Johannes 1,19–28

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Zwei Gestalten, zwei Schicksale | 4. Advent | 22.12.2024 | Johannes 1,19–28 | Jan Sievert Asmussen |

Die uralten Embleme des Theaters sind zwei Masken, die eine vergrämt und die andere froh lachend, die Tragödie und die Komödie. Weinen hat seine Zeit, Lachen hat seine Zeit. Klagen hat seine Zeit, Tanzen hat seine Zeit. Zu jeder Maske gehört eine Jahreszeit, und die Wintersonnenwende gestern gegen 10 Uhr ist der Übergang zwischen beiden Phasen. In wenigen Tagen ist der Unterschied merkbar, und in wenigen Monaten ist es wieder hell, fast rund um die Uhr. Der Tod des Sommers in den Herbst hinein und die Auferstehung im Frühling sind durch Jahrtausende in unsere nordischen gequälten und erlösten Seelen eingraviert. Wintersonnenwende, wie die Alten es auch immer erkennen konnten: Man wusste, es ereignete sich gerade jetzt, vor Weihnachten.

Die Zeit teilt sich in ein Halbjahr des Abnehmens und ein Halbjahr des Zunehmens von Licht. Auch nicht in der Ära des elektrischen Lichtes sind wir davon unberührt. Das Dunkel des Novembers und Dezembers zeigt Verfall und Untergang, die Zeit der Tragödie. Das Licht von März und April macht neue Hoffnung selbst für den ältesten Krüppel. Es ist die Zeit der Komödie: So viel Dunkelheit und jetzt wieder ein starkes Licht.

Das Christentum hat den großen Gestalten Jesus und Johannes jedem sein eigenes Halbjahr zugeordnet. Jesus ist der Held einer Komödie, denn in einer solchen geht es immer vom Dunkeln ins Licht, von Karfreitag in den Ostermorgen. Und was dunkel beginnt und hell endet, ruft das befreite Lachen hervor. Wir lachen dann zu Ostern zusammen mit dem Heiligen Geist, und die Welt wird von jeder Finsternis befreit.

Johannes ist jedoch sein Gegenpol. Die große tragische Gestalt unter den Personen der Evangelien. Er kommt vom Licht und endet in der Finsternis. Johannes ist ein Verwandter Jesu, wie er durch die Hilfe eines Engels empfangen und wie Jesus als Kind von Engeln behütet. Jesus wird immer größer und am Ende so groß, dass die Kirche entsteht und sein Wort bis in diesen Sonntag reicht. Johannes verschwindet jedoch in seiner Finsternis. Wie er selber sagt: „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ (Joh. 3,30). Genau dieses macht ihn zu einer tragischen Gestalt.

Johannes taufte Menschen im Fluss Jordan. Leute kamen in Mengen, hörten ihn zur Umkehr rufen und wurden in das Wasser getaucht. Johannes war nicht der Christus, nur ein Vorläufer, nicht wert, dass er seine Schuhriemen löse. Seine Aufgabe war, den Weg zu bereiten und zu verkünden: Bekehrt euch, dass Ihr den Heiland sehen könnt, wenn er kommt. Johannes stand in der Tradition des Alten Testamentes als der letzte Prophet. „Ebnet den Weg des Herrn“, sagte er über sich selber. Das war seine Tat.

Auch Jesus kam und wurde von Johannes getauft. Und damit war die Aufgabe des Johannes getan. Nach ihm fingen die Jünger Jesu an zu taufen. Der Scheitelpunkt war überschritten, und Johannes konnte sich zurückziehen. Aus Vorbereitung war Erfüllung der alten Prophetien geworden. „Ebnet den Weg des Herrn!“ – Jetzt war er da!

Es ist ein Irrtum zu denken, Johannes und Jesus wären Konkurrenten. Im Gegenteil: Als der Weg der beiden sich kreuzte, Jesus nach oben und Johannes nach unten, war alles genau, wie es sein sollte. Johannes war wie eine Hülle mit einem ganz besonderen Inhalt, nämlich das Wort Gottes auf Erden. Als Jesus kam, musste Johannes schweigen. Deshalb sieht man ihn auf alten Altarbildern stehend unter dem Kreuz, auf Jesus zeigend: „Er muss wachsen, ich aber abnehmen“.

 In der Gestalt des Johannes äußert sich die größte Hingabe, nämlich die Freude, etwas Wertvolles weiterzureichen. Wie ein Sammler, der keine größere Freude kennt als die Sammlung seinem Sohn zu überlassen. Es gibt keinen falschen Ton, kein Misstrauen gegen Jesus, ob er es auch übernehmen kann.

Johannes der Täufer wird aber nicht in dieser Zufriedenheit sterben. Als sich die Dunkelheit über ihn senkt und kaum einer mehr zur Taufe im Fluss kommt, besuchen ihn die Geister des Zweifels. Alles gab ich dem Jesus – was wird daraus? Ich gab dir meine Sammlung – du hast sie wohl nicht verbrannt? Ich überließ dir meine Arbeit – wurde mein Werk dadurch vergebens?

Denn Jesus ist keinesfalls, wie ihn Johannes erwartet hat. Nicht der mächtige Prophet, der die ganze Welt zur Umkehr und Taufe im Fluss in der Wüste bringt. Nicht der starke König, der in Israel herrschen sollte. Johannes hatte Jesus getauft in der Zuversicht, dass Jesus größer sein würde als er selber. Wurde es wirklich so?

Deshalb endet die Geschichte des Johannes damit, dass er aus seinem Gefängnis Boten schickt zu Jesus: „Bist du der, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?“ (Matt. 11,3). Diese Frage stellt ein Mensch als letzte vor seinem Tod, und an der Antwort hängt der Sinn seines Lebens. Eine Frage, kurz bevor er in der Finsternis verschwindet – mit seinem Haupt auf der Schüssel der tanzenden Salome. Um einen Kopf gekürzt, also noch kleiner zuletzt. Zu fast der gleichen Zeit, unweit von diesem Ort, stand Jesus auf von den Toten und setzte sich an die Seite des Allmächtigen. Größer ging es nicht!

 Johannes ist die tragische Gestalt des Neuen Testament. Er kommt aus dem Licht, tritt gehorsam zur Seite und weiß zuletzt weder ein noch aus. Er hatte den Messias getroffen und ihn sogar getauft. Er hatte seine eigenen Ziele für ihn geopfert und endete doch im Dunkel des Zweifels: „Bist du der, der da kommen soll?“

„Nach mir kommt ein Mann, der vor mir gewesen ist, denn er war eher als ich“, sagt Johannes seinen Jüngern. Wenn der Messias kommt, wirkt Allmacht auf Erden. Der Messias reinigt die Erde, wirft die Bösen in die Tiefe und versammelt die Gerechten um sich. Und dann geht es im Galopp Richtung himmlisches Jerusalem. Wenn der Messias kommt, sagten die alten Propheten, „werden die Berge von ihrem Blut fließen, und alles Heer des Himmels wird dahinschwinden, und der Himmel wird zusammengerollt werden wie eine Buchrolle“ (Jess 34,3-4).

Das Schicksal des Johannes ist, dass der Messias in dieser Weise nicht kommen wird. Johannes hätte kaum verstanden, dass Gott seinen Sohn zur Erde sandte in der Gestalt eines Kindes. Er verstand kaum, dass Jesus kein Rächer der Ungerechtigkeit wurde. Johannes stand im Alten Bund, und dort ist es undenkbar, dass Gott seine Allmacht preisgeben könnte und sich so eng mit der Menschlichkeit verbinden sollte wie das Kind in Betlehem an Marias Brust. Preisgegeben wie der Mann, der den Schmerzen erliegt, als man ihm in die Seite sticht.

„Er muss wachsen, ich aber abnehmen“. So endet die Geschichte des Johannes, des Vorläufers, der Stimme in der Wüste. Seine Erwartung macht deutlich, wie wundersam die Geburt im Stall war. Wie eigentümlich das Kommen des Lichts war. Wie es in einem Kinde wuchs, auf Golgatha flackerte und zuletzt lichterloh über die Köpfe der Jünger am Pfingstmorgen brannte.

Das Theater hat zwei Masken. Sie sind gegenseitig bedingt wie Johannes und Jesus. Wie Finsternis und Licht. Amen.

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Pastor Jan Sievert Asmussen

DK-3520 Farum

Email: jsas(at)km.dk