Johannes 1,1-5.9-14 (16-18)

· by predigten · in 04) Johannes / John, Aktuelle (de), Beitragende, Bibel, Christfest I, Deutsch, Kapitel 01 / Chapter 01, Kasus, Neues Testament, Paul Wellauer, Predigten / Sermons

| Himmlische Weisheit erleuchtet die Erde | Weihnachten 25.12.24 |
| Predigt zu Joh 1,1-5.9-14 (16-18) | verfasst von Paul Wellauer |

| Psalmgebet | Wochenpsalm 96,1-3.7-13 | Lutherbibel 2017* |

| Der Schöpfer und Richter aller Welt |
I  1 Singet dem HERRN ein neues Lied; singet dem HERRN, alle Welt!
II 2 Singet dem HERRN und lobet seinen Namen, verkündet von Tag zu Tag sein Heil!
I  3 Erzählet unter den Heiden von seiner Herrlichkeit, unter allen Völkern von seinen Wundern! […]

II 7 Ihr Völker, bringet dar dem HERRN, bringet dar dem HERRN Ehre und Macht!

I  8 Bringet dar dem HERRN die Ehre seines Namens, bringet Geschenke und kommt in seine Vorhöfe!

II 9 Betet an den HERRN in heiligem Schmuck; es fürchte ihn alle Welt!

I  10 Sagt unter den Heiden: Der HERR ist König. Er hat den Erdkreis gegründet, dass er nicht wankt. Er richtet die Völker recht.

II 11 Der Himmel freue sich, und die Erde sei fröhlich, das Meer brause und was darinnen ist;

I  12 das Feld sei fröhlich und alles, was darauf ist; jauchzen sollen alle Bäume im Walde

II 13 vor dem HERRN; denn er kommt, denn er kommt, zu richten das Erdreich. Er wird den Erdkreis richten mit Gerechtigkeit und die Völker mit seiner Wahrheit.

I&II AMEN

| Lesung Predigttext | 1,1-5.9-14.16-18 | Die Zürcher Bibel, 2007** |

| Der Prolog |

1 Im Anfang war das Wort, der Logos, und der Logos war bei Gott, und von Gottes Wesen war der Logos. 2 Dieser war im Anfang bei Gott. 3 Alles ist durch ihn geworden, und ohne ihn ist auch nicht eines geworden, das geworden ist. 4 In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. 5 Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst. […] 9 Er war das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, der zur Welt kommt. 10 Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt. 11 Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf. 12 Die ihn aber aufnahmen, denen gab er Vollmacht, Gottes Kinder zu werden, denen, die an seinen Namen glauben, 13 die nicht aus Blut, nicht aus dem Wollen des Fleisches und nicht aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott gezeugt sind. 14 Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir schauten seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit, wie sie ein Einziggeborener vom Vater hat, voller Gnade und Wahrheit. […] 16 Aus seiner Fülle haben wir ja alle empfangen, Gnade um Gnade. 17 Denn das Gesetz wurde durch Mose gegeben, die Gnade und die Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden. 18 Niemand hat Gott je gesehen. Als Einziggeborener, als Gott, der jetzt im Schoss des Vaters ruht, hat er Kunde gebracht.

| Predigt | Himmlische Weisheit erleuchtet die Erde |

Liebe Gemeinde, liebe Brüder und Schwestern durch die Liebe und Gnade Gottes

Die Weihnachtsgeschichte des Evangelisten Johannes kommt ganz ohne Hirten und Schafe, ohne Engel und Gloria, ohne Könige und Weise aus dem Morgenland und sogar ohne Maria und Josef aus: «Niemand hat Gott je gesehen. Als Einziggeborener, als Gott, der jetzt im Schoss des Vaters ruht, hat er Kunde gebracht.» Mit diesem «Einziggeborenen» meint Johannes den Sohn Gottes, Jesus. Dieser macht den unsichtbaren Gott sichtbar, gibt dem verborgenen Gott ein Gesicht, lässt Gottes ewiges Wort Fleisch werden. So erklingt die Weihnachtsbotschaft bei Johannes.

Beim ersten Hinhören tönt das verglichen mit den Weihnachtsgeschichten der Evangelisten Matthäus und Lukas recht nüchtern und etwas abgehoben. Dabei beinhaltet die Art und Weise, wie Johannes von der Ankunft von Jesus in dieser Welt erzählt, durchaus Zündstoff.

Drei dieser «Bomben» im Text möchte ich etwas genauer betrachten:

  1. Göttliches Wort wird zu menschlichem Fleisch
  2. Die Dunkelheit wehrt sich gegen das Licht
  3. Wer den Sohn Gottes aufnimmt, wird selbst zu Gottes Kind

  1. Göttliches Wort wird zu menschlichem Fleisch

Das Johannesevangelium hat eine ganz eigene Art, von Jesus zu erzählen, die sich von den anderen drei Evangelien von Matthäus, Markus und Lukas stark unterscheidet. Die anderen drei erzählen die Geschichten von Jesus voller Geheimnisse und Fragen, man spricht vom «Messiasgeheimnis». Das grosse Rätsel um die Person von Jesus wird erst am Schluss aufgelöst: Nach dem Tod und der Auferstehung von Jesus ist den Menschen in seiner Nähe klar, dass er der Messias, der Christus, der Gesalbte Gottes und Erlöser der Menschheit ist. Bei Johannes ist es umgekehrt: Er erzählt von Anfang an vom versprochenen Retter, den Gott sendet, um die Menschheit aus der Dunkelheit zu führen. Und dann berichtet er vom Leben von Jesus. Für Johannes war es offenbar auf den ersten Blick klar: Dieser Mann ist Gottes Antwort auf unsere Gebete, dieser Mensch verwirklicht Gottes Plan. Die theologischen Wissenschaftler/-innen haben eine ganze Reihe von Erklärungen, weshalb Johannes vieles so ganz anders erzählt, als die anderen Evangelisten. Gut möglich, dass er sehr gerne diskutiert hat und all die Gespräche und Diskussionen mit anderen Jesusnachfolger/-innen rund um die Erlebnisse mit Jesus mit in seinen Bericht verarbeitet hat. Er würde damit zwischen den Zeilen sagen: «Wir müssen darüber reden, was Jesus gesagt und getan hat! Es ist nicht damit getan, die wunderbaren Berichte und Predigten zu hören und weiterzuerzählen: Diese Berichte bieten Diskussionsstoff!» Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jünger immer nur bereitwillig nickten und zustimmten, wenn Jesus etwas erzählte oder den Menschen ganz anders begegnete als andere jüdische Lehrer. So wird es uns auch in den anderen Evangelien berichtet: Da gab es Rückfragen, Widerspruch und Meinungsverschiedenheiten. Johannes zeigt diese Spannungen auf.
Und eine zugleich philosophische wie kosmische Spannung packt er in den kurzen Satz: «Und das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns, …» Er beginnt nicht bei Adam und Eva, sondern noch früher mit seiner Erzählung: Schon bevor die Welt geschaffen wurde, gab es das Wort, den Logos Gottes. Logos bedeutet allerdings weit mehr, als man mit dem deutschen Begriff «das Wort» ausdrücken kann. Es kann darüber hinaus meinen: Sprache, Lehre, Lehrsatz, Rede, Beweis, Sinn und Vernunft. In meinem Studium habe ich eine Vorlesung besucht, in der es ein ganzes Semester lang um die Bedeutung von Logos ging. Im Schöpfungsbericht auf der ersten Seite der Bibel wird uns gesagt: «Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.» (1. Mose 1,3) Gottes Logos hat offenbar die Kraft, das zu erschaffen, was es sagt. Und dieser schöpferische Logos, der bei der Entstehung der Welt gewirkt hat, wird nun als Mensch aus Fleisch und Blut geboren, wird Fleisch, wie es Johannes auf den Punkt bringt. Für uns tönt das wohl vor allem komisch, allenfalls interessant oder schwer verständlich. Für philosophisch und religiös interessierte Menschen in der Zeit von Johannes war es absoluter Schwachsinn, eine Frechheit, ja, wohl auch eine Gotteslästerung. Fleisch ist irdisch, vergänglich, unheilig, versuchbar, schwach. Der Logos Gottes dagegen ist ewig, himmlisch, rein, heilig und voller Macht. «Gottes Wort wird Fleisch», ist eine Gleichung, die in den Köpfen der Zuhörerinnen und Leser von Johannes nicht aufgeht. Matthäus und Lukas erzählen verglichen mit Johannes die «Warmduscher-Version»: Wer freut sich nicht über die Geburt eines kleinen Kindes, umgeben von Hirten, Schafen und Weisen aus dem Morgenland? Das ist doch harmlos, wunderbar, Jöö, herzig! Welche Sprengkraft diese Geburt im Stall hat, wird bei Matthäus und Lukas eben erst später richtig klar. Johannes dagegen fällt mit der Türe ins Haus, will offenbar brüskieren, konfrontieren, wachrütteln. Er fordert uns heraus, über die besondere Bedeutung von Jesus zu diskutieren.

  1. Die Dunkelheit wehrt sich gegen das Licht

Wenn doch alles von Anfang an so klar ist, weshalb begreifen die Menschen nicht, wer Jesus ist? Gleich dreimal schreibt Johannes: «In ihm war Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.» (Verse 4-5) «Er war in der Welt, und die Welt ist durch ihn geworden, und die Welt hat ihn nicht erkannt. Er kam in das Seine, und die Seinen nahmen ihn nicht auf.» (Verse 10-11) «Nicht erfasst», «nicht erkannt», «nahmen ihn nicht auf»: Offenbar kann und will die Menschheit diesen Logos-Gott nicht wahrnehmen, nicht erkennen, nicht aufnehmen. Auch hier ist Johannes nüchtern, ehrlich und direkt: Die Geschichte beginnt wie bei der Schöpfung wunderbar, herrlich, vollkommen. Das Licht leuchtet in die Finsternis, das Licht ermöglicht und bewirkt Leben, Lebendigkeit, Vielfalt und Freude. Doch die Dunkelheit ist hartnäckig, lähmend und will dieses Leben verunmöglichen, das Licht eindämmen. Dabei hat Gott ein Leben in Fülle geplant und ermöglicht: «Aus seiner Fülle haben wir ja alle empfangen, Gnade um Gnade.» (Vers 16) Haben wir Menschen ein Wahrnehmungsproblem? Haben wir ein Sensorium, eine Empfindsamkeit für Gottes Fülle, seine Grosszügigkeit, «Gnade um Gnade»? Oder ist unser Leben vielmehr geprägt von: «Der andere hat mehr als ich, ist erfolgreicher, intelligenter, hübscher, beliebter, …» Die Medien haben daraus den Leitsatz formuliert: «Only bad news are good news – nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten!»

Ich lade sie ein, die nächsten Tage darauf zu achten: Welche Meldungen nimmt unser Auge und Ohr am schnellsten wahr: Die guten oder die schlechten? Über welche Neuigkeiten unterhalten wir uns am leichtesten und meisten: Über die positiven oder die negativen? Mit welchen Gedanken stehe ich auf und gehe ich zu Bett: Sorgen, Ängste und Befürchtungen oder Dankbarkeit, Freude und Hoffnung?
Ich gebe zu, ich mache nun auch genau das, worüber ich mich beklage: Ich male schwarz. Vor meinem inneren Auge stelle ich mir vor, dass sie als Gottesdienstgemeinde tendenziell eher 51% unzufrieden, unglücklich und kritisch und höchstens 49% dankbar, fröhlich und hoffnungsvoll sind. Ich bin da offensichtlich auch ganz Mensch und erwarte lieber das Schlechte, damit ich weniger enttäuscht werde. Umso mehr möchte ich unseren Glauben und unsere Hoffnung mit dem dritten Gedanken aufbauen und stärken:

  1. Wer den Sohn Gottes aufnimmt, wird selbst zu Gottes Kind

Auch dieser Satz von Johannes ist voller Diskussionsbedarf: Was heisst es denn, Gottes Sohn «aufzunehmen»? Was kann und muss ich dazu beitragen, was bewirkt Gottes Gnade und Geist? Wie zeigt es sich, dass ich ein Kind Gottes bin? Bin ich als Gotteskind fehlerfrei und vollkommen? Durchleben Kinder Gottes auch eine Pubertät? Gibt es bei Gott Lieblingskinder?
Diese Fragen werden im Johannesevangelium ausführlich diskutiert: Mit dem jüdischen Gelehrten Nikodemus (Johannes 3), mit der samaritanischen Frau am Brunnen (Johannes 4), mit einer überführten Ehebrecherin (Johannes 8), mit den jüdischen Schriftgelehrten und zwischendurch immer wieder sehr ausführlich mit seinen Jüngern. Deshalb möchte ich den Gedanken der Gotteskindschaft hier nicht weiter ausführen, sondern wie Johannes mit seinen «steilen» Sätzen in seinem Evangelien-Vorwort zu eigenen Gedanken und zum Gespräch untereinander auf- und herausfordern. Und um es für die heutigen Ohren etwas zuzuspitzen, zitiere ich den Priester und Dichter Angelus Silesius (1624 – 1677): «Wird Christus tausendmal zu Bethlehem geboren Und nicht in dir, du bleibst noch ewiglich verloren.»

Amen

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Liedvorschläge

ERG 53 Singet dem Herrn ein neues Lied (zu Psalm 96)

ERG 169 Christus, dein Licht | Jésus le Christ

ERG 395 Lobt Gott, ihr Christen, alle gleich

ERG 404 Jauchzet, ihr Himmel, frohlocket ihr Engel in Chören

ERG 408 Dies ist der Tag, den Gott gemacht

ERG 413 Herbei, o ihr Gläub’gen

ERG 835 Gib uns Weisheit, gib uns Mut

RW 66 Gottes Wort ist wie Licht in der Nacht | Vihuda le’olam teshev

RW 36 Ich will dich anbeten | Licht dieser Welt | Here I am to worship

RW 121 Von guten Mächten

*) Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

**) Die Zürcher Bibel, Ausgabe 2007, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich

ERG = Gesangbuch der Evangelisch-reformierten Kirchen der deutschsprachigen Schweiz, © Friedrich Reinhard Verlag Basel, & Theologischer Verlag, Zürich 1998

RW = Rückenwind, Lieder für den Gottesdienst, Hrsg. Evang Landeskirche des Kantons Thurgau, Theologischer Verlag, Zürich 2017

Bilder

Pfr. Paul Wellauer, Bischofszell, Schweiz

E-Mail: paul.wellauer@internetkirche.ch

Web: www.internetkirche.ch | www.internetkirche.ch/livestream | www.evang-tg.ch

Paul Wellauer, geb. 1967, Pfarrer und Mitglied im Kirchenrat der evangelischen Landeskirche des Kantons Thurgau, Schweiz. Seit 2009 in Bischofszell-Hauptwil, 1996-2009 in Zürich-Altstetten, davor 1993-1996 Seelsorger und Projektleiter in der Stiftung Sozialwerke Pfr. Ernst Sieber, Zürich