Johannes 18,28 – 19,5

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Dornen-Krone | Predigt zu Johannes 18,28 – 19,5 | Sonntag 6. April 2025 | Eberhard Busch |

Pilatus sagte (zu Jesus): was hast du getan? Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. … Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? Da nahm Pilatus Jesus und ließ ihn geißeln. Und die Soldaten flochten eine Krone aus Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurgewand an und traten zu ihm und sprachen: Sei gegrüßt, König der Juden!, und schlugen ihm ins Gesicht. Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch! 

Sehet! – wird uns da gesagt. Augen auf! Aufgepasst, dass ihr um Himmels willen nicht verpasst, was es da zu sehen gibt. Es wäre ewig schad‘ drum, wenn eure Augen ständig bloß anderswohin gerichtet sind. Man kann blind sein – und sieht doch das Ungesehene. Und man kann gesunde Augen im Kopf haben – und läuft doch bei rot über die Kreuzung. So oder so, uns allen ist es gesagt: Sehet! „Augen, meine lieben Fensterlein “ (Gottfried Keller): es lohnt sich hinzugucken. Auf dem Schreibtisch einer früh verstorbenen Frau sah ich den Spruch des biblischen Propheten Jesaja (33,17) stehen  „Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne.“

Sehen wir näher hin und fragen, was geschieht, wenn wir ihn, diesen König, sehen, den „König der Juden“. Der stille Leinenweber und Liederdichter Gerhard Tersteegen hat darüber gejubelt: „Jauchzet im Himmel, frohlocket, ihr Engel in Chören, singet dem Herren, dem Heiland der Menschen zu Ehren. Sehet doch da: Gott will so freundlich, so nah, zu den Verlornen sich kehren“. Darum geht es, wenn wir unsere Augen dahin richten! Wie sollten wir da nicht jubeln!, und erst recht, wenn wir in der nächsten Strophe vernehmen: „Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden“. Wie sollten wir uns darüber nicht freuen: Die Vergessenen sind nicht mehr vergessen, die Abgehängten sind nicht länger abgehängt, die Verlorenen sind gefunden, den Missratenen hilft ein Freund auf die Beine, die Verdammten sind von ihm umarmt.

Wie kommt das Wundervolle zustande? Seht! – wohin?! Ein König kommt daher. Er sieht bei uns zum Rechten. Er greift ein zur Beseitigung von Störungen: ein König sondergleichen. Er ist eben nicht von dieser Welt. Wohlverstanden: er ist nicht weltflüchtig.. Er ist da für unsre Welt. Mit ihm kommt frischer Wind in unsere Gebiete. Eine wahre Größe ist da am Werk. Er kann, was er will. Und er will, was er kann. Er ist ein Hochwürden. Es gehört sich, vor ihm auf die Knie zu gehen. Von ihm singt der Choral: „O großer König, groß zu allen Zeiten.“

Doch sehen wir noch genauer hin! Es handelt sich um einen König der besonderen Art, ganz anders als die, die sich noch unter diesem Titel im Blätterwald präsentieren und die von den Adelsexpertinnen frisiert werden. „Deine Augen werden den König sehen in seiner Schöne“? – aber der hier ist eine verfremdete, eine anstößige Schönheit. Angesteckt von den Verlorenen, mit denen der Hohe sich abgibt, ja, mit denen er sich verknüpft. Er ist gezeichnet von dem Umgang, den er pflegt. Er ist wohl König, aber seine Krone ist eine Dornenkrone. Er, der „liebe Heiland“, wie man ihn nennt, der ist geschunden, blutverschmiert, ein König, dem das Elend der Welt ins Gesicht geschrieben ist. Da, „seht, welch ein Mensch!“ „Du edles Angesichte …, wie bist du so entstellt“ (Paul Gerhardt).

Warum lässt er sich darauf ein? Warum tut er sich das an? Er tut es in freiwilligem Einsatz, nicht weil er aus Versehen unter die Räder kommt. Er tut es darum, weil er der ist, „der zu den Verlornen sich kehret“. Er will nicht ohne sie sein. Das ist dabei seine gute Absicht: „Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden“, geradezu zu Partnern, die auf Du und Du miteinander verkehren. Ist ihr Beisammen nicht ein Ding der Unmöglichkeit? Ein hölzernes Eisen? Stoßen sich Gut und Böse nicht von einander ab? Und doch ist das Unmögliche wahr und ist ewig gültig: Er ist mit denen, die zueinander nicht passen. Immanuel, das heißt: „Gott mit uns“, das ist sein Name. Er nimmt teil an unsrem Ergehen, wird dabei wie einer von uns. In der Tat, er will Arm in Arm mit Übeltätern gesehen werden. Wie er sich dann auch in der Kreuzesstunde mitten zwischen zwei Übeltätern befindet (Lk 23, 39).

Eben das ist die Wahrheit, die hier aufgedeckt wird: „Gott will so freundlich, so nah zu den Verlornen sich kehren.“ Das ist die Wahrheit für die Jesus steht, die er bezeugt, für die er seine Hand ins Feuer legt. Wenn man sich auf ihn beruft, dann bitte darauf. Das ist eine goldene Wahrheit, die nicht in unserer Hand zerrinnt. Diese Wahrheit ist uns tröstlich. Sie macht uns zuversichtlich. Sie ist kein Luftballon, der uns aus der Hand gleitet, wer weiß wohn? Und diese Wahrheit ist keine leere Hülse, die man beliebig füllen kann. Sie ist gefüllt randvoll mit Güte oder sie ist nicht wahr. Wer nackte Tatsachen nennt, sagt noch nicht die Wahrheit. Geschult an Wahrheitszeugen Jesus wird uns klar, was Wahrheit ist. In dem Wort „Wahrheitsliebe“ steckt nicht umsonst das Wort Liebe. Wer die Wahrheit liebt, wird die Wahrheit in Liebe sagen.

Gleichwohl ist sie eine angefochtene Wahrheit. Wie manches Mal will man sie nicht wahr haben! Obacht! Was der Wahrheit widerspricht, das sind Lügen. Lügen sind  schrecklich weitverbreitet.  Allen ist gemeinsam, dass sie uns einreden, einflüstern, ausrechnen, man könne sich nicht auf die Wahrheit verlassen. Lügen führen uns in die Irre. Man sagt zwar, Lügen haben kurze Beine. Doch leider können sie sich auf ihren Stummeln erstaunlich lange fortbewegen. Ihnen geht schier nicht die Luft aus und sie verbreiten sich wie die Pest.

Ein spezieller Graus sind die Halbwahrheiten. Die scheinen teils recht zu haben. Deshalb gehen wir ihnen so oft auf den Leim. Sie hängen wie Kletten an der Wahrheit und lassen sich schwerlich beseitigen. Das Halbwahre ist gefährlicher als das Falsche. Genau so verhält es sich bei  der Pilatusfrage: was ist Wahrheit? Sie ist vollgestopft mit Gleichgültigkeit: Man kann es so oder anders auffassen, wer weiß das schon! Dies oder das Gegenteil ist richtig!, meint Pilatus. Er hält Jesus für unschuldig und lässt ihn auspeitschen. Er wäscht seine Hände in Unschuld und gibt ihm Hiebe. Diese Unart kennen wir: Keine Herrscher ohne seine willigen Helfershelfer und Zuträger. Man beteiligt sich an Morden und erklärt: Ich bins nicht gewesen. So wird die goldene Wahrheit eine angefochtene Wahrheit. In dieser Lage müssen wir dringend beten: „Erhalt uns in der Wahrheit“!

Jesus ist bei seinem Eintreten für die Wahrheit einsam. Und doch ist er nicht ganz allein. Wie könnte er Alleinsein gelten lassen, wenn seine Wahrheit verantwortlich füreinander macht! Mitverantwortlich für Andere, Fremde. Er hat Frauen und Männer jeglichen Alters und Berufs, die ihm dabei folgen. Denn er sagt wahrhaftig:  „Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme.“ Das betrifft jetzt uns. Wer die Stimme der Wahrheit gehört hat, den lässt sie nicht mehr los. Der hält sich daran, dass auf sie Verlass ist. Der hört sie gleichsam aus seinem Munde. Und hören auf seine Stimme, das schafft Verdruss an der Lüge. Wer sie wahrgenommen hat, der hört lieber auf seine Stimme. Der folgt ihr, – selbst wenn er dabei der Stimme noch so vieler Anderer nicht mehr folgen kann. Das erfordert Mut, und wem der gegeben ist, dem wird es das Selbstverständlichste von der Welt sein, sich von der Unwahrheit nicht beirren zu lassen.                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Es gibt Stunden, in denen man für die Wahrheit den Kopf hinhalten muss. „Da tritt kein Andrer für dich ein.“ Dann ist dir klar: Dazu stehe ich. Darauf poche ich, und wenn ich darüber in die Minderheit gerate. Der Dichter Christian Morgenstern hat sogar gesagt.„Die zur Wahrheit wandern, wandern allein“. Das ist nicht bequem. So dass ich mich schließlich selber frage: Du kannst doch nicht allein recht haben. Du allein sicher nicht. Die Wahrheit  hat recht. Mag sie noch so umdunkelt sein von Finsternis, sie ist wie ein Stern am Abendhimmel. dessen Licht nicht verlöscht. Er leuchtet auch uns. Gott sei Dank!