
Johannes 16,5-15
Kantate | 18.05.25 | Johannes 16,5-15 (dänische Perikopenordnung) | Von Poul Joachim Stender |
Gebet – Kraft des Geistes und Einübung in Demut
An einem Sonntag, wo Jesus zu seinen Jüngern sagt: „Niemand von euch fragt mich: Wo gehst du hin?“ kann man gut höflich dazu auffordern, dass wir nicht vergessen, nach einander zu fragen. Und vielleicht vor allem nach denen, die uns am nächsten stehen. Ehepartner, erwachsene Kinder, Kollegen. Wir glauben, dass wir sie kennen. Aber wir vergessen zu fragen, wie es ihnen geht, was sie denken, was in ihnen vorgeht. Und deshalb lasst und beten für die vielen, vielen Menschen um uns, von denen wir nicht wissen, wohin sie unterwegs sind. Sie brauchen unsere Gebete. Wir Dänen reden lieber von unserem Liebesleben als von unserem Gebetsleben. In Bezug auf Gebete sind wir sehr zurückhaltend. Amerikanische Pastoren sind gute Beter. Sie erheben sich und beten dann ein freies Gebet, das von Herzen kommt. Hier bei uns sind wir Vateruser-Fundamentalisten. Wir beten immer das Vaterunser, als gäbe es keine anderen Gebete. Wenn ein dänischer Pastor an der Kirchentür von einem Kirchgänger erfährt, dass der Ehepartner des betreffenden ernsthaft krank geworden ist und auf der Akutabteilung im Krankenhaus zwischen Leben und Tod kämpft, sagt der Pastor vielleicht irgendetwas Tröstliches, was ein Psychologe auch hätte sagen können. Aber so würde sich ein amerikanischer Pastor nicht verhalten. Er würde den betreffenden in die Kirche mitnehmen, sich auch eine Kirchenbank setzen, den betreffenden an die Hand nehmen und ein Gebet für den Kranken sprechen. Meine Erfahrung von Krankenbesuchen ist, dass die Leute viel mehr davon haben, dass ich mit ihnen bete, als dass ich dasitze und mit frommen und intellektuellen Betrachtungen über Leben und Tod komme. Es ist nicht unappetitlich, dass man betet. Viele in unserem Bekanntenkreis würden sich freuen, wenn wir ihnen sagten, wenn sie Probleme haben: ich will für dich beten. Dann muss man natürlich auch das halten, was man verspricht. Die Fürbitte hat eine große Macht. Es ist leichter, seine Sorgen und Probleme in den Griff zu bekommen, wenn man weiß, dass gute Leute für einen beten. Ich vergesse nie, als zwei Jungen hier aus der Gemeinde bewusstlos und verletzt im Kopenhagener Krankenhaus lagen. Ich besuchte sie und versprach den Eltern, dass ich am Sonntag beim Gottesdienst für ihre Jungen beten würde. Wir sind eine Gemeinde. Wir sollen für einander um das Glück und die Gesundheit beten. Es sind nicht nur die Hungernden und die Sterbenden, die unsere Gebete brauchen. Da sind viele unter uns, die das sehr wohl brauchen, dass für sie gebetet wird.
Im Evangelium hält Jesus eine Abschiedsrede für seine Jünger. Das ist eine andere Sache, die wie das Gebetsleben weniger gepflegt wird. Abschiedsreden und Abschiedsbriefe. Es ist selten, dass wir, wenn der Tod bevorsteht oder wenn wir zu einer längeren Reise aufbrechen, einige Abschiedsworte an unsere Nächsten richten. Wir erzählen nicht von unseren Zielen, Visionen, Ideen. Bald werden viele aufbrechen und in den Sommerferien verreisen. Sorge dafür, einen Brief unter die persönlichen Papiere mit dem letzten Willen zu legen und einigen Worten darüber, was das Leben für einen bedeutet hat und in welchem Geist man wünscht, dass die nächsten Angehörigen das Dasein fortsetzen. Mit anderen Worten: Schreib ein geistliches Testament. Hans Christian Andersen sagt: Reisen heißt leben. Reisen kann jedoch auch Sterben bedeuten. Wir verlassen Menschen, die wir lieben und denen wir sagen, dass wir wiederkommen. In der Abschiedsrede Jesu verspricht er uns, dass er uns den Heiligen Geist schickt. Der Heilige Geist bewirkt, dass uns das Leben gelingt. Der frühere Präsident Obama verwandte mehr als andere Präsidenten das Gebet. Er war der mächtigste Mann der Welt. Er verfügte über Atomwaffen und militärische und technologische Macht, die hinter seinen Worten standen. Aber mit dem Gebet bekannte er, dass selbst der mächtigste Mann der Welt ohne die Hilfe Gottes nichts Gutes und Großes ausrichten konnte. Als Menschen haben wir nicht alles unter Kontrolle. Das haben der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Das Gebet bedeutet viele Dinge. Es ist unter anderem eine Einübung in Demut. Eine Erkenntnis, dass wir Mächten und Kräften ausgeliefert sind, die wir nicht beherrschen. Es ist der Geist Gottes, der uns bei dem Abendmahl, das wir gleich feiern, davon überzeugt, dass das Brot, das wir essen, der Leib Jesu Christi ist. Es ist der Heilige Geist, der unsere Augen dafür öffnen will, dass der Wein, den wir trinken, das Blut Jesu Christi ist. Unser Leben ist geprägt von nüchternen und rationellen Handlungen. Wir tun, was zweckmäßig ist für unseren Wohlstand und unsere Lebensziele. Aber wir brauchen die göttliche Kraft, den heiligen Geist, der unser Leben erhebt über das Nüchterne und Rationelle. In einem Wohlfahrtsstaat wie Dänemark gibt es wunderbare Gebäude. Es fehlt an nichts. Aber das sind leere Hülsen, wenn dort kein guter Geist herrscht. Was sollen wir mit großen hellen Zimmern für die Alten in den Pflegeheimen, wenn wir, ihre Kinder, so geistlos sind, dass wir unsere Eltern nie besuchen? Was sollen wir mit schönen Häusern, wenn wir so hart arbeiten müssen um sie zu finanzieren, dass keine Zeit bleibt für Nähe und Liebe in den vier Wänden unserer Wohnung? Was haben wir von all den Markentextilien, die das Leben anderer tyrannisieren? Deshalb müssen wir, so wie es die Christen an vielen anderen Orten der Welt, z.B.in den USA, ein Gebetsleben entwickeln, wo wir darum bitten, dass der Heilige Geist zu uns kommt und unser Leben öffnet, so dass es nicht die Marken der Unterhosen oder andre leere Dinge sind, die den Inhalt des Lebens ausmachen.
In seiner Abschiedsrede verspricht uns Jesus, dass er uns den Heiligen Geist senden wird. Können wir ein schönes Versprechen empfangen? Geist ist ein altes Wort dafür, dass das Leben uns etwas angeht. Und beachtet, dass ich nichtsage, dass Geist ein altes Wort dafür ist, dass man das Leben versteht. Wer kann das schon? Geist bedeutet, dass das Leben mit Inhalt und Sinn gefüllt wird. Wenn ich uns Meschen mit den Windmühlen von Vesta vergleiche, dann werden wir nicht wir die Flügel der Windmühle durch den Wind in Bewegung gebracht, weil wir mehr verdienen oder mehr Besitz oder Macht bekommen. Es ist der Heilige Geist, der uns in Bewegung setzt, es sind der Glaube, die Hoffnung und die Liebe, die wir von Jesus Christus bekommen haben und noch bekommen, die uns zu lebendigen geistvollen Menschen machen. Es erfordert aber ein Ding, ehe wir entdecken können, dass Jesus und den Heiligen Geist gesandt hat. Wir müssen Gott bitten, dass er unsere Herzen für seinen Geist öffnet. Deshalb schließe ich heute meine Predigt nicht wie sonst mit einem Gott befohlen, sondern mit dem Gebet: Heilger Geist du Tröster mein, hoch vom Himmel uns erschein mit dem Licht der Gnaden dein[1]. Amen.
—
Pastor Poul Joachim Stender
DK 4060 Kirke Såby
pjs(at)km.dk
[1] Ev. Gesangbuch 128 (Veni sancte spiritus)