Johannes 19,16–30

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Kreuz im Gegenlicht | Karfreitag | 18.04.2025 | Joh 19,16–30 | Dr. Friedrich Schmidt-Roscher |

Liebe Schwestern und Brüder,

Es ist vollbracht!“, sagt der gekreuzigte Jesus kurz vor seinem Tod im Evangelium des Johannes. Ungewöhnliche Worte für einen Menschen, der leidet. „Es ist vollbracht!“ könnte eher einer sagen, der alt geworden ist und nach einem gelungenen Leben lebenssatt stirbt. Doch der das sagt, endet als Verurteilter am Kreuz. Verlassen, verspottet, gescheitert.

In den anderen Evangelien werden andere Worte Jesu am Kreuz überliefert. Daran merken wir: Johannes Erzählung des Kreuzestodes Jesu ist kein Bericht dieses grausamen Schauspiels auf Golgatha. Es ist eine Deutung dieses Geschehens, eine Deutung von Ostern her. Eine Deutung des Kreuzes im österlichen Gegenlicht.

Ich möchte Ihnen dies an einem anderen letzten Wort verdeutlichen, an dem letzten Wort Dietrich Bonhoeffers. Eberhardt Bethges schreibt in seiner Bonhoeffer-Biographie: Als am 9. April 1945 ein Wachmann ruft: „Gefangener Bonhoeffer, fertigmachen und mitkommen,“ habe er zu einem Mitgefangen gesagt: „Das ist das Ende – für mich der Beginn des Lebens.“

Der Tod durch die Hinrichtung ist menschlich gesehen das Ende. Aber der Glaube sieht weiter. Mit dem Tod beginnt für Bonhoeffer neues Leben.

Worte, Sätze, die ein Mensch kurz vor seinem Sterben sagt, messen wir besondere Bedeutung zu. Scheinen sie doch das ganze Leben in ein bestimmtes Licht oder in eine bestimmte Deutung zu rücken.

„Es ist vollbracht“ deutet Jesu Leben als einen Dienst für andere Menschen. Vollbracht bedeutet aber auch, dass Gott bei dem Gekreuzigten ist, dass er das schreckliche Geschehen um Jesu und um unseretwillen zum Guten führt. Was auf den ersten Blick wie das furchtbare Ende eines gescheiterten Menschen erscheint, ist mit den Augen des Glaubens gelesen, der Sieg Gottes über die Mächte des Leidens, der Sünde und des Todes. Das Kreuz ist bei Johannes kein Zeichen für das Scheitern Jesu, sondern ein Zeichen des Heils, ein Zeichen also, dass es trotz allem gut wird. Jesus ist für Gott den Weg ans Kreuz gegangen, um uns Menschen von der Macht des Todes zu befreien und mit Gott zu versöhnen. Indem Jesus diesen schweren Weg zu Ende gegangen ist, hat er diesen Auftrag Gottes vollbracht.

Dieses letzte Wort Jesu macht Hoffnung an Karfreitag. Es ist ein Good Friday, wie es im Englischen heißt. Denn Gott schenkt Versöhnung und macht uns Menschen gut. Das Kreuz im Gegenlicht öffnet uns nicht nur die Augen für das Leiden in der Welt. Das Kreuz im Gegenlicht öffnet uns auch die Ohren für die Hoffnung, die durch Jesus in die Welt gekommen ist. Gott macht es gut. Auch das, was wir schlecht machen. Es ist vollbracht.

In der Geschichte von Jesu Kreuzigung ist der Ort von uns Christen unter dem Kreuz. Jesu Leiden und Sterben öffnet den Blick für die Menschen, die heute leiden. Im Blick auf das Kreuz wird Leiden nicht verdrängt oder verschwiegen.

In unserer Welt gibt es viele Menschen, die leiden. Entweder wird menschliches Leiden medial ausgeschlachtet oder massiv verdrängt. Beides – Leiden als Sensation und die Flucht vor dem Leid – finden wir schon in der Passionsgeschichte. Schaulustige folgen dem Kreuz, viele Jünger machen sich aus dem Staub. Unter dem Kreuz finden sich nur noch wenige, ein Mann und einige Frauen.

Wenn wir uns unter das Kreuz stellen, dann kann uns das die Augen öffnen für die Leidensgeschichten in unserem Dorf und in unserer Welt. Da gibt es Menschen, die schwer krank sind und viele Jahre unter Schmerzen leiden. Da gibt es Menschen, die seit vielen Jahren Angehörige pflegen. Da gibt es Familien, die trauern, weil sie viel zu früh einen geliebten Menschen verloren haben.

Das Leiden in unserer Welt tritt uns in diesen Tagen durch die Opfer der Kriege vor Augen. Es ist kaum zu ertragen, was in der Ukraine, aber auch im Gazastreifen oder im Sudan oder im Kongo an Gewalt, Tod und Leid geschieht.

Dass Gott sich mit dem leidenden und gekreuzigten Jesus identifiziert hat, bedeutet: er ist auf der Seite der Menschen, die leiden. Leiden und Elend hat er selbst hautnah erfahren. Das ist das Geheimnis des Kreuzes an Karfreitag: Gott kommt uns ganz nahe, gerade auch in unserem Leiden. Deshalb kann es geschehen, dass Menschen in ihrem Leiden Gottes Nähe und sein Mittragen spüren können.

Wenn Jesus sagt: „Mich dürstet“, dann wird die ganze Bedürftigkeit, die Angewiesenheit Jesu im Leiden deutlich. Da leidet einer nicht wie ein Halbgott, sondern wie ein Mensch, der auch im Leiden ohnmächtig ist. Jesus ist als Sterbender darauf angewiesen, dass andere da sind und mit Wasser seine Lippen benetzten. Doch Gott opfert nicht andere, wie es in den Kriegen geschieht. Er selbst gibt sich hin, um unsere Welt wieder gut zu machen.

Eine andere Szene bei der Kreuzigung im Johannesevangelium zeigt einen bizarren Streit um die Aufschrift. Pilatus lässt über dem Kreuz in lateinisch, griechisch und hebräisch anbringen, Jesus von Nazareth, König der Juden. Die Aufschrift macht deutlich, dass die Römer Christus gekreuzigt haben. Dieser Gekreuzigte ist nicht irgendwer, es ist der, den Gott gesandt hat, den König und Heiland der Welt. Der Maßstab für alle, denen Macht anvertraut wird, ist nicht die Mächtigkeit oder die Gewalt, sondern die Bereitschaft anderen zu dienen.

Mitten im schrecklichen Schauspiel der Hinrichtung auf Golgatha gibt es eine sehr anrührende Szene zwischen Maria und Johannes. Da stehen die beiden verlassenen Menschen und sind traurig über das Sterben und Leiden ihres Sohnes und besten Freundes. In ihrer Traurigkeit sind sie stumm und hilflos. Doch Jesus weist sie aufeinander hin: „Siehe, das ist dein Sohn.“ „Siehe, das ist deine Mutter.“ Indem er die verwaiste Mutter auf den Jünger verweist und den trauernden Johannes auf Maria, stiftet er zwischen diesen beiden traurigen Menschen eine neue Gemeinschaft. So entsteht Gemeinde, hat Martin Luther einmal gesagt, wo Menschen einander Halt und Trost geben. Da beginnt die neue Gemeinschaft Jesu Christi, wo wir füreinander da sind und uns gegenseitig Halt geben. Da unter dem Kreuz beginnt die Kirche, dass Menschen einander in ihrem Leid beistehen. So kann im Gegenlicht des Leidens eine neue Gemeinschaft unser Leben heller machen.

Das Gespräch, das Mitgehen, kann uns helfen, Leid zu tragen. Im Trost kann eine neue Gemeinschaft entstehen, wenn ich Anteil nehme am Leid der anderen. Wenn ich frage, wo ich helfen kann. Wenn ich für andere Menschen bete oder zuhöre, wenn ich eine Suppe koche oder einen Besuch mache. Dazu hat der Gekreuzigte kurz vor seinem Tod zwischen Maria und Johannes eine neue Gemeinschaft gegründet. Diese Gemeinschaft kann helfen, dass wir bei Leid und Trauer nicht verstummen oder vereinsamen. Die Aufmerksamkeit für die Leidenden kann helfen, dass sie spüren: ich bin nicht allein.

Mehr als menschliche Anteilnahme hilft, die Hoffnung, die in Jesu Wort „Es ist vollbracht“ zum Ausdruck kommt. Jesus Christus hat am Kreuz den Weg von Gottes Liebe zu Ende gebracht. Im Dunkel und im Leid ist sichtbar geworden, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod. Das Licht leuchtet auf das Kreuz. Deshalb können die Kinder Gottes im Dunkel schon das Osterlicht leuchten sehen. Amen.


Pfarrer Dr. Friedrich Schmidt-Roscher,

Jahrgang 1962, Gemeindepfarrer in der Evangelischen Kirche der Pfalz, seit 2007 Gemeindepfarrer in der Prot. Kirchengemeinde Haßloch.

E-Mail: fr.schmidt-roscher@gmx.de