliches‘ anzeigen , das – einmal aufgeschreckt- kaum erträglich ist und mit Gedröhn, gar mit einem ‚Knall‘,  unsere Festtagsruhe gefährdet? ‚Erkam in das Seine und die Seinen nahmen ihn nicht auf…‘ Der Evangelist wird es in seinem Buch inszenieren: das ‚Widerstreben und Sichverweigern‘ (J. Ringleben), die schmerzlichen Konflikte, die Unterstellungen, die Verurteilungen und schließlich die Gewalt, die dem Logos Jesus angetan wird.

                                                                                      VI

Das Licht scheint in die Finsternis, aber die Finsternis hat’s nicht ergriffen‘, schreibt Johannes  in der Mitte seines Liedes. Finsternis. Wir wollten nicht aus dem fremden Wort Gottes leben und seine Stimme nicht hören. Oder: Wir haben uns wie Räuber und wie an der Wand Lauschende das Geheimnis des Sprechens aneignen wollen, die Gabe vom Geber getrennt, und so, einmal losgelassen, rennt sie los, stellt uns Fallen und wird zum Gefährt der Sünde. Jedes Gespräch trägt die Gefahr in sich, daß seine Teilnehmer sprechend die Sprache entleeren oder verraten. Das Wort der Verheißung und Vergebung wird zum Wort des Angriffs, der Bemächtigung, der Bevormundung. Größer als das Vertrauen ist schon immer das grantige Mißtrauen, der Verdacht oder die Unterstellung: ‚Sollte Gott etwa gesagt haben…‘(Gen3,1).

Alles spricht, jubelten wir eben noch, ‚am Anfang war das Wort …‘ und umgibt uns mit seinem Glanz, ja, alles redet, schwätzt, quatscht, tratscht, alles schmeichelt oder droht: ‚Alles, was Sie jetzt sagen, kann gegen Sie verwendet werden‘, und die ganze Welt der Eitelkeit, Selbstdarstellung, oder des Verdachts und der Anklage stellt sich von selbst ein. So herrlich wir vom ‚Sprachstrom‘ und ‚allseitiger Kommunikation‘ träumen, so schnell stellt sich das Pokerface und der Schatten der Lüge ein: Verstellt er sich? Täuscht er mich? Das ist ja das Verrückte an der Sprache und der heiligen Sprache zumal: Sie ist göttlich, Ruf, Anrede, Medium, in dem wir sind und wohnen können, und plötzlich ist sie Instrument, Gewalt, Lüge: bitterkalte ‚Finsternis‘.

                                                                                     VII

Aber was haben wir nun, lieber Evangelist? Hochgefühl und Absturz, Himmelskommunikation und irdische Bedrückung, ein swingendes Lied und die Lüge, den sprechenden Weihnachtsochsen und den westfälischen Bauern, der in Ohnmacht fiel …  Bei allem Ernst, liebe Gemeinde, wir dürfen jetzt erst einmal durchatmen und in ‚anfänglicher‘ Erhebung sagen: Das ist doch die ‚(r)echte Weihnachtsmischung‘ , oder: So kennen wir doch unsere Festlichkeit schon lange , jedes Krippenspiel inszeniert es: die Erwartung des Kindes und die Hemmnisse, die ihm einen Ort in seinem Eigentum verweigern.

Jeder, der über unsere Sprachspiele an diesen Tagen nachdenkt, lernt das Doppelte kennen: Den Graben zwischen uns und die Spannweite der Hoffnung, die uns alle umfängt. Erwartung und Phantasie, alles grüßt und wünscht und küßt  … und die Enttäuschung, der Streit, schlechte Laune lauern schon. Frei nach Goethe:  ‚nichts ist schwerer zu ertragen‘, als eine Folge von Feiertagen. Die Kinder werfen das neue Spielzeug in die Ecke, und unser Hund, eben noch ein Geschöpf Gottes , bekommt einen Tritt und jault auf. ‚Am Anfang war das Wort‘  – die Weihnachtskommunikation ist eine Fundgrube für Spötter, und der arme Bauer wird ausgelacht. Aber könnte er nicht auch aus seiner ‚Krise‘ etwas lernen? Und wir mit ihm?

                                                                                 VIII

Spiel und Ernst. Spiel und Schmerz. Ein Wort ist ein luftiger Hauch und zugleich ein ‚Schwergewicht‘. Johannes beschließt seinen Hochgesang mit einem Vers, der die ganze Weihnachtsmischung gleichsam optimistisch einfängt und die wahre Fallhöhe des Wortes anzeigt: ‚Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit‘.  ‚Mitten‘ in der palavernden Menschheit steht der eine Mensch, Jesus von Nazareth, er, den Gott dieser Welt sandte als sein Wort und dessen Stimme uns beim Namen ruft. ‚Eins ist  not‘: Er ist das Wunder schlechthin. ‚Ich bin‘, sagt er -mitten unter uns, er, den wir ‚nicht kennen‘(Joh 1,26), und doch ‚erkennen‘ sollen.

Er wohnte unter uns, er ließ sich auf uns sprachgestörte Wesen ein. Er sprach ‚Worte des ewigen Lebens‘(6,68). Ja, eins ist not: Gegen den Mißbrauch hilft nur der Gebrauch:  ‚Laßt den singenden-klingenden Gesprächsfaden nicht abreißen. ‚… der Fluß lebendiger Rede ist das Zeichen lebendiger Christen‘(E. Rosenstock-Huessy).

‚Am Anfang war das Wort‘ – eine frohe, sprechende, singende, eben selige Weihnachtszeit !

(Gebet nach der Predigt:)     ‘Gelobet seist du, Jesu Christ, / daß du Mensch geboren bist / von einer Jungfrau, das ist wahr; / des freuet sich der Engel Schar. / Kyrieleis‘.  ‚Den aller Welt Kreis nie beschloß, / der liegt in Marien Schoß; / er ist ein Kindlein worden klein, / der alle Ding erhält allein./ Kyrieleis.‘ (eg 23.1.3)

Lieder: eg 4 Nun komm, der Heiden Heiland / eg 23 Gelobet seist du, Jesu Christ  (Choralphantasie von D. Buxtehude: https://www.youtube.com/watch?v=Ln2T27NtieA  )/   eg 31 O du fröhliche  / eg 37,1.2.9  Ich steh an deiner Krippen hier

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Lit.: Joh. Scotus Eriugena, Die Stimme des Adlers. Homilie zum Prolog des Johannesevangeliums, 2006, S.21 /                     M. Karrer, Jesus Christus im Neuen Testament,1998 S.318 / J. Ringleben, Das philosophische Evangelium, 2014, S. 48 / E. Rosenstock-Huessy, Des Christen Zukunft, (1955) 1965(TB), S.20