
Johannes 1,35-51
Johannes 1,35-51 (dänische Perikopenordnung)
Das heutige Evangelium handelt vom Sehen. Das Wort „sehen“
ist fast ein Kehrreim im heutigen Evangelium, der immer wiederkehrt.
Es kommt ganze 17 Mal vor. Es beginnt damit, daß Johannes der
Täufer Jesus sieht. Als seine Jünger Jesus folgen, sagt er:
„Kommt und seht“. Und so geht es weiter durch den ganzen langen
Text. Jesus sagt über Nathanael: „Siehe, ein rechter Israelit,
in welchem kein Falsch ist“. Und etwas später: Ich sah dich
unter dem Feigenbaum. Glaubst du, weil ich dir gesagt habe, daß
ich dich gesehen habe – und: „Du wirst noch Größeres
als das sehen“. Der innere Zusammenhang in diesem langen Text wird
durch das Wort „sehen“ geschaffen.
Sehen ist ein sehr modernes Wort. Es bedeutet für uns, was unsere
Augen sehen. Denn wir verhalten uns zu dem, was wir im Fernsehen oder
in der Zeitung sehen. Es geht darum, sichtbar zu werden, bemerkt zu
werden. Eine der Modeworte der letzten Zeit ist „Sichtbarmachen“.
Ob es nun um einen Verein geht oder eine öffentliche Behörde,
sichtbar werden ist das Ziel. Gesehen werden. Sich der Szene bemächtigen.
Auf sich selbst aufmerksam machen, der ganzen Welt von den Vorzügen
erzählen, die gerade ich oder mein Verein haben.
So ist es auch mit Leuten, die meinen, die Volkskirche sollte in der
Gesellschaft sichtbar werden. Sich der Szene bemächtigen. Und das
mag der Fall sein, daß ein Bedarf besteht, die Volkskriche und
ihre Angebote an die Menschen in dieser Weise sichtbar zu machen. Die
Kenntnisse über Kirche und Christentum sind überall gering.
Es scheint, als sähen viel zu wenig Menschen die Kirche. Und was
schlimmer ist: Vieleicht haben viele auch aufgehört, nach der Kirche
zu blicken.
Das heutige Evangelium erzählt von einigen Menschen, die zum
ersten Mal in ihrem Leben Jesus sahen und ihm begegneten. Diese Begegnung
veränderte ihr Leben. Sie wurden seine Jünger. Von diesem
Tag bis zum Ende ihrer Tage waren sie von ihm abhängig. Sie mußten
ihm folgen, auf sein Wort hören, seine Taten sehen, bei ihm bis
zuletzt bleiben. Auf Grund dessen, was sie gesehen hatten.
Man kann in zwei verschiedenen Weisen sehen. Erstens kann man registrieren,
daß etwas da ist. So wie dies eine Kamera tut, wenn wir ein Bild
aufnehmen. Und dann kann man sehen – und von dem ergriffen werden, was
man sieht. Die Jünger, die im heutigen Evangelium von Jesus berufen
werden, sahen ihn in dieser letzteren Weise. Er kam und ging an den
beiden und Johannes dem Täufer vorbei, der bei ihnen stand. Sie
waren nämlich damals Jünger von Johannes dem Täufer.
Der eine von ihnen war Andreas, der Bruder von Simon Petrus. Zu ihnen
sagt Johannes der Täufer: „Siehe, das ist Gotes Lamm“.
Sie sahen nicht mehr mit dem photographischen, registrierenden
Blick, sondern mit dem Herzen. Oder anders gesagt: Jesus wurde nicht
sichtbar gemacht für sie – er wurde deutlich gemacht mit den Worten:
„Siehe, das ist Gottes Lamm“. Und eben in dieser Bezeichnung
Lamm Gottes liegt eine Beschreibung dessen, wer Jesus war. Er war nicht
ein sich selbst promovierender neuer alternativer und spannender
religiöser Lehrer, der darauf aus war, neue Jünger für
seine Schule zu keilen. Nein, er war Lamm Gottes. Und jeder Jude wußte,
was das bedeutete.
Jedes Jahr zu Ostern schlachtete ein jüdischer Familienvater
ein Lamm und strich das Blut an die Türpfosten, zum Gedenken in
der Familie an den Auszug aus Ägypten, als Gott der Herr das Volk
aus seiner Gefangenschaft befreite.
Und jedes Jahr am 14. des Monats, der Nissan genannt wird, schlachtete
man im Tempel ein Lamm. Ein Osterlamm, als ein Opfer an Gott. So sieht
Johannes der Täufer voraus, daß Jesus von Nazareth der sein
wird, der uns aus der Gefangenschaft befreit. Der, der sein Leben für
andere gibt. Und dies machte er den beiden Jüngern deutlich, die
Jesus folgten.
Das ist das erste, was uns das Evangelium des Tages erzählen
will, daß es jemanden geben muß, der deutlich macht, was
und wer Jesus Christus ist. Das ist die Aufgabe der Kirche. Das ist
die Aufgabe aller Taufeltern, das Chistentum nicht sichtbar, aber deutlich
zu machen. Andere mögen sichtbar machen. Andere mögen kämpfen
um Spaltenplatz in der Zeuitung und Sendezeit im Fernsehen. Weder Spaltenplatz
noch Sendezeit im Fernsehen geben der Kirche eine Zukunft im Volk. Der
dänische Volkserzieher und Pädagoge Christen Kold hat Recht,
wenn er von der Pädagogik sagt: Was aufgeklatscht wird, blättert
ab,. Wenn das Christentum sich nicht in den Leuten einwurzelt, blättert
es ab. Dann verschwindet es wieder.
Denken wir einmal jeder zurück an die Jahre, die wir gelebt haben.
Von den ersten Jahren an. Da bin ich fast sicher, daß es auch
in unserem Leben, in deinem und meinem Leben, einen Johannes der Täufer
gegeben hat, der uns Jesus deutlich gemacht hat. Vielleicht ein Vater
oder eine Mutter, die uns das Vaterunser gelehrt haben. Oder vielleicht
ein anderer Mensch, der auf den Heiland der Welt hingewiesen hat. Und
da hat alles angefangen. Wie Paulus sagt: Der Glaube kommt aus dem Hören.
Die drei kurzen Worte: „Siehe, Gottes Lamm“, sind vielleicht
die kürzeste Predigt, die wir gehört haben. Dennich sind sie
eine ganze und volle Predigt, denn mehr als das können wir eigentlich
nicht sagen. Das ist der rote Faden in jeder Predigt. Wir können
von Jesus Christus zeugen. Ihn vielen Menschen verdeutlichen. Auf ihn
hinweisen. Alles, was dann nioch geschieht, ist Sache Gotes und
Werk Gottes. Denn Gott selbst schafft durchy seinen Heiligen Geist bei
den Menschen Glauben. Aber damit der Glaube geschaffen werden kann,
muß Jesus Christus deutlich gemacht werden. Wie Johannes der Täufer
dies im heutigen Evangelium tut. Durch jeden Gottesdeienst tönen
die Worte Johahhes des Täufers: Siehe, das Lamm Gottes. Und die
Aufagbe des Pfarrers ist es, dies zu wiederholen, mit neuen Worten,
mit anderen Formulierungen, unter anderen Gesichtspunkten. Aber alles
ist eine Wiederholung dieser kurzen Predigt: Siehe, das Lamm Gottes.
Wir feiern Gottesdienst, um zu verdeutlichen, an wen und was wir glauben.
Die kurze zentrale Predigt: „Siehe, das Lamm Gottes“ erzählt
uns, daß der Glaube und die Vergebung uns als eine Gabe Gottes
gerecht werden. Das Wichtigste in unserem Leben, von Anfang bis zum
Ende, ist das, was uns geschenkt wird. Größere Liebe als
die, sein eigenes Leben zu geben, gibt es nicht. Und eben dies erzählt
diese kurze Predigt. Das ist eine Gabe, die uns gereicht wird wie Wasser
dem Durstigen.
Was aber sagt Gott denn zu uns? Er sagt das, was Jesus den beiden
Jüngern im Evangelium sagt: Kommt. Kommt uns seht, sagte Jesus
zu ihnen. Und sie kamen und sahen. Die Kirche Gottes ist eine offene
ür für jeden Menschen. Und über dieser Tür steht:
Kommt! Vielleicht finden einige deshalb die Kirche etwas altmodisch.
Denn es kann ja wohl nicht wahr sein, daß Gott nur sagt: Kommt!
Das kann doch nicht allen gelten.
In eine Diskothek kommt man nicht hinein, wenn man nicht ordentlich
gekleidet ist. Und selbst die ordentlich gekleideten, die die Bedingungen
erfüllen, stehen Freitag Abends in langen Schlangen und warten
auf Einlaß. An der Schule für Krankenschwestern, der
Pädagogischen Hochschule oder der Universität wuird man nicht
aufgenommen, wenn man die Aufnahmekriterien nicht erfüllt. Wir
sind daran gewöhnt, daß man sich qualifizieren muß.
Auch wenn wir einmal vielleicht gerne in ein Pflegeheim wollen. Da kommen
wir auch nur hinein, wenn wir die Bedingungen erfüllen, die für
die Aufnahme notwendig sind.
Aber Gott sagt: Kommt! In der Taufe begegnet dem kleinen Menschen
die Liebe des allmächtigen Gottes, weil Jesus Christus uns erlaugt
hat, Kinder Gottes zu werden. Und nun kann dieser kleine Mensch sein
ganzes Leben unter diesem Wort leben: „Komm“! Den der Getaufte
wird immer das Kind Gottes sein.
Und wenn wir uns am Abendmahlstisch versammelæn, hören
wir wider dieses Wort „Kommt“. Ein kleines Stück Brot
und einige Tropfen Wein machen deutlich, daß Gott sich weiter
zu uns bekennt und und einlädt, mit ihm das Mahl zu feiern. So
wie er sich Karfreitag uns seinen Sohn gab, so gibt er uns ihn im Wein
und Brot. Und hier können wir kommen, wie unfertig und unsicher
wir uns auch fühlen mögen.
Laßt uns von diesem Gottesdienst gehen mit dem Klang der kurzen
Predigt von Johannes dem Täufer in unserem Herzen: Kommt! Daß
wir quer durch all das, was unser Leben erfüllt, all unsere Freude,
unserer Schmerz, unsere Siege und unsere Niederlagen sehen, daß
Gott der beleibt, der er ist, auch wenn alles andere vergeht. Er braucht
sich nicht in en Vordergrund zu rücken, um sich sichtbar zu machen.
Aber er muß den Menschen von heute deutlich gemacht werden. Daß
Menschen hören und glauben mögen. Vom Lamm Gottes hören.
Glauben, daß dies wahr ist: Kommt und seht! Amen.
Bischof Karsten Nissen
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